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vorausgegangenen Kämpfe. Dem entspricht auch die formale Anlage des Werkes. Man hat sehr früh erkannt, daß diese sinfonische Dichtung eigentlich ein echter Sinfoniesatz ist, der von einer breiten Introduktion und einem hymnischen Epilog umrahmt ist. Dieser Anklang an die sinfonische Form und die daraus resultierende Übersichtlichkeit war es wohl, die dem Werk sehr bald weite Verbreitung und große Popularität sicherte. Trotzdem, man darf das nicht vergessen, wenn uns heute die Musik von „Tod und Ver klärung“ völlig unproblematisch erscheint, für die Zeitgenossen von 1890, die das Werk zum erstenmal auf dem Eisenacher Tonkünstlerfest unter des Komponisten Leitung hörten, war es revolutionäre und „mißtönende“ Musik. In den todestraurigen Akkorden des Anfangs, aus denen sich die Seufzer der Flöte herauslösen, spiegelt sich die Stimmung einer armseligen Sterbekammer wieder. Dumpf pocht die Pauke, ein anderes „Schicksalsmotiv“. Man kann daraus auch der Deutung des Gedichtes folgend, „Der Wanduhr leises Ticken“ hören. Sanfte, weiche Klänge ver- sinnbilden die Träume, in die sich der Kranke verliert. Die Oboe singt das herbsüße Kindheitsmotiv. Mit gewaltigen Schlägen beginnt nach dieser Einleitung der Hauptteil. Der Tod meldet sich. In den Bässen schleichend das Fiebermotiv; diese Fieberstimmung wird immer erregender au9gemalt. Ihr stellt sich das kräftig auf begehrende Motiv des Lebens dranges entgegen. Beide werden sinfonisch miteinander verknüpft, bis sich zum ersten mal, sozusagen auf dem Höhepunkt des Fiebers, das Motiv der Verklärung meldet, zu nächst kräftig in den Bässen aufsteigend. Als, im sinfonischen Sinn, Seitenthema kann man das dann einsetzende Kindheits motiv, das schon in der Einleitung angedeutet war, auffassen. Umspielt von den Triolen der Streichinstrumente, setzt es zunächst in den Flöten ein, später leiht ihm die Solo violine ihren silbernen Glanz. Erinnerungen an das Leben tauchen auf. Nach der glück lichen Kindheit die heitere unbeschwerte Jugend und schließlich, durch marschähnliche Rhythmen und das Schmettern der Hörner gekennzeichnet, die hochgemuten Kämpfe des Mannesalters. Der Tod hat alledem ein Ende gemacht. Die Sinne verwirren sich dem Kranken, die Motive gleiten durcheinander wie die Fieberphantasien. Dann aber strahlt in seiner ganzen Schönheit und Erhabenheit, harfenumrauscht das Motiv der Ver klärung auf. Es wird in einer breit angelegten, mit einem großen Orgelpunkt eingelei teten Koda zum Ausdruck überirdischen Glanzes gesteigert. Es ist eine der sogenannten „Pariser Sinfonien“ Joseph Haydns, eine jener, die der damals schon europaberühmte Meister in den 80 er Jahren des 18. Jahrhunderts für Paris schrieb. Pflegt man auch die letzte Gruppe, die zwölf „Londoner Sinfonien“, als den „größten Haydn“ zu bezeichnen, so sollte man darüber die früheren Werke nicht geringschätzen. Man sehe sich einmal daraufhin diese G-Dur-Sinfonie an. Sie ist in ihrer geistvollen Konversation nicht zu übertreffen: wie munter nehmen die Holzbläser das von den beiden Geigen angestimmte Thema des ersten Satzes auf, wie erfindungsreich greift Haydn in der Durchführung die Sechzehntel-Figur auf, um sie in nahe und entfernte Tonarten zu führen, wie läßt er in der Reprise die Flöte einen halb lustigen, bald zärt lichen Kontrapunkt zum Thema in der Geige hintupfen! Und gar der letzte Satz! Das funkelt vor Lust am geistreichen, nie flachen Geplauder, vor Freude an überraschenden Synkopeneffekten. Ist das vielleicht ein Zugeständnis an den Pariser Salon (freilich was für ein Zu geständnis!), so steht dazwischen als deutscher Klang das wundersame Largo, in dem Haydn mit den einfachsten Mitteln Variationen schreibt, und das Menuett, das den Tanz der Heimat auf der höheren Ebene der sinfonischen Kunst in die große Welt ein führt. Wahrhaftig, nun war es „kein Spaß mehr, Sinfonien zu schreiben“ (Brahms). Dr. Karl Laux. Joseph Haydn: Sinfonie G-Dur M/0252