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—— viM» 7/. -'' --MA ' Beilage zur Wettze ritz-Zeitung d Nr. 27l Sonnabend, den 20. November 1937 103. Jahrgangs ^«rm VII IskellLmI M»ml r^?:7 den tFortsetzuna kolat.) trauenskrise. von Michigan, van Zoorn, bekommt heraus, das» nur eiuzahltc, nie alchob. Es gibt nichts, was nicht von einem Federal Agent» den seine Gegner einfach „Fed- nennen, verlangt würde. So wie sonst nur der Soldat in Kriegs- Zeiten ist der Federal Agent namen- und gestaltloses Teilchen der Staatshoheit. Es gibt keine Handlung in seinem Leben, die nicht von den Bestimmungen seines Berufes, oder besser seiner Berufung, diktiert wäre. Er darf keine Familie haben: er darf sie nicht gründen. Er mutz heute als Mr. Smith in Kansas Eity und vierzehn Tage darauf als Mr. Brown in St. Louis leben. Es darf nichts, aber auch nichts exi stieren, was irgendeiner Organisation der geg nerischen Unterwelt als Anlatz dienen könnte, zu vermuten, das Mr. Smith eben nicht Mr. Smith und Air. Brolvn nicht Mr. Brown ist. Federal Agent sein, heitzt: Verzicht auf das eigene Leben Die Revolver- oder Maschinengewehr kugel des Gangsters zum Schluß ist kaum mehr als eine sinnfällige, nur noch äußerlich in Erschei nung tretende Beerdigung. Es gibt nichts, was vom „Fed" nicht verlangt würde, aber es gibt auch nichts, was man ihm ver weigerte. Er gehört zu den machtvollsten Vertretern des Staates. Er hat zuzeiten Vollmachten, die radikal in die Rechte eines Staatspräsidenten eingreifen. Wann und wie er es wünscht, öffnen und schließen sich Zuchthaustore, ein Won von ihm alarmiert ganze Divisionen und bringt Geschwader von Marinefliegrn in Bewegung. Alle Machtmittel des Staates stehen zuzeiten zu seiner Disposition. Er hat kein Gehalt. Der für ihn ausgesetzte Be trag entspricht ungefähr der Gage von einem Dollar, die traditionsgemäß der Präsident der Vereinigten Staaten erhält. Es wäre unsinnig, einem Federal Agent eine feste Gehaltsumme auszusetzen, wo das Schatzamt, ohne mit der Wimper zu zucken, jede Anweisung von ihm, jeden Scheck honoriert. Ein Federal Agent hat stets so viel Geld, wie er braucht. Für sich selbst verwendet er es nicht. Selbst wenn er es wollte, hätte er kaum Gelegenheit dazu. Er ist ja kein eigener Mensch mit individuellen Wünschen, Es ist überhaupt alles gut. Er ist nur krank, und das ist alles. Nein, nein, Gwen Rhpde ist noch nicht tot. Gwen Nhyde ist auch noch lange nicht am Ende. Unten ini Erdgeschoß stehen die elektrischen Papierwal zen. Morgen werden sie wieder arbeiten. Morgen werden die Fräskämme wieder über die Oberfläche schlurfen, wer den rauschend die Bogen sich in die Pressen schieben, wer den schnappend die Druckplatten anfcinanderfallen, die rotierenden Messer zischen und in langen Streifen schöne neue Hundertdollarnoten sich entrollen. Echte Noten. Hoch und lang lebe Gwen Nhyde, der unsichtbare Schatzkanzler der Vereinigten Staaten' von Nordamerika! > Die erste Masche im Netz Polizeikommissar van Zoorn ist auf emem toten Punkt angelaugt. Es geht einfach nicht weiter. Der Polizcichef von Columbus Hal ihm geschrieben, daß nach seinen Er mittlungen in dieser Stadt zwar ein gewisser Humphrey Bogner geboren wurde, aber bereits im Jahre l9l9 an den Nachwirkungen einer falsch behandelten Blinddarm entzündung gestorben sei. Ein Umstand, den zu bezweifeln um so weniger Grund vorliege, als der besagte Humphrey Bogner ordnungsgemäß und im Beisein von Zeugen auf dem städtischen Friedhof begraben wurde. Von einer Auf erstehung sei hierorts nichts bekannt, und infolgedessen müsse es als äußerst unwahrscheinlich betrachtet werden, daß der besagte Humphrey Bogner ein zweites Mal, und diesmal in Detroit, in die Gefilde der Seligen eingegan gen sei. Eine in mehrfacher Hinsicht unangenehme Entwick lung. Zum ersten war den wackeren Polizeioraanen non Frauen? Luxus? Macht? Er heult auf. „Ich bin toU Ich bin gestorben. Ich lebe nicht mehr. Ein Amen für Gwen Rhyde, den Dollarmillionär!" In Trunkenheit und Schwäche, in einer läh menden Betäubung, die kein Schlaf ist, rollt er auf staubigen Boden. Fortsetzung.) Given Rhyde macht Bilanz. Er sitzt an einem Holz- tisch, der brann verkrustet und klebrig ist von verschütte- ' tem Gin. Es macht ihm nichts aus. Er sitzt in diesem Augen blick an keinem Holztisch, sondern auf der Terrasse eines Landsitzes in den Adirondacks. Gwen Rhyde hat gerade festgestellt, daß er in guten Papieren und sicheren und soli den Bankkonti nahezu acht Millionen Dollar besitzt. Es wären über zwölf Millionen, wenn er nicht schließlich auch an seine Leute denken mütztc. Genug, denkt Gwen Nhyde. Jetzt ist es bald genug. Ich kann einfach nicht mehr. Fertig ist Gwen Nhyde, aus- gclaugt. Aus dem Rebenraum Hörl er Stöhnen, ein paar mal ein grelles Aufscuszen, dann Plärren und Lallen. Dort wird dem langen Lesley vom Gelben Tod der letzte Atem aus dem glühenden Leib geschüttelt. Der neunte, denkt Given Nhyde. Es berührt ihn nicht sehr. Wenn man, selbst immun, sozusagen aus einer Par- ' terrelogc heraus den Tod als ständig wiederkehrendes Schauspiel betrachtet, verliert man das Gefühl für die un geheuerliche Hintergründigkeit des Vorganges. Was noch berührt, das ist ausschließlich die Neugruppierung der äußerlichen Umstände. Wieder einer weniger. Man wird ein paar Tage allein arbeiten müssen. Ekelhaft, wenn man sich so schwach und energielos fühlt wie ein Haufen alter Lumpen. Schließlich nicht zu vermeiden. Die Jungens ans Key West werden ohnehin Ende der Woche auftauchen. Es wird gleich einer hierbleiben müssen. Wieder einer weniger! Im Grunde nicht schlecht. Dann wird der Anteil der anderen größer, und ich kann ihnen sogar etwas abziehen. Nein, warmes menschliches Empfinden muß vergehen, wenn man jahrelang über und neben dem Tode haust. Schon ganz bei einem Charakter, wie es Gwen Nhyde ist, der seit dem ersten bewußten Augenblick seines Lebens nur ei« inneres Gesetz kannte: Ich! Es wird still im Nebenraum. Gwen tastet nach der Ginflasche. Der Turm muß arbeiten Fertig bin ich, ausgelaugt. Verdammtes Leben! ßlötzlich hat er eines Tages gewahren müssen, oag er sich verrechnet hat. Zwar war er drauf und dran, sein großes Spiel zu gewinnen, aber der Ein satz war dabei zusammengeschmolzen. Gwen Rhyde hat Furcht por dem Leben. Was soll ihm jetzt sein Geld? Wozu hat er die höllischen Jahre auf Turm VII hier durchgcstanden? Wozu hat er mit Grausamkeit, überlegender Hinter list und infernalischer Klugheit seine häufig genug rebellierenden Leute zusammengehalten? Wozu hat er verraten und hintergehen müssen, um nicht selbst hintergangen zu werden? Wozu diese Einsiedelei in der Jsolationszone des Todes, die furchtbarste Einsamkeit bedeutete und ihn trotzdem zu einem gehetzten Tier machte: immer lauernd, in jeder Sekunde auf einen unerwarteten Angriff war tend, mißtrauisch dem Allernächsten gegenüber? Der lange Lesley ist nun der neunte, der auf Turm VI! stirbt. Mit manchem der anderen acht hat er gute Kameradschaft gehalten oder das, was man unter den Wölfen dafür nimmt. Gwen Rohde ist fertig, ausgezehrt, verbrannt. Nebenan liegt ein Toter, der Gin ist warm und schal, Gwen Nhyde hat den Kopf in den Armen verborgen und beschwört alle Dinge herauf, die eine Brücke zu dem sein könnten, was er Leben nennt. > Columbus offenbar völlig der Umstand entgangen, daß zum Nachlaß des Toten zwei Hundertdollarnoten gehör ten, die beide die Nnmmer 7N0 6I8 trugen. Es fügt sich nicht sehr bequem in die Pläne des vän Zoorn ein. aber er kann jetzt nicht umhin, dem Kollegen in Columbus einen entsprechenden Hinweis zu erteilen. Er ist iu seiner Marsch route um keinen Schritt weitergekommcn. Dunkel und rät selhaft bleibt immer noch die Frage bestehen: Wer war Humphrey Bogner? Van Zoorn sicht, daß er am Anfang eines unüberseh baren. mühseligen Weges steht. Nichts, aber auch gar nichts hat er sonst über Humphrey Bogner in Erfahrung bringen können. Der Mann Hai sich ungefähr ein Vierteljahr in der Stadt aufgchalten und eine kleine möblierte Wohnung von drei Zimmern bewohn«, sehr komfortabel, sehr luru- riös, aber bar aller jener Dinge, die für den Kommissar von Bedeutung gewesen wären. Er hat nicht ein Bricf- stück, ein Dokument gefunden. Im Schreibtisch lag der Mietvertrag, und das war alles. Haßerfüllt hatte van Zoorn den Gaskamin in der Wohnung des verschiedenen Humphrey Bogner betrachtet. Der halte vermutlich alles verschlungen, was für ihn so unbezahlbar wertvoll gewesen wäre. Woher kam Humphrey Boguer? Niemand wußte es. Er War eben eines Tages da. Das war alles. Was bleibt also? Die Fingerabdrücke. „Kann man von Toten Fingerabdrücke nehmen?" fragt Zoorn am Telephon den Chef-Polizciarzt. „Was für eine Frage, Chef?! Tas wissen Sie doch genau so gnt wie ich!" Zeichnung: Drewitz: M. In Trunlcnhett und Schwäche, in einer lähmenden Betäubung rollt er auf de» staubige« Boden. Leise zittern die Eisenplattcn. Leise zittern die Eisenplatten. Unter ihm arbeitet die Lichtmaschine, die den Ruf in die Nacht hinausschickt: drei Sekunden Helle, zehn Sekunden Dunkelheit. Als Gwen Rhhde nach Stunden wieder zu sich kommt, gilt sein erster Gedanke dem Licht. Keuchend arbeitet er sich die Wendeltreppe zum Blendschirm hinauf, der leise grol lend unablässig um die mächtigen Prismen rotiert. Gott sei Lob! Es ist noch alles in Ordnung! Das ist wichtig. Der Tnrm muß arbeiten. Man darf nicht auf merksam werden; niemand darf seinen« Geheimnis auf die Spur kommen. Vielleicht ist dies die einzige Triebkraft, die wirklich noch in Gwen Rhyde wohnt. Nicht noch einmal gefaßt werden! Diesmal bedeutet es nicht Zuchthaus für ihn, sondern Strafarbeit an der Kette. Nur das nicht! Und so kriecht der Zuchthäusler und Verbrecher Gwen Rhyde, der in« Augenblick der erste Staatsfeind der Ver einigten Staaten ist, den täglichen Kontrollgang ab, gewis senhaft, wie man cs von einem pflichtgetreucn Lcuchtturm- wärtcr erwarten darf. Das Fener von Tnrm VII mutz brenne»! Es ist alles in Ordnung. Eine wilde, krankhafte Selig keit packt ihn wie eine Sturzwelle. Es ist alles in Ordnung. Heute kann er entschlafen, ohne am Handgelenk die ein schneidende SchlGae der Bistole m kühlem Er ist allein und ist sicher Neigungen nnd Angewohnheiten. Er ist eine Maschine, eine ungeheuer wertvolle, unansdenkbar präris konstruiert" arbeitende Apparatur. Eine Maschine braucht kein Geld! So kommt es. daß die Männer mit den grützten Macht befugnissen und den unumschränkten Vollmachten über jede Summe im Grunde die erbärmlichst bezahlten Beamten des Riesenreiches der Vereinigten Staaten sind. Sie sind großartige, bewunderungswürdige Kerle, diese Männer vöm Geheimdienst, und dabei doch arme, ganz anne Hunde. Nur eine ganz kurze Zeit dürfen sie ein wenig Mensch sei«« und einen letzten Trnnk ans dem Becher des Lebens nehmen. Das ist das eine Jahr, in dem man sie nach London, Berlin, Paris, Wien nnd Barcelona zum Studium schickt. Großartige Kerle, arme Hunde . . . Es bedeutet schon etwas, wenn diese Elitetruppc ein mal in einem Fall nicht weitcrkommt oder überhaupt ge zwungen ist, auf der Stelle zn treten. Es geschieht nicht of* Schüsse ins Dünkte Zwei Hunderldollarschcinc, beide geschmückt mit der einprägsamen Nummer 70U6I8 jedoch, bringen einmal den ganzen Geheimdienst durcheinander. Man braucht dort keine drei Stunden, um fcstznstettcn, daß von einem druck technischen Versehen keine Rede sein kann. Es steht außer Zweifel, daß sich irgendwo in den Staaten oder aber im Ausland eine Stelle aufgcta» ha«, die drans und dran ist. dem Schatzamt eine solche Konkurrenz zu machen, daß am Ende nichts anderes stehen kann als eine furchtbare Ver- „Nein, so meine ich das nicht. Ich meine: Kanu num von schon beerdigten Toten Abdrücke verlangen?" „Das kann man schon. Es hat nur keilten Sinn. Ungs» führ siebzig Stunden nach Eintritt des Todes beginne« die Gewebe der Haut sich wesentlich zu verändern. Die Poren, die ja weder Schweiß absondern noch Lnft anzu saugen haben, schrumpfen, ihre Anordnung ändert sich, und das heißt, daß die Spiralen und Bogen eine neue Lage einnehmen. Wie lange liegt denn Ihr Toter schon unter der Erde?" „Oh, erst ein paar Monate." „Wiedersehn", sagt der Arzt und hängt an. Van Zoorn zerkaut einen Fluch. Ein paar Minuten später läutet das Telephon. Es ist wieder der Chefarzt. „Ist die Sache sehr wichtig, Chef?" „Kein Ausdruck dafür. Vielleicht der größte Fall von allen, die zur Zeit von der Polizei der Staaten bearbeitet werden." „Ich kann keine Garantie übernehmen, Chef, aber ich habe neulich in einer deutschen Wochenschrift für Gerichts medizin über ein Verfahren gelesen, das manchmal ge lingen soll. Eine komplizierte Sache. Aber wenn Sia wollen. . . " „Natürlich will ich. Besten Dank, Doc." „Schon in Ordnung. Den Exhumiernngsbet-bluK be komme ich schnellstens?" „Wird sofort veranlaßt. Aus später, Doc." Die erste Maicbe im Netz um Gwen Rhyde ist gewebt. Der „Fe- kann alles Der Geheimdienst der Vereinigten Staaten ist eina kriminalistische Elitetruppe. Nur Leute, die sich durch ganz, besonders hervorragende Leistungen im geheimen Polizci- dienst der Bundesstaaten ausgezeichnet haben, können da mit rechnen, zunächst auch nur als Anwärter für diese Garde in Betracht gezogen zu werden. Gwendolyn Nhydc ist der einzige, der von sechzehn Leuchtturmwärtern, die nacheinander auf dem Lcuchttnrm von Chestcrland an der Sumpfküstc Floridas Dienst tun, nicht dem Fieber zum Opfer fällt. Er hat diesen verlorenen Posten übernommen, als die Polizei dreier Staaten nach ihm fahndete. Dann geschieht die Sache mit Humph Bogner: Der Abbrnchunternehmcr verunglückte im Auto töd lich, die Polizei findet bei ihm zwei Dollarnoten, beide Nr. «M 618, beide echt. Irrtum des Schatzamtes oder Fälschungen? Der ehrgeizige Polizeikommifsar Bogner bei vielen Baitkcn Konten besitzt und immer