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- Oop^rlgdt 1S86 ^ukvLrts-Verlag, Lerliv 8XV 68 ISj Nachdruck verboten. Ein ganzes Jahr lang zermarterte Kurt Ratndorff sein Schicksal. Aus dem geistigen Dunkel erwachte er nicht mehr. Nach ruhigeren Wochen kam immer wieder ein Wüten. Nach langem Schweigen konnte er stundenlang reden, aber selten verstand man ihn. Wenn seine Frau zu ihm kam, erkannte er sie nicht, war mißtrauisch, frostig. Er fragte nach niemandem, starrte sie an. Es kam auch vor, daß er sie wegwies. „Gehen Sie nicht", sagte der Arzt. „Ruhiges, freund liches Warten ist nötig." Sie lernte das Aeußerste an Disziplin, und da begann es, daß er ihr. von Muthe, seiner schönen lieben Frau, zu erzählen anfing, ganz leise, flüsternd, als vertraue er ihr ein kostbares Geheimnis an. „So etwas wie sie haben Sie nie gesehen, liebe Frau. Sie ist ein Engel. Ueber alles liebe ich sie. Wo bleibt sie nur? Ich warte und warte. Ach ja doch, gestorben ist sie." Er fing an zu weinen, verbarg das Gesicht in den Händen. „Sie ist gestorben. Hab' ich ihr was getan? Ich doch nicht." Von da ab verfiel er in ein unermeßliches Schildern der Unvergleichlichen, die er verloren. „Aber sie ist sehr treu. Sie wartet auf mich, ich weiß das. Ich werde jetzt auch bald zu ihr kommen, damit wir wieder beisammen sind. Sie hat mich sehr lieb." Seine Stimme wurde undeutlich. Dann begann der körperliche Verfall. Unerbittlich hart wurde die Zeit. Michel durfte den Vater nicht sehen. Sie nahm ihn mit nach Gutschlage, überwachte ihn streng. Er setzte alles daran, zu ihm vor zudringen, aber der Befehl der Aerzte war unabänderlich. Fortgesetzt stellte der Sohn Fragen über den Zustand. Er schrieb sogar an den Leiter der Anstalt. Der antwortete ihm kurz: Unbedingte Ruhe müsse den Kranken umgeben. „Gehirnleiden?" fragte der Neunzehnjährige. „Hat denn der Papa zu flott gelebt? Sich was geholt?" Dabei hatten seine Augen einen Ausdruck, der seine Worte un glaubhaft erscheinen ließ. Etwas Wissendes sprach aus ihnen. Kurt Raindorff starb. Sein Todeskampf war nicht schwer. Er schlief ein. Kurz vorher war Muthe noch bei ihm gewesen. Außerordentlich matt hatte er sie immer wieder zurückgehalten. Ganz fügsam und sehr bleich war er gewesen. Noch einmal forschten seine Augen lange in ihren Zügen. Er schien nachzudenlen, seufzte dann tief, schüttelte de» Kopf. „Ich muß gehen,'weil sie nicht kommt." Dreimal kehrte Muthe an der Tür wieder um. Draußen lehnte sie sich in hemmungslosem Schluchzen an die Wand. Am nächsten Tage war er tot, lag da, friedlich, ver- .jüngt, erinnerte sie an Bräutigamszeiten. Er wurde in Gutschlage aufgebahrt. Jeder konnte ihn sehen. Eine ganze Wallfahrt aus der Gegend begann. Michel sollte an seinem Sarge beten. Er weigerte sich aber leidenschaftlich, den Toten zu betrachten; er lief weg, kam erst zurück, als der Sarg geschlossen war. . Der Raindorffer von Altendorf hieß den Jungen bei ver großen Beerdigung zwischen sich und seiner Mutter stehen. Er mußte sich mit ihr in die Vormundschaft über Michel teilen und tat es ungern. Schwierigkeiten mied er, so viel er konnte. Da er sehr viel über die Un- bändigkeit des jungen Menschen gehört, wunderte er sich über seine Korrektheit, über die gute Erscheinung, und kam zu dem Schluß: „Verkehrt erzogen, natürlich. Ich werde mit ihm streng und eifern Vorgehen. Und ihm eine Erziehung angedeihen lassen, wie sie früher ver standen wurde." Das sagte er auch freundlich zu Muthe, die er respek- tierte und oft bedauert hatte, ohne sich aber jemals über die in der Familie lauernde Tragödie zu äußern. „Sie haben ja sehr viel Macht, auch als Mitbesitzerin, oeS Gutes. Sie verstehen außerordentlich zu wirtschaften, Hochverehrteste. Den Drill junger Leute kann natürlich eine Dame nicht so weghaben. Da bin ich zu unterstützen, zu belehren bereit, kann Ihnen auch mal widersprechen. UebrigenS — die Sache wird kurz sein. In weniger als zwei Jahren ist Ihr Sohn mündig, dann kann er mit der Mutter regieren." Der würdige Herr hielt hierauf noch dem Schutz befohlenen von großer Höhe herab eine Rede. Michel stand musterhaft da, die Augen voll Ehrfurcht zu ihm aufgeschlagen, staunend, als ob ihm neue Welten aufgingen, verbeugte sich wunderschön und machte dann abends dem Wirbelchen den ehrfurchtgebietenden Herrn vor. Der von Altendorf hatte zum Schluß noch verordnet: ,Kalte Duschen, um vier Uhr aufstehen, Landwirtschaft studieren. Jawohl. Höchste Zeit dazu. Große Märsche machen, rüde Kost. Und jeden Pfennig verrechnen. Ich werde das monatlich kontrollieren. Zum Unterhalt zu- gebilligte Summe beschränkt, ebenso Taschengeld. Alle Rechnungen saldiert vorlegen." Mit der Witwe allein aber war der vornehme Herr Mensch geworden, in einem ritterlichen Sinne. „Verwöhnen Sie ihn ja nicht, verehrte Erdmuthe' sagte er. „Und nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich jeh über Ihre Frau Mutter ein Wort sage. Sie verbrauch, sehr viel Geld. Michel ist monatelang bei ihr gewesen, hat da das große Leben ohne Sinn gelernt. Das muß aufhören. Er darf durchaus nicht ihre Begriffe bekommen Ich weiß, daß Sie Frau Rubertus gegenüber machtlos sind, und ich fürchte, Sie werden mit ihr noch manchec erleben. Sie sagt offen, daß sie ihr wertvolles Haus vei taufen will, in dieser Zeit, wo man so ein Objekt nur ver schleudern kann, und dann will die alte Dame ins Aus land ziehen. Es scheint, sie hat dort Geld liegen, Substanz Hoffentlich vertraut sie es nicht unmöglichen Menschen an. Sie wird gewiß versuchen wollen, den Enkel, wenn er selb ständig wird, auch hinauszulocken und ihn drängen, Gut schlage zu verkaufen." Das kann er nicht", sagte Muthe. „Nein. Und das ist sein Glück, das er Ihnen verva»«-." Er sah sie an, mit einer Menschenwärme, die sie von ihm nicht erwartet hatte. „Größte Opfer hat das schon lange für Sie bedeutet! Wenn ich denke, so ein Sonnenstrahl, wie Sie bei Ihrer Hochzeit waren. Damals noch nicht so vermorscht wie heute, habe ich den guten Kuri beinahe ein bißchen be neidet. In der Theorie. Und Sie sind heute noch zu allem Schönen im Leben berechtigt. Vergessen Sie das nicht ganz. Ich bin da, wenn es sein muß. Machen Sie Gebrauch von mir." Das „bis zu einer gewissen Grenze" verschluckte er wieder. Etwas, das er selbst nicht verstand, war in ihm in Be wegung geraten. Aber er sagte dann doch noch vorsichtig: „Uebrigens, da ist mein entfernterer Nachbar Schelmer, den wir alle schätzen, obwohl die Familie nicht von Adel ist, ein Kamerad von Kurt, ein tadelloser Mensch. Warum haben Sie eigentlich nicht den zum Mitvormund erbeten?" „Nein, nein!" sagte sie. Er sah sie scharf an. „Ich schätze wenig Menschen, den Georg Schelmer schätze ich." Sie nickte stumm. Als der alte Herr sich dann veravicyleoeic, mehr er griffen, als er zeigen wollte, streckte Muthe die Hand aus, dämpfte die Stimme. „Es kann kommen, daß Michels Vormundschaft ver längert werden muß. Ich darf den Besitz durch ihn nicht gefährden lassen. Können Sie das verstehen? Werden Sie es unterstützen, wenn Sie eine solche Notwendigkeit anerkennen?" „Ja! Und jetzt möchte ich noch um eins bitten: den Kops wieder hoch. Sie sind — Sie sind...", er suchte nach Worten, „vielleicht adliger, als es Kurt gewesen ist." Sie traute ihren Ohren nicht. Er küßte ihr zum ersten Male die Hand. Ein Mensch der Nüchternheit, vielleicht der Härte, aber auf ihm lag der Schatten nicht. Die Katastrophe bet Frau Rubertus war da. Bei ihrem ersten Aufenthalt an einer fremden Küste fiel sie völlig in die Hände von Hochstaplern. Sie gab einem ausländischen Bankdirektor Vollmacht, mit ihren in Genf hinterlegten Papieren zu spekulieren. Es wurde verkauft, wieder gekauft, dann kam plötzlich ein schwerer Tiefstand an den Börsen, und der wohl meinende Freund, der sie gegen ihre eigene Familie in allen Tönen verhetzt hatte, verschwand spurlos, wurde von der großen Welt ausgesogen, die bereit ist, alle spuren zu verwischen. Es war Frau Rubertus auch der Nat ins Ohr ge flüstert worden, die Last eines Hauses abzustreifen, das nichts einbrachte, nur kostete. Es war ein leichtes, ihr Feig heit beizubringcn. Außerdem empfand sie es als einen Genuß, heimlich den Auftrag zum Verkauf zu geben. Der schöne Besitz wurde verschleudert; die Summe, die sie dafür erhielt, entwertete sich in den Niedergangstagen noch weiter. Hingegen mußte der Fremdling, der die Sache vermittelt, einen erhebenden Rebbach gemacht haben. Und dann glitt er aus ihrem Leben. Er war ein sanfter, zier- licher Mensch gewesen, ein Pazifist, die Stimme wie in Oel getränkt. Michel hatte seine Eleganz sehr bewundert. -Der alten Frau blieb nicht einmal genug, um in knappen Verhältnissen unterzutauchen. Muthe mußte helfen, erschöpfte sich dabei durch einen törichten Wider stand, prallte ab an einer wachsenden Abneigung, die ihr alles erschwerte. ES war, als erlösche hier jedes Mutter- tum bei der Geplünderten. Nach. Gulschlage war sie nicht zu bringen. Auch be- hauptete sie, ihrem Leben ein Ende machen zu wollen. Große Ausgaben wurden notwendig^ um Forschungen nach den Hochstaplern anzustellen, aber diese blieben er gebnislos, auch als ein ausländischer Anwalt um schweres Geld die Sache übernommen. ES offenbarte sich in Frau Rubertus eine Un verantwortlichkeit, durch falsche Erziehung und Lebens form aufs äußerste emporgewachsen. Sie kannte nur sich selbst, ihre „Rechte" ohne Grenzen, an die anderer dachte Gatten in einem maßlosen Zorn tovkk, blieb Han«, ver von Gelddingen so gewollt wenig verstanden, vollkommen gleichgültig. Er erklärte, er habe das alles lange kommen sehen. Gr machte keine Szenen, bedauerte die Mutter sogar wofür sie ihn verachtete. Muthe blieb mit eiserner Selbstbeherrschung äußerlich vollkommen ruhig. Sie versuchte vorsichtig, Michel au«zu> forschen, der einige Wochen bei der Großmutter im Aus land gewesen war. Er erklärte, von Geldgeschichten gai nichts zu wissen, niemals Gespräche über solche gehört zu haben. Lustig sei man gewesen, elegant, sehr liebens würdig. Weite Segelfahrten habe er mitgemacht, jeden Abend flott getanzt, auch ganz wenig spielen gelernt. Ja, auch geflirtet. Es sei ja Zeit dazu. Eine entzückende . Jugend. Man habe sich nur beim Vornamen genannt Er wußte von sehr wenigen Leuten die Zunamen und 'ldressen. Aus Paris waren die meisten gewesen, einige, on Uebersee. Es war nichts aus ihm herauszubekommen. Die neue Wohnung der Großmutter betrat er nur ge lungen. Rechnungen für sie und ihn kamen noch dauernd nach Ratschlage, mußten da bezahlt werden. Was Wetter nun mit diesem Sohn? Auf der Land- i nrtschaftsschule ging es mit ihm auch nicht. Unpünktlich, nage und interesselos, schnell aufbegehrend, wurde er schleunigst wieder erledigt, heim geschickt. Er erklärte, der Unterricht in der Mistbehandlung ekle ihn. Dafür könne er nicht. Er war abgemagert, etwas verwahrlost. „Ich muß mich unbedingt erholen, Mutti." Er richtete sich zwei große Zimmer ein, Luxus- gegenstände kamen zum Vorschein, die ihm die Großmutter gekauft, aber nicht bezahlt hatte. „Großzügig ist sie ja", sagte er, „die einzige, die mich versteht. Jetzt ist sie unter die kleinen Leute gegangen. Schade!" Er schlief lange, nörgelte am Essen, konnte halbe Tage, fein gekleidet, im Liegestuhl hindämmern, in Büchern blättern, sah der Mutter freundlich zu, wenn sie schaffte. Muthe riß die Geduld. Er merkte das, betrat eines Tages feierlich ihr Zimmer und sprach: „Ich kann dir mit teilen, daß ich über mich schlüssig geworden bin. Ich habe mich entschlossen, Künstler zu werden, Maler. Ich kann mir das leisten, auch wenn ich anfangs nichts verdiene. Dafür kommt Gutschlage auf, natürlich. Ich will reisen, Eindrücke empfangen, wahrscheinlich in Paris längere Zeit studieren. Es ist mir vollkommen ernst damit, und ich kann ja wohl verlangen, daß mein Besitz mir zu einem- so ernsten Streben die Mittel gibt." Muthe erwiderte kurz: „Ehe du nichts leistest, kannst du nichts verlangen. Bei dem dauernden Wechsel deiner Absichten mußt du unter Kontrolle stehen. Deine Ab hängigkeit von der Vormundschaft wird verlängert werden. Du kannst erst als dispositionsberechtigt erklärt werden, wenn du wirkliche Beweise von Leistungen, festerem Charakter, Verläßlichkeit gebracht hast." Bitter war es, dem einzigen Kinde, dem Sohne solches zu sagen. Eine Angst würgte ihr in der Kehle, ein schauerndes Mitleid. Da blickte er mit einem lustigen, etwas spöttischen Lächeln zu ihr auf. „Hab' ich mir doch gedacht, ist wohl mit dem Knöchernen auf Altendorf aus- geknobclt worden." „Es wurde nach reiflicher Ueberlegung als.richtig er kannt." Michel streckte sich behaglich, gähnte: „Ist mir eigentlich sebr bequem. Ich werde da so in sechs bis acht Wochen losziehen, mit einem standesgemäß bemessenen Monats wechsel. Man kann mich in Parts vielleicht beim Oröckit i.)onnai8 akkreditieren." „Du bist ja sehr bewandert. Ei» Schatten von Rot stieg in fern Gepan. Er senkte einen Moment den Blick. „Das Geld muß natürlich immer pünktlich eintreffen. Verlegenheiten in der Fremde sind unerträglich. Dafür wirst du sorgen, Mutti." „Wenn du Schulden machst, Michel, wirst du sofort heimgeholt." „Du wirst mich doch nicht bespitzeln lassen. Spitzelei ist ja an sich ganz amüsant, aber ich bin gerieben. Wenn ich nicht will, faßt mich keiner. Behalte mich noch einige Wochen hier, Mamachen. Es ist ja bei dir sehr nett. Ent schließe dich gemächlich. Ich zeichne, ich male. Du wirst einen berühmten Sohn haben." Vergnügt zog er ab. Brachte ihr dann eines Vor mittags ein kleines Bild, etwas schludrig, mangelhaft ausgeführt, aber mit origineller Farben- und Licht stimmung, die cs belebte. Sie sah es lange an. Etwas wie eine Freude wollte in ihr hochkommen. Er beobachtete sie scharf. „Na, was sagst du?" „Ja, wenn du es ernst nehmen wolltest, Michel!' „Denk' dir, ich habe einen Käufer für das Bild." Das berührte sie unangenehm. „Wer ist es?" „Ach, ein reizendes Früchtchen, mit Mammon, von mir sehr beeindruckt." Das Erstlingswerk wurde wirklich an den Mann ge bracht, und von dem Erlös der Mutter ein kleines ge schmackvolles LuxuSgeschenk hingelegt. Dabei strahlten die Augen Michels wie die von Kurt gestrahlt hatten an jenem letzten Weihnachtsabend „Na, Mutter?" Sie sagte matt: „Willst'mich bestechen? Nicht verwöhnen sollst du mich. Eine Stütze sollst du mir werden; Mitarbeiter, Mutters Kamerad." Das Wort wehrte er ab. „Kameradschaft mag ich nicht. Ich will ich selbst sein." Sie umschloß seinen Kops, sah in die Augen, die ohne festen Blick waren, fühlte unter ihren Händen das Pochen der Adern in seinen Schläfen. «Fortsetzung folgt)