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1936 ky ^uswärts-Vorlss». Lorlin 8^V 68 13) " Nachvruck verbolcii. Ein freies, inniges Verhau»,!- zwischen den Kindern war nicht zu erzielen. Sie hatten Heimlichkeiten, auch vor einander. „Es wird Zeil, daß deine Tochter in das adelige Fräulein-Instilu« kommt", erklärte Kurt eitles Tages. „Die Erzieherinnen bringen ihr nichts bei, sic sind um fein." Dieser Gedanke verließ, ihn nun nicht mehr. Eigen sinnig setzte er es gegen den Willen seiner Frau durch, die Kleine in eine exklusive Stiftsschule im Norden zu geben. Dort wurden Damen geschult, nach unverrückbaren alten Systemen. Vergebens schlug Muthe ein zeitgemäßes Institut in der Stadt vor. „Nein, da kommt sie mit allerhand zusammen. Sie soll nur in dem Kreise wurzeln, in den sie gehört." Eine puritanische Uniform wurde geschneidert, Wäsche angefertigt. Beate war, wie immer, für alles Neue Feuer und Flamme. Bitter sagte sich die Mutter: „Schon jetzt wird dein Kind dem Elternhaus genommen, nur mehr einer Kaste eingesügt. Hochmütig wird es werden, egoistisch. Und von jener Frömmigkeit, die nicht erwärm«, nicht selbstlos macht." Es erschreckte sie, wie rücksichtslos ihr Mann seine Autorität herauskehren konnte. Diskussion gab es nicht mehr. Als sie darauf bestand, Beate selbst in das weltlich- klösterliche Stift zu bringen, gebot er: „Ich komme mit, und ich werde dort reden. Dich wird vieles verblüffen. Du bist eine so rein adelige Atmosphäre nicht gewöhnt. Bitte kritisiere nicht, auch nicht den Stundenplan, gar nichts. Ich bin mit allem einverstanden." So kam die kleine Beate sehr früh in die Umwelt eines alten, wackligen Schlosses, mit einem verwahrlosten Park. Turnen, Sport, Körperhygiene wurden hier wenig ge trieben. Es galt als unpassend. Fremde Sprachen, vor allem immer Französisch, Klavierspiel, Handarbeiten. Anstandsstunden machten mit etwas Geschichte und ver- altetem Rechnen den Unterricht aus. Vor allem wurden Damen ausgebildet, das Wissen blieb Nebensache. Es wurde auch von der notwendigen praktischen Schulung sür Edelfrauen geredet. Aber diese war äußerst gering. Ma» ließ sich bedienen. Gern zu lesen galt als eine mindere Eigenschaft. „Wer selbst etwas im Kopfe hat, der braucht das nicht. Bücher werden oft von ganz Unmöglichen Leuten geschrieben. Die Hauptsache ist Zucht und Tugend; Ergebung in die Fügungen des Lebens." Darin lag der Moxalbestand dieses Erziehungshauses nicht im tatkräftigen Zugreifen, Tich-Weyren, in Selbst rrkenntnis. Die weitläufigen Räume wirkten verwohnt, kahl und düster. Im Garten wurden nur alte Spiele gespielt, „ckeu, Se srace", aus der Epoche der Madame de Maintenon. Sie wirkten affektiert. Unter den Lehrerinnen waren ver- ichiedene Ausländerinnen, unzugänglich höflich und fremd. Kurt, wir wollen das Kind wieder milnehmen!" „Ich finde es hier ausgezeichnet. Ich erinnere mich an olele Mädchen auS unseren Kreisen, die dressiert wurden." Jawohl: dressiert", sagte Muthe bitter. Nach diesem Erlebnis entstand zwischen dem Ehepaar eln Riß. Raindorfss Ueberfeinfühligkeit merkte daS schnell. Er wurde böse. Trauriges Schweigen konnte ihn in Wut bringen. Dann warb er wieder, in der gleichen Art wie sein Junge, wenn der im Unrecht war. DaS alles erschöpfte die Kräfte. Und rund umher vrohend da- Leben einer Zeit, in der eine Erziehung, wie sie die kleine Beate erhielt, unbrauchbar war. Man ver ging sich aü den Kommenden, wenn man ihnen das Ab sterbende künstlich aufdrängte. Im Gymnasium ging es mit Michel nicht. Seine Un zuverlässigkeit, ruckhafte Veränderlichkeit und manche andere Eigenschaften brachten es mit sich, daß seinen Eltern bedeutet werden mußte, ihn heimzunehmen zum Privat studium, mit nachfolgenden öffentlichen Semesterprüfungen. Ihm war das recht. Er wurde faul, dann wieder über- rifrig. Die Auftritte mit seinen Professoren endeten nicht. Seine Mutter empfand diesen Einzelunterricht als ver- derblich. Bei den ersten Prüfungen kam der sprunghafte Schüler durch. Geistesgegenwart und hitziges Memorieren, auch daS Anziehende seines Wesens retteten ihn. Sein Vater war voll Anerkennung, tat ihm schön. Sie wurden vorübergehend ein Herz und eine Seele. Das neue Schuljahr fing durch die vielen Zer streuungen, die Michel gewährt wurden, ungünstig an. * ^>as Ehepaar Ralndorff wurde ganz plötzlich nach Sutschlage gerufen, da dessen Herrin im Sterben lag. Kurt bekam vor Aufregung einen Nervenanfall. Er mußte sich legen. Er würde nachkommen. Mulhe fuhr allein. Die alte Dame war nicht mehr bet stcy. Ihr Geist wanderte in Vergangenheiten. Sie erkannte den Gast auch nicht. „Wer bist venn dn", stammelte sie. „Ach ja, die Lise-Loti, die eine Mesalliance machen wollte, ich weiß schon. Aber ich habe geglaubt, du bist schon lange ge storben." „Ich bin Erdmuthe, Muhme." „Die gute arme Lott bist du. Erdmuthe kennst du gar nicht. Das ist die Fremde in unserer Familie. Bleib nur da. Du weißt alle die alten Dinge. Vor dir kann man reden." In einem Murmeln erstarb die Stimme. Lange lag die Halbgelähmte bewegungslos. Im Hause herrschte tiefste Stille. Es war alles ein gestellt auf Scheiden und Ende. Der Pastor erschien wiederholt, redete auf die Frau ein, die auch ihn nicht mehr erkannte, ihn mißtrauisch an- sah. Er nahm ihre Hand, legte sie wieder hin, forderte Muthe ans, lant mit ihm zu beten. Mitten darin schreckte die Kranke auf. „Wer ist denn das wieder?" schrie sie. „Einer von der Stenerbehörde?" Ihre Stimme wurde lallend. „Er soll weggehen. Kurt wird schon alles machen. Ich habe diese Sachen nicht ver standen. Er soll hinausgehen.' Der Pastor zuckte die Achseln. „Arme Seele. "Man kann auch aus Eigensinn und Unverstand.schuldig werden in irdischem Sinne. Aber schwer wiegt das nicht. Das wird vergeben. Ich werde der Guten in der Kirche ge denken, auf daß sie leichte Fahrt in die Ewigkeit habe." In der folgenden Nacht versagte daS Wirbelchen, war nicht zu wecken. So wachte Muthe allein an dem harten Bett, das in einem beispiellos nüchternen Raum stand. Die Muhme war unruhig, das Spiel ihrer Hände be äug,.igend. Auf einmal konnte sie die wieder heben, tat es beschwörend. „Werner und Renate, sie dürfen nichts entbehren. Ich habe ihnen reichlich gegeben. Sie können doch nichts dafür. Kurt soll nicht murren, es könnte ihm, der von ihnen stammt, Unglück bringen." Sie sagte dann nichts mehr, kämpfte ihren letzten Kampf in Erdmuthes Armen. Tie hatte noch nie jemanden sterben gesehen; sie zitterte. Aber nicht nur aus Furcht. Die letzten Worte hatten sie getroffen wie ein Donner- schlag. Der Dorfarzt, die Gutschlagerin hatte nie einen anderen konsultiert, kam in letzter Stunde und blieb da. Er war bäurisch geradeaus, erfahren. „Wirum ist der Herr nicht da?" fragte er. „Krank geworden? Soso! Und Sie sind seine Frau. Ist auch recht." Am Totenbett stand er ziemlich unbewegt. „Ja, ja, auS wird's jetzt." Muthe sagte matt: „Es ist zuletzt eine große Unruhe in ihr gewesen." „No ja, Betrieb hat sie immer gehabt." „Sie sorgte sich um einen Werner, eine Renale." „Aha. DaS sind die zwei in der Irrenanstalt in Arn- Hausen im Thüringischen, Geschwisterkinder von ihr. Bald zu brav hat sie für die bezahlt, sind mehr verwöhnt worden als wie der Herr Kurt. Na, na -- waS ist denn, gnädige Frau?" Sie war zusammengesunken, in ihrem Leben zum ersten Male. Der Doktor machte sich um sie zu tun, aber ohne besondere Erregung. „Wird nichts gewöhnt sein", sagte er sich. »Da- muß alles gelernt sein", drückte dann der Verlöschenden die Augen zu und sprach ein kurzes Gebet. „Und wann ist nachher der Herr zu erwarten?" „Es ist telegraphiert worden." MutheS Stimme war ohne Klang. „Es ist da nichts Aufregendes, wenn ein alter Mensch heimgeht." Ohne einen Blick zurückzuwerfen auf die Tote, ging der nüchterne Mann. Er dachte: Eine recht schöne Frau ist das, schaut auch gesund her, aber diese gewissen Neröen von den Damen hat sie auch schon. Oder, hält' ich ihr gar was erzählt, was sie nicht weiß? Das kann doch nicht sein. Er dachte an Kurt Raindorff, den er als Kadetten oft behandelt, bei mancherlei Störungen. Raindorff erschien. Er wirkte bei der Leichenfeier, zu der viele Menschen kamen, sehr gut, in einer starren Zusammengefaßtheit, die nicht ohne Effekt blieb. Zum ersten Male hatte er kein Auge für seine Frau. Seine neue Stellung überwältigte ihn so, daß ihm an ihr keine Veränderung auffiel. Jeder wußte, daß es kein umfangreicher, kein ergiebiger und gepflegter Besitz war, der ihm zufiel. Der Rechtsanwalt Mohr, als Testamentsvollstrecker, äußerte sich: „Es ist eine Rettung, daß er eine noch immer vermögende Frau, einen Schwiegervater hat, der der Staatspleite immerhin ein Schnippchen dreht. Im Aus land gibt es auch Banken." Das Ehepaar Rubertus fehlte. Es war verreist, nicht erreichbar. , Kurt war mit Michel gekommen, in elegantester Trauer- kleidung, die ihn mit seinen vierzehn Jahren älter er- ! scheinen ließ. Er verfolgte alle Vorgänge mit-wacher Neu gierde, aber ohne jedes Gefühl. Und die Gutschlagerin bezog mit aller Feierlichkeit - ihre kalte Gruft, begleitet von Standesgenossen, Behörden, Landvolk. Ein Artikel im Ortsblättchen besang ihre Ver dienste. Das Testament sollte, nach'ihrer Bestimmung, erst in vier Wochen gelesen werden, aber der neue Herr mochte das Gut beziehen, sagte der Anwalt. So blieb er da, und Muthe fuhr mit dem Jungen in die Stadt zurück. Mit der Auflösung des Haushalts sollte sie gleich be ginnen. Sie schloß sich ab, befaßte sich nur mit Michel, verkehrte auch nicht mit Hans in dieser Zeit. Die Briese, die von Beate und über diese aus dem Institut kamen, las sie mit fremdem Blick. Ihre Tochter schrieb, was ihr diktiert wurde, unnatür lich, steifleinen. Es war lange nicht glatt gegangen. Sie wurde als apathisch, interesselos beim Lernen, dann wieder als stoß weise unbändig bezeichnet. „Schwer zu haben", berichtete die vornehme Oberin des Hauses, „aber wir fassen uns in Geduld, geben uns weiter Mühe, beten, daß es werden möge. Es fehlt dem Kinde auch an Frömmigkeit." Die Extraausgaben, neben der betreffenden Pension, hörten nicht auf. kiLlMDLS kLäKIHl. „Bist du zu Ende?" fragte Herr Rubertus. Er saß; seine Tochter stand vor ihm, bebte am ganzen Leibe. Nie hatte er sie so gesehen. Er erhob sich schwerfällig, drückte sie in einen Sessel nieder, wollte sie streicheln. Schroff entzog sie sich ihm. Da wurde er böse. „Du bist ja un gezogen." Er trat ans Fenster, wandle ihr den Rücken zu, brummte über die Schulter: „Es darf dich so niemand sehen. Wie kann man seine Haltung so verlieren! Es so an Selbstbeherrschung fehlen lassen bei Dingen, die vor kommen, seit die Welt steht. Die trägt man einfach, standesgemäß und religiös, verstanden? Macht sie mit sich ab. Denn das alles ist entsetzlich übertrieben. Und ich sage dir nur eines: laß deinen guten Mann niemals merken, daß man dir solche Geschichten erzählt hat. Wenn du das tätest, eine Aussprache mit ihm wagtest, über Un aussprechliches, dann — uferlos könnten die Folgen sein. Dein Mann braucht Frieden, häusliches Glück; Landleben wird gut sech. Er braucht auch den Wahn einer Macht." „Vater! Du redest nur von ihm — und ich?" „Du hast die Kinder, hast seine Liebe, Anbetung. Du kannst ihn beschenken, beherrschen. Sei geschickt." „Pater, als Naindorff um mich warb, mir meinen sechzehn Jahren, da hast du dich erkundigt, ganz genau, ob er keine Schulden hat. Außerdem war dir sein Name, seine Charge Garantie für untadelhafte Ehrbegriffe." „Selbstverständlich. Und du wolltest ihn ja sofort, be dachtest dich nicht einmal." „Mit sechzehn Jahren ist man leicht erreg«, ge schmeichelt, dankbar. Da er keine Schulden hatte, sagtest du ja. Nach allem übrigen bei ihm, nach den grund legenden Dingen im Leben, um d'- es geht, die Sein oder Nichtsein bedeuten, hast du nicht gefragt; nicht nach der Artung seiner Rasse, nach ihrer Gesuüdheit, seelisch und körperlich. Nur den Geldfragen ist bis aufs letzte nach gegangen worden, Und mir wurde nichts gesichert als mein Geld." „Ich bitte dich, hör.auf-mit bombastischen Wertem ES gibt wenig Familien, in denen nicht irgend etwas spukt. In den alten Geschlechtern wachsen naturgemäß fixe Ideen, Marotten, Schwächlichkeiten. Man muß schon führ zufrieden sein, wenn nicht heimtückisch Tuberkulose lauert. Denn die überspringt Generationen und kehrt doch wieder? „Es waren wiederholt Narren in der Familie, Dahn- sinnige im Raindorffschen Geschlecht. Ich bin jetzt genau informiert. In seinem Regimen» hatte man keine Ahnung von seinem Erbübel. Er galt da nur alS leicht irritiert, nervös. Aber er ist losgegangen gegen, Soldaten. Und ich habe nichts, nichts davon erfahren? „Selbstverständlich nicht, daS sind Dienstsachen Sie haben den guten Kurt mit allen Ehren abgese-t. Gei dankbar, daß ihm der Krieg erspart geblieben ist? „Vater!" „Ich bin eS zufrieden, daß ich einen vornehmen, dabei dankbaren und bescheidenen Schwiegersohn habe; bet dem ich nie Extreme sah. Er trinkt nicht, er spielt nicht, er ist dir fanatisch treu? „Das alles ist nicht der Kern der Sache, zu entscheiden habe hier ich? „Zu entscheiden ist gar nichts. Sechzehn Jahr« einer guten, kindergesegneten Ehe, jetzt macht er dich zur feudalen Gutsbesitzerin. Na, Muthe, fei doch vernünftig! Warmherzig, wie du es immer gewesen bist, Laß dich nicht verdüstern, sei einfach vorsichtig. Rücksichtsvoll. Beobachte genau. Eigentlich müßten wir ja alle heut« ver rückt sein. Zertreten, mißachtet, ausgepowert, wie wir sind? „Ich rede nicht von allgemeinen Dingen ES ist aus schließlich von dem zu sprechen, von dem, WaS mein« Kinder und mich bedroht, davon — daß Kurt mir zu vev- schweigen wagte, was er natürlich wußte." „Ich glaube das gar nicht, daß er sich klar gewesen- ist. Man hat seine Gedanken wohl immer abgelenkt von diesen Dingen. Und er gab sich nicht Rechenschaft über sie. Dann konnte er, in strengem Dienst, den Beweis seiner Ver wendbarkeit bringen, das militärische Bewußtsein, di» Zucht ha« ihn dufrechtgchalten und abgelenkt." „Und dann ist doch die StMde gekommen, in der er alles Maß verloren hat. Du hattest zu wissen, Vater, und er hatte zu bekennen. Nun ist die Tragödie da? »Siortkevuna st»tav>