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1936 kv ^u^väits-Verlag, Lerlin 8V 68 Uj Nachdruck verboten. Da sagte er plötzlich schroff: „Sie muß sein. Sonst ist jedes Zusammenleben unmöglich. Also — die Gespräche, Liebling, nicht wahr: Naturfreude — auch Freude an Tieren, Interesse. Ich habe die Gesamtausgabe von Brehms Tierleben. Da wären interessante Episoden nach zulesen. Dann vor allem immer ein gewisses Zeremoniell, bescheidenes Wesen, keine Debatten, ja kein Widerspruch. Und wenn es dir möglich ist, dann zeige in deiner zarten Weise, daß du mich sehr lieb hast/ „Aber Kurt! Das wird mir doch nicht schwerfallcn." Sein Blick, in dem manchmal Geheimnisvolles für sie lag, ging mit einem Ausdruck an ihr hin, der sie er schütterte. „Wenn du an mich glaubst, wird es den Glauben der anderen stärken." Wenn ihm an etwas lag, benahm sich Naindorsf ganz unausstehlich militärisch, wie Muthc es ausdriickte: „Du wirst knöchern, deine Stimme klingt wie Blech." „Also — drei Kleider nimmst du mit." Er besichtigte diese. „Nein; ja kein wirkliches Abendkleid. Nur ein schweres, aber einfach gehaltenes Gewand." „Gewand...", sprach Muche. „Hoffentlich habe ich etwas dergleichen. In der Mode wallt es jetzt nicht. Und dir gefällt das auch ganz gut, das Anliegende. Ich habe es bemerkt." Sie blinzelte ihn an. Er wurde clwas ärgerlich, verlegen. „Das Kleid kann hell sein, aber nicht grell. Schmuck, nur den von mir ge schenkten. Und das Armband der Muhme vergiß ja nicht. Das Iagdhülchcn? Etwas verwegen ist cs ja. Du mußt eben nock)» einen Kirchcnhut mitnehmen, weil wir am Sonntag da sind. Tie Bevölkerung erwartet das." „Also — vielleicht geht der? Er ist unauffällig." »Ich weiß nicht recht. Tie Muhme hat keinen solchen." „Es ist ein neues Modell, guter Kurt." „Sicher. Aber das schätzen sie bei uns nicht. Schöne Handschuhe, Schuhe schätzen sie. Und bitte — ja keine zu durchsichtigen Strümpfe." „Tu! Geht die Inspektion noch weiter? Sie wird mich doch nicht auszichcn? Nicht, daß ich das nicht vertragen kann. Es fehlt kein Knopf. Und was die Wäsche an belangt — weiße Wollstrümpse, Kurt, wie wäre das? Selbstgestrickte?" „Tie Muhme strickt", sagte er sachlich. „Gut. Ich lasse noch schnell eine Socke für dich an- fangc» und nehme sie mit." „Tas-tue, braves Kind." Er selbst packte äußerst sorg, sam. Das verstand er pedantisch und war recht lästig dabei, vergaß zuletzt etwas Hauptsächliches. Muthe stöhnte. „Uff. Leichter reist man mach Norderney." Das Gespann, das er zusammengcstellt für den Schlitten, war tadellos, die Livree des Kutschers einfach vornehm. Naindorff befahl ihm: „Sie müssen sich im Kretscham ver pflegen. Da, haben Sie, was Sie dafür ausgeben dürfen. Im Schloß selbst haben Sie gar nichts zu suchen. Zieren Sie sich, wenn Ihnen etwas angeboten wird. Und daß Sie mir die Mädels in Ruhe lassen." „Sie sind alle schon lange über fünfundvierzig", sprach Andreas düster." „Also — Sie haben Ihren Befehl?" „Sehr wohl." Im Schlitten sprach Raindorsf entschuldigend: „Wenn du deine Jungfer mitbrächtest, würde die Muhme dich falsch sehen." „Ich habe ja gar keine richtige..." Warum sitzt du so wortkarg da?" fragte er nach einem langen Schweigen, in das nur das leise Schlittengeklingel und der Rabenschrei von den Feldern hereintönte. Sie schrak aus Gedanken empor. Die beschäftigten sich lastend mit dem letzten Abend, an dem sie beisammen ge sessen "im Schweigen ihres Heims. Da waren die all täglichen Reden abgcklungen, verstummend hatte ihr Mann sie angestarrt, unverwandt. »Was stehst du an mir?" fragte sie schließlich. „Es kommt immer wieder über mich, daß ich es nicht fassen kann, dich bei mir zu haben, du Frühlingsgeschöps. Weißt du, was das für. mich bedeutet? Ich lebe erst durch dich. Bis du kamst, hab' ich mich hingetastet in dürrer Pflicht! Muthe, schenke mir bald einen Sohn, der so ist wie du. Ganz wie du. Es verlangt mich nicht, in ihm etwas von mir zu finden. Erneuere mein Geschlecht." Es klang wie beschwörend. Augen verdunkelten sich, als Würden sie drohend. „In diesem Sinne wird dich auch die alte Frau sehen, die von nichts mehr getragen wird als Won ihrem Standesbewußtsein und ihrer engen Gläubig keit an das Jenseits. Erringst du sie, dann hast du sie für immer, dann habe ich dir auch etwas zu bieten durch sie." Es kam wie eil« Aufschrei. Es rührte sie. Da ließ sie etwas zurückschrecken. Sie gewahrte Tränen in seinem Blick, matt herabgleitende Tränen der Mutlosigkeit. Noch keinen Mann hatte sie weinen sehen. Scheu glitt sie hinaus, um ihm Beschämung zu er sparen; aber er schien sich dieser Tränen gar nicht bewußt, q. In ihr klang es wieder auf: „Du bist berufen." Jetzt, aus der Fahrt, begann er wieder: „Du gehst a: mit ihr zum Gottesdienst morgen. Wenn du dich du dein Benehmen beliebt bei ihr machst, wird dir die Au Zeichnung zuteil, daß sie dich aus den Friedhof führt, > unsere Gruft. Die zeigt sie nicht jedem." „Das sind also die vorgesehenen Ehren und Nun Haltungen", sagte Muthe. „Vielleicht wird aber doch au ein Diner sein, sür ein jung vermähltes Paar — nicht' „Das Essen ist bei ihr etwas besser als in andere Landhäusern. Ihr Mann war ein Feinschmecker und Leb mann. Er Hai viel gebraucht. Sic tat alles, um ihn ku zu halten. In ihrer Art ha« sie viel durchgemach«. Jh Kinder starben. Anwärter, Erbe bin nunmehr ich. Natu lich kann sie auch anders verfügen. Tu wirst verstehe was cs für mich bedeutet, wenn ich zu meinem Nanu wieder Boden bekomme, Erde, Verwurzelung." Seit Hände streckten sich nach ihr aus Gesicht an Gesicht atmet, sie einen Augenblick tief die köstliche Schnceluft ein, d Muthes Wangen rötete, und auch denen des Gatten ein. matten Schein gab. „Geld «st ja gut", sprach er vor sich hin. „Unentbeh lich — leider. Aber Erde — das ist viel mehr. Eige: Erde. Ich bin nicht habgierig." „Nein", rief sie warm. „Und doch, man muß sich cinspinnen können, sich retten vor den Niedrigkeiten der Welt, die auf den mittelloser. Nenschen einsturmen." „Warum denen nicht entgegentreten?" rief die junge Frau frisch. „Kämpfen muß man, gleich zeigen, daß man selber losgehen kann. Das weißt du ja doch. Du bist doch Soldat." „Weiß der Herrgott, in dir ist auch Rasse, Muthe", erklang es staunend. Da blitzten ihn ihre Augen an, verletzt, befremdet. Aber er verstand das gar nicht. „Hast du dir einiges notiert über dein Benehmen? Das alles kann man sich nicht merken." „Ich habe vor, ganz natürlich zu sein, Kurt. — Sage mir, hast du es wirklich so hart gehabt in deiner Jugend?" „Ja. Ich bin ein schwächlicher Bub gewesen. Kein Geld war für mich da. Nichts. Adel ohne Bodenverwachsen- hcit, ohne Bodenrecht — erbärmlich. Als Waise mit elf Jahren steckte man mich in die Militärschule, wo man die Schwächeren verachtet, ihnen mißtraut." „Das ist doch nicht möglich." „Das ist so. Schwäche gilt da als Schuld. In eisiger Nüchternheit bin ich ausgewachsen; die Muhme war unter den paar Verwandten, den letzten, noch die beste. Sie schrieb «nir belehrende Briefe, unangenehme; erzog an mir berum, aber von ihr kam ein Taschengeld, das sie peinlich kontrollierte. Sie ließ meine Sachen flicken. In den Ferien durfte ich nach Gutfchlage. Da war zum ersten Male Heimat, da schlug mein Herz, empfand ich mein altes Blut, auch in ihr. Und ich begann, für sie zu fühlen. Ich las zum ersten Male die Chronik unseres Geschlechts. Es war ein glänzendes gewesen, den regierenden Fürsten wohl vertraut." Seine Stimme zitterte. „Heute sehen sie nur mehr einen armen Offizier als seinen Namens träger. Wie hart so etwas ist, davon kannst du nichts wissen. Du nicht. Deine Leute sind die erfolgreichen, die fest im Lebe» stehen." Sie sagte fest: „Ich begreife dich. Aber jetzt laß das alles. Es kommt ganz anders. Glaube mit mir an die Zukunft. Und jetzt — steh die Schönheit der Welt." Herrlich verschneit, tief winterlich lag die da, auf den Büschen saßen die Rotkehlchen, nahe de« Dorshäusern, ganz zahm vor Hunger. Und dabei munter. Sie warteten zuversichtlich darauf, daß verklammte Fenster voll Eis blumen sich spaltenhaft austun und Futter herausfliegen würde, Dann pickten sie, dankten mit gedämpften Tönen, flatterten, spielten. Dorfjugend schwelgte, wie berauscht, im primitivsten Sport, der meistens aus Hinfallen be stand, Geschrei, Keilerei, Wettrasen. In den Wäldertiefen war das Leben nicht tot. Wild huschte zu den Futter- stellen, Raubvögel waren hörbar, Durchblicke zeigten etwas wie einen Feenpalast, mit den zartesten Neifstickereien, dann wieder schattende, geheimnisvolle Zauber. Und plötz lich einmal den Horizont, blauende Hügel, fernes Sonnen flimmern am Himmel. Selbst Raindorff wurde lebendig. „Im Dienst sieht man das alles nicht so." „Du müßtest viel mehr heraus", sagte Muthe. „Bei uns im Umkreise werden Jagden genug abgchalten. Hast du zu so etwas keine Lust, Kurt?" Es war, als schrecke er in sich zusammen. „Ich habe früher sehr viel gejagt", kam es dann langsam von seinen Lippen, „war auf großen Besitzen eingcladen, aber — cs ist da etwas Sonderbares — wenn ich ausgehe und Kreaturen schießen soll, die mir nichts getan haben, die das Leben freut, da erhebt sich zuerst in mir ein Etel, den tch kaum überwinden kann. Verstehst du?" „O ja. Und wenn du den überwunden hast?" „Dann — wenn der erste Schuß glücklich gefallen ist, oder wenn er versagt hat, kommt etwas über mich, wächst — ist imstande, mich zu überwältigen, eine Wild heit, sage ich dir, tch muß schießen, immerzu schieben. ichonungsios,- rann gar nicht genüg kriegen, ich sehe nur mehr rol; bezwungene stürzende Geschöpfe. Ich vergesse die Vorschriften, es packt mich, treibt mich." Des Mannes Stimme wurde heiser. „Das ist dann kein objektiver Sport mehr, kein edles Welvwerk. Ich jage haßerfüllt, als ginge ich gegen einen Todfeind. Gewiß. So ist es mit mir." Er sprach nicht mehr zu ihr, sprach düster hinaus in den Glanz des Winterlages. „Und da habe ich verschiedent- lich Grenzen überschritten, Geschichten gehabt, wegen Schädigung, Grausamkeit. Die meisten dieser Jagdhcrren offenbarten sich ja wohl als Spießer." „Sie haben dich dann wohl nicht mehr eingeladen?" kam cs Muthe aus die Lippen. „Ich wollte auch selbst nicht mehr. Jagdspielerei macht mir keine Freude. Wenn ich Besitz hätte, würde ich allein ins die Pirsch gehen, mir frei meine Regeln machen aus ieine Weise." „Das geht doch nicht, Kurt. Da gibt cs doch feste .'setze." „O ja, cs geht. Es gibt Herren, die dürfen sich das lauben", antwortete Raindorff. Seine Stimme bekam ien harten, vibrierenden Ton. Dann plötzlich zum ulschbock hinaus: „He, Andreas, ich habe Sie nicht cin- laden, an der Konversation tcilzunchmcn." Muthe zuckle, peinlich berührt, zusammen. „Ja, also, was solche Herren im eigenen Recht betrifft o eigener Willkür — die gibt's. Ta ist ein österreichischer nnz, drüben im Nachbarland, der hat mich wiederhol« ns Hochjagd eingcladen, im ganz großen Stil. Er hatte -ich bei einem Manövergcspräch genehm befunden; kennt -üben auch eine Linie meines Geschlechts. Also — bei M, in« Jagdschloß, da fand ich eine Gesellschaft, ge- hliffen wie edelstes Glas, scharf wie Eisen, Rasse- icnschen. Die wußten, wie man so was betreibt. ',agd — holla. Mit denen habe ich mich verstanden. Von men zugelernt, was sich dunkel immer in mir geregt hat, ms bacchantische Entzücken der Willkür, äußerster Gewalt- Betätigung, ohne Kontrolle. Herrenbetätigung eben. Lieser Prinz selbst hatte Momente des Blutrauschs, denen, r Naum gab, in denen er gar nicht genug niederstrecken konnte. Und zwar — für ihn zusammengetriebene Jagd beute, auf kleinem Naum, mühelos, ohne Risik" " „Unerhört." „Ja. Allerhand. Dazu hatte er sich einen russischen- Großfürsten eingeladcn. Das war ein Niesenkerl, der ein Kind an Güte und Harmlosigkeit sein konnte, und dann plötzlich — Bestie. Miteinander besichtigten sie genußvoll« die Massen ermordeten Wildes." „Da hast du mit getan...?" Er antwortete nicht, starrte in die Schneeweiß „Schneller fahren, Kutscher." Dann wieder in seinen Sitz zurückgelehnt: „Rausch ist etwas Großes. Der Prinz Wirtz' mich wieder einladen." „Und du gehst da nicht hin. Rie mehr!" sagte Muthe: Gebieterisch kam cs heraus. Der Lenker auf dem Kutschhock zuckte zusammen. Auch er war, wie der Diener Franz, einer, der unter Naindorff, Soldat gewesen, von ihm bei seiner Heirat übernommen worden. „Mein armer Kurt, es sind deine Nerve«». Ich weiß ganz gut, was Nerven gehetzter Menschen bedeuten: Auch mein Vater wird ihrer nicht immer Herr. Aber — sich unnötig ungeheuerlichen Dingen aussetzen, das darf man nicht. Bist du mir böse, wenn ich das sage?" „Nein. Nein. Ich brauche jemanden, der mich hemmt; zu meinem Segen." * „Du wirst eS selbst gar nicht mehr wollen.* Er machte eine Bewegung, die ihr unklar blieb, wandte '"m Kopf ab. Es ging über ihn hin wie ein Schauer. „Du frierst wohl?" fragte sie. „Eine verfluchte Kälte." „Ich spüre sie nicht." „Ja, du. Warm und rosig, wo andere blau anlaufen/ „Gesundheit", rief sie munter. „Gottesgeschenk. Auch übertragbar. Man muß nur wollen." „Gutschlage!" meldete der Rollelenker. Raindarfö "'mete auf. Als sie an den verwitterten Mauern des großen Herrenhauses hinfuhren, in elegantem Trqp, den der Offizier dem Kutscher beigebracht, fand Kurt unglaublich schnell seine Haltung wieder. Es ging durch eine schöne Allee zu einer breiten Pforte. Da standen wartende Dienstmädchen, au ihrer Spitze, trotz der Winterkält« t« Hauskleid, über das nur ein leichtes Tuch feinster Handarbeit geworfen war, eine Dame, alr, schlank, aufrecht. Die schwarzen Falte» steten, zeitlos ge schürzt, in weiche«, Linien an ihr herab, schleppten ein wenig. Auf ihrem streng gescheitelten weißen Haar saß ein Häubchen aus echten Spitzen. Sehr kühle Hände von edler Form, mit schmalen Gelenken, an den Spitzen etwas verarbeitet, trugen Ringe eines verblaßten GoldeS, klein- rcifig, mit originell gesüßten, aber erblindenden Brillanten. Ganz unwillkürlich beugte sich die junge Frau, die ein evangelischer Segensspruch empfing, über diese auS- gestreckten Hände. Tann streifte ihre Wange ein Kuß, den sie nicht kannte, und dessen Sinn sie nicht verstand. Er huschte nur vorbei wie ein fremder Lufthauch. Naindorsf wurde natürlicher begrüßt, mit dem Schimmer eines Lächelns. Es stand ihm ausgezeichnet, wie herzlich-ehrfurchtsvoll er sich benahm Dann hing die Muhme an seinem Arm, bei der Wanderung durch ein eisiges großes Treppenhaus, empor über kostbare, aber ganz abgenutzte Teppiche. Man sah schön geschnitztes Ge länder, mühselig angefertigte Stammbäume au den Wänden, di,e etwas feucht wirkten Truhen, Schränke, reich geschnitzt und beschlagen, Bilder ohne Kunstwert. lKnrttcümm kntnt