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Beilage zur WettzentzJeMmg Nr. 300 ' Freitag, den 24. Dezember 1937 103. Jahrgang Li» VL»1srM»1vr Lo1»L»1«» Abenteuer in der Indianer- Reservation von Karl Ey Mary Lciugicßcr und Clark Spencer, junge Leute der Gesellschaft von Milivautcc, ivvttcn den Winter anstatt tm sonnigen Florida in de» nördlichen Indianerreservatio nen verbringen. Sir vcrpslichtcu als ihren Führer einen jungen Deutschen, der in den Vereinigten Staaten als Verfasser von Jndiancrgeschichten bekannt geworden ist. .Rauhbcin" kann wohl Jndiancrgcschichtcn schreiben, aber er kennt die Ncservaiioncn nicht. TroUdem nimmt er daS Angebot an. Er trifft Mary Lcingieher und Clark Spen ¬ cer in Moorhead, der Kontrollstatio« für Reisende in die Reservationen. Vorher hat er sich von einem Indianer über die Verhältnisse in den Gebieten seiner Stammes- brttdcr informieren lassen. Mary und Rauhbcin sind für die Wildnis ausgerüstet, Spencer hat es verstanden, ein gepflegtes Aenßcrcs zu bewahren. Der Jndiancrkommif- sar nimmt mit leichtem Misstrauen von den Absichten der drei Kenntnis. Viele Winke für unseren Aufenthalt in der Reserva tion konnte uns Leutnant Huggins auch nicht geben. Er versah erst zehn Monate den Dienst in dieser Blockhans- station, und obwohl er im besten Militärjargon von den „schmutzigen Nothäuten" und den „moderfaulen Squaw- leutcn" räsonierte, war er über die besten Zngangstdege, die in das riesige Jndianergebiet führten, aus eigener Erfahrung überhaupt nicht unterrichtet. Er besäst aber einige gut ausgcarbcitetc Karten der Reservation, die vom Indianerdcpartcmenl in Washington ausgenommen waren und-von denen er unS eine ohne Zögern mitgab. Auch von den verschiedenen Blockhäusern im Innern, die früher für die reisenden Indiaueragenten und gelegent lichen Händler errichtet worden waren, hatte er wohl läuten gehört, aber genau angcben konnte er ihre Lage auch nur auf der Karte, lieber ihre« bauliche» Zustand und ob sic wohl als Winterquartier geeignet seien, konnte er uns nichts verraten. Eine Mwece Kiske Dagegen merkte ich, da!; yeh ihm immer wieder die Frage anfdrängte, was in Trciteufelsnamen wir über haupt jetzt znm nahenden Winter in der Reservation wollten? , lind als er sie endlich mit einem entschuldigenden Blick ans Mary stellte, da fiel Clark Spencer mit einer fast verdächtigen Hast und Beredsamkeit ein: „Nur ein Touristennnlernehmeu, Leutnant, reine Liebhaberei. Hier unser Begleiter ist der Verfasser der „Nauhbein Wilsons Abenteuer". Seine Gegenwart dürfte doch wohl schon jeden, beweisen, daß wir nnr einmal spüren wollen, wie es ist, ebenso primitiv unter Nothäuten zn leben, wie es die Bleichgesichter in den alten Wildwcst- tagen taten." Leutnant Huggins lachte und meinte: „Aber dafür hätten Sie sich doch den Frühling aussuchen können." „Nein, Leutnant", warf da Mary ein, „ich habe zwar nicht mehr Angst vox. wilden Tieren und bösen Menschen wie die meisten anderen Mädchen, aber mir sind die som merlichen Moskitos schrecklich." Leutnant Huggins schüttelte sich lachend und machte Miene,'sich zn kratzen: „Da haben Sie freilich recht. Die Mückenplage ist hier in der Nähe des Sumpfgebietes in den warmen Mo naten wirklich keine Wohltat. Ra, in wenigen Wochen werden Sie ja von den Sümpfen anch nichts mehr ver spüren, denn wenn die erste Eisschicht sie einmal deckt, dann pflegt sie nicht vor April aufzutauen." In diesem Augenblick klopfte die Ordonnanz an die Tür des Gästezimmers und meldete, daß zwei Träger aus Moorhead eine Kiste für Herrn Clark Spencer ge bracht hätten. Spencer schlug sich vor die Stirn, als ob ihm erst jetzt wieder etwas Vergessenes eingefallen sei: „Nichtig, Leutnant", sagte er, „ich habe mir noch einen Spritofen und Benztnwürfel in Moorhead besorgt und dann die Sache ganz verschwitzt. Wenn es Ihnen recht ist, legen wir die Kiste sofort zu unserem anderen Gepäck, damit wir morgen beim Aufbruch keine Verzögerung haben. Oder müssen Sie den Inhalt erst kontrollieren?" „Das ist freilich Vorschrift, aber in Ihrem Falle wohl nicht nötig", meinte der Leutnant liebenswürdig, worauf Spencer mir einen Wink gab und wir den beiden India nern, die noch vor dem Blockhaus warteten, die Kiste ab nahmen und sie zu unserem Gepäck neben den friedlich kauenden Pony im Stall legten. Die Kiste war merkwürdig schwer. Es klang wie Metall durch die derben Bretter ... Es konnte wirklich ein Spritkocher drin enthalten sein, aber ganz bestimmt hatte Spencer ihn nicht, wie er angab, in Moorhead ge kauft, denn die Adresse verriet, daß sie dem Ingenieur aus Milwaukee nachgesandt worden war. Aber das waren alles Sachen, die mich nichts augingen und mir weiter keine Kopfschmerzen machten. Flinker Lux hat vefpromer Weit näher berührte mich schon ein Vorfall, der sich ereignete, als wir nach dem gemeinsamen Essen im Gäste zimmer mit dem Leutnant bei Zigaretten nnd Kaffee zu- sammensaßcn und im Vorraum barsche Stimmen laut wurden, die einen Besucher darauf aufmerksam machten, daß der Offizier jetzt nicht mehr gestört sein wollte. Nebri- gcns schien der Besucher gerade kein Ehrengast zu sein, denn die Soldaten belegten ihn mit Worten, die eigentlich nur einem Indianer gegenüber gebraucht werden. Dann ein empörter Ausruf aus dem Munde eines Soldaten, daraus ein kurzes Klopfen an der Tür. nnd in dem Eingang erschien die Gestalt eines großen schlanken Indianers von etwa 35 Jahren in kunstvoll gearbeiteten schweren Mokassins und weichen hirschlederncn Leggins, eine Revolvertasche an dem breiten perlenbesetzten Gürtel, der im reinsten Englisch und mit fester Stimme sagte: „Ich verlange, Sic zu sprechen, Leutnant. Es ist drin gend nnd verträgt keinen Aufschub." Leutnant Huggins starrte den Eindringling, der auch uns mi« einem kleinen Kopfnicken und Mary mit der An deutung einer Verbeugung bedachte, beinahe entgeistert an. Dann schien er vergessen zu haben, daß sich eine Dame in unserer Gesellschaft befand, denn er schrie mit einer sich vor Wut fast überschlagenden Stimme: ..Was unterstehst du dich, schmutzige Nothaut, hier cin- zudringen. Hinaus mit dir, du Aasfresser, und bescheiden gewartet, bis ich dich antanzen lasse. Was — was — was —" Dem Leutnant ging beinahe die Luft aus vor Em pörung, denn erst jetzt hatte er den Revolver am Gürtel des Indianers bemerkt, eine Waffe, die eigentlich jeder Rotham verboten war. „Was — einen Revolver? In Ketten lasse ich dich legen, du frecher Hund!" Der Indianer ließ den Ausbruch des jungen Offi ziers regungslos über sich ergehen. Rnhig sagte er: „Das findet sich später. Jetzt habe ich Ihnen die Mel- dnng zn machen, daß in der Blockhütte 4 am Kleinen Hunde-See die Leiche eines weißen Mannes gefunden wor den ist. Er muß durch Krankheit gestorben sein, denn ich fand keine Verletzungen vor." Leutnant Huggins lehnte sich noch immer bleich zurück: „Und das soll ich dir glauben, du stinkende Wigwam wanze?!. ermordet und beraubt wirst du den Mann haben!" Auch diese Anschuldigung nahm der Indianer gelassen hin. Und mit derselben ruhigen Stimme fuhr er fort: Und nun habe ich Ihnen noch die persönliche Mittei lung zu machen, daß Sie sich in dem Ton vergreifen, den Sie gegen mich anzuschlagen belieben. Ich bin in der Neservationsliste als Häuptling „Flinker Lur" geführt, aber im Verzeichnis der Reserveoffiziere der Bundesarmcc als Oberleutnant John Smith. Ich erwarb mir in Flan dern das Verdicnstkreuz in einem Krieg, der mich nichts anging, als Sie noch nicht in der Kadettenschule von West Point ausgenommen waren. Ihre Jugend entschuldigt vieles, Leutnant. Ich will von einem Bericht absehcn, wenn Sie versprechen, bald ein Mann zu werden und als Mann zn handeln nnd besonders zu reden. Ich habe ge sprochen." Der Indianer trat auf den entgeisterten jungen Offi zier zu, legte ihm den Militärpaß, der ihn als einen der 7S Bundesoffiziere mit Indianerblut legitimierte, vor die Augen nnd verließ mit einem Kopfnicken den Gäste raum. Eine Weile saßen wir alle reglos und benommen von dem Vorfall, aber ich sah, daß Leutnant Huggins heftig schluckte, als ob er weinen wollte, und dann tief errö«-ce. Indianer auf dem „Kricgspfad" — glücklichreweisc uur bei einer Schaustellung. Die Rothäute in den Vereinigten Staaten sind unter dem Einfluß der Weißen vollständig „zivilisiert", wobei sie in der Hauptsache die schlcch- tcn Seiten der Zivilisation an genommen haben. Trachten und Bräuche werden nur noch ans Gründen des Gcldvcrdicnstcs gepflegt, nämlich bei der Schau stellung vor weißen Reisenden. Aufnahme: Wcltbilderdienst — M. Mary, hatte ganz blanke Augen bekommen, die sie noch immer starr auf die Tür richtete, durch die der Indianer verschwunden war, und ihre Brust hob und senkte sich in raschen Stößen. Spencer aber saß kreideweiß da und öffnete und schloß''immcr wieder seine Faust wie in einer nur schwer zurückgehaltcncn Erregung. Ich ging dem Indianer nach. Die Wachsoldaten muß ten gelauscht haben, denn sie nahmen sogar eine Spur von Haltung an. als „Flinker Lur" an ihnen wortlos vorbci- schritt. Nauhbein wir- An-ianeravem Draußen vor der Blockhütte holte ich ihn ein. Er stand mit verschränkten Armen, als ob er auf etwas warte,.. Ich sagte nichts, sondern hielt ihm nur die kleine Holz kapsel mit der Bastrolle vor. die mir „Weißer Bär" gege ben hatte: Ein Leuchten brach aus den Augen der Rothaut. Darin aber verfinsterte sich sein Gesicht wieder und er fragte' „Wieviel Schnaps gaben Sie für dieses .Andenken'?" Ich weiß nicht Ivas es war, das mich bei diesen. Wor ten irgendwie vor Beschämung heiß werden ließ, aber ich entgegnete: „Ich kaufte es nicht gegen Schnaps. Ich gab ein paar freundliche Worte dafür nnd auch ein wenig Geld." „Es wird Ihnen vielleicht in der Reservation einen Dienst leisten. Aber was wollen Sie jetzt im Winter da?" „Ich bin Begleiter der Dame und des Herrn, die einige Monate in den Wäldern verbringen wollen." „Handeln?" „Ich weiß nicht. Ich glaube aber nicht. Die Dame ist aus reichem Hause, und der Herr scheint ihr Verlobter zu sein. Sie suchen wohl Abwechslung." „Dann ist cs gut. Gefährlich wird der Aufenthalt für Sie und Ihre Freunde nur, wenn Sie außer Abwechslung und Pelzen, noch etwas anderes suchen . . ." Diese letzten Worte hatte der Indianer fast mit drohender Betonung gesprochen. >- Ehe ich um eine Erklärung bitten tonnte, trat aber Leutnant Huggins zu uns. Mit einem verbissenen Zug um den knabenhaften Mund und starren Augen stellte er sich stramm vor den Indianer hin und sagte in kurzem Militärton: * „Ich bitte für mein unqualifizierbares Benehmen von vorhin um Entschuldigung, Oberleutnant." „Flinker Lur" machte eine Bewegung, als ob er seine Hand an die Stirn legen wollte, ließ sie aber wieder sinken und sagte nur: „Es ist vergessen, Leutnant. Ich hoffe aber, daß Sie meine Meldung über den Fund im Blockhaus 4 nicht überhört haben. Was gedenken Sie zu tun? Sie wissen doch, daß es Ihre Aufgabe ist, diesen Dingen nach zuforschen. Ich bin in der Reservation nnr als Häuptling: meines Stammes zuständig." „Meine Soldaten sind nicht in der Lage, den Fall zn . nntersnchen. Ich selbst . . " „Flinker Lur blickte mich an und sagte dann: „Schwö ren Sie doch diesen Mann als Hilfsindianeragenten ein. Das Recht dazu haben Sie. Er kann die Angelegenheit untersuchen und Ihnen Berich« senden. Ich werde ihin einen Boten stellen. Es ist, wie gesagt, offenbar ein natür licher Todesfall, kein Verbrechen . " Leutnant Huggins nickte Er nahin mir gleich in Gegenwart des Indianers den Eid ab, einen unbeeinfluß ten Bericht zu senden, nach Möglichkeit die Personalien des Mannes festzustellcn. sein Eigentum nach der Station zu schicken und bis zur Erledigung der Affäre mich als im Dienst des Indiaueragenten befindlich zu betrachten. Dann traten wir drei in das Bürozimmer der kleinen Station, nnd Leutnant Huggins gab mir mein kleines Anttsschild, das ich ihm mit dem Eigentum des Toten und meinem Bericht zurücksenden sollte. Ich bat den Indianer, uns am anderen Morgen nach der Blockhütte zu begleiten, aber „Flinker Lux" entgegnete nur: „Ich werde drüben von einigen der Meinen erwartet und kann nicht verweilen. Ein junger Stammesangehöri ger wird aber morgen beim Aufbruch hier sein, um Ihnen den Weg zu weisen. Sie können in zwei Tagen in der Blockhütte eintreffen.' „Noch eine Frage: Ist die Hütte geräumig und be wohnbar?" „Sie war früher eine Pelzhändlerstation. Es wird genug Naum für Sie nnd Ihre Begleiter vorhanden sein. Die Hütten meines Stammes sind nur eine Vierteltage reise von dein Blockhaus entfernt." Es war mir wieder, als ob der Indianer auch diesen letzten Satz wie eine verborgene Warn»"" "der eine ver steckte Drohung gesprochen hatte . . . Das Geheimnis -er Blockhütte 4 Im Vergleich zn einein amerikanischen Präricstädtcyen ist ein Damenstift der Alten Welt eine Behausung, in der sich niemand um das Tun und Lasten seiner Mitbewohner kümmert. In Moorhead erfreute sich der Fremdling also ungefähr derselben ungenierten Bewegungsfreiheit wie ein Goldfisch im Glashafen, und es war deshalb durch aus kein Wunder, daß unser Plan, den Winter auf der Reservation zu verbringen, weitcstens bekannt wurde. Sogar der Postmeister von Moorhead verschloß sich nicht diesem allgemeinen Interesse. Er wußte, wann wir aufgebrochen waren und ahnte, wo wir unsere erste Sta tion machen würden: und so kam noch kurz vor unserem Aufbruch ein bcritMcr Eilbote zum Militärpostcn hinaus- gekantcrt, um für Mary und Spencer ein Bündel Post ab- zngeben, den Eilbotenlohn von ÜN Cents zu kassieren und m(t einem muntcren „Glück auf" wieder nach Moorhead zurückzureiten. Wenn Mary auch den deutschen Namen Leingießer trug, so war sie doch darin eine typische amerikanisthe junge Dame, daß sie, die Briefe noch beiseite legte, züerst den Milwaukeer „Sentinel" aus seiner Streifbandpackimg berausrtk und dann die Seiten überkchlua.