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Mussorgski „Bilder aus einer Ausstellung“ Das Schaffen des genialen russischen Komponisten Mussorgski ist in Deutsch land spät, zunächst durch die allmähliche Verbreitung seiner großen Oper Boris Godunow auf unseren Bühnen bekanntgeworden. Mussorgski (1835—1881) hat aber seine Hauptwerke vor nunmehr 50—60 Jahren geschrieben. Unter anderem auch die Bilder aus einer Ausstellung, die in der Ausgabe als Klavier werk von namhaften Pianisten in neuerer Zeit in deren Repertoire aufgenommen wurden. Diese Bilder, eine Folge von 10 kürzeren Stücken, schildern die Eindrücke, die der Komponist von ebenso vielen Gemälden einer Ausstellung empfangen hat, in Musik. Etwa: einen gehetzten Gnomen, dessen Beweglich keit in seltsamem Kontraste zu dem halb dämonischen, halb leidenden Aus druck seines Antlitzes steht. Ein altes Schloß in düsterer Landschaft, vor dem ein Troubadour seine melancholische Weise singt. Spielende Kinder in den Tuilerien — ein Stück von anmutiger Drolerie. Dann ein russisches Bauern gefährt, schwerfällig über die endlose Steppe her nahend; der Bauer singt eines jener schwermütigen russischen Volkslieder, der Gesang wächst an zu revolu tionärer Drohung — verhallt in der Ferne. Das Ballett der Küchlein in ihren Eierschalen wird vom Komponisten humorvoll als Getrippel winziger Füßchen und Piepen zarter Stimmchen geschildert. Die Gestalten Samuel Goldenberg und Schmuyle — der eine reich, der andere arm — in ihrem Streit um die Aus legung der Schrift werden musikalisch mit unerhörter Plastik uns vor Ohr und Aug’ geführt. Der Marktplatz in Limoges gibt Anlaß zu turbulenter musika lischer Fröhlichkeit, wogegen unmittelbar anschließend das Gemälde einer Kata kombe den Tondichter zu feierlicher musikalischer Ausmalung inspiriert. Einen wüsten Hexensabbath läßt uns die Hütte der Baba-Vaga erleben; mitten darin die schauerliche Erscheinung des Höllenfürsten. Und dann das letzte der Bilder, Das große Tor von Kiew: In großartiger Festlichkeit strömt die Menge zu einem Feiertag herbei, gewaltige Lieder durchbrausen die Luft, von allen Kirchen kommt mächtig anwachsendes Glockengeläute, in frommer Extase er heben sich die Herzen der Gläubigen. — Zwischen diese zehn Stücke, welche die Gemälde musikalisch beschreiben, schiebt Mussorgski zu wiederholten Malen ein und dasselbe kurze Musikstückchen, das den Titel Promenade führt, und in dem der Tondichter nicht nur das Schreiten des Beschauers von Bild zu Bild schildert, sondern auch den seelischen Eindruck andeutet, der im Beschauer nachwirkt. Die Bilder sind derart orchestral angelegt, daß einige bekannte Musiker in den letzten Jahren begeistert daran gegangen sind, das ganze Werk für Orchester zu setzen. Unter anderem auch Leo Funtek (Helsingfors).