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Lop^rigkt 1937 b> ^ukvärtg-Verlsg, Lerlio 68 3j Nachdruck verbalen. „Burnett?" fragte sie flüsternd, denn es war ihr, als hätte sie jemanden gehört. Als keine Antwort erfolgte, war sie überzeugt, sich ge täuscht zu haben. Sie war vollkommen ruhig, aber sie ent schloß sich doch, die Lampe in der Halle einzuschalten. Un verzüglich näherte sie sich der Stelle, wo sich der Schalter befand. Sie streckte die Rechte aus und tastete die Wand ab. Ihre Finger berührten das Leitungsrohr und fuhren daran hernieder. Im nächsten Augenblick kam ein erstickter Schrei über ihre Lippen, und ihre Knie wankten. Ihre Finger hatten eine Hand berührt, die auf dem Lichtschalter ruhte. 3 „Still!" zischelte eine Stimme dicht an ryrem Ohr. „Keinen Laut!" Zugleich preßte sich eine Hand brutal aus ihren Mund. Nach wenigen Augenblicken der Lähmung setzte sich Kath leen verzweifelt zur Wehr. Es gelang ihr, einen Arm frei zu bekommen und den Schalter zu erreichen. Die Lampe an der Hallendecke flammte auf. Mit einem neuen erstickten Aufschrei taumelte das Mädchen an die Wand, und ihr Atem flog. Ein Mann mit einer schwarzen Hälbmaske stand vor ihr. Ein Fremder, den sie nie gesehen hatte. Sie wollte wieder schreien, aber kein Laut kam über ihre verzerrten Lippen. „Still!" zischelte der Maskierte wieder und hob die Hände nach ihrem Halse. Um Kathleen drehte sich plötzlich alles. Kreisende Nebel wallten vor ihren Augen. Sie wehrte sich krampfhaft gegen das aufsteigende Schwinden ihrer Sinne. Halb bewußtlos schon, fühlte sie noch, wie Ler Mann sie bei den Schultern faßte, dann war sie weg. Als sie wieder zu sich kam, lag sie im Bett. Sie ver mochte sich nicht sofort des merkwürdigen Vorfalls zu ent sinnen, aber sic wußte doch dumpf, daß etwas geschehen war. Mit einer erschrockenen Bewegung fingerte sie nach der Lichtschnur und richtete sich auf. Die erste Feststellung, die sie machte, war, daß sie auf der Daunendecke saß und die Pantoffeln an den Füßen batte. Während sie noch darüber nachgrübclte, fielen ihre Blicke auf das Nachttischchen. Eine Platte mit Kuchen stücken stand daraus. Beim Anblick des Kuchens kehrte schlagartig alles Vorgefallene in ihr Gedächtnis zurück. Seltsamerweise empfand sie gar keine'Angst. So war es gewesen: sie hatte Kuchen aus der Küche holen wollen, und in det Halle war sie mit einem maskierten Manne zusammengeraten. Por Schreck war sie bewußtlos ge worden. Aber wer hatte sie hierher gebracht, und wer hatte die Kuchcnplatte auf das Nachttischchen gestellt? Sie sah nach der Uhr. Viertel vor elf. Ihre Lider kniffen sich zusammen. Das merkwürdige Abenteuer lag kaum eine halbe Stunde zurück. Wenn ihr Onkel sie hier her getragen hätte, so wäre er sicher bei ihr geblieben, denn eine derartige Ohnmacht währte ja nicht lange. Ihr Onkel war es also nicht gewesen. Burnett ebensowenig. Und sie selbst..., nein, das war ausgeschlossen, auf eigenen Füßen war sie nicht in ihr Zimmer gekommen. Blieb also «och der Maskierte. Aber wieso hatte er denn ihr Zimmer gewußt, und wie war er dazu gekommen, den Ku^-m «eben ihr Bett zu stellen? Was hatte er überhaupt im Hause gewollt? Las war die dringlichste Frage. Kathleen verließ das Bett. Sie wunderte sich selbst über die Ruhe, mit der sie olles hinnahm. Ohne eine Spur von Angst lies sie hinaus und schaltete die Ganglampe ein, die auch die Treppe er hellte. Einen Augenblick dachte sie daran, ihren Onkel zu wecken. Abkr diesen Gedanken gab sie sofort wieder auf. Bertie Grti-am wäre vor Angst irrsinnig geworden. Aber Burnett konnte sie verständigen. Burnett, trotzdem er manchmal stark aus demselben Wimmerhorn blies wie ihr Onkel, würde die Dinge ruhig aufnehmen und Nachforschungen anstellen. Jetzt erst stellte sie sich die Frage, wie der Mann ins Haus gekommen war. Die Tür wies eine dreifache Sicherung auf, und ebenso wenig boten die vergitterten Fenster im Erdgeschoß eine Möglichkeit zum Einsteigen. Aber gemeinsam mit Burnett würde sie dies Rätsel wohl lösen. Sie mußte den Diener verständigen. Zu dem Zweck war eS nötig, ins Erdgeschoß zu gehen, weil sich dort, der Küche gegenüber, das Schlafzimmer des Alten befand. Kathleen blieb lauschend im Gang stehen und blickte aufmerksam die erhellte Treppe hinunter. Es regte sich nichts im Hause. Ihr Herz klopfte etwas schneller, als sie die Stufen hinuntcrschritt, aber es war doch nur eine mäßige Beklommenheit. Sie hatte die Halle erreicht und blieb stehen. Die Türen waren alle geschlossen, und ebenso konnte sie von ihrem Standort aus feststellen, daß die Haustür gesichert war. Der Gedanke lag nahe, daß sich der Unbekannte noch im Hause befand. Aber sie unterdrückte tapfer jede aufsteigende Besorgnis und lies auf die Tür von Burnetts Schlaf zimmer zu. „Burnett!« Sie.rüttelte an der Klinke und klopfte, um den Diener, der, wie sie wußte, einen guten Schlaf besaß, wachzu kriegen. „Burnett!" Ihre Bemühungen blieben erfolglos, und allzu laut durfte sie nicht werden, um ihren Onkel nicht zu Wecken. Unter diesen Umständen konnte sie es nicht verhindern, daß die Angst wieder in ihr hochsticg. Sie rüttelte ein letztes Mal an der Klinke, als ihr Ohr gedämpfte Schritte auffing, die vom Obergeschoß hcrunterklangen. Ein wilder Schrecken packte sie und ließ beinahe ihren Herzschlag stocken. Sie fuhr herum und krallte die Hände in ihre Brust. Aus geweiteten Augen sah sie nach der Treppe. Etwas Weißes tauchte am oberen Absatz auf. und der Anblick ließ sic vor Erleichterung beinahe taumeln. „Hallo!" hörte sie die hustende Stimme ihres Onkels. „Ist jemand unten?" Sie flog durch die Halle auf die Treppe zu und hastete die Stufen hinan. Ein alter, etwas gebückter Mann mit mürrischem Gesicht stand in Hellem Schlafanzug oben und sah ihr mißbilligend entgegen. „Onkel", stieß Kathleen hervor und griff nach seinem Arm. „Jemand ist im Hause..., ein Maskierter! Ich wollte Burnett wecken, aber der schläft zu fest." Ein verdrossener Blick streifte sie. „Du bist eine Närrin", zankte der Professor und fuhr mit den Armen in der Luft herum. „Wie sollte jemand hereinkommen? Warum schläfst du nicht?" Kathleen traute ihren Ohren kaum. War denn das ihr Onkel noch, der immer und überall Feinde und Schurken witterte und nicht genug für seine Sicherheit tun konnte? „Es ist wahr!" schrie sie beinahe. „Ich habe ihn ge sehen. Er war in der Halle!" Aber Bertie Graham ließ sich wirklich nicht erschüttern. In seinem mürrischen Gesicht änderte sich kein Zug. Er machte eine fahrige Handbewegung. „Du bist eine Närrin", wiederholte er. „Geh schlafen. Es ist ganz unmöglich, daß zur Nachtzeit jemand ins Haus gelangt. Du siehst Gespenster. Das kömmt von den ver rückten Büchern, über denen du immer hockst." „Ich schwöre vir, Onkel...!" Er ließ sie nicht ausreden. „Geh schlafen!" sagte er beinahe böse und drehte sich herum, um sein eigenes Schlafzimmer aufzusuchen. Kathleen starrte ihm verblüfft nach. Sie verstand ihn und die ganze Welt nicht mehr. Sie hatte geglaubt, er würde sofort nach Burnett zetern und mit diesem das ganze Haus durchsuchen. Nun schall er sie eine Närrin! Kopfschüttelnd suchte sie ihr Zimmer aus und riegelte hinter sich ab. Eine Weile blieb sie auf dem Bettrand sitzen. Als sie unvermittelt den Geruch des Kuchens in die Nase bekam, konnte sie der Versuchung nicht wider stehen und atz zwei Stückchen. Beim letzten Bissen kam ihr der Gedanke, der Kuchen möchte vielleicht vergiftet sein. Sie lächelte, streifte die Pantoffeln ab und legte sich nieder. Trotzdem sie keine Angst mehr in sich verspürte, blieb sie dennoch über eine Stunde wach. Aber ungleich mehr als der Vorfall mit dem Maskierten beschäftigte sie der Gedanke an die plötzliche Furchtlosigkeit ihres Onkels. Das war das Ueberraschendste an allem. Sie erhob sich am folgenden Morgen früher als sonst und suchte sofort den Diener auf. Burnett, ein grau haariger, mittelgrotzer Mann. Ende der Fünfziger, sah ihr mit einem gutmütigen Lächeln entgegen. „Ich weitz schon", fiel er ihr in die Rede. „Ihr Onkel hat mir die Sache erzählt. Es tut mir leid, daß ich nicht erwachte, als Sie an meiner Tür klopften, aber es hätte auch nichts genutzt. Sie müssen sich getäuscht haben..." „Ich lasse mir sofort die Hand abhacken, wenn ich mich getäuscht habe", unterbrach sie ihn fast ärgerlich. „So wahr ich vor Ihnen stehe, habe ich heute nacht einen Mas- kierten in der Halle angetroffen, als ich mir ein Stück Kuchen aus der Küche holen wollte." Sie erzählte ihm die Sache in voller Ausführlichkeit und mit vor Erregung schwankender Stimme. Burnett ließ sie ausreden. „Ich Weib nicht", sagte er und machte ein nachdenkliches Gesicht. „Vermutlich kommt das, wie Ihr Onkel meint, doch von den Büchern, die Sie lesen. Ueberlegen Sie bloß selbst: Wie sollte jemand ins Haus gelangen? Ich habe heute früh das ganze Gebäude von unten bis oben durch sucht. Es befand sich alles in schönster Ordnung. Nirgends entdeckte ich die Spur eines Eindringlings, und nicht das Allergeringste fehlte. Conan Doyles Detektivgeschichten lasse ich gern gelten. Aber seine spiritistischen Sachen soll ten Sie lieber nicht lesen." „Sie machen mich zornig, Burnett! Halten Sie mich denn für ein Kind, daß ich nicht Weib, ob ich etwas ge sehen habe oder nicht? Wenn ich mich getäuscht habe, will ich auf der Stelle tot umsinken." Sie standen vor Burnetts Zimmertür. Der Diener warf einen vorsichtigen Blick nach allen Richtungen, dann winkle er Kathleen, einzutrcten. Sie folgte ihm in sein Gemach. <»>» orn ganzen Vorgang nochmal-, forderte er sie auf. Sie tat es. Burnett hörte aufmerksam zu. „Ich will Ihnen etwas sagen, Mib Heynen. Seien Sie froh, daß Ihr Onkel die ganze Sache für Hirngespinste hält. Nachdem nicht das allermindeste im Hause für die Glaubwürdigkeit Ihrer Aussage spricht, dachte ich anfäng lich selbst. Sie hätten sich getäuscht. Diese Annahme kann ich aber nicht länger aufrechterhalten, nachdem' Sie so entschieden für Ihre Sache eintreten. So schwer es mir auch fällt, Ihren Worten zu glauben, so mutz ich mich doch dazu bequemen, denn ich weiß, datz Sie die allerletzte sind, die an Einbildungen leidet. Sprechen Sie Jhöem Onkcl gegenüber nicht mehr von der Geschichte. Er soll ruhig in seinem Gedanken verharren. Dafür will ich in Zukunft um so wachsamer sein. Ich will sehen, was zu tun ist, um diese Sache aufzuklären. Da ist vor allein einmal fest- zustellcn, wie der Mann ins Haus kam und was er hier suchte." * Kathleen atmete erleichtert auf. Burnett glaubte ihren Worten nunmehr also doch. Sie bot ihm sofort ihre Hilfe in jeder Hinsicht an, aber er schüttelte nur den Kopf. 4 Bertie Graham verhielt sich beim Frühstück schweigsam wie immer. Er sab mit Kathleen am Tisch eines freund lich ausgestattcten Zimmers im Obergeschoß, und durch die geöffneten Fenster konnte man über Deans Street und Tanners Hill hinweg ein Stück von Deptford sehen. Warmes Licht fiel herein. Seit ihrer Aussprache mit Burnett war Kathleen wieder vollkommen ruhig. Sie be trachtete ihren Onkel. Er saß stumm und mit gesenktem Kopf auf einem Leder sessel und löffelte ein Ei. Ab und zu nippte er an einem Glas Portwein, das vor ihm stand. Aber er verschüttete jedesmal mehr als er trank. Jede seiner Bewegungen war voll innerer Unruhe. Das graue Haar trug er ziemlich lang und nicht sehr ordentlich gescheitelt, und sein Gesicht war hager und faltig und von grauer Farbe. Die Augen standen groß unter der hohen Stirn und flogen unstet im Zimmer umher, bis sie endlich an irgendeinem Punkt haftenblieben. Kathleen wußte genau, daß seine Nervosi tät nicht von dem nächtlichen Vorfall herrührte, an den er ja nicht glaubte, was ihr nach wie vor merkwürdig genug erschien. So war er alle Tage. Sie konnte ihn nicht an sehen, ohne Mitleid zu verspüren. Sie wollte eben zu sprechen ackfangen, als Burnett auf der Schwelle erschien und Mr. Bruce meldete. Graham schien von dem frühen Besuch nicht sehr erbaut zu sein. Er nickte dem Diener aber doch zu, und wenig später kam Mr. Bruce über die Schwelle. Er war einige Jahre jünger als der Professor und hatte ein verschlossenes, schmales Gesicht, in dem nur die Augen lebten. Graham kannte ihn seit mehr als zwei Jahrzehnten,, und wenn sich die beiden Männer auch keine besondere Herzlichkeit entgegenbrachten, so hatten sie sich dennoch nie ganz aus den Augen verloren. Bruce war der einzige, der in Fenalow Manor nach Belieben ein und aus gehen konnte. Er hatte früher einmal ein Buch über Fingerabdruckverfahren herausgebracht und war damals auch wiederholt von Scotland Uard in schwerliegenden Fällen zu Rate gezogen worden. Man hätte überhaupt seinen Eintritt bei der Polizei gern gesehen, denn er war ein vorzüglicher Stratege, aber dazu hatte er sich nicht ent schließen können. Sein Vermögen machte ihn unabhängig. Nach kurzer Begrüßung, wobei er auch Kathleen die Hand drückte, ließ sich Bruce am Frühstückstisch nieder, und erhob durchaus keinen Einspruch, als ihm das Mädchen ein Glas Wein einschenkte und die Zigarrenkiste in seine Nähe rückte. Wie immer, wenn Bruce da war, entspann sich ein langweiliges Gespräch. Er kam ja auch nur, um eben seinen alten Bekannten wieder einmal zu besuchen. Die beiden Männer hatten sich wenig zu sagen. Dennoch war Graham seine Gesellschaft angenehm, weil er sonst mit niemand zusammenkam. Jetzt erst, nachdem sie die Sache mit Ike Mills ins Rollen gebracht hatte, fiel Kathleen ein, daß sie sich auch an Mr. Bruce hätte wenden können. Der war doch auch so ungefähr Detektiv. Sie wunderte sich über sich selbst. An Bruce hatte sie niemals gedacht, obwohl das doch das Naheliegendste gewesen wäre. Sie war aber dennoch mit allem Geschehenen zufrieden. Bruce sah nicht aus wie ein» Nardmann. Von einem Detektiv hatte sie eine andere Vor stellung. Außerdem war er viel zu alt. „Warum werden Sie denn so unvermittelt rot, Mttz Heynen?" Hörre sie Bruces leise, dunkle Stimme in ihre Gedanken hinein. Sie kam sich vor wie bei etwas Schlechtem ertappt, und' das mehrte ihre Röte. Der Fragesteller sah sie aus halb geschlossenen Lidern an, und um seinen dünnen, zusammen gekniffenen Mund ging ein fernes Lächeln. Sie wandte den Blick von ihm ab und spielte mit dem Taschentuch. „Das kommt vom Wein", sagte sie, aber Bruce hätte nicht Bruce sein müssen, um zu wissen, datz dies eine AuS- rede war. Er ließ die Sache aber damit abgetan sein und widmete sich wieder dem Professor. Weil sie das Gespräch in keiner Weise interessierte, be gab sich Kathleen bei schicklicher Gelegenheit ins Neben zimmer. Eine Weile sah sie zum Fenster hinaus, bis sie plötzlich ein Wort auffing, das ihre Aufmerksamkeit er weckte. Sie hatte die Tür nicht geschloffen, sondern nur angelehnt. „Im Yard machte man sich über die Sache viel Kopf zerbrechen", hörte sie Bruce sagen. „Die Blätter brachten die Dinge nicht so, wie sie in Wirklichkeit sind. Der Mann hatte eine ganze Reihe von Kugeln im Leibe, und man rechnet so Halbwegs mit einem Mord." (Fortsetzung folgt)