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Lop^rigkt 1837 d> ^uk^irts-Veils^, Lertio 8VZ öS M Nachdruck verboten. Kathleen lächelie, utlo oas tat sie jedesmal, wenn ste an dieses Gedicht dachte. Es erschien ihr zu komisch, daß ihr Onkel dichtete. Der „König von Nomansland* war seine Schöpfung, und es war ein ganz hübsches Gedicht von ziemlicher Länge. Im zweiten Teil enthielt es aller dings viele Zahlen und verschiedene merkwürdige Aus drücke. Trotzdem gefiel Kathleen das Ganze gut. Bereits nach zweimaligem Lesen war es in ihr Gedächtnis über- aegangen, und daraufhin hatte der Professor die Nieder schrift in Stücke gerissen und verbrannt. „Vergiß es nicht!" hatte er mit einer merkwürdigen Aufregung in der Stimme gesagt. „Vergiß es nicht!" Daß sie es vergaß, war nicht zu befürchten, denn Kath leens Gedächtnis verdiente eine bessere Bezeichnung als nur hervorragend. Als Schulkind schon war sie von ihren Freundinnen bewundert und bestaunt worden wegen der fabelhaften Leichtigkeit, mit der ste sich oft die schwierigsten Jahreszahlen und die längsten Verse etnprägte, ohne sie je wieder zu vergessen. Von dieser ihrer Fähigkeit, Dinge zu behalten, die sie bloß einmal durchgelesen hatte, wußte auch ihr Onkel. „Kannst du das Gedicht nvch?" wiederholte er heiser, als ste nicht gleich antwortete. Sie nickte. „Natürlich! Ich werde es nicht vergessen, und wenn Ich Hunden Jahre alt werde. Soll ich es aufsagen?" „Nein, nein!" schrie er fast, und warf einen erschrockenen Blick nach der Tür. „Ich will es nicht hören. Jetzt nicht. Aber vergiß es nicht, Kathleen! Vergiß es nicht!" Er erhob sich und sah sie an. „Die Narren!" Er lachte schrill. „Die Narren! Wenn das einer wüßte!" Er lachte wieder, dann eilte er hinaus. Kathleen sah nach der Tür, die er hinter sich geschlossen hatte. Manchmal kam er ihr wirklich vor, als hätte sich etwas in seinem Verstand verschoben. Stundenlang konnte er bisweilen finster vor sich hinbrüten, und unvermittelt wie ein Irrsinniger auflachen. Und dann die Sache mit dem Gedicht wieder. Sie hatte nie gewußt, daß er Reime machte, bis er vor einiger Zeit mit dem „König von Nomansland" an sie herangetreten war. Das war natür lich auch eine seiner zahlreichen und absonderlichen Schrullen, und ste machte sich weiter keine Gedanken dar über. Den Nachmittag vertrieb sie sich abwechselnd mit Lesen und Sticken, und darüber verging die Zeit sehr rasch. Aber doch nicht so rasch, als sie es sich im Hinblick auf Ike Mills' Besuch wünschte. » Gleich nach dem Abendessen verabschiedete sich ihr Onkel, um seine Fahrt nach Dover anzutreten. Burnett brachte ihn zur Bahn. Als der Diener zurück kam, zog er sich nicht um, sondern suchte Kathleen in ihrem Zimmer auf. „Macht es Ihnen etwas aus, Miß Heynen, für ein paar Stunden allein im Hause zu bleiben?" fragte er höflich. „Ich habe nämlich ein paar dringende Besorgungen zu er ledigen. Wenn Sie sich aber fürchten..." „Nein, nein!" schüttelte sie rasch den Kopf und wußte sich vor Freude kaum zu fassen. „Ich fürchte mich nicht. Gehen Sie nur." „Es ist auch kein Grund zu irgendwelchen Aengsten gegeben", versicherte er. „Sie brauchen bloß das Haus ab zusperren, dann kann niemand herein. Und gegen zehn Uhr werde ich wieder zurück kommen. Nachdem Ihr Onkel nicht da ist...", Burnett lächelte, „steht auch nichts im Wege, Miß Heather einzulassen, wenn diese vielleicht kommen sollte." Kathleen errötete. „Ich glaube nicht, daß Jane kommt. Ich habe mich nicht mit ihr verabredet. Aber ich würde sie natürlich ein lassen." Burnett ging, und ste begleitete ihn hinunter und schloß die Tür hinter ihm ab. Dann lief ste mit freudigem Herzen nach dem Speisezimmer, um alles für ihren Be such vorzubereiten. Dabei zeigten ihre Wangen eine rosige Tönung, die nicht weichen wollte. Sie wußte selbst nicht, was das eigentlich war. Am liebsten hätte ste ein Lied gejauchzt. Mit viel Sorgfalt legte ste ein buntes Kiffen aus den für Ike bestimmten Stuhl, und vergaß auch nicht, eine Schachtel Gold Flake auf den Tisch zu stellen. Kurz vor acht Uhr, es dämmerte bereits, verließ ste das Haus und nahm hinter einigen Rhododendron- fträuchern in der Nähe des Gittertors Aufstellung. Sie vermochte aber nicht lange stillzustehen. So lief ste die Kieswege auf und ab, immer nach DeanS Street äugend. Schlag acht Uhr näherten sich feste Schritte dem Tor. Ike kam sehr pünktlich. Sie flog auf den Eingang zu und schloß mit bebenden Händen auf. „Guten Abend!" lachte er sie an. Gr trug einen grauen Anzug, der ihm ausgezeichnet saß, einen weichen Hut, und in feinem Knopfloch steckte eine rote Nelke. „Ist Ihr Onkel fort?« Sie reichte ihm ein« sehr erhitzte Hand. „Jal" nickte ste und mußte sich räuspern, um ihre Stimme frei zu machen. „Aber leider, leider ist Burnett auch weggegangen." So sehr sie sich auch bemühte, es ge lang ihr nicht, ein trauriges Gesicht bei diesen Worten zu machen. Indessen sah Mills auch nicht aus, als ob er im nächsten Augenblick zu weinen anfangen wollte. „Ich habe das erwartet", bemerkte er, während er ihr nach dem Hause folgte. „Es ist aber doch auffallend, daß man Sie ganz allein im Hause zurückgelassen hat." Kathleen zuckte die Schultern. „Ich kann mir denken, daß Burnett froh ist, wenn er mal ein paar Stunden für sich hat. Sonst hat er ja auch nichts. Der Dienst bei meinem Onkel ist alles andere als angenehm, obwohl sich Burnett eigentlich mit viel Geschick durchschlägt. Und im übrigen glaube ich nicht, daß sich ein Verbrechen ereignen wird, während Sie in Fenalow Manor weilen." Sie lachte vergnügt und schloß die Haustür auf, die ste wieher vorsichtig absperrte, nachdem sie mit ihrem Be- gleiter eingetreten war. Mills betrachtete die dreifache Sicherung der Tür mit Interesse, dann ließ er seinen Blick durch die Halle schweifen. „Hier habe ich vorgestern nacht jenen geheimnisvollen Maskierten angetroffen", erklärte Kathleen und zeigte nach der Stelle. „Dort ist die Küche, und diese Tür führt in Burnetts Zimmer." „Kann ich das einmal ansehen?" Sie sah ihn groß an und schüttelte den Kopf. „Burnetts Zimmer ist der einzige Raum im ganzen Hause, den ich Ihnen nicht zeigen kann. Er sperrt immer ab und trägt den Schlüssel bei sich herum. Aber sonst können Sie sehen, was Sie wollen. Wir werden einen Rundgang durch das ganze Haus machen. Zuerst aber müssen Sie einmal mit heraufkommen." Sie lachte ihn an und hatte eine ganz schwache Röte im Gesicht, dann sprang sie flink die Stufen hinauf, und er folgte ihr ins Speisezimmer. „Darauf habe ich mich so sehr gefreut", gestand ste, als ste seinen verwunderten Blick bemerkte, mit dem er den blumengezierten Tisch und die Flasche Wein darauf be trachtete. „Bitte, seien Sie wenigstens bloß auf eine halbe Stunde mein Gast. Ich habe immer nur meinen Onkel, Burnett und bisweilen Mr. Bruce um mich, und möchte gern mal mit jemand vernünftig plaudern." Ike setzte sich und sah ihr zu, wie sie flink und gewandt und doch mit unmerklich bebenden Fingern die Gläser füllte. Und als er mit ihr anstieß, vergaß er allmählich den eigentlichen Zweck seines Besuchs. Es machte ihm Freude, Kathleen anzusehen. Sie saß ihm gegenüber, und die gedämpften Strahlen des Leuchters brachen sich in matten Reflexen in ihrem Hellen, seidigen Haar. Die Augen darunter lachten und batten einen warmen Glanz, und bei der Betrachtung ihres Mundes kam Ike aus den Gedanken, daß ein Kuß eine schöne Sache sein müßte. Er hatte in dieser Hinsicht bis jetzt ein mehr als nur enthaltsames Leben geführt, und Kathleen sah ihm dies auch an. Er machte in allem einen so jugendhaften Eindruck, und sie hätte ihm in jeder Sache grenzenloses Vertrauen rentgegengebracht. Während sie ihm die Schachtel mit den Gold Flakes zuschob und ihm Feuer anbot, lenkte sie das Gespräch auf seinen Beruf über. „Die Tätigkeit eines Detektivs ist bei weitem nicht so interessant, wie Außenstehende das bisweilen annehmen", erklärte Ike. „Es gibt schon spannende Momente, aber dazwischen liegt ein gerüttelt Maß mühevoller und lang weiliger Kleinarbeit. Ich habe aber doch das Glück, einer Abteilung anzugehören, die sich eigentlich am wenigsten über Langeweile und Eintönigkeit zu beklagen hat. Meine Abteilung beschäftigt sich nicht mit Verbrechen, die bereits begangen worden sind, sondern ausschließlich mit solchen, die sozusagen erst erwartet werden. Scotland Yard hat viele Beamte, die nur spazierengehen, Bekanntschaften in allen Kreisen anknüpfen und erhalten und nebenbei ihre Beobachtungen machen. Diese Beobachtungen, gleichgültig welcher Art, werden nach der Zentrale gemeldet und dort bearbeitet. Kommt man nun zu der Ansicht, daß irgend eine Sache nicht sauber ist, so tritt man mit der Abteilung in Verbindung, der ich angehöre. Wir bekommen dann die Aufgabe gestellt, dem oder jenem schwebenden Fall nachzu gehen, und das ist bisweilen äußerst interessant. Zur Zeit sind beispielsweise nicht weniger als vierzehn Beamte meiner Abteilung damit betraut, Personen nachzuspüren, die irgendwie verdächtig sind, mit dem .Chief' identisch zu sein oder wentgstettS mit ihm in Verbindung zu stehen." „Oh!" Kathleen ließ das Weinglas sinken, das sie eben an den Mund führen wollte. „Davon müssen Sie mir er zählen! Wer ist das eigentlich, der .Chief'? Ich verschlinge jedesmal die Zeitungen, wenn sie etwas von diesem Manne enthalten. Nun hat man schon geraume Wochen nichts mehr von ihm gehört. Ist er noch in London?" Sie hatte sich ganz in Aufregung geredet und sah Ike mit gerötetem Gesicht und voll unverhohlener Spannung und Wißbegterde an. „Ich kann Ihre Fragen leider nicht beantworten", er widerte er unü seufzte tn sich hineip. „Kein Mensch weiß, wer der .Chief' ist, was er gegenwärtig treibt und »S er überhaupt noch in London weilt. Ich möchte aber doch schwören, daß er hier ist, allerdings ohne mich an die Beobachtungen zu halten, die die erwähnten vierzehn Be amten täglich zusammensragen. Diese Bemühungen halte ich für fruchtlos, und man hat ja bis heute auch noch nichts herausgeschnüffelt. Es ist lächerlich, anzunehmen, daß der .Chief' mit irgend jemand zusammenarbeite und mau diese Weise sein Geheimnis lüften werde. Der .Chief' ist das Musterbeispiel eines Alleingängers, und darin beruht auch das Geheimnis seines Erfolgs. Man hat in Scotland Aard..." Er verstummte jäh, und seine Blicke trafen sich blitz artig mit denen Kathleens. Ein lautes, dröhnendes Ge räusch war an ihre Ohren gedrungen. Kathleens Wangen hatten sich mit kreidiger Bläffe überzogen. „Großer Gott!" lispelte ste, und Mills vernahm, wie ihre Zähne zusammenschlugen. „Was war das?" 11 „«ras mar oas?" wiederholte ste, immer noch blaß bis an die Lippen. „Von Burnett kann das Geräusch nicht herrühren, denn ich habe die Riegel vorgeschoben und muß öffnen, wenn er läutet." Ike war schon an der Tür. Sie eilte ihm nach und folgte ihm auf den Gang, der im Dunkeln lag. „Kein Licht!" fiel er ihr tn den Arm, als ste nach dem Schalter greifen wollte. „Es wäre überhaupt besser, Jie blieben im Zimmer zurück", setzte er flüsternd hinzu. „Nein, nein!" gab ste ebenso zurück. „Ich fürchte mich. Ich weiche nicht von Ihrer Seite." Sie atmete laut und drängle sich an ihn. „Es muß hier oben wo gewesen sein^ auf der anderen Gangseite." Sie hatten die Tür des Speisezimmers zu einem schmalen Spalt osfenstehen lassen. „Das da hinten ist das Schlafzimmer meines Onkels", erklärte ste, auf die letzte Tür an der gegenüber liegenden Gangseite zeigend. „Der nächste Raum ist eine Art Studier zimmer, wird aber ebenso selten benutzt wie die anstoßende Bibliothek. Dann folgt mein Schlafzimmer." Es war Mills, als hätte er wieder ein Geräusch ge hört, und der Laut schien aus der Bibliothek zu kommen. „Ach Gott", sagte Kathleen im selben Augenblick ton los und griff erregt nach seinem Arm. „Es kann nur in der Bibliothek sein. Ich habe vergessen, dort die Fenster zu schließen." Ike war schon vorausgehuscht, und sie folgte ihm volle« Angst und Furcht. Er beugte sich über das Schlüsselloch, dann, als sich nichts regte, stieß er ohne langes Besinnen die Tür auf. Sie wich aber nicht ganz zurück, sondern, schien auf einen Widerstand zu stoßen, denn es gab ein lautes Pollern. Mills hörte die zitternden Atemzüge des Mädchens hinter sich, während er nach dem Lichtschalter tastete, den er gleich neben dem Türrahmen fand. Es knackste, aber das Zimmer blieb im Dunkeln. Er holte seine Taschenlampe hervor, und ein greller Lichtschein durchbrach den dunklen Raum. Der Strahl huschte über einen umgeworfenen Blumenständer hinweg, streifte ein paar umfangreiche Bücherschränke und eine rote Samtportiere an der Wand und blieb endlich auf einer Schuhspitze haften, die auS einer Bodenfalte dieser Portiere hervorragte. Der Inspektor brachte seine Lampe zum Erlöschen und kehrte mit ein paar lautlosen Schritten zu dem Mädchen zurück. „Miß Heynen, Sie müssen Vernunft annehmen. Kehren Sie ins Speisezimmer zurück und riegeln Sie ab, wenn Sie sich fürchten. Sie brauchen äber keinerlei Angst zu haben. In fünf Minuten bin ich wieder bet Ihnen." Er hatte die Worte in ihr Ohr geflüstert, und trotzdem ste Mühe hatte, ihn zu verstehen, hörte sie den bestimmten Befehl aus der Aufforderung heraus. Sie zog sich zurück. Er wartete, bis sie die Tür des Speisezimmers geschlossen hatte, dann trat er wieder tn die Bibliothek. Er hatte sich die Stelle gemerkt, wo sich der niederhängende Lüster be fand, und drehte die locker geschraubte Glühbirne an. Helles Licht durchströmte den Raum. Im nächsten Augen blick stand Mills vor der Portiere, riß sie zurück und sah sich einem Masine gegenüber, der ihn finster musterte. „Mit meiner Anwesenheit hatten Sie nicht gerechnet, Mr. Stafford?" Ike lachte vergnügt. „Ich allerdings hätte meinen Kopf verwettet. Sie heute nacht in Fenalow Manor anzutresfen. Nur so früh habe ich Sie nicht er wartet. Es war ja allerdings auch nicht vorauszusehen, daß Burnett wegging und das Haus unbewacht ließ. Kommen Sie ruhig hervor. Für einen Mann in Ihrer Stellung muß es nicht angenehm sein, wie ein Gefangener an der Wand zu lehnen." Der Rechtsanwalt kam der Aufforderung nach, steckte die Hände in die Hosentaschen und sah wütend nach dem am Boden liegenden Blumenständer. „Ich habe heute einen ausgesprochenen Unglückstag", knurrte er. Dann warf er einen grimmigen Blick in daS Gesicht des Inspektors. „Warum fordern Sie mich nicht auf, die Hände hochzunehmen?" Ike lachte. „Wenn irgendwo diese Vorsichtsmaßregel unangebracht und unnötig ist, so in Fenalow Manor. Ich wette, daß Sie keinen Revolver eingesteckt haben. Vielleicht nicht einmal Feuer." Mills lachte wieder. „Wie konnten Ste aber auch einen solchen Krach schlagen? Mich wundert nur, daß Sie nicht gleich einen der Bücherschränke umgestoßen haben. Sie kluger Mr. Stafford." „Sie sollen mich nicht reizen", knirschte der Rechts anwalt zwischen den Zähnen hervor. „Wie kommen Ste überhaupt hierher? Was wollen Sie hier?" (Fortsetzung folgt)