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Beilage zur Weitzeriy-Zeirung Nr- 248 Sonnabend, den 23. Oktober 1937 103. Zahrgang Unts»' KLMÄ 6^oK4Ü«I'§KIHUL LA Erlebnisse am afrikanischen Lagersimer -- von G. Schmidt-Olden "Vcymv., Schon war das Steppengras wieder gelb geworden und knisterte unter unseren schweren Stiefeln, wenn wir auf Jagd nach guten Möglichkeiten über die Savanne marschierten. Vereinzelte Gewitter setzten ein, und wir trafen unsere Vorbereitungen zur endgültigen Rückfahrt. Einen Tag gab ich noch zu — und gerade da mutzte der Unglücksrabe Bags alle schönen Pläne über den Hansen werfen. Seine Kamera hatte er kunstvoll am Vordersitz unse res Autos befestigt. Eine Aufnahme wollte er noch machen, indem er ani Rande einer tief eingefressenen Schlucht ent lang fuhr. Kopfschüttelnd machte ich mich mit unseren anderen beiden Schivarzen daran, unser Gepäck zusammen- zupacken. Mitten in der schönsten Arbeit scheint uns ein Gewitter zu überraschen. Ein dumpfer Krach rollt über die Steppe. Als wir verwundert aus dem Zelt stürmen, strahlt die Sonne vom mattblauen wolken losen Himmel. Den Amo abgeWrzt Von'unserem Anto ist keine Spur zu entdecken. End lich finde ich mit dem Glase den Punkt, den die Schwar zen schon längst als den Somaliboy Vill erkannt hatten. Aufgeregt fuchtelt er mit den Armen durch die Luft, und voll banger Ahnungen laufen wir ihm entgegen. Bald können wir die Sachlage übersehen. Am Rande der Schlucht sind Lehm und Grasnarbe abgebröckelt, nnd zehn Meter tiefer liegt der Wagen ans dem Rücken. Von Bags ist nichts zn sehen oder zu hören. Vorsichtig rutschen und klettern wir in die Tiefe. Ein Blick auf das Auto genügt, um es für die nächste Zeit ans unserem Pro gramm zu streichen. Die Vorderachse ist gebrochen, nnd ein Rad liegt fast zwanzig Schritt entfernt an einem Fels block. Hinter der vorspringenden Felsmasse sitzt Mr. Bags. Das eine Knie ragt weit aus einem grotzcu Nitz seiner Hose, aber das. scheint er gar nicht zu merken. Dann hebt er seine Kamera in die Höhe. Mit gespitzten Lippen bläst er in alle Fugen seines Kastens, und der heraussticbende Sand verschmiert immer mehr seine entzün deten Augen. „Glauben Sie, Satz Licht an den Film gekommen ist?" fragt er besorgt. Dabei pustet er mir einen feinen Strahl des roten Staubes ins Gesicht. „Meinetwegen" — sage ich ärgerlich. „Das ist auch gegenwärtig meine geringste Sorge. Ich möchte nur wissen, wie wir hier wegkommcn sollen, nachdem Sie das Auto zu Kleinholz verarbeitet haben. Abschlep pen können wir das Wrack nicht. Jetzt müssen wir sehen, wie wir Träger auftrei ben können, die unsere Habseligkeiten we nigstens bis Fort Hall schleppen. Von da haben wir ja die Bahn!" Ich schickte Bill mit einem unserer Kikuyubohs fort, um in irgendeinem Neger dorf wenigstens ein Dutzend Männer an zuwerben. Nach kaum drei Tagen kamen die Bo ten zurück. Mit ihnen acht Kikuyus, die rote Decken trugen und als erstes einen unver schämten Trägerlohn verlangten. Sie hat ten schon unterwegs erfahren, datz unser Auto völlig unbrauchbar geworden war und nutzten die günstige Gelegenheit geschickt aus. Aber Bill, der Somali, blinzelte pfiffig. „In drei oder vier Stunden kommt ein Weitzer mit einem Ochsenwagen zu Hilfe. Er hat eine Farm und bringt auch ein Reitpferd für Mr. Bags mit" — raunte er mir zu. Und als wirklich nach der angegebenen Zeit eine Staubwolke am Rande der Steppe austauchte und ein Reiter auf uns zutrabte, wurden die Forderungen der Neger immer bescheidener. Erstaunt musterte dann der Ankömmling die seit- same Gestalt Bags und betrachtete mit unverhohlenem Mißtrauen den Scheck, den der Amerikaner ohne Feilschen ausschrieb. Dann machte er sich aber unverzüglich an das Bergen des Autos. . Noch brütet die Sonne über der ausgedörrten rissigen Hochstcppe. Die Lasten liegen verpackt neben ihren schwar zen Trägern, die leise schwatzend auf der Erde hocken. Aber noch mindestens zehn Marschstunden trennen uns von unserem Ziel — und mit den ungeübten Trägern können es zwölf werden. « Auf mein kurzes „Haya" — vorwärts — setzen sich die ersten Leute in Bewegung. Mit ihren 50—60pfündi- gen Lasten auf dem Kopf marschieren die Neger schwei gend über das knisternde Steppengras, dem hochragenden Kenia entgegen. In endloser Kette schlängelt sich die Safari über die wellige Savanne. Neugierige Zebrarudel galoppieren auf uns zn, um das Pferd zu beäugen, auf dem Bags mit schlenkernden Beinen thront. Zierliche Thompson-Gazellen äsen vertraut in der Nähe, und die Herden der Hane- beestcr nnd Gnus galoppieren in mächtigen roten Staub wolken in der Ferne und schwenken manchmal wie gut gedrillte Kavallerieregimenter. Als die Sonne den Hori zont berührt, verdoppeln die Nachzügler ihre Anstrengun gen, um die voraufgehcndeu Kameraden einzuholcn. Die Steppe brennt Ich wechsele mit Mr. Bags ab nnd reite hin und wieder an der Safari entlang, damit niemand znrück- bleibt. So geht cs Stunde um Stunde. In der Ferne beuchtet ein Stcppenbrand, und-keiner achtet darauf. Erst a>s me Mammen yocy zum Hlmmel icylagen uno ankwel uend an einer Stelle bleiben, werden »vir unruhig. Auf geregt schwatzen die Neger durcheinander — und bald er kenne ich, datz ihre scharfen Augen recht haben. Dort brennt eine menschliche Behausung. Und anscheinend keine Negerhütte, sondern ein grötzeres Gebäude. „Legt die Lasten nieder" — rnfe ich den Leuten zu, „und kommt schleunigst nach!" Im Galopp jage ich aus das Flammenmeer zu. Im Vorüberjagcn erkenne ich deutlich eine Fem, bebaute Felder und Gartenanlagen. Und als ich dicht vor dem brennenden Hause aus dem Sattel springe, kracht ein Balken vor mir zu Boden. Ein Fnnkenregen sprüht hoch, und mein Gaul überschlägt sich fast, bevor er in panischem Schrecken davonjagt. Neger springen aufgeregt durcheinander. Stochern mit Stangen im knisternden Gebälk nnd gießen sinnlos Eimer voll Wasser in die lodernde Glut. Und schweitz- glänzende Eingeborene versuchen gerade, einen notdürftig bekleideten Weitzen ans der gefährlichen Nähe der nieder- sturzenden Balken zn ziehen. Blut rinnt ihm über das geschwärzte Gesicht, und halb ohnmächtig hängt er in den Armen der Schwarzen. Mil flatternden Hosen schiebt Bags aus der Dunkel heit ans nns zn. „Air. Hamilton", schreit er auf, „wo ist Ihre Frau?!" Ter Farmer reitzt sich hoch. „Hinten — im letzten Nanni . . " Tann klappt er wieder zusammen. Ich packe ein paar Leute am Arm, die lange Stangen tragen. In wilder Hast rasen mir um das brennende HauS und schlagen eine schwelende Tür ein. Durch Nauch und Fuulcnregen sehe ich die dürre Gestalt Bags im Innern verschwinden. Und wenige Augenblicke später tauchen die unförmigen Hosen in den Qnalmschwadcn wieder aus. Keuchend und hustend schleppt der schmächtige Amerikaner die ohnmächtige Farmerssrau ins Freie. Bald darauf treffen unsere Träger ein, und es ge lingt, einen Teil der Einrichtung zu bergen. Das wenige Wasser wird über die Dächer der benachbarten Stallungen und Schuppen gegossen und so das Vieh und die Vor räte gerettet. — Und als die Sonne aufgeht, bescheint sie die traurigen Neste des verkohlten Hauses, schmutzige 'und mit Brandblasen bedeckte Männer und das obdach lose Farmerehepaar. . Arme kleine Ruth Drei Stunden später sind wtr gemeinsam auf den, Wege nach Fort Hall. Der Mann am Steuer des klappe rigen Fordwagens starrt trübe vor sich hin und streichelt manchmal verstohlen die Hand seiner kleinen jungen Frau. „Arme kleine Ruth" höre ich ihn sagen, und dann versucht das zarte, weiche Fraucngesicht unter dem breit krempigen Hut jedesmal ein tapferes Lächeln. Mr. Bags lchm zufrieden im Rücksitz des Wagens. Sein Gesicht glänzt unter der dicken Fettschicht, die er wegen seiner Brandwunden anfgeschmiert hat. Ich sehe ihm an, datz er dem Schicksal dankbar ist, weil es uns so unvermutet wieder mit unseren alten Bekannten zu- fammengebracht hat. Am frühen Nachmittag erwischt »ns ein Gewitter; Wasserströme peitschen uns ins Gesicht, und ich trabe weit vornübergebeugt neben dem Wagen durch das auf spritzende Schlamm-Meer. Bei jedem Schritt des Pferdes habe ich das Gefühl, mich in eine mit Wasser gefüllte Schüssel zu setzen. Alle Unbilden der Fahrt erträgt die kleine zarte Frau mutig. Aber als wir die Steigung nach Fori Hall erklom men haben, fällt ihr das Herz in die Hosen. In meine Hosen, die ich ans der Safarikistc gekramt habe, um ihr für die Fahrt auszuhclfen. Der Mann unter der Tür der kleinen Kneipe, vor der »vir halten, sicht auch wenig vertraucucrwcckend aus. Das blutrote Halstuch unterstreicht noch den' brennend- roten Haarschopf und die Pockennarben im hageren Ge sicht. Die kleine Frau schmiegt sich erschrocken an ihren Mann, als der Bursche zu uns tritt und mir vertrant die Hand schüttelt. Die nächste Stunde verbringe ich mit Bags und Kid. dem rothaarigen Wirt, in einer Ecke hinter grotzcu Whiskygläscrn. Aufgeregt kaut der Irländer an seiner Unterlippe. Unablässig wälzt er Pläne in seinem borsti gen Swavel, wie den „Abgebrannten" zu helfen sei. End lich glaubt er, das Rechte gefunden zu haben. Aufgeregt stelzt er im leeren Barraum auf und äb. „Eure Safart- ausrüstnng mutz wenigstens zum Teil daran glauben! Ta machen wir eben eine Auktion zum Besten der Abge brannten . . . Oder noch besser, eine Art Lotterie — l" Er ist gekränkt, weil ich seine Begeisterung nicht teile. Aber Bags ist Feuer und Flamme für den Plan. Wenn er persönlich seine Hilfe anbietet, fürchtet er eine schroffe Ablehnung von feiten Hamiltons. Aber wenn Kid die Sache in die Hand nimmt, will er gern seine Ausrüstung und 10 Pfund in bar stiften. Dann kommt das Farmerehepaar zurück, und der Ir länder verschwindet mit einer linkischen Verbengung. Hamilton seufzt sorgenvoll. Die kleine Frau sieht in den neugekanften, billigen Sachen reizend ans und setzt sich verschüchtert auf einen der klobigen Stühle. „Kommt der, gräßliche Mensch auch nicht wieder?" fragt sie ängstlich. „Das ist doch sicher ein Raubmörder!" Ich mutz widtt Willen lachen. Kid — ein Nanb- mördcr! Der gutmütigste, harmloseste Bursche mit einem goldigen Herzen . . . Bags wischt sich verlegen an seinem fetttriefenden Gesicht herum und beginnt eine gleichgültige Unterhaltung. Eine iuMve Lotterie Dann »vird die Tür anfgerisfen, und der Irländer wirbelt herein. „Acht hab ich schon!" — schreit er und nagelt dabei einen großen Papierbogen an die Tür. „Und wenn jemand hierher kommt — hier mutz er sich einschrei ben!" Er zeigt mit dem Hammerstiel auf eine Stelle des Papierbogens und schlägt die Tür Himer sich zu. Neugierig treten wir näher. „Noll up!" steht mit Bleistift gemalt auf jeder Ecke. Und in roten Buch staben »vird dann verkündet, patz die beste Safari-Aus rüstung der Welt verlost werdtn soll. Erster Preis: eine Ncpctierbüchsc mit 200 Patronen. Dann kommen Zelt und Ausrüstung — nnd zuletzt als Trost preis eine Büchse Würstchen mit Sauer kraut. Jeder Wurf kostet ein Pfund und- mutz in eine leere Waschschüssel getan wer den. Und in der letzten Spalte finden wir in ungelenken Schriftzügen acht verschnör kelte Namen. Langsam füllt sich der Raum mit selt sam aussehenden Gestalten, während wir schweigend unser frugales Abendessen an einem Tisch mit rotgewürfelter Decke ver zehren. Lachend buchstabieren die Männer das Plakat. Die Namen auf der Liste häufen sich. Um neun Uhr ist die Liste überzeichnet, und Kid malt einen neuen Bogen. Halblaute Proteste ersticken im Keim, und als dann nach einer »vciteren Stunde um die Ge winne gewürfelt »vird, liegen mehr als zweihundert Pfund in der Waschschüssel. Endlich ist auch zum allgemeinen Jubel der Gewinner des Trostpreises in Gestalt des dicken Mac Millan ermittelt, und Kid steuert mit seiner Schüssel auf uns zu. Zwei neue Pfundnoten sucht er sorgfältig heraus und schiebt sie in seine Tasche. „Provi sion —" brummt er dabei. Dann fegt er wortlos den stattlichen Nest aus der Schüs sel der überraschten kleinen Frau in den Schoß. Dix starrt ganz benommen auf den un ¬ vermuteten Segen. Ihr Mann schluckt aufgeregt und sicht uns verständnislos der Reihe nach an. Mr. Bags wischt verlegen in seinem fettglänzenden, verbrannten Ge sicht herum, und da auch die Männer am Bartisch neu gierig herüberblicken, hebe ich mein Glas: „Also Kid — zum Wohle, alter Raubmörder!" Der Irländer starrt mich mit offenem Munde an. Die kleine Frau sitzt wie mit Blut übergossen. Dann packt sie Kids rot behaarte Tatze: „Wie die Weihnachtsmänner kommen Sie mir vor — wenn auch verspätet!" Kid rutscht unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. Dan streift er mit einem ironischen Blick Mr. Bags. „Schöner Weihnachtsmann —" brummt er. Nun begreift auch der Farmer Hamilton den Zu sammenhang. Er schüttelt Bags' Rechte, daß der dürre Flimmcrmann erschrocken hochfährt. — Und als wir am anderen Tage den Zug besteigen, der uns nach Nairobi bringen soll, winkt uns das Farmcrpaar noch lange nach. Mr. Bags ist nun auch in den Augen Hamiltons nicht mehr die lächerliche Vogelscheuche, sondern der anständige, hilfsbereite Freund, als den wir ihn schon lange schätzen. „Menn -as KM sehen wird.. In Nairobi empfängt uns Pat freudestrahlend. „Kommt gleich mit, und seht euch jetzt einmal mein Elcfanicnohr und die Papierkörbe an. Und die Löwen decke und den linken Stotzzahn . . ." Und als wir in dem von Jagdtrophäen überfüllten Naum stehen, strahlt er: „Wenn das meine Kitty sehen wird! Und dazu noch ein paar gutgclungenc Vergröße rungen von Mr. Bags' Aufnahmen — da wird sie sagen: „Patty, mein Junge, es war die feinste Idee in deinem Leben, datz du dir Afrika auch außerhalb der Flugplätze und grotzcu Stratzen angesehen hast!" Und Mr. Bags fährt sich nachdenklich über sein noch immer eingcfcttetcs Gesicht. „Schade, datz morgen Ihr Zug abfährt . . . Meine Ausnahmen von Afrika möchte ich noch^ vervollständigen. Am liebsten führe ich von hier nach Süden. Dort am Kilimandscharo wären interessante Filmmöglichkeiten. Aber da ich Sic als Begleiter verliere . . " „To fragen Sie unseren Freund Karl", lache ich. „Und dann schicken Sic uns von ihm und seiner kleinen Ursel ein paar nette Bilder nach Europa . . Aufnahme: Scherl-Bilderdienst —M. Farmhaus in Ostafrika. Zebukühe und andere Haustiere weiden — fast wie in der Heimat.