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l Lop^rigdt 1937 b> ^ukvvLrts-Vsrlgg, 8orlm 8^V 68 11j Nachdruck verboten. „Mir scheint, daß eher ich berechtigt wäre, solche Fragen zu stellen', gab Mills zurück. „Aber das ist nicht nötig, denn ich bin im Bilde. Sie wußten, daß Professor Graham heute abend nach Dover fuhr, und durch einen Zufall brachten Sie heraus, daß Burnett das Haus verließ. Die Gelegenheit wollten Sie ausnutzen, denn von Miß Heynen war ja nichts zu fürchten. Sie stiegen durchs Fenster ein, was an der Fassade außen kein Kunststück darstcllt, und um für alle Fälle vorzubeugen, schraubten Sie die Glüh, birne etwas zurück. Hinterher stießen Sie dann un- geschickterweise den Blumenständer um. Daraufhin ver bargen Sie sich hinter der Portiere, um nicht gesehen zu werden, falls das Mädchen etwa Nachschau hielt. Es war Ihnen aber leider nicht bekannt, daß ich infolge einer Ein- ladung hier weilte, und so haben sich die Dinge zu diesem für Sie immerhin unliebsamen Ende entwickel» - .Was wollen Sie mit mir anfangen?" „Ich werde Sie morgen nachmittag in Ihrem Büro Misslichen. Das ist vorläufig alles. Einstweilen wünsche ich Ihnen gute Nacht.- Stafford zuckte die breiten Schultern. „Diesmal sind Sie Sieger geblieben, und wenn Sie dem Zufall dankbär sein wollen, so gießen Sie die Blumen dort im Ständer." Ohne ein weiteres Wort schritt er dem Fenster zu, und wenig später war er im Dunkel der Nacht verschwunden. Mills schloß die Fensterflüg-l. dann kehrte er ins Speise zimmer zurück, wo ihn Kathleen bleich und voller Ungeduld erwartete. „Wir haben uns beide unnötigerweise Gedanken ge macht-, erklärte er zu ihrer Enttäuschung. „Ich habe die Bibliothek genauestens durchsucht und bin zu dem Schluß gekommen, daß der Blumenständer von selbst um gefallen ist!" Er gewahrte das migläubige Staunen in ihrem Blick und nickte. „Es ist wirklich so. Vermutlich ist Ihnen be- kann«, daß der Ständer ein stark beschädigtes und ver kürztes Bein hat. Dieses hielt dem Gewicht der Blumen töpfe nicht mehr stand, und so siel das Ganze um." „Aber das Licht!- fiel Kathleen ein. „Warum brannte das Licht nicht?" „Deswegen schickte ich Sie eben hierher', erwiderte Mills. „ET hatte anfänglich witKW den Anschein, als wäre jemand eiygedrungen. Es stMte sich aber heraus, daß die Birne nicht fest in der Fassung steckte. Ich brauchte nur hinzulangen, und die Lampe »rannte. Damit ist die ganze Angelegenheit geklärt. Ich hätte, es unweigerlich feststellen können, wenn jemand eingestiegen wäre. Dafür hat sich aber nicht der leiseste Anhaltspunkt ergeben. Die Fenster habe ich übrigens geschlossen.' Kathleen schien nicht zufrieden. Ich bin enttäuscht', gestand sie. „Ich dachte nichts anderes, als daß Sie einen Einbrecher stellen und fest nehmen würden, und indessen ist bloß ein alter schadhafter Blumenständer umgefallen.' Sie lachte leise. „Kommen Sie, Mr. Mills. Nachdem wir schon einmal ^ufgescheucht worden sind, will ich Ihnen nun das Haus zeigen.' Sie geleitete ihn zunächst durch die Räume des oberen Stockwerks, dann führte sie ihn ins Erdgeschoß. Im Hinter grund der Halü lies eine verborgene Steintreppe nach dem Keller. Sre schritten die Stufen hinunter und ge langten vor einyschwere Eichentür, die Kathleen mit einem mitgebrachten Schlüssel aufsperrte. Dann griff sie nach einem Lichtschalter. Der Inspektor machte einige Schritte und fah sich in Professor GrahamS Heiligtum. Es war ein großes, weißgetäfeltes Kellergewölbe, und das erste, was darin aufsiel, waren die vielen Draht leitungen, die überall die Wände entlang liefen. Im Hintergrund wuchtete ein Transformator, neben dem eine Reihe merkwürdiger Apparate stand. In der Mitte des Kellers, -auf ein drehbares Holzgestell aufmontiert, befand sich ein Gerät, das große Aehnlichkeit mit einem Schein werfer besaß. Schalttafeln, Akkumulatoren und Meßgeräte vervollständigten die Einrichtung des Raumes. „Hier verbringt mein Onkel seine Tage und Nächte', sagte Kathleen, und es war ein fast ehrfürchtiger Klang in ihrer leisen Stimme. Ike besah sich alles mit regem Interesse, und er wollte eben eine Frage an das Mädchen stellen, als die Haus glocke zu schrillen anfing. „Das ist Burnett!' fuhr Kathleen aus. „Er scheint nun doch etwas früher zurückgekommen zu fein. Haben Sie alles gesehen?' „Ja!' nickte Mills. „Wir wollen hinaufgehen. Er braucht es nicht zu wissen, daß ich hier unten war.' Sie verließen den Raum. Das Mädchen sperrte ab, dann stiegen sie die Treppe hinaus und durchschritten die Halle. Kathleen schob die Riegel an der Tür zurück. Burnett kam über die Schwelle. Er grüßte das Mädchen höflich und warf einen lächelnden Blick auf Mills. „Nun ist die Schulfreundin also doch gekommen!" Ei lachte hölzern, während Kathleen errötete. „Ich bin sein froh darüber", fuhr er fort. „Eigentlich hätte ich nicht weg laufen sollen, Miß Heynen, aber ich wußte ja, daß Sic eine nette Schulfreundin haben. War übrigens sonst jemand hier?" Bet dieser Frage sah er Ike an. „Ich habe Miß Heynen bereits erklärt, daß niemand hier war", beantwortete Mills die Frage und kam nähec. „Nachdem die Fenster in der Bibliothek offenstanden, häue leicht jemand einsteigen können. Gehört es nicht zu Ihren Obliegenheiten, abends nachzusehen, ob die Fenster ge schlossen sind, Burnelt?" „Ein geschlossenes Fenster hat bisweilen Aehnlichkeit mit einer Mausefalle, bei der die Tür zugeklappt ist", ver setzte der Diener. „Das dürfte Ihnen sicher bekannt sein, Mr. Mills." Kathleen sah verwundert von einem zum anderen. „Burnett und ich kennen uns bereits", erklärte Ike, zu dem Mädchen gewandt. „Wir haben zusammen schon einmal ein Rennen ausgetragen: Motorrad gegen Auto." Kathleens Ueberraschung wuchs, während Burnett ver gnügt lachte. . „Zweihundert Pfund Sterling waren der Preis — nicht wahr, Inspektor? Es ist ein netter Scherz gewesen. Aber nun will ich nicht länger stören, und zudem habe ich ein beträchtliches Bedürfnis nach Schlaf. Gute Nacht!" Er verbeugte sich vor dem jungen Mädchen, nickte dem Inspektor zu und wandle sich um. Dabei verfing er sich mit dem Schuh im Teppich, der an einer Ecke leicht aus- gcbauscht war. Mi« Mühe behielt er sein Gleichgewicht, und dabei wurde der Teppich noch mehr verschoben. Kathleen, die den unbedeutenden Vorfall erst mit einem kleinen Lächeln angesehen hatte, bückte sich plötzlich, wobei sie unwillkürlich nach Ikes Arm griff, und zugleich kam ein Aufschrei über ihre Lippen. Burnett flog herum und beugte sich gleichzeitig mit Mills über die Steinfliesen des Bodens, die ursprünglich von dem Teppich bedeckt gewesen waren. Mit Kreide war ein Kreis hingezeichnet, und darin standen die Worte: „An dieser Stelle ist Eddie Fencher gestorben!" Kathleen stand wie zu einer Bildsäule erstarrt, während sich die beiden Männer mit unbeweglichen Mienen ins Gesicht sahen. ' „Ein schlechter Scherz', «yurmelte der Diener endlich, und bevor jemand darauf achtete, hatte er die Schrift mit dem Fuß ausgewischl. „Ein blödsinniger Scherz", wieder- holte er. „Wer ist Eddie Fencher?" Kathleen kehrte Mills ihr blasses, verstörtes Gesicht zu und faßte wieder nach seinem Arm. „Ich muß es wissen, ich halte es nicht mehr aus. Wer ist Eddie Fencher?" „Sie haben mich neulich schon darum befragt, Miß Heynen", antwortete Burnett für Mills. „Ich habe Ihnen keine Auskunft gegeben, denn warum sollte sich ein junges Mädchen den Kopf mit Verbrechern und Verbrechen be schweren? Jetzt sollen Sie aber hören, was Sie zu hören wünschen, damit Sie sich keine unnützen Gedanken machen. Eddie Fencher war ein Juwelendieb. Man hat seine Leiche vor vielen Wochen in Maidstone aufgefunden. Er ist er schossen worden. Die Sache ist längst vergessen...' „Die Sache ist nicht vergessen", fiel das Mädchen erregt ein. „Mr. Bruce sagte erst neulich zu meinem Onkel, daß man sich in Scotland Yard immer noch sehr mit diesem geheimnisvollen Fall beschäftigt. Ich machte mir vom ersten Augenblick an viel Kopfzerbrechen darüber, um so mehr, als mir kein Mensch Auskunst erteilen wollte. Wenn Eddie Fencher in Maidstone erschossen wurde, wie...' Sie vollendete die Frage nicht, sondern deutete stumm nach den Fliesen, wo kaum mehr wenige Kreidespuren sichtbar waren. -Ich sagte schon, ein schlechter Scherz", brummte Burnett. „Alle Welt weiß, daß man Fencher in Maidstone tot aufgefunden hat. Ich werde morgen Mrs. Gibson fragen, wie diese blödsinnige Inschrift unter den Teppich gelangen konnte. Gute Nacht!" „Wer ist Mrs. Gibson?" fragte Ike, als der Diener in seinem Schlafzimmer verschwunden war. „Unsere Putzfrau", erklärte das Mädchen. „Aber nun sagen Sie mir, was das alles zu bedeuten hat? Ist es wahr, daß man Eddie Fencher in Maidstone tot auf gefunden hat?" „Es ist wahr", nickte Mills. „Ich bin selbst am Tatort gewesen. Burnett hat sehr recht, wenn er die Schrift als einen blödsinnigen Scherz bezeichnet. Die Sache verdient nicht, daß Sie sich auch nur einen einzigen Gedanken dar- 86«* machen." Während er das sagte, hegte er innerlich nicht den leisesten Zweifel, daß er tatsächlich an der Stelle stand, an der Eddie Fencher vor etwa acht Wochen auf so tragische Weise ums Leben gekommen war. Nachdem Kathleen von der Sache so gar nichts wußte, war anzunehmen, daß sie damals verreist gewesen war. Er beschloß, sich hierüber Gewißheit zu verschaffen „Wir wollen iieber-von angenehmeren Dingen sprechen. In vier Wochen gedenke ich meinen Urlaub zu nehmen. Hoffentlich habe ich ein bißchen Sonne. Afas hatten denn Sie für Wetter,, als Sie Mitte März verreisten?" Sie starrte ihn verblüfft an. „Woher wissen Sie denn das nur? Ich war bloß drei Tage fort, und die Reise ist streng geheimgehalten worden, weil ich sie in besonderem Auftrag meines Onkels unter nahm. Sie kannten mich damals doch noch gar nicht!" „Nein!" lächelte Ike und sing an zu lügen, um sie wieder zu beruhigen. „Ich sah Sie damals am Bahnhof, und wenn ich Sie natürlich auch nicht kannte, so habe ich doch ein gutes Gedächtnis. Und daß ich mir Ihr Gesicht merkte, ist schon gar nicht verwunderlich, denn.. " „Denn?" forschte sie, als er stockte. „Ich bin ein Tölpel", schall er sich selbst „Hier ist nicht der rechte Ori, einen Liebcsantrag zu machen Sie müssen mir verzeihen, in solchen Dingen bin ich sehr ungeschickt", ! sagte er zerknirscht, als er die Nöte in ihren Wangen ge- i wahrte. „Aber ist cs denn eigentlich ein Liebesantrag, ! wenn ich feststclle, daß Sie ein hübsches Gesicht haben, ein sehr, sehr hübsches Gesicht?" Die Nöte in ihren Wangen mehrte sich und kroch empor bis zum Haaransatz an den Schläfen. In ihrer Verwirrung machte sie eine hilflose Handbewegung, und jetzt dachte sie wirklich nicht mehr an den geheimnisumwitterten Eddie Fencher und an andere schreckliche Diyge. Ein Blinder hätte das gesehen. Darüber wurde nun auch Ike vergeßlich. „Sind Sie mir sehr böse — Kathleen?" fragte er. Und da stand er schon ganz nahe bei ihr und hob mit auf geregten Händen den Kopf empor, den sie tief gesenkt hatte. Was ihm aus ihren Hellen, weit geöffneten Augen ent- gegcnstrahlte, war viel mehr und zu wunderbar, als daß er es hätte erfassen und begreifen können. „Du!" sagte er, und es war beinahe ein Stöhnen. „Schlaf süß und aus Wiedersehen!" Sie stand eine ganze Weile wie gelähmt und zer- marterte ihr Gehirn — ob das nun alles echt gewesen war oder ob sie geträumt hatte? Dann schob sie mit bebenden Händen die Riegel an der Tür vor, die Ike vor Minuten schon hinter sich geschlossen hatte, und lies aufgcschcuch« nach ihrem Zimmer. Und da hatte sie nun so viel zu denken und zu überlegen und zu Iräumcn, daß sür Eddie Fencher kein Gedanke mehr blieb, obwohl sie viele Stunden wach im Bett lag. Ike hatte ihr ja auch gesagt, daß der Sache keinerlei Bedeutung beizumessen sei, und was Ike sagte, das hatte seine Geltung. Mit einem glücklichen Lächeln auf den geöffneten Lipven schlief sie endlich ein. 12 Lee Stafford war schlechter Laune, als er am folgen den Morgen im Büro erschien. Jane Heather sah es ihm auf den ersten Blick an. Sie seufzte leise in sich hinein, während sie fottfuhr, die Prozeßakte des unseligen Mr. Miller abzuschreiben. Der Rechtsanwalt brütete eine Weile an seinem Schreib- tisch, dann lief er aufgeregt im Zimmer auf und ab, um sich endlich in seinen Privatraum zurückzuziehen. Jane atmete erleichtert auf. Wenn er nicht anwesend war, ging ihr die Arbeit noch einmal so leicht von der Hand. Trotzdem er sie überraschenderweise auf einmal besser behandelte als zuvor, spielte sie dennoch mit dem Gedanken, den Dienst bei ihm aufzugeben. Sie hätte nicht sagen können, warum eigentlich. Seit dem vergangenen Tage trug sie einen Anflug von Sorge und Furch« in sich. Sie war sich darüber klar geworden, daß etwas mit Stafford nicht stimmte. Sicher war er in Dinge verwickelt, die nicht jedermann wissen durfte. Für einen richtigen Rechts anwalt, der mit Lust und Eifer seinem Beruf nachging, hatte sie ihn nie gehalten. Statt sich seinen Geschäften zu widmen, wies er fast alle Leute ab, die ratsuchend zu ihm kamen. Genau genommen, gab es überhaupt nur eine einzige Person, die er regelmäßig empfing, und daS'war Lady Shene. Und Jane Heather hätte schwören mögen, daß die Dame aus ganz anderen Gründen zu ihm kam, als um sich in Rechtssachen beraten zu lassen. Stafford gab sich zweifellos Geschäften hin, die mit denen eines Rechtsanwalts nichts zu tun, hatten. Viel leicht war er gar nicht einmal Rechtsanwalt. Jane suchte diesen Gedänken aus sich zu bannen, aber er kam immer wieder. Warum mußte sie eigentlich diese uralten Akten, die keinen Hund interessierten, abschreiben? Als Gehilfin eines Rechtsanwalts hätte sie mit ganz anderen Arbeiten betraut werden müssen. Sie war doch schon einmal bet einem Rechtsanwalt gewesen. Stafsord hatte ihr aber vom ersten Tage an altes Zeug zum Abschreiben gegeben. Sie' war, wenn sie die Dinge genau betrachtete, nichts anderes als eine Scheinfigur, die nun einmal ins Ganze gehörte, um der Sache einen gewissen Anschein zu verleihen. Es hätte ihr ja gleichgültig sein können, solange er sie be zahlte. Trotzdem fühlte sie sich immer unbehaglicher, je länger sie darüber nachgrübelte. Und das Unbegreiflichste und Bedrückendste an allem war der Vorfall tags zuvor mit dem „Chief". . Das gab Jane am meisten zu denken. Sie wußte vom „Chief" nicht mehr und nicht weniger als das, waS alle Londoner bei Gelegenheit den Zeitungen entnehmen konnten. Die Blätter äußerten sich zwar verschieden, aber sie war doch, wie die breite Masse, zu der Ansicht gelangt, daß der „Chies" kein eigentlicher Verbrecher war, wenn dies bisweilen auch so schien. Er hatte «m Gegenteil zur Aufklärung so manchen Verbrechens beigetragen, was so gar von behördlichen Stellen nicht abgestritten wurde. Trotz alledem war Jane nicht so veranlagt, eine Brgeg- nung mit dem „Chief" romantisch zu finden. Seit dem vergangenen Tage fürchtete sie sich, und gleichzeitig war sie überzeugt, daß Stafford trüben Geschäften nachging, da sich andernfalls der „Chief" nicht mit ihm befaßt hätte. lFousehung solatt