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Oop^rigkt 1936 ^ukvartn-Vsrlag, kerlio 8W 68 ISj - < Nachdruck verboten. Al« Rainborsf zurückkehrte, wu» cr etwas übertrieben straff und flott. Er hatte gute Farben, markierte ein neues Selbstgefühl und Zärtlichkeit. „Eigentlich müßtest jetzt du in diese Berge, aber du bist nicht abkömmlich. Wir wedeln übrigens in die Haupt stadt über. Hier haben wir nichts mehr verloren." * Der Krieg ging semen Schicksalsweg. Die Raindorffs saßen nun in der Stadt, in einer ruhig gelegenen Villa, an öffentlichem Park. Die Dienerschaft war verringert. Die Pferde wurden aufgegeben. Das qualvoll Mangel leidende Stadtvolt durfte nicht gereizt werden. Muthe gab und gab, widmete sich Wohlsahrtsarbeiten, ging in die Viertel der Armut, ohne darüber zu reden. Ralndorff nahm eine Mitleitung im Heimatdienst a», erhielt sie aber nur ganz kurz. Er stellte Verwirrungen an, war unpünktlich, streitsüchtig. Man wurde ihn gern wieder los. Nun schuf er sich Verkehr, einen Kreis von nörgelnden Kannegießern, Ausrangierten des Pflichten lebens. Die hockten in einem Klub beisammen. Von, Kriege redeten sie nie. Ihre Art behagte ihm jetzt. Wenn Muthe die Nachrichten mitteilte, die Georg Schelmer treulich schickte, schnitt ihr Kurt gelangweilt die Rede ab. Der junge Oberleutnant hatte sich sehr aus gezeichnet, war zweimal verwundet worden. Sein Bruder fiel. Er wurde Erbe der Schelmey. Das schien ihn kaum zu berühren. .So etwas ist schön", sagte Muthe still. Raindorffs Blick streifte sie ironisch. „Ja, dieser Georg. Und jetzt auch noch Gutsherr. Manche Leute haben Glück." Er duckte sich jetzt vor der Gutschlagerin, aber die lud die Raindorffs niemals ein, schrieb, sie hätte selbst kaum etwas zu essen. Das glaubte ihr niemand. Der kleine Michel malte heimlich einen Brief, der ihm von der Kindergärtnerin suggeriert wurde: „Sick doch ein Vreßpaket." Als kein Widerhall kam, war er sehr ent rüstet. „Garstige Tante." Er wurde photographiert, zuerst mit der Schwester; aber die sämtlichen Aufnahmen der beiden zusammen gingen fehl, weil sie sich Gesichter schnitten. Ein Einzel bildchen des Jungen wurde so schön, daß es den Urheber begeisterte. Auf Kissen hochmütig hingegossen, ruhte die gertenschlanke Gestalt mit ungesuchter Grazie. Es war kein Kindcrblick, der hier aus ungewöhnlichen Augen strahlte, es war etwas halb Versonnenes, halb Fordern des. Um den seinen Mund betonte sich noch mehr diese merkwürdige Heiterkeit, ohne Wärme, ohne Freude, in der etwas wie Ironie lag; Erkenntnis, mitgegeben von der Wiege an. Fertig ausgebildet war hier etwas auf die Welt gekommen, das man beunruhigt studierte; skeptische Kritik. Raindorff war entzückt. Einer seiner, für das Kind gefährlichen Zärtlichkeits- und Bewunderungsausbrüche kam wieder, wie er schon zu der Mutter Erleichterung seit längerer Zett ausgeblieben war. Es gab Zeiten, wo er den Sechsjährigen anwetterte, maßregelte. „Frechheiten hat er in sich, den Vater braucht er." Es war nicht leicht, dieses Ehe- und Mutterdaseln. Man konnte nicht vermeiden, daß frühreife kleine Geschöpfe vieles wahrnahmen, daß die Erzieher und Erzieherinnen wechselten. Junge Mädchen, von der Lockerung des all gemeinen Volksschicksals ergriffen, konnten gar nicht ge- halten, es mußte auf ältere Kräfte zurückgegriffen werden. Die wechselnden Lehrer Michels klagten über seine Un zuverlässigkeit in Eifer und Leistung, standen dann wieder unter dem Bann seiner Klugheit und Findigkeit. ES gab nicht einen, der ihm imponierte. Er blinzelte sie zwei deutig an, ganz objektiv, machte an ihnen gewissermaßen Studien, wußte sie ausgezeichnet zu nehmen, überaus ge schickt im Schmeicheln. Beide Kinder neigten zur Verdrehung der Wahrheit. Berkehr mit munteren, derben, natürlichen Kindern war ihnen verhaßt. In Michel besonders herrschte die Eigen brötelei. Immer wieder versuchte er die Schwester zu kommandieren. In beider Naturen lag Unversöhnlichkeit. Sie vergaßen nicht, wie so kleine Menschen zu vergessen pflegen, trugen nach und interessierten sich sür Racheakte, die sie sich auSdachten. Ihr Interesse wechselte beständig, der Junge, mit einem ungewöhnlichen Gedächtnis begabt, memorierte spielend. Aber er hatte faule, zänkische Tage: „Ich bin leidend, der Kopf tut mir weh." Von alledem erfuhr Raindorff nur sehr wenig. Er fing Verschiedenes an, war gesellig, dann wieder störrisch einsam, entwarf eine Wappenkunde, zeichnete Stamm bäume, und laS nichts als ein einziges stockkonservatives Blatt. Vom Kriege sprach er nie. Als das Unheil dem Ende zutrteb, flackerte manchmal etwas wie Schadenfreude in seinen Augen auf. Es er lebte eine Frau, daß ihr Mann immer unbegreiflicher wurde, stein Halt war mehr da. Dennoch hing sie ihm weiter an, pflichtenvoll, fanatisch. - Und auch er liebte sie in seiner Weise über alles. Das hinderte nicht, daß er sie anfuhr, quälte, bet Anordnungen überging. Ihre Geduld, die nichts übelnahm, ihre Art, alles gleich in ruhigster Weise zur Sprache zu bringen, glich immer wieder aus. Einblicke in die inneren Familien- vorgänge halte niemand. Das tragische Ende kam. Deutschland brach zusammen; Heer und Adel traf es entsetzlich. Ihre Berechtigung zu existieren, wankte. Bei Rubertus trat naturgemäß ein vollkommenes Ende oes Geschäftsbetriebs ein. Aber er blieb sehr wohlhabend, hatte wohl als Vielwisser so vorgearbeitet, sein Vermögen so angelegt, daß die Entwertungskaiastrophe ihn weniger berührte. Dennoch hatte er seinen seelischen und körper lichen Bruch weg, verkaufte die Fabrik, die ihren Betrieb umstellte, zog sich in sein Haus zurück, zu dem er viel Grundbesitz erworben hatte. Sein Sohn kam aus dem Kriege in einer erschütternden Zerbrochenheit zurück. Mit oem Offiziersdasein, dK sein Lebensnerv gewesen, war es vorbei. Was blieb ihm? Seine Lebensfreude brach zusammen. Er weigerte sich, im Vaterhause zu leben, bezog in einer Vorstadt ein be scheidenes Quartier, erklärte sich für nervenleidend, brütete menschenscheu in gewollter Verlassenheit. Das beständige Jammern seiner Mutter, die Ausbrüche des Vaters konnte er nicht ertragen. Seinen Schwager Raindorff betrachtete er jetzt eiskalt. „Nicht einmal draußen gewesen ist er..." Oft stand Muthe vergebens vor dem kleinen alt modischen Hause, in dem er zwei Stuben bewohnte. Es hatte noch einen verblaßten Reiz aus Tagen einer Kunst, die es liebevoll geschmückt. Hans rührte sich nicht auf Klopfen, Rufen, Läuten. Wenn er ihr einmal nicht ent rinnen tonnte, streichelte er sie traurig, ging mit seinen vierunddreißig Jahren gebückt, schlapp, den Blick gesenkt. „Armer Hans." Die Daisy-Grete hatte zwei peinliche Verlobungen hinter sich, bei deren Vollzug sie die Initiative ergriffen hatte. Sie saß weiter im Elternhause, auf den ganz Be sonderen wartend, der ihrer wert war. Ein Gedanke war ihr und der Mutter gemeinsam: sie sehnten sich ins Aus land. Die Mutter wartete darauf, Beziehungen in Feindes land sofort wieder zu erneuern, schrieb sich aus dem Baedeker die Küsten auf, wo man sich treffen könne. Der Vater verschloß sich gallig. Er litt am Vaterlands- und Volksschicksal in seiner Art. Mit dem Schwiegersohn hatte er sich gar nichts mehr zu sagen. Je mehr der Adel ver folg« wurde, desto steifnackiger benahm er sich. Auch Kurt nahm jetzt eine Arroganz an, die nicht zu ihm paßte. Sie brachte ihm wiederholt Unannehmlichkeiten. Um Muthe aber waren die täglichen Sorgen, die Er nährung, Gesundheit betrafen, die Jagden nach dem Nötigsten, war die Qual der Einschränkungen, bei denen ihr Mann gereizt wurde. Sie hetzte umher. Niemand unterstützte sie. Um den Bruder, dem mit der Uniform alle Freude, alle Hoffnung gestorben war, litt sie außerordentlich, fuhr immer wieder hinaus in das altfränkische Viertel, durch schritt das freundlich blühende Gärtchen, trug Dinge, mit denen sie ihn erfreuen wollte, sonnte sie dann nicht ab geben. Da begegnete ihr wiederholt ein junges Mädchen. Es grüßte immer höflich, besonders bescheiden und nett, trug Bücher und Mappen, war sorgsam angezogen, ohne jede Modeverirrung. Jedenfalls ein arbeitender Mensch, von vierundzwanzig Jahren, seine Lasten schleppend, gesund und frisch, mit einer angenehmen Aufgeschlossenheit in den hübschen Augen. „Wo kann ich wohl dieses Paket sür meinen Bruder, den Rittmeister Rubertus, abgeben? Ich bin Frau von Raindorsf." „Ich kenne Sie, gnädige Frau. Das Paket übernehme ich gern, hinterlege es beim Großvater. Der sitzt immer im Garten, der kann beobachten, wann Herr Rubertus heimkommt. Der macht jetzt Tageswanderungen, zu denen man ihm zureden muß, denn er braucht sie notwendig. Das Häuschen hier gehört uns. Ich heiße Annette Börges. Mein Vater war Offizier. Er ist gefallen. Ich bin den ganzen Tag tätig, unterrichte schulfrei gewordene Mädchen in praktischen Wirtschaftsdingen. Sie können sich auf mich verlassen." Muthe dankte, blickte noch einmal scharf in daS frische Gesicht. Man sah so viel unbegreifliche Jugend jetzt in dem immer noch sinkenden Volkstum. Hier aber war ein Gesicht, in dem zwei Dinge aus fielen: ernstestes Wollen und Zufriedenheit. „Es muß jetzt schwer sein", sagte Muthe unwillkürlich. „Nicht — wenn man furchtlos ist und fest entschlossen zu etwas." „Sie sind also mit meinem Bruder bekannt, Fräulein BörgeS?" „Der Großvater redet immer mal mit ihm, wenn er besonders trostlos aussicht. Es drängt einen, ihn aufzu heitern, ihm einen Dienst zu erweisen." Es kam einfach heraus, selbstverständlich. Und Muthe schämt, sich, daß sie sticht darauf beftm^ew hatte, Hans an sich zv ziehen in sei««, Rot, weil «r Kurt- störte. Die beiden verstanden sich nicht mehr. -L „Also — dann danke ich Ihnen herzlich. DaS Wter soll nicht in der Sonne liegen. ES ist nämlich Butter darin." Unwillkürlich wurde die Stimme flüsternd. Das kleine Fräulein lächelte verständnisvoll. Sie machte eine anmutige Verbeugung und wurde rot, als ihre kleine Hand kräftig geschüttelt wurde... Im Gärtchen saß der Invalide, dem man den zähen, klaglosen Mann aus dem Volke ansah. Er grüßte, rief Annette. Nebev ihm lehnte die Krücke. Vom Fluß strömte frische Luft. Kinder spielten an un gepflegten Ufern. Staunenswert,, daß Hans so vernünftig hauste. Ein kurzes Mißtrauen kam die Schwester an. Sie wies es energisch zurück. Nein, dieses liebe kleine Mädchen mit dem werktätigen Ernst im Wesen gab sich gewiß nicht dazu her. Das konnte gar nicht sein. Und auch der alte Mann würde solches schwerlich dulden. Hans war gut versorgt Muthe gab sich selbst nicht Rechenschaft darüber, wie überfüllt jetzt ihr Leben war. Wenn Kurt sich doch in die Hand nehmen wollte!, dachte sie. Aber er ließ sich gehe». Es erschreckte sie manchmal, wenn etwas wie Schaden freude in seine Züge über die Entwürdigung seines Volkes kam. Nur ein einziger Gedanke beschäftigte ihn noch: Be sitzer auf Gutschlage zu werden. Er mied den Besitz, wtchle aber, daß eS abwärts mit der alten Frau ging, die nicht nach ihm verlangte, die immer schroffer wurde, nachdem sie ihr Testament gemacht, das ihn sicherte. Eine Ein ladung sür den Sommer, die so natürlich gewesen wäre, erschien nicht. Raiudorsf besuchte Bäder für vage Zustände, ohne Disziplin. Was ihm da vorgeschlagen wurde, tat er plan- los, übertrieb es. Seine Frau beanspruchte er unausgesetzt. Beate liebte den Vater weiter leidenschaftlich. Ihr immer wieder kehrendes Werben um ihn wurde ergreifend, erweckte Mit leid. Ihn ließ es kalt. Sie war kein dekoratives Kind, nicht frisch, noch rosig, während Michel durch sein Aeußeres aufsiel. Schulen besuchten die Kinder nicht. Der Hausunter- richt mit den nachfolgenden Prüfungen erschwerte ihnen das Lernen, regte sie auf. Shstemwechsel kam oft vor. „Eine strengere Zucht ist notwendig", sagte der Vater einmal wieder. Er griff in die Zügel, zog sie scharf an, ließ sie dann schleifen. Wenn er den Stunden des Jungen beiwohnte, wurde das unerträglich. Er kritisierte, unterbrach. Auch die beiden Kinder konnten nicht zusammen lernen. So wurde Beate ganz der Mutter überlassen, während der Vater Michel mit Beschlag belegte. Der wurde aussässig. Um Sand in die Augen zu streuen, schreckte er vor Täuschungen, nicht zurück, nahm in Wirklichkeit seine Pflichten immer lockerer. Raindorss ging übergangslos mit harten Züchtigungen vor. Als er zum ersten Male geschlagen wurde, verfiel Michel in Raserei. Man mußte ihn packen, bändigen, mit einer Gewalttätigkeit, die sein Blut unbedingt als Schmach empfand. Er wurde krank. Wenn er des Vaters Stimme vernahm, fing er an zu zittern, Angst und Wut in den Augen. Er klammerte sich jetzt leidenschaftlich an die Mutter, überschüttete sie mit Zärtlichkeiten, mit flehentlichen Bitten, ihn zu schützen. Es waren furchtbare Tage und Nächte. Mit einem Male erlosch das Interesse des Zucht- Meisters wieder. Der Werdegang des Jungen schien ihn» gleichgültig zu sein. Er fuhr ihn meistens nur mehr im Vorbeigehen an, manchmal brüllte er auch. Dann flüchtete Michel, versteckte sich, arbeitete nichts. Die Lehrer sagten: er gehört in eine Schule, in gleich mäßige Zucht, mitten unter Kameraden. Nur Kamerad- schäft vermag hier etwas. In diesem bildhaft schönen Knaben, mit den sanften Augen, dem sonderbaren Lächeln, schien kein Gefühl zu sein. Fremdes Leid berührte ihn gar nicht. Er schüttelte es ab. Aber hassen tonnte er. Das konnte man wahr nehmen. Und Rache brüten, zäh, unkindlich. Für Tier- qnälerei mußte er lange bestraft werden. Pflanzen- verwüstung fand er selbstverständlich. Ueberhaupt besaß er einen starken Hang, zu zerstören, demolierte Spielzeug, auch fremdes Eigentum, versuchte überaus gern Schaber nack, Schreckenerregung. Wenn Muthe ihn einige Tage ganz allein hatte, wurde cs besser. Sie machte mit ihm Wanderungen in die Um gebung, um seinen Natursinn zu wecken, aber er ermüdete schnell, langweilte sich, machte spöttische Bemerkungen über Schulgruppen auf Ausflügen, äffte ihren Gesang nach, ihre harmlosen Spiele. Einzelne drohten ihm mit der Faust. Nur keinen Alltag. Den haßte er, merkte auch immer gleich, wenn er gefiel. Dann lächelte er träumerisch, bei nahe lockend. Gern ging er mit dem Vater aus, der ihn da und dort hin mitnahm, ihm manches zusteckte, dann wieder zankte, predigte, aber doch seinen Stolz auf ihn nicht verbergen tonnte. „Bitte, gib Michel kein Geld in die Hand", sagte Muthe. „Er hat fünfzig Pfennig die Woche, die muß er mir ver rechnen. Vernaschen darf er nichts. Er muß auch lernen, Bedürftigen zu geben." „Ach was, die Bettelet unterstützen. Unsinn!" „Aber Kurt!" „Liebes Kind, Weibererziehung taugt für meinen Sohn nicht." Sehr oft verdarb ihr Mann, was sie erreicht hatte. Er krittelte an ihr und den Kindern herum, auch an Beate, die ein düsteres kleines Mädchen wurde. „Der Michel nimmt mir den Vater weg", sagte sie ein mal drohend. „Der Michel nimmt alles."