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Beilage zur Weiheritz-Zeikmg Nr.140 Sonnabend, den 19. Zum 1937 103. Jahrgang Ass «kss Tragisches Schicksal im Schatten einer Kaiserkrone Erzählt von Edmund Th. Kauer „Wenn dieses Kind eine Muller hätte" Angst vor Aapoleon / Der vierjährige unter Polizeiaufsicht (4. Fortsetzung.) „Die wollen eure Ehe ungültig erklären. Bitte — eure Ehe ... wo ihr doch das Kind habt! Eine Schande, so etwas!" Die Greisin beugt sich vor: „Ich weiß sogar noch mehr. Sie sind schon auf der Suche nach einem andern Mann für dich. Man spricht . . . von Potsdam. Unvor stellbar! Eine solche Idee konnte nur in dem vertrackten Gehirn dieses Metternich entstehen. Er will durch dich . .. den Preußenhof an Wien fesseln . . ." Marie Louise versteht von allem dem nichts. Sie ist einmal verhandelt worden, sic hat verlernt, sich zu wun dern. Liebe . . . das war einmal ein Jungmädchcntraum. „Aber ich kann doch nicht zum Kaiser zurück. . ." „Kaiser! Kaiser!" Marie Karoline schneidet ein Ge sicht, als ob sie auf eine ranzige Olive gebissen hätte. „Trotzdem — für dich ist das egal, er ist dein Mann!" „Also du würdest — —" Marie Louise ist in den nächsten Wochen nicht mehr nach Hctzcndorf gegangen. Sie hat aufgeatmct, als sic Ende Juni endlich doch noch die Erlaubnis ertrotzt hatte, die Badereise nach Aix anzutreten. L'Znconstant - Unbeständig Nun ist der Prinz mit Tame nm allem. saft bester so. Träumt er vou seinem Pater? Es ist Juli. Weit, weit von Wien auf einer kleinen Felseninsel im Mittelmeer steht der Mann, dessen Name unaussprechlich geworden ist, und starrt zur fernen Küste hinüber. Sein^ Getreuen bekommen selten ein Wort von ihm zn hören. Aber sie sehen ihn oft vor Marie Louises und des Kindes Bild stehen. Einmal sind ihm dabei Tränen über die Wangen gelaufen. Und als er sich umwandte, hat er heiser gesagt: „Man nimmt mir, wie man es im barbarischen Alter tum mit den Besiegten tat, mein Kind weg, um es vor dem Triumphwagen der Sieger hergchen zu lasten . . .!" Er weiß, daß Marie Louise in Aix ist. Darin erkennt er ihren Willen, zu ihm zu kommen. Er wird plötzlich fröhlich, er glaubt wieder an das Leben. Die Bosheit, mit der man ihn behandelt, läßt ihn kalt. Die Intrigen durch schaut er. Eines Tages taucht die Gräfin Waleska, die seine Ge liebte war und ihm einen Sohn geboren hat, in Elba auf. Die Diplomaten des „tanzenden Kongresses" sind erfinde risch in solchen Staatsaktionen. Sie haben die Waleska eigens nach Elba reisen lassen, um — Marie Louise zu melden, daß Napoleon seine Geliebte bei sich hat. Der zuckt nur die Achseln. Schicki die Waleska heim. Seine Briefe an Marie Louise sind zärtlich, ein geheimes, zitterndes Flehen ist in ihnen. Vielleicht hat man, als Gegenstück zu dem Streich mit der Waleska, ihm zutragen lassen, daß Marie Louise einen sehr hübschen, sehr gewand ten, selbstsicheren Mann als Reisebegleiter zugeteilt be kommen hat? Der gemeine Klatsch eilt der traurigen Wahrheit vor aus. Marie Louise . . . findet an diesem Reisebegleiter, dem flotten Grafen Adam von Neipperg, Gefallen. Sie hat jemand gefunden, der sie versteht, sich wirklich um sie kümmert. Langsam wandelt sich die Sympathie in mehr... Ungeduldig geworden, schickt Napoleon einen Vertrau- len nach Aix. Er soll Marie Louife bestimmen, einfach auszureißen, nach Genua zu kommen. Oh, sie wird nicht im Sturm auf einem Fischerkahn übers Meer fahren müs sen — ein Schiff, dessen Kapitän ein Getreuer ist, wartet im Hafen. ! Napoleon wartet, wartet, wartet. Er, der ewig rastlos war, nie warten hat können, lernt Stunden zählen, Tage ...Wochen. - Er wird düster, sein Blick ist ost wie erloschen, oft glüht er in jähem Zorn auf. Das sind die Stunden, in denen die Flucht aus Elba in ihm Gestalt annimmt. Er sieht sich in Frankreich landen, die Getreuen streben ihm zu — es ist ein Triumphzug — wie ein Kartenhaus fällt das Bourbonenregime zusammen. Wieder reitet der Kai ser sein weißes Pferd, wieder tragen seine Getreuen die napoleonischen Adler durch Europa — oh, er wird sie alle, alle seine Feinde, zerschmettern! Er wird sich die Frau wiederholen, die man ihm gestohlen hat, das Kind, seinen Sohn, seinen kleinen König von Rom — Der Bote ist aus Aix zurück. Napoleon fragt ihn nicht. Das Schweigen lastet schwer auf allen. Zwei Tage nach der Rückkehr des, Vertrauten fragt er, wie von ungefähr: „Wie hieß eigentlich diese Brigg, die wir nach Genua sandten?" „L'Jnconstant, Sire." L'Jnconstant ... Unbeständig. Wortlos wendet sich Napoleon ab. -Armer, kleiner Prinze Im September kehrt Maric Louise nach Schönbrunn zurück. Aus jenen Tagen stammt ein Brief, den die Gräfin Montesquieu nach Hause schreibt. Ihre Familie drängt die „Gouvernante", heimznkehren, aber die Kin bringt es nicht übers Herz. „Wenn dieses Kind — eine Mutter hätte, würde ich es in ihre Hände geben und ohne Kummer abreisen . . ." Diese Fran sieht die Gefahr, die sich, enger nnd enger, um ihren Schützling zusammenzieht. Sie sieht, wie die Diener allmählich gegen andere ausgetauscht werden, und mit. klarem Blick erkennt sie in diesen neuen Gesichtern, die ringsum austauchen, die Fratzen elender Spitzel. Da nimmt sie den Kampf um die Seele des Kindes auf. Schweigend, zäh — ach, diese Hofdame, der die Etikette so viel gilt, wächst über sie hinaus; sie wagt cs jetzt, Maric Louise zu übersehen, ihr kaum noch auf Fragen zu ant worten. Sie wird nicht zulassen, daß die Staatsräson deck Mord an diesem Kinde begeht, es die „Verbrechen des Vaters sühnen" läßt! Nicht, solange sie hier ist!" Und der Knabe vergilt ihr diese opferwillige Liebe mit einer Anhänglichkeit, einer Zärtlichkeit, die Tante Kius altes, müdes Herz warm und jung schlagen läßt . .. Sie meint nicht den kleinen Kaiser» Tante Kin. Sie meint ein zartes kleines Bubengesicht, dem seidige Locken in die Stirn fallen. Etwas in ihr wird stahlhart »nd gibt doch einen reinen Glockenklang, wenn der Bub dann un mutig sagt: „Die Bäume hier sind nicht so schön wie bei uns . . ." Eines Abends wacht die Kiu auf — sie hat einen sehr leichten Schlaf, und sie träumt so oft, daß man ihr den Kleinen stehlen, rauben will. Sie lauscht. Irgendwer Has da draußen gesprochen. Sie steht auf, tastet sich, ohne Licht zu machen, an die Tür heran. Nichts. Jetzt schiebt sie die Vorhänge ein wenig zur Seite. Unten ... der Schloßhof im Mondlicht. Am Hori zont, weiß schimmernd, die „Gloriette" mit ihren hochge spannten Bogenfenstern. Eine seltsame, unheimliche Span nung ist in allen Dingen. Irgend etwas Furchtbares, Un geheures ist geschehen. Aus dem Nebenzimmer . . . Flüstern, ein Kinder- stimmchen. Der kleine Prinz, nervös, überreizt, spricht so laut im Traum. Daran ist Madame de Montesquieu gewöhnt. Das Schloß liegt ganz still. Wer irgend etwas gilt, ist nach Wien in die Hofburg gefahren, der Kongreß, zwei Kaiser, ein Dutzend Könige, Fürsten und Diplomaten nach Hunderten, sie alle feiern; es ist eines dieser Feste, die ein ander drängen, Tag um Tag, seit Monaten, da will keiner fehlen, keiner will-diese köstlichen Stunden, jeder will bei einer Quadrille noch einen Fetzen Land und ein paar tausend Untertanen für sich herausschinden. Die Pendeluhr, nebenan, schlägt langsam — elf Schläge sind es, ihr metallischer Klang verzittert in der Stille. Die Kiu will zu ihrem Bett zurückgehen, da eilen draußen Schritte auf dem Korridor, eine Tür geht, dann sagt eine Stmme, leise, erschrocken, fieberhaft: „Napoleon ist in Frankreich gelandet." Sie weiß sofort, daß das wahr ist, wahr sein muß. Sie zittert, aber sie zweifelt keinen Moment. Ganz sachte öffnet sie die Tür zu dem Kinderzimmer, schleicht näher heran. Dann steht sie über das Nettchen gebeugt und murmelt: „Armer, kleiner Prinz . . ." -ü Sie fahren entsetzt auseinander ... all die Gorv- bctreßten, die sich am 28. Februar noch so sicher fühlten, die noch so ungestört ihr Diplomatengeschäft betrieben, während das verhängnisvolle Schiff, den Kaiser an Bord, bereits in den Golf von Juan einfuhr. Mit einem jähen Mißton ist die Musik dieses tanzen den Kongresses abgebrochen: Nun stehen sie, noch in der Pose eines Tanzes — wie erstarrt — Totenstille. Hören sie schon fern, anschwellend, die Trommeln? Sie haben aushandeln, verschachern und verramschen wollen, was die Schwerter im Heldenkampf geholt: Die Freiheit. Jetzt rollt die Feder unter den Tisch, jetzt hat wieder das Schwert das Wort. Vielleicht hüt die Nachricht bon der Landung Napo leons in Frankreich niemand persönlich so tief erschreckt wie Marie Louise. Ihr mußten die Trompetenstgnale der Truppen, die durch die Straßen von Wien zogen, wie die Fanfaren des Gerichtes klingen. Sie hatte sich aus den Problemdn, die ihr kleines Herz nicht besser zu lösen ver mochte als ihr unfertiger Verstand, aus dem stürmischen Meer der gewaltigen Ereignisse auf ein Inselchen gerettet — sie liebt den netten, ritterlichen Neipperg, der so lustig zu erzählen, so hübsch auf dem Klavier zu spielen versteht. Sie macht kein Hehl aus dieser Liebschaft, täglich reitet sie mit Neipperg aus, fast immer ist sie in seiner Gesellschaft; es hat bereits festgestandcn, daß er sie nach Parma beglei ten würde, sobald der- Kongreß ihr die drei Herzogtümer auch noch formell zugesprochen hätte. Zch häde ihn sehr lieb! Und nun Wenn Napoleon siegt — ?! Wenn er sie und das Kind zurückfordert? Wohin wird sie vor ihm fliehen? Wer wird sich dem Sieger widersetzen und ihr Asyl gewähren?! Knapp zehn Tage später gelangt, um Marie Louise vollends in Verzweiflung zu treiben, eine geheime Bot schaft Napoleons zu ihr. Aus Grenoble hat der Kaiser sie gesandt, in einer Nußschale haben seine Getreuen sie durch Dutzende von Paßkontrollen und Leibesvisitationen hin- durchgeschmuggelt. Dieser Brief ist flehentliche Bitte und Befehl zugleich. Napoleon ruft seine Frau »nd seinen Sohn zu sich. Wieder zehn Tage später, am 20. März, trifft ein an- >crer Bote.in Schönbrunn eiu: der Oberst Anatole de Montesquieu, Kius Sohn. Gleichzeitig überbringt ein dritter Mittelsmann; Möneval, Briefe dost Napoleons Brüder Joseph. Frankreich siet, nein, Frankreich flog Na poleon zm Keine Hand hatte sich gerührt, um den Bour bonen zu verteidigen. Alle diese Briese . . . legt Marie Louise selbst auf den Schreibtisch des Vaters. Sie ist eine sehr fügsame Tochter: Marie Louise ... Inzwischen hat sich der kleine Prinz in Schönbrunn einigermaßen eingelebt. Am liebsten hat er es, wenn Aufnahme: Historischer Bilderdienst — M Tage des Glücks. Napoleon mit seinem Sohne, dem König von Rom, kurz vor seinem Sturz. Tante Kiu ihn in die Menagerie fährt. Bleibt man zn , Hause, zum Beispiel an Regentagen, so kann er stunden lang vor seinen Spielsachen sitzen, ohne eigentlich zu spie len. Er neigt zur Grübelei. Tante Kiu Hai zuweilen den Besuch des französischen Gesandten, des Herrn de Möne- val. Es geschieht, daß die gute Frau mitten im GeplOstder aufblickt und dann warnend einen Finger auf die Lippeir legt. Der Knabe, jetzt vierjährig, schnappt Dinge auf„ ahnt Zusammenhänge, die sein Verstand unmöglich zu ver arbeiten vermag. Ein italienischer Abbate kommt dreimal wöchentlich und unterrichtet den kleinen Prinzen von Parma in der Sprache seines zukünftigen Herzogtums. Schon weiß der Kleine, ganz nett italienisch zu plaudern. Nur das Deutsche wird in Schönbrunn vernachlässigt. Man kommt gar nichd auf den Gedanken, einen Deutschlehrer zu bestellen. Der Prinz lernt ein paar Brocken von — seinem Kammer diener. Das genügt. Man spricht in Schönbrunn deutsch ja doch nur mit dem Kammerdiener ... Wer hat dem Prinzen gesagt, daß sein Vater nach Frankreich zurückgekehrt ist? Bei Hof beschuldigt man die Gräfin Montesquieu, aber sie streitet es auf das ent schiedenste ab. Ihr liege es fern, sagte sie, dem Kinde sein Leben „noch schwerer" zu machen. Das ist eine harte Kri tik, eine sehr wehrhafte Antwort. Eines Tages kommt Möneval — der Prinz nennt ihn zutraulich Mewa — zu Tante Kiu, er ist blaß und sehr ernst. Der Krieg ist eröffnet, und wenn irgend jemand geglaubt Hai, daß Kaiser Franz seinem Schwiegersohn Helsen würde, so hat er sehr gerirrt. Ueberall in Europa Hai man gemunkelt, daß Napoleon sich schon von Elba auS das Einverständnis des Wiener Hofes gesichert hat. Ein Irrtum. Gerade der Wiener Hof ist es, von dem am 13. März, genau zwei Wochen nach Napoleons Landung! in Frankreich, die berühmte Achterklärung gegen den ver brecherischen Unruhestifter ausgeht. Nun ist M^nebal gekommen, um Abschied zu nehmen. Man hat ihm seine Pässe zugestellt. Sonst ist der kleine Prinz ihm immer fröhlich entgegengesprungen heute hält er sich Zurück, meidet sogar Mönevals Blick. Ent täuscht tritt oer Gesandte zu ihm. „Ich reise nach Paris ... ich werde Papa sehen. Soll ich ihm nicht etwas von dir bestellen?" Die großen blauen Augen des Kindes sind traurig, aber kein Wort kommt über seine Lippen. Im Hinaus gehen fühlt Möneval, wie jemand an seinem Rockschoss zupft — er wendet sich um, der Kleine stellt sich auf die Zehenspitzen, leise, mit vom Schluchzen gewürgter Stimme, flüstert er: „Sag ihm, Mewa, daß ich ihn sehr lieb habe.." Der Gesandte nickt, Dann geht er rasch hinaus. Drau ßen auf dem Korridor wundern sich die Soldaten der un garischen Leibgarde, daß dem vornehmen Herrn, der an ihnen vorbcieilt, die Tr»n->n Uber die Wangen herab laufen. Der Vierjährige als Geisel In diesen Tagen beginnt die Lcidenszeit des kleinen Prinzen. Man ist in Wien sehr besorgt. „Ist dieses Unterpfand", schreibt Graf Chotek an den Präsidenten der Polizeibehörde, den Freiherrn von Hager, „nicht in jeder Hinsicht äußerst wichtig, um es mit doppelter Sorgfalt zu bewachen und um all diese Franzosen, die Schönbrunn (nnlagcrn.mzd über deren Ge- sinnnug man keine verläßliche Bürgschaft haben kann, ans seiner Nähe zu entfernen?" Hier ist es zum erstenmal klar ausgesprochen. Dieser Vierjährige ist Geisel — ist ein „Unterpfand". Man muss cs fest in Händen hallen, um den Pater kirre zn machen. Schon malt die Phantasie ein Schreckgespenst an die Wand: Diese Franzosen in Schönbrnnn könnten den Kaiserssohn entführen! (Fortsetzung folgt.)