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Oop^rlgkt 1936 kv ^ukvärtü-Verlsg, Lerlio 8>V 63 161 Nachdruck oerbotc». Muthe war eine solche Ari Schwärmerei unsympathisch. Sie selbst hatte sie nie gekannt. Aber wenn nur ein einziges Wort über deren Sinnlosigkeit fiel, verschloß sich das Mädchen sofort völlig. Hoch aufgeschossen, früh reif, blieb cs immer wortkarg, mit einem Ausdruck von Mißtrauen, ja Ablehnung in dem eigenartigen Gesicht, in den hübschen traurigen Augen. Beate liebte die Mutter und taute doch auch ihr gegen über nie ganz auf, war in der schule, die ihr jetzt ganz lieb schien unH sie weit mehr fesselte als das eigene Heim, in den letzte» Wochen verändert gewesen. Das erfuhr die Mutter von allen. Raindorff, der eine wachsende Scheu vor schweren Er lebnissen hatte, war sehr erschüttert, aber er begleitete seine Frau nicht. , Allein mußte sie sich die Tote heimholen. Die Oberin war äußerst teilnahmsvoll, sprach lange allein mit Muthe, offenbarte jetzt einen Menschen, der viel Jugend schaute, zumeist von einer bestimmten Artung. „Beate-, sagte sie, „war eine Besonderheit. Wir haben sie bis zum Ende nicht verstehen können. Ihr Körper ist früh erblüht, zu früh. Sie mußte sehr behütet werden. Leidenschaftlich war sie und erwacht. In den letzten Wochen vor ihrer Erkrankung kam etwas Wunderliches über sie. Sie wurde auffallend fröhlich, lernbegierig, sing sogar an, Gedichte 4» schreiben." Der behandelnde Arzt erklärte: „Das Mädchen Halle den Körper einer Erwachsenen. Es muß a» heimliche» Revolten gelitten' haben, die aus dem Blut kamen. Das cs so früh dahingchen konnte, so leicht und leise, che ''a! Leben es überfiel, mag ein Glück gewesen sein. Dies, Tochter hätte eö zwingen wollen und wäre dann woh an ihm zerbrochen. Es war etwas Borbestimmtes in dem herben, äußerlich sonderbar stillen Gesicht mit der glühen den Blässe, hinter der gewiß stand, was sie noch selbe» nicht begriff. Ihres Blutes- Opfrr und Beute vielleicht." Er gab der Mutter die Hand, sah sie eine Weile an, mit den wissenden Augen, die man nicht betrügen kann. Dann brachte sie die Tochter heim, bettete sie nicht in die eisige Trust, legte sie draußen in die lebendige Erde. Der Anteil an diesem Verlust war in der ganzen Umgebung «roß. Raindorff wich allem aus. Es war, als mache ihn un abänderlicher Schicksalsschlag haltlos. Als suche er jemanden, den er beschuldigen könne. Nie hatte sich Muthe so vollkommen im Stich gelassen gefühlt. Etwas in ihr zerbrach. Michel forderte, die Leiche zu sehen. Das wurde ihm nicht gewährt. Er weinte zornig, aber nicht lange, strich planlos umher, mied das Zimmer der Schwester, in dem noch ihr Spielzeug, ihre Kleider und die Schulbücher lagen. Bei dem Begräbnis war er außerordentlich blaß; dann sprach er nie wieder von Beate. Nur in der Mutter lebte die fort. Muthe wurde die Seele deS Betriebs, stand im Mittel punkt der Arbeit, fand langsam wieder ihre starte Vitali tät, überwachte den Sohn, behandelte ihn liebevoll, be- mühte sich, Lebensfreude in sein Dasein zu bringen. Er entwickelte sich körperlich sehr rasch, sah gesund aus, zeigte nach wie vor gegen Sport Abneigung, überhaupt gegen alles, was Mühe machte. Ihre Blicke wühlten sich in das schöne Gesicht mit den verschleierten Augen, rätselten an der Skepsis der spötti schen Lippen, an der absoluten Verneinung, die an Stelle deS natürlichen Lebensglaubens, deS Aufblicks einer Jugend stand. Für Michel Raindorff gab eS keinen Heroismus. Die Mutter versuchte, ihn zu körperlicher Arbeit anzu halten, die ihr tehier immer Retterin wurde. Dagegen leistete er passiven, aber unbedingten Widerstand. Als sie ihm Äeorg Schelmer als Beispiel vorstellte, dem es wohl auch nicht leicht geworden sein mochte, das OfsizierSdasein aufzugeben, zeigte er dem Gepriesenen wochenlang Abneigung. « Der Verkehr Georgs in Gutschlage war nicht leicht. Für ihn existierte keine andere Frau als diese Starke, Aus- A rechte im Mittag ihres Lebens. Das zu verbergen hielt er Ä für seine Ehrenpflicht. Niemand durfte es bemerken, vor W allem Raindorff nicht. Z Aber sie wußte das wohl. War es nicht Absicht, daß « Ihre Blicke so oft über ihn, der immer bewegt vor ihr saß, W hinüber glitten? W Der Verkehr blieb immer etwas gezwungen. Es 1 lahmte, was ergiebig und schön hätte fein können. Es l lahmte alles. Während Schelmer immer mehr die Gemeinsamkeit mit I den Arbeitenden auf seinem Besitz fand, ihnen zugleich Respekt, Vertrauen und Zuneigung einzuflößcn wußte, blieb Raindorff den Leuten ein Fremder. Sie urteilten nicht; aber wenn er nahte, verstummten 5 sie, blickten ihm nach. Ernst wurden ihre Gesichter. Dann kam eS, daß Michel vom Gymnasium, wo er nur mehr ein Jahr zu studieren gehabt, genommen werden mußte. Er hatte eS fertiggebracht, in der kleinen Stadt sich eine Art Doppclexistenz zu inszenieren, in einem Kl:w, den er gründete, ein Eigenleben zu führen, mit wenig anziehenden Kameraden; hatte schwache Kollegen in ge fährliche Dinge hineingerissen. Was das alles kostete, mußte der Papa schon bezahlen, oder er selbst, wenn er einundzwanzig sein und in Geld schwimmen würde. Er gab diese schweren Verfehlungen ohne Zögern zu: „Das ist doch jetzt so. Wir werden früh flügge. Wir wehren uns gegen den veralteten Zwang." Muthe hatte bis zur Erschöpfung zu tun, um ihren Mann zur Mäßigung, zum Gebrauch vernünftiger väter licher Autorität zu bringen. Wieder einmal tobte er gegen den Sohn. Das über- legene Lächeln, mit dem dieser vor ihm stand, reizte ihn furchtbar. Michel wurde eingespcrrt. Er hatte auf seinem Zimmer Sträflingskost zu essen, wurde Tag und Nacht bewacht. Da zerbrach er Möbel, verdarb Gegenstände, versuchte die Tür zu sprengen. Eines Mittags fehlte das Messer von seinem Gedeck. Er verbarg es. Muthe entdeckte es in seiner Tasche. „Was soll das? Was willst du damit?" „Vielleicht jemanden zur Raison bringen, mir Luft schassens" Seine sanften Augen funkelten haßerfüllt. „Michell Um Gottes willen..." „Mutter. Ich bleibe hier nicht. Gebt mich fort. Ich hasse Gutschlage, ich will in die Stadt, dort wieder privat studieren. Ich habe an die Großmutter geschrieben. Sic sagt, ich kann bei ihr wohnen. Die Großmutter ist gut. -ie wird mich auf Reisen mitgehmen. Ich will das Aus- and sehen, das sie so liebt. Mich ekelt; mich erstickt hier icse Erde. Gebt mich fort. Oder es kann etwas ge- chchen." Er brach ab, wie ermattet, ließ sich das Messer weg- j nehmen, sank in den Polsterstuhl, in dem er stundenlang müßig hindämmern, tändeln konnte. Bleich, ja fahl hockte er da, unter den Augen blaue Schatten. Dann sagte er vor sich hin, so leise, daß sie sich zu ihm niederbeugen mußte: „Spürt ihr denn nicht, daß ich anders bin wie ihr?" Es ging ihr ein Stich durchs Herz. „Daß mir Bindungen unerträglich sind, jedes Müsse» Revolten in mir erweckt, daß ich — ja, daß ich — ach was. In Ruhe soll man mich lassen. Nie werde ich ein Träger irgendwelcher Ketten sein. Politischer Führer, das würde mich eher locken, das eher." „Du, mit deiner Unbeherrschtheit." Seine Augen wurden schmal. Eine Abneigung zuckte in ihnen auf. „Was weißt denn du? Das ist ja dein Fehler, daß du glaubst, mich zu kennen. Du kennst mich gar nicht. Du bist ja so brav, brav bis zur..." Er brach ab. „Lieb hab' ich dich natürlich; du schindest dich für mich »md mit mir. Tue es doch nicht. Laß mich. Ich danke es dir nicht. Meine Rechte, die sind ja ohnehin da. Ja, ja, ich weiß schon, du hast gewaltig mitzureden, aber trotz- dem — das Blut, das zu regieren hat, bin ich." „Ja, und dein Vater?" Eine Nachdenklichkeit trat in seine Züge, Melancholie dämmerte auS ihr empor, hoffnungslos, schmerzhaft. „Der Vater? Ein Irrlicht, über das die Hände ge halten werden müssen, mehr als über mich, sonst stiftet es Brand. Ader er weiß das nicht. Er sammelt sich ge nießerische Stunden. Nur ich soll die nicht haben." Das huschende Lächeln kam ihn an. „Merkst du denn nicht, Mütterchen, daß er auch anders ist wie andere? Ich weiß das schon. Und manchmal — trotz allem — fühle ich mich ihm näher als dir." „Du, der du mit dem Messer aus ihn losgehen wolltest?" Er duckte sich, kroch in sich zusammen. „Bloß ihn er schrecken, ihm zu verstehen geben, daß er sich nicht alles erlauben kann. Notwehr. Eltern sind ja in Wirklichkeit nur Zufall. Manchmal Verhängnis " Raindorff war mit dem Sohn bald wieder ein Herz und eine Seele, war einverstanden, daß er in der Stadt, bei der Großmutter, wohne, auch eine Reise mit ihr mache. Frau RubertuS hatte alte Beziehungen aufgefrischt. Es paßte ihr sehr, den schon vollkommen salongewandtcn Enkel mitzunehmen. Sie lebte sorglos und verschwenderisch im alten, breiten Stil. In ihrem Verkehr war sie nicht mehr wählerisch. Wer glänzend auftrat, ihr schmeichelte, den sah sie gern. Fremde wußten mehr von ihren An- gelegenheiten als die Verwandten. Michel nahm sich, als er dann bei ihr wohnte, vor sichtig zusammen. Er studierte ausreichend, hatte daneben Steckenpferde, wechselnde Liebhabereien, die alle Geld kosteten. Die Großmutter erklärte, diese Dinge bezahlen zu wolle». Sie wurde immer stolzer auf ihn, und als sich langsam wieder der internationale Kreis zusammensand, den der Krieg vertrieben, spielte sie vor allem in diesem mit dem hübschen Enkel eine Nolle. In vollstem Gegensatz zu ihrem stand ihrer ältesten Tochter Leben. Ihre ganze Kraft trug diese in den Auf bau ihrer Wirtschaft. Wenn ihr Mann ihr manchmal tagelang aus dem Wege . ging, dachte -sie mit Furcht, dah sie vielleicht zu über« i wältigend für ihn sei in ihrer gesunden tätigen Kraft. Aber sie wollte lieber das ertragen, als vor diesem »inen, dem Furchtbarsten, zittern: er könne sie in seiner Un berechenbarkeit wieder als Gattin suchen. Davor schauderte sie zurück wie vor einem Verbrechen. Sie zwang sich, farblos zu wirten, trug Kleider, die sie alt machten; sie versäumte ihr Leben. Oft träumte sie, daß gurgelnd Fluten um sie empor- stiegen, höher,, immer höher; sie schrak empor, in Schweiß gebadet. Dann wieder erwachte sie mit nassen Augen. Sie hatte im Traum um Kurt geweint. Und jeder Tag wurde allmählich wie ein Jahr, wat leer dabei. Als Michel sein Abiturium vorbereitete, kam übe. seinen Vater eine überraschende Lebendigkeit. Die Ab rechnungen des Jahresendes sah er durch, sie blendeten ihn. Eine Welle von Lebensgicr, Lebenslust schien in ihm aufzuschäumen. Er baute unter der schönen ChrisUanne auS dem Walde auf, mit einer wahrhaft hungrigen, liebevollen Freude legte er Schmuck hin, Zierlichkeiten, ein Abendkleid, wie Muthe noch keines besessen; es war prächtig, ein wenig verwegen. Was eine elegante Frau haben soll, das war ihm Plötz- lich wieder wichtig. „Ich bin keine elegante Frau, Kurt; ich bin nur eine Landfrau." „Wenn das so weilergeht, bekommst du einen Direktor." „Nein, danke! Das wäre zu teuer. Dann ginge es nicht mehr so Weiler. Heuie kann nur mehr einer Besitz haben, der ihn selber bewirtschaftet. Wir haben noch den Schweinestall umzubauen." „Prosaisches Weib. Aber das Kleid gefällt dir?" „Ich danke dir vielmals, aber es stellt zu viel vor." Er lachte strahlend. „Weißt du was? Wir fahren auf acht Tage in die Stadt, wohnen im .Splendid'. Ich habe bereits um ein Appartement geschrieben. Michel ist ja doch nicht da." „Ja, daß er gerade jetzt einen freund besuchen mußte.. .' „Das ist doch eine großartige Einladung für ihn nach Schloß Berna. Dort ist alles fürstlich." „Weihnachten bei den Eltern müßte ihm mehr sein." „Wir zwei werden uns auch in der Stadt amüsieren." Ihr war. nicht danach zu Sinn. Vor der Absahrt ver brachte sie viel Zeit an Beates Grab, zündete auf ihm den Baum an. Weiße Schneerosen bedeckten es. „Die Welt hat solchen Menschen nichts zu gel^n! Wenn sie ge boren werden, ist es schweres Unrecht!, dachte sie. Die Fahrt in die Stadt kostete Muthe eine große Ueber- Windung. So herrlich war die weiße Weihnacht auf dem Lande. Sie hätte wandern mögen, stundenlang, in leichtem Wind und silbern flirrendem Schnee, der sie begleitete^ in Wunder und Märchen führte. Davon verstand Kurt nichts. „Manchmal bist du j» kindisch", sagte er. Die Zimmer tm „Splendid" waren hoch und etwas abseitig gelegen, am Ende eines langen Ganges; ihre Fenster boten einen Blick aus den halb vereisten Fluß. Es wär ein teures, exklusives Haus, das Publikum dafür jetzt, etwas spärlich. Kein Nachmittags-, kein Abendjazz, keine Bar; nur ab und zu auserlesene Musik, alles Grelle fehlte. „Es ist gut, hier zu wohnen", sagte Raindorff. Sie- gab ihm recht. Er hatte verschiedene Einladungen zu Herrenabenden, hatte viele Bekannte, die ihr fremd waren. Das glänzende Kleid hatte sie nicht mitgenommen. „Ich. trage doch noch Trauer, Kurt." „Ach so, ach ja. Also werden wir beide miteinander» nicht tanzen?" „Ich könnte nicht tanzen. Ich werde in die Oper gehen», während du bei deinen Freunden bist." „Das ist recht. ES kann später werden für. mich. Aber, ich bin immer mäßig, das weißt du." Er sagte eS wohlgelaunt. Etwas beschwingte-, Auf. geregtes war in diesen Tagen an ihm. Sie trennten sich, in guter Stimmung. Es schlug zwei Uhr von den Turmuhren der, nächtlichen Stadt. Da fuhr Muthe Raindorfs auS unruhigem Schlaf hoch, aber sie konnte sich nicht aufrichten. Ueber ihr lag eine furchtbare Last. Fäuste hielten sie am Halse gepackt, Finger hatten sich eingckrallt in ihr Fletsch. Sie keuchte, rang verzweifelt. Sie brauchte Minuten, bis sie sich» frei bekam. Sie drehte daL Licht an. Da sah sie Raindorff, noch im Abendanzug. Er war zurückgefallen. sein Gesicht verzerr» und fahl, die Glieder verkrampft, gurgelndes Murmeln» kam auS seiner Kehle. In seinen Augen stand Wahnsinn. Sie stürzte auö dem Bett, rannte zur Tür. Denn schon richtete er sich auf, mit unendlicher Be schwerde, in hockende Stellung, tastete mit den Händen, als suche er und sähe nichts. Es war ein» Ausdruck von Not und Grausamkeit in seinem Blick. Sie raste hinaus, riß an der Glocke, schloß außen ab. Drinnen entstand Gepolter, Gegenstände stürzten. Dann kam ein schwerer Fall. Dem folgten ächzende Töne, kurze Schreie. Muthe rannte rufend den Gang entlang. Lange dauerte eS, bis jemand kam. Sie war kaum mehr imstande, einen- Arzt, Hilfe zu verlangen. Sie sank zusammen, Es wurde äußerst schwer, den Tobenden zu- bändige». Unverständliche Reden strömten von seinen bläulichem Lippen. Er entwickelte Riesenkräfte. Zwei Aerzte kamen. „Sofort in die Anstalt, hieß es. Wärter wurden nötig, um seiner Herr zu werden: Der Transport ging im Morgendämmern unendlich mübevolb vor sich. * <Fonsetznng solgti