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VO^I Lop>nM 1SS7 l»^ ^ukvL 261 Nachdruck verboten. Damit befand sich Kathleen neuerdings in Gefangen schaft des furchtbaren Menschen, und diesmal bot sich ihr nicht die leiseste Aussicht auf eine Wandlung ihrer trost losen Lage aus eigener Kraft, wie sie sich dumpf gestand. Ihr Mut war dahin und ihre Denkkraft gelähmt. Sie stand wie erstarrt da, und wäre Grayne mit seinen Schlangen gekommen, sie hätte keine Hand dagegen rühren können. Geraume Zeit stand sie so, bis sie mit einem Male das Gefühl hatte, als atmete jemand in ihrer Nähe. Im Zimmer, das nur ein Fenster besaß, war es schon ziemlich dunkel. Kathleen hob den Kopf, und wieder war es ihr, als hörte sie in nächster Nähe einen Atemzug. Ohne sich einen Gedanken zu machen, kehrte sie das Gesicht dem dunkelsten Teil des Raumes zu. Da schrak sie aus ihrer dumpfen Teilnahmlosigkeit auf. Ein tonloser Laut ent rang sich ihren blassen Lippen, und ihre Augen wurden grob und weit. 27 - Sie war nicht allein im Zimmer. Im Schauen eines altmodischen Schranks konnte sie die Gestalt eines Mannes erkennen. Und nun sie eine Regung von Angst und un gläubigem Staunen von sich gab, löste sich die Gestalt lang sam aus dem Schatten und kam näher. Es war ein Mann von etwas Ueberdurchschnittsgröhe, der durch das Dämmer auf sie zukam. Sein Gesicht war bleich und wurde von einem schwarzen Hut, der bis tief in die Stirn ging, unkenntlich gemacht. Dazu trug der Fremde einen grauen Anzug und einen glcichfarbenen Schal, der aus besondere Weise geknotet war. Kathleen zermarterte ihr Hirn. Diesen Mann hatte sie schon einmal gesehen oder wenigstens schon von ihm ge hört. Sein Aussehen und sein schweigsames Auftreten schien ihr irgendwie vertraut. Und plötzlich kam ihr die Erleuchtung. Por einigen Jahren hatten die Zeitungen Bilder und Berichte von Greeck, dem großen Schweiger, gebracht, von Inspektor Greeck, der einer der geheimnis vollsten Beamten von Scotland Bard gewesen war. Greeck war damals erschossen aufgefunden worden, und da sein Leben für jedermann ein Buch mit sieben Siegeln gewesen war, hatten sich die Zeitungsschreiber um so mehr seinem Aeußern und seinen Absonderlichkeiten widmen müssen. Man hatte Greeck nie anders als in einem grauen Anzug und mit einem gleichfarbigen Schal gesehen, den er ans be sondere Art und Weise zu knüpfen pflegte. Bei jeder anderen Gelegenheit wäre Kathleen von emem maßlosen Schrecken befallen worden. Aber in dieser Stunde war alles in ihr gelähmt und abgestumpft. „Sind Sie Greeck?" fragte sie, und unvermittelt wurde sie lebhaft unv sprang auf den Mann zu. „Wenn Sie Greeck sind, müssen Sie mir helfen!" fuhr sie atemlos fort und faßte den Schweigsamen am Arm. „Ich befinde mich in der Gewalt eines Mannes, der einen Mord begangen hat...!" „Das ist nicht ganz richtig", sagt- der Fremde ruhig. „Grayne Hal nicht bloß Stafford auf dem Gewissen. Ver mutlich stirbl auch Bruce an seiner Verletzung, und Greeck, von dem Sie eben sprachen, ist auch eines von Graynes Opfern. Dazu ..." Kathleens Gesicht drückte so viel Grauen aus, das; der Mann darauf verzichtete, weiterzusprechen. Er umfaßte sie bei den Schultern und geleitete sie zu einem Stuhl, auf dem sie wie betäubt nicdersank. „Sie brauchen nicht mehr die allermindeste Furcht zu baben", sprach er zu ihr. „Grayne ist erledigt." Damit trat «r ans Fenster und blickte aufmerksam eine Weile ins Freie, Dann sah er auf seine Uhr und kehrte zu dem Mädchen zurück. Kathleen litt cs nicht länger aus dem Stuhl. Sic sprang auf und griff voller Erregung nach dem Arm des Mannes. „Wer sind Sie? Wie kommen Sie hierher und auf welche Weise erhielten Sie Kenntnis non all diesen Dingen? Wollen Sie mir helfen oder sind Sie ein Werk- zeug Graynes?" Der Fremde lächelte und löste sich aus dem Griff ihrer Finger. Dann fing er an, ihre Hände zu streicheln, und sie duldete cs, als wäre es die Liebkosung eines alten Freundes. „Ich helfe Ihnen, Miß Heynen", sagte er, und hatte plötzlich eine ganz andere Stimme, bei deren Klang Kath leen heiße Schauer überrieselten. „Ich helfe Ihnen", wiederholte er. „Der alte Graham soll seine Nichte und Ike Mills soll seine Braut wieder haben." Kathleen hatte das Gesagte kaum verstanden. Sie zitterte an allen Gliedern, und Tränen eines maßlosen Glücks sprqngen aus ihren Augen. Die Stimme des Mannes war mit einem Male aufs Haar diejenige des alten guten Burnett, und die Erinnerung an den treuen Diener packte sie derart, daß sie den Fremden am liebsten umhalst hätte. Und nun war kein Hauch von Furcht und Bangen mehr in ihr. Inmitten der Höhle des Löwen fühlte sie sich geborgen und sicher, weil ein Mann bei ihr stand, der die Tvrachc Burnetts redete. . ss/WU /FF »Verl»«, ösrlw SW 68 „Wer sind Sie denn nur?" forschte sie wieder. „Sagen Jie nur ein Wort! Ich werde krank, wenn Sie mir länger Ihren Namen verheimlichen!" „Darüber mag Ike Mills Sie aufklären", lächelte der Fremde. „Still!" raunte er ihr zu, als sie etwas sagen wollte, und drehte den Kops dem Fenster zu. „Er kommt! Hören Sie?" Wer kommt — Grayne?, wollte Kathleen schon fragen, als ihre Ohren den Lärm eines Motors auffingen. Und blitzschnell dämmerten ihr die Zusammenhänge. Sie konnte einen leisen Aufschrei nicht zurückhalten und stand mit einem Satz am Fenster. Es war schon fast dunkel geworden, und in dieser Dunkelheit gewahrte sie dje abgeblendeten Lichter eines Autos, das mit großer Schnelligkeit näher kam. Ike!, wollte sie jauchzen. Aber der Mann an ihrer Seite hatte so etwas geahnt, und seine Hand verschloß ihren Mund. Das Auto bog unvermittelt nach rechts ab, tauchte im Dunkel unter, und gleich darauf war das Motorengeräusch verklungen. Kathleens Hand krallte sich in den Arm des Mannes, der schweigsam neben ihr stand. „Was bedeutet das? Wohin fährt der Wagen? Warum hält er nicht aus das Haus zu?" Um den schmalen Mund des Gefragten lief ein Lächeln. „Wenn Sie ein klein bißchen nachdenken, wird Ihnen die Lösung von selbst einleuchten. Miß Heynen. Mr. Mills kann nicht ohne weiteres hier vorfahren und womöglich noch läuten. Er muß versuchen, unbemerkt einzudringcn, wie Sie wohl verstehen werden. Deshalb stellt er das Anto in dem Wäldchen dort drüben unter. Ich habe ihn vor nicht ganz zwei Stunden von Surrey Field aus angerufen und ihm in allen Dingen genauesten Bescheid gesagt. In einer Viertelstunde wird alles vorüber sein." Kathleen war vom Fenster zurückgetreten. „Mein Gott", sagte sie, „ich kann das alles nicht ver stehen! Wissen Sie denn überhaupt, in welcher Lage ich mich befand? Ich wähnte alles schon verloren und hatte bereits mit dem Leben abgeschlossen, als mich Grayne vor hin in dieses Zimmer zurückbrachte. Und nun sind Sie aufgetaucht, und in wenigen Minuten soll Ike da sein — Ike!" Ihre Stimme sank zum Flüstern, und ein tiefer Atemzug entrang sich ihrer Brust. „Es ist alles so un geheuer überraschend gekommen, daß ich den Dingen mit meinen Gedanken nicht zu folgen vermag. Ich weiß nicht, wo ich zu denken anfangcn soll." „Es ist am besten, wenn Sie gar nichts denken. Zudem liegen oie Dinge höchst einfach. Grayne hat Sie in seine Gewalt gebracht, weil Ihr Kops die Formel zur Er findung Ihres Onkels beherbergt. Daß es dazu kommen würde, war vorauszusehen. Und nun kommt Inspektor Mills, Sie den Händen des Schurken zu entreißen, und zu demselben Zweck bin auch ich da." „Ja, ja", nickte Kathleen, die einen dumpfen Druck im Kopf verspürte. „Wo — wo ist eigentlich Mr. Grayne?" „Ich vermute, daß er alles zu einer beschleunigten Ab reise vorbereitet. In dem Hause hier kann er sich nicht sicher fühlen. Wahrscheinlich ist ihm alles daran gelegen, oen britischen Boden in möglichster Bälde zu verlassen." Der Sprecher verstummte unv sah scharf zum Fenster hinaus. Kathleen trat aufmerksam au seine Seite. Der weite Hofraum lag in ziemlicher Dunkelheit vor ihren Blickm. Die Mauer mit dem Tor ließ sich nyr mehr schlecht erkennen. Aber Kathleen besaß gute Augen, und es war ihr, als tauchte an der Mauer sekundenlang ein flinker schwarzer Schatten auf. Sie griff abermals nach dem Arm des neben ihr Stehenden. Der Mann, der aufs Haar jenem toten Greeck glich, nickte ruhig. „Ike ist über die Mauer gestiegen", sagte er gelassen. „Nun ist Graynes Schicksal besiegelt." Er machte eine kleine Pause und brachte aus einer Tasche seines Rockes einen Dietrich zum Vorschein. „Ich muß Sie nun für eine kurze Zeit verlassen, Miß Heynen. Verhalten Sie sich ganz ruhig „„h bleiben Sie im Zimmer! Sie haben nicht das mindeste zu befürchten." Ike Mills blieb-einige Sekunden Atem holend im Schalten der Mauer stehen und musterte das Haus, soweit es die vorgeschrittene Dunkelheit gestattete, mit aufmerk samen Blicken. Er erinnerte sich des telephonischen Anrufs, der ihn aus Surrey Field erreicht hatte. Von der Haustür aus um die rechte Hausecke biegen — dort offenes Fenster! Ike hatte sich alles gut gemerkt. In kurzen, lautlosen Sprüngen setzte er über den ver- wilderten Nasen und hatte das Haus bald erreicht. Nir gends war ein Lichtschein zu sehen, und überall herrschte tiefstes Schweigen. Mills bog um die bezeichnete Ecke und stand bald vor dem bewußten Fenster. Es schien von außen verschlossen, aber ein leiser Druck besagte dem In spektor, daß die Flügel nur angelehnt waren. Ter „Chics" hatte gut vorgearbcitet. Ike besann sich keine Sekunde. Der Gedanke allein, daß sich das geliebte Mädchen in diesem finsteren Gebäude befand, ließ ihn keinen Augenblick vergeuden. Er schob va^ lenster lautlos auk und schwana sich über die Brüstung. Ein dunkler Raum nahm ihn aus. Mills verzichtete darauf, eine Taschenlampe zu gebrauchen. Mit den Händen um sich tastend, suchte er nach der Tür, die er dem Fenster gegenüber fand. Ein winziger Lichtstretfen, der sich läng^ der Schwelle hinzog, mahnte ihn zur Vorsicht. Die Tür fiihrte in den Gang hinaus, der, wie vaS Treppenhaus, beleuchtet war. Ike trat vorsichtig auf di» Steinfliesen, wobei ihm die Gummisohlen seiner Schuhe sehr zustatten kamen. Rückwärts entdeckte er eine Tür, die offenbar ins Freie zu führen schien. Sie stand zu einem schmalen Spalt offen, und ein leises Motorengeräusch klang herein. Das war Grayne, der sein Auto startfertig machte. Mills fühlte, daß auf dem Gang nicht länger seines Bleibens war. Er wollte sich schon dem Treppenhaus zu» wenden, als irgendwo hinter ihm eine Tür knarrte, Schritte wurden laut und gleich darauf eine heisere, un verständliche Männerstimme. Der Inspektor schnellte herum und starrte in das ent. stellte Gesicht seines Todfeindes. Grayne war mit einem Paket unterm Arm im Gang aufgetaucht. In der Rechten hielt er einen Revolver. Er forderte Mills nicht aus, die Hände hochzunehmen. Er war nicht fähig, auch nur ein Wort zu sagen. Mit einem Gesicht, in dem nichts Mensch liches mehr zu finden war, riß er die Schußwaffe hoch. Ike wollte sich gegen die Treppe werfen, aber mitten in der Bewegung hielt er inne, mit offenem Munde nach seinem Widersacher starrend. Ueber Graynes Lippen war plötzlich ein tierischer Aufschrei gekommen. Schaum troff von seinem Mund, und alle seine Haare schienen sich wie unter einem maßlosen Schrecken zu sträuben. Seine Hand mit dem Revolver sank nieder. Er schleuderte das Paket von sich und warf sich mit dem Rücken gegen die Gang- wand, als wollte er sich verkriechen. Dabei waren seine Blicke nach wie vor auf die Treppe gerichtet. Mills, ver sich diese merkwürdige Wandlung nicht zu deuten wußte, sah um sich. Und da verstand er alles. Er verstand den tödlichen Schrecken des Mörders, ver sein Opfer aus dem Grabe auferstehen sieht. In halber Höhe der Treppe stand mit unheimlich fahlem Gesicht und mir verschränkten Armen der Mann, der dem ermordeten In spektor wie ein Ei dem anderen glich. „Spürhund!" zischelte Grayne. „Tu lebst noch! Haben die drei Kugeln damals noch nicht genügt...?" Und plötzlich schien ver Mörder hellwach zu werden. Er riß ded Revolver hoch, und ein paar kurze Feuer strahlen zuckten auf. Aber die Hand, die die Schüsse abgab, zitterte. Und nun feuerte auch der Mann, der wie Greeck aussah. Er gab nur einen einzigen Schuß ab. Grayne- ließ seine Waffe faken. Er drehte sich im Halbkreis unk» taumelte ein paar Schritte die Wand entlang auf die nächste Tür zu. Tort sackte er zusammen. Im Sturz bekam er die Türklinke zu fassen. Unter der Schwere seines Körpers sprang die Tür auf. und im nächsten Augenblick war Grayne verschwunden. Bevor Mills und der Mann auf der Treppe etwas unternehmen konnten, geschah etwas Unerwartetes. Eine ohrenbetäubende Explosion erdröhnte, und die beide» Männer wurden wie von Geisterhänden »zu Boden ge schleudert. Ein dumpfes Prasseln und Poltern folgte. Ike hatte das Gefühl, als wälzten sich Bergeslasteu über ihn. Ein heftiger Schmerz wühlte in seinem Kopf und etwas Feuchtes, Warmes strömte über sein Gesicht und verklebte ihm oie Augen. Mit aller Willenskraft, die ihm zu Gebote stand, hielt er sein Bewußtsein aufrecht. Es konnte kein Zweifel bestehen, Grayne chatte das Haus in die Lust ge sprengt. Die Vorbereitungen hier;» mochte er vor langer Zeit schon getroffen haben. „Mr. Mills?" klang eine fragende Stimme aus Nacht und Schwärze und durch Wolken stickiger Luft. Zugleich erklang ein Geräusch, als juchte sich jemand aus einem ' Schutthaufen hervorzuarbeiiem Ike wollte antworten, als sein Herz plötzlich wie rajeno zu schlagen begann. Von irgendwoher — die Töne schienen von oben zu kommen — drangen hilflose Laute aus Frauenmund Ikes Aufschrei ging unter in einem endlosen, schmerzhaft lauten Prasselii Eine ganze Seite des Hauses schien cingestürzt zu sei» In die Stickluft von Maucrstaub mischte sich unvermitteu ein beißender Qualm. Nöte zuckte auf. Ike wischte sich das Blut ans den Auge». Seine Blick, irrten über ein wildes Durcheinander von Maur, trümmern und dunklen Balken, an denen gierige Flamm.» leckten. „Kathleen!" Mills hatte keine andere Sorge als oi> um die Geliebte. „Kathleen!" schrie er nochmal mw arbeitete sich fieberhaft aus Schutt und Trümmern. „Gott sei Dank!" sagte eine fast heitere Stimme i» nächster Nähe. „Ich dachte schon, Sie seien bewußtlos Tas ist ein netter Streich, den uns Grayne da gespicli hat. Ich hätte es .igentlich wissen können. Kommen Sie!" Der Mann, der wie Greeck aussah, stand unbeweglich und beinahe teilnahmslos inmitten der Verwüstung. Ike arbeitete sich zu ihm vor, dann turnten sie über Schutt, Mauerwerk und glimmende Balken nach oben. Im Obergeschoß sah es schauerlich aus. Die rück wärtige Hälfte war eingestürzt, und zur linken Seite grinste durch eine mächtige Bresche der schwarze Nachthimmel. Von einer Decke war nichts mehr zu sehen, und der ganze Gang war von Balken und Dachsparren angefüllt, die teilweise lichterloh brannten. Mit Todesverachtung drangen die beiden Männer vor, immer wieder den Namen des Mädchens rufend. Sie er- Hielten keine Antwort, und das trieb ihre Kräfte bis zum äußersten an. Rauchgeschwärzt, mit versengten Kleidern und schweißüberströmt langten sie endlich an dem Raum an, in dem Kathleen zurückgeblieben war. Die Tür ließ sich nur zu einem schmalen Spalt öffnen Funken knisterten dahinter und beißender Qualm schlu- den Männern entgegen. Sie warfen sich mit der voll- Wucht ihres Körpers gegen Vas heiße Türholz. ' dumvseö Poltern erscholl, dann wich die Tür zur» ^Schl»