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« Copyright 1937 d/ ^ukvirts-Verlsg, LerUo 8>V 68 Atj Nachdruck verboten. Kathleen war über diese An«: -ournetts einigermaßen xrblüfft. Sie sollte das Zimmer verlassen, damit er mit ihrem Besucher etwas unter vier Augen besprechen konnte! Das war indessen nur der Anfang. Im nächsten Augen blick steigerte sich ihre Ueberraschung bis zum Höchstmaß.. Bruce fuhr in wilder Erregung und mit verzerrtem Ge sicht vom Stuhl aus. „Nein!" schrie er heiser. „Das gilt nicht! Ich will nicht! Miß Heynen..., ich bitte Sie — wie kommt der Mann dazu, sich derartige Forderungen herauszu- nehmen?" Kathleen brachte vor Erstaunen kein Wort über die Rippen. Bruce stand förmlich angstgekrümmt und mit ge sträubten» Haar und schweißbedecktem Gesicht da, und in stinem Rücken wartete Brünett lächelnd und in bescheidener Haltung. „Was ist denn nur?" kam es endlich über den Mund des Mädchens. Und da Bruce nicht fähig war, eine Ant wort zu geben, richtete sie einen fragenden Blick auf den Diener. „Ich gestatte mir, meine Bitte zu wiederholen', sagte Burnett ruhig und mit einer höflichen Verbeugung. „Ich will nicht!' kreischte Bruce, und er sah jetzt wirk lich aus, als hätte ihn die Todesangst gepackt. Nie hatte Kathleen einen Menschen in größerer Furcht gesehen, und darüber beschlich sie nun selbst ein Anflug von Grauen. „Burnett..., bitte, gehen Sie!' sagte sie unsicher. „Mr. Bruce scheint krank zu sein.' Sie erhob sich und sah verwirrt und mit wachsender Unruhe von einem, zum anderen. Bruce kam wankend auf sie zu, und sie mußte sich bezwingen, nicht zurückzuweichen. „Begleiten Sie mich hinunter, ich bitte Sie! Ich will fort...!' Er konnte kaum mehr sprechen, und Schaum stand auf seinen Lippen. Sie war der festen Ansicht, daß er krank sei. Darüber wich die Furcht von ihr und machte einer Regung des Mitgefühls Raum. Sie faßte den Mann am Arm. „Kommen Sie, Mr. Bruce!' An Burnett vorüber, der mit eisigem Gesicht seitlich Aufstellung genommen hatte, führte sie ihn zur Tür hinaus. Sie hatte Mühe, Schritt zu hallen. Er schien furchtbare Eile zu haben, aus dem Hause zu kommen. Als sie ins Freie traten, fing er zu laufen an. Sie blieb zurück und sah ihm kopfschüttelnd nach. Er hetzte keuchend auf das Tor zu, das sich selbsttätig hinter ihm schloß. Als sie sich umwandte, blickte sie in das lächelnde Gesicht Burnetts, der ihr gefolgt war. „Er ist verrückt geworden', sagte der Diener gelassen. „Das ist das Schicksal aller Halben.' „Was soll das heißen, Burnett? Und was wollen Sie überhaupt von Mr. Bruce?" „Es handelt sich um eine rein persönliche Angelegen heit', wich Burnett aus, und dabei streiften seine Blicke über Deans Street hinweg. „Trotzdem werden Sie zur gegebenen Zeit noch Näheres davon erfahren. Im übrigen glaube ich, daß Ihr Onkel jetzt einigermaßen Hunger hat. Ich habe die Sandwiches hergerichtet.' „O Gott!' erwiderte Kathleen mit einer gelinden Be stürzung. „Daraus hätte ich nun wahrhaftig vergessen.' Sie eilte ins Haus. Burnett warf noch einmal einen Blick nach der Straße, dann trat er ebenfalls in die Halle und drückte auf den elektrischen Knops, der das Parktor öffnete. Er brauchte nicht lange zu warten. Flinke Schritte drangen von außen herein, dann tauchte Mrs. Gibson, die Putzfrau, im Halleneingang auf. Es schien ihr peinlich zu sein, daß sie Burnett traf, denn sie verzog das Gesicht und drückte ihr Handtäschchcn fester au sich. „Haben Sie heute nachmittag hier zu tun?' erkundigte sich der Diener, indem er uäber trat. Sein Blick verwirrte die Frau. Sie geriet ins Stottern. „Ich..., ich habe etwas liegcnlassen, als ich heute morgen die Zimmer reinigte...' .So!?' versetzt« Burnett höhnisch. „Vermutlich haben Sie in Miß HevnenS Zimmer etwas liegengelassen. Geben Sie mal her!' Bevor die Ueberraschle wußte, wie ihr geschah, hatte er ihr das HandtLschchen entrissen. Sie schrie leise auf und fand ihre Besinnung sofort wieder. „Was fällt Ihnen ein! Geben Sie mir auf der Stelle mem Täschchen zurück, Sie Unverschämter! Ich beschwere mich beim Professor, dann fliegen Sie 'rauS!' Burnett lächelte sie freundlich an. „Zite dürfen von Glück sagen, daß Sie so dürr sind, meine Lie-e, sonst würde ich Sie jetzt zur Tür hinaus- befördern. Aber dürre Leute sind mir ein Greuel.' Er hatte da« Täschchen geöffnet und entnahm dem-, selbe» einen Brief, dessen Umschlag nur die Worte ent- hielt: „Miß Heynen.' . .Gut!' nickt« Burnett und reichte das Täschchen zurück. „Und jetzt will ich Ihnen nur noch eines sagen. Wenn Sie sich nochmal in diesem Hause sehen lassen, will ich der Polizei etwas flüstern, daß es eine Schwindlerin und Urtundensälscherin Joan Newton gibt, die sich gegenwärtig den harmlosen Namen Gibfbn zugelegt hat und nem dings die Hände na'ch schmutzigen Geschäften ausstrec Hinaus!' Mrs. Gibson war leichenblaß geworden und wank! Sie wollte schreien, aber die Stimme versagte ihr. A- ganzen Leibe zitternd, starrte sie den Mann an, da» rannte sie davon, als wären die Furien hinter ihr he Burnett schloß die Tür, dann riß er den Brief auf. Se: Inhalt bestand aus einem einzigen kurzen Satz: Die „Königin der Anden' blüht! G Barnetts Gesicht verzog sich zu einem ^grimmig Lachen, während er den Brief in Fetzen riß. „Die Stunde naht!' murmelte er. Alles Lächeln si von ihm ab, und seine Mienen wurden hart und ernst. 21 An otesem Nachmittag trat Mills einen Gang an, den er nun nicht länger hinausschieben konnte. Er fuhr nacl> Letherby Mansions. Das Gartentor war geschlossen, und das Gebäude lag in stillem Frieden da. Ike klingelte. Es^ währte geraume Zeit, dann öffnete sich drüben die Tür. Mr. Grayne erschien in Hemdsärmeln auf de» Schwelle. Er sah aufmerksam herüber, dann kam er nähe» und sperrte das Gartentor auf. Mills zog den Hut. Zu gleich nannte er seinen Namen und wies seine Marke vor „Was verschafft mir die Ehre?' erkundigte sich Grayne. und sein rundes Gesicht drückte nichts weiter als Neugier und Erwartung aus. „Ich komme in der Angelegenheit Stafford', erklärte Ike. „Sie werden mich verstehen, Mr. Grayne. Ich bin mit der Aufklärung des Falles betraut und muß überall meine Fühler ausstrecken, wenn ich zu einem Erfolg ge langen will. Sie warey Mr. Staffords Nachbar, das heißt, Ihr Geschäftszimmer lag unmittelbar neben den Räumen des Rechtsanwalts.' „Das ist richtig', nickte Grayne gelassen. „Nur dürfen Sie daraus nicht etwa den Schluß ziehen, daß ich Ihnen vielleicht irgendwelche Fingerzeige geben könnte. Wäre das der Fall, so hätte ich mich längst gemeldet. Kommen Sie mit herein! Ich stehe Ihnen zur Verfügung.' Mills folgte ihm ins Haus. Im Empfangszimmer nahmen sie einander gegenüber Platz. Grayne wartete offenbar darauf, daß der Inspektor ihn nun mit Fragen überhäufen würde. Es geschah aber nichts dergleichen. Ike beschränkte sich darauf, sein Gegenüber stumm und auf merksam zu betrachten. „Es ist merkwürdig, wie sehr sich zwei Menschen bis weilen gleichen', ergriff Mills endlich das Wort. „Sie haben auffallende Aehnlichkeit mit einem Manne, dessen Bekanntschaft ich vor einigen Jahren machte.' „Das ist wohl nichts Ungewöhnliches", versetzte Grayne. „Es kommt häufig vor, daß man zwei Menschen begegnet, die einander ähnlich sind. Aber um auf den Fall Stafford zurückzukommen — ist es Ihnen bereits ge lungen, etwas zu ermitteln?' „Einiges wohl", nickte Mills. „Der Rechtsanwalt Ist einem sehr schlauen Trick zum Opfer gefallen. Er hatte sehr empfindliches Zahnfleisch, und deshalb mußte er sterben.' Graynes Brauen hoben sich verständnislos. / „Empfindliches Zahnfleisch — das verstehe ich nicht. Ich dachte, Mr. Stafford wäre einem Herzschlag erlegen." „So ungefähr ist das auch", stimmte Ike bei. „Dieser Herzschlag wurde aber durch Blutvergiftung herbeigeführt. Das Gift war der Zahnpaste beigemischt, die Stafford benutzte. Der Mörder wußte sehr genau um das leicht blutende Zahnfleisch seines Opfers Bescheid, und so mußte die Sache den gewünschten Ausgang nehmen.' Grayne starrte den Sprecher an und brachte im ersten Augenblick vor Ueberraschung kein Wort über seine Lippen. „Vergiftet!" murmelte er endlich. „Also wirklich Mord!" Er schüttelte den Kopf und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Das ist unfaßlich und beinahe unglaub- lich. Wer sollte denn ein Interesse am Tod deS Rechts- anwalts haben? Er war ein stiller, liebenswürdiger Mensch. Obwohl ich kaum mit ihm zu tun hatte, fühlte ich mich doch zu ihm hingezogen.' zDas glaube ich', fiel Ike flink ein und sah lauernd in das Gesicht seines Gegenübers. „Daraus werde ich nur nicht klug", fuhr Grayne fort. „Mord! Was das schon für einen furchtbaren Klang hat!' Er schüttelte sich. „Und auf welch heimtückische Art und Weise der Mörder vorging! Ihre»» Scharfsinn, Mr. Mills, »nutz ich die größte Bewunderung zollen. Darf ich fragen, wie Sie eigentlich hinter das Geheimnis kamen?' „Die Lösung des Geheimnisses ist nicht allein mein Vcr- dienst. Daß Staffords Leben sich in ernstlicher Gefahr be fand, ahnte und wußte ich schor» vor Wochen. Und noch jemand wußte davon: der .Chief'. Während sich «»ein Wissen aber lediglich darauf bezog, daß Staffords Leben in Gefahr schwebte, war eS dem .Chief bekannt, »ui welche Weise Stafford erledigt werden sollte. Er wacnt« den Mann schriftlich, eine etwa in sein Bür» geschmuggelt, Zahnpaste zu benutzen. Leider gebrauchte der Mörder «ft« andere Taktik. Er mischte dem Inhalt von Stafford- alter Tube Gift bei. Das bedeutete den Tod des Rechts- anwalts, da er ja keine Veranlassung hatte, seiner allere Paste zu mißtrauen." „Das ist jn der Tat mehr als unglaublich!" fuhr Grayne auf. „Der .Chief — wer ist das eigentlich? Und wieso konnte dieser Mann Kenntnis von den Plänen und Absichten des Mörders haben?" „Das werden Sie ihn selbst fragen müssen, denn ich kenne ihn nicht", versetzte Mills. „Ich fand in» Ofen in Staffords Privatzimmer das stark verbrannte Papier, das die merkwürdige Warnung enthielt. Auf diese Weise kam ich hinter den Sachverhalt. Aber nicht sofort, sondern erst heute morgen. Und das «ar insofern für mich betrüblich, ns der Mörder heute nacht die Tube mit der vergifteten '/oste aus dem Büro holte." Grayne starrte dem Sprecher kopfschüttelnd ins Gesicht „Die Geschichte wird immer unheimlicher. Aber sagen ie mir um des Himmels willen, warum wurde denn Wofford eigentlich ermordet? Wenn dieser merkwürdige .Hensch, der unter dem Ramen .Chief bekannt ist, die >inde im Spiel hat, so muß die Sache doch l«chst wichtige -ud bedeutsame Hintergründe haben. Und Stafford war -och ein sehr harmloser Mensch." „Ich bin in der Lage, Ihnen auch in dieser Hinsicht .tte gewünschte Aufklärung zu geben', erwidert, Ike. „Stafford war durchaus nicht der harmlose Mann, für den er sich ausgab. Vor allen Dingen war er kein Rechts anwalt, sondern Privatdetektiv der Versicherungsgesell- j schäft .Britania'. Bei dieser Gesellschaft hat Professor Graham seine geheimnisvolle Erfindung versichern lassen. Damit ist Staffords Wirken erklärt. Grahams Erfindung har natürlicherweise auch bereits einen Interessenten ge funden, der vor nichts zurückschreck«, um sie an sich zu reißen. Diesem Manne kam Stafford in die Quere, und vabci zog er den kürzeren. Damit haben Sie nun auch die Hintergründe des Mordes." „Mein Gott", sagte Grayne nach einer Weile, „es ist nicht zu glauben, welche Fäden in der Welt gesponnen werden. Da lebt man ahnungslos dahin, freut sich der Natur — ich bin großer Blumenliebhaber, wie Sie viel leicht schon gehört haben —, und da leben Menschen, die kein anderes Ziel haben, als kaltblütig zu morden und andere um ihre Erfolge zu bringen. Wüßte man alles, ich glaube, man müßte sich eine Kugel vor den Kopf knallen." ' „Das ist möglich, aber glücklicherweise gibt es nicht viele solch kaltblütiger Schufte, uyd gegen die wenigen ist immer noch ein Kräutlein gewachsen. Ich bin dem Manne auf der Spur. Damit ist der Zweck meines Besuchs nun so ziemlich erfüllt, nachdem Sie nicht in der Lage sind, mir weitere Anhaltspunkte zu geben. Sie verkehrten ja mit Stafford nicht, wie Sie sagten. Aber eine Frage möchte ich ftotzdem stellen: Kennen Sie eine Lady Shene?" „Lady Shene? Nein, kenne ich nicht! Aber der Nam« ist inir sehr bekannt, weil gestern Miß Heather im Verlauf eines Gesprächs die Rede auf diese Dame brachte. Hat es irgendwie eine besondere Bewandtnis mit Lady Shene?" Mills schüttelte den Kopf. „Nein! Ich war zwar überzeugt, daß sie in vieler Sache ebenfalls eine dunkle Rolle spielt, aber das ist doch nichi wichtig genug, daß ich mich besonders mit ihr befasse. So nebenbei habe ich nur festgestellt, daß sie regen Verkehr mtt einem gewissen Mr. Bruce hat. Bruce, den ich schon länger kenne, habe ich immer für einen wunschlosen Jung gesellen gehalten. Diese Ansicht habe ich aber in jüngster Zeit ändern müssen. Die Shene scheint ihn nicht übel auf geweckt zu haben. Gestern haben , sich die beiden geküßt. Es war ein Heidenspaß, Bruce dabei zuzusehen." Jn Graynes Gesicht, das während der ganzen Unter haltung nichts von seiner satten Heiterkeit verloren hatte, war eine seltsame Veränderung vor sich gegangen. Die blühende Farbe verlor sich und das Kinn reckte sich drohend vor. „Was sagten Sie da eben, Mr. Mills? Die Shene und Bruce...!" E'r lachte hart auf und fand seine Ge lassenheit wieder. „Es ist ja eigentlich nichts Besonderes. Die beiden sind ungebunden und können tun und lassen, was sie wollen." „Ich weiß nicht", entgegnete Mills und ließ Grayne nicht aus den Augen. „Wenn ich nicht sehr irre, ist Lrrdy Shcne verheiratet, wenn auch unter einem anderen Namen. Und insofern spielt sie auch in die Geschichte mit der Er findung hinein." Zum zweiten Male wich die Farbe aus.Graynes Ge sicht, und diesmal gewann er seine Fassung nicht so rasch wieder. „Mir scheint, Sie haben mir noch lange nicht alles ! erzählt, was Sie wissen", sagte «r heiser. „Der Personen- ! kreis, der in die Angelegenheit verwickelt ist, erfährt eine stete Erweiterung. Erst sprachen Sic nur von einem ! Mörder. Nun ziehen Sie auch diese Lady Shene in den Ring. Wenn die Dame verheiratet ist, so muß noch Ihren Worten auch ihr Gatte in Betracht gezogen werden. Und endlich Mr. Bruce. Welche Nove spiel« dieser Mann?" „Von Bruces Rolle in der Sache weiß ich nur, daß sie bedauerlich' ist. Am wenigsten hat die Shcne mit der An gelegenheit zu tun. Die Hauptperson ist ihr Gatte." „Und der Mam«, der Stafford ermordete...?' warf Grayne mit grauem Gesicht ein, während seine Blicke wir j gebannt am Gesicht deS Inspektors hingen. „Die einfachste Lösung ist die, den Gatten der Shenr j und Staffords Mörder in eine Person zu verschmelzen. Damit sind alle Zweifel und alle Schwierigkeiten über wunden Und das ist auch die richtige Lösung." ' lHortsetmng solatt