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Beilage zur Weitzeritz-Jettung Nr. 146 Sonnabend, den 26. Juni 1937 103. Iahrgang Ass «kss /fs^SSF» Tragisches Schicksal im Schatten einer Kaiserkrone Erzählt von Edmund Th. Kauer Man muß aus den duben «Massen Napoleon« Sohn wird zu einem Mischen erzöge * ,5. Fortsetzung.) Auch Metternich stimmt ein. „Meines Erachtens", schreibt er in einem Bericht an den Kaiser, „gebietet die Vorsicht, Maßregeln zu ergreifen, »die die Entführung des Prinzen sozusagen unmöglich machen." Und Hager läßt sich das nicht zweimal sagen. Er weiß, daß ein — ein peinlicher Zwischenfsall in Schön brunn ihn seine Stellung tosten würde. Mit der ganzen verzweifelten Energie eines Beamten, der zwischen ehren der Beförderung und dem blauen Brief zu wählen hat, geht er zu Werk. Nm 16. März, am Tage nach Mencvals Abreise, wer den in Schönbrunn die Wachen verdoppelt. Die Zofe Soufflot wird zu anderem Dienst befohlen. An Stelle Unterschills, des Kammerdieners, von dem der Prinz bis her bedient wurde und der ihn sein bißchen Deutsch lehrte, taucht ein anderer Lakai auf. Warum? Verdächtigt man Untcrschill, mit den fran zösischen Entführern unter einer Decke zu stecken? Nein. Aber die Kiu braucht nur dem neuen Lakaien in sein steinern unbewegliches Gesicht zu schauen, und sic weiß alles. Das ist einer von Hagers Leuten. Abends, als sic ihren Schützling zu Bett bringt, be merkt sie zufällig, daß an den Schlössern der beiden Türen die Mcssingdeckcl über dem Schlüsselloch hochgcklappt sind. Sie zittert vor Erregung, sie ist empört, aber sie schweigt. Am nächsten Morgen ist der Kakao für den Prinzen ungebrannt. Warum? Der Arzt hat befohlen, daß im Interesse des Kindes ein neuer Koch eingestellt wird. Die Kin stellt den Arzt zur Ncdc, der wird verlegen, stammelt etwas von Diät und Blutarmut. Diesmal kann die Kiu sich nicht mehr beherrschen: „Also sogar der Koch ist ein Polizeispitzel?)" Der Doktor weiß nicht, wo er Hinschauen soll. Da die Kiu offenbar keine Antwort erwartet und nichts weiter fragt, zieht er sich zurück. Der besondere Verdacht Hagers richtet sich gegen Kius Sohn, den Obersten Anatole de Montesquieu. Daß der iungc Graf elegant ist und sich, weltmännisch und gescheit, fofort in den besten Wiener Salons Zutritt verschafft hat, kann die Agenten, die ihn seit Tagen „beschatten", nicht für ibn entnehmen. Am Morgen des 18. März hält eine Equipage in der Nähe des am Fasancngartcu gelegenen Ausganges des Parks von Schönbrunn. Es ist früh, in der Dämmerung !ann man nur erkennen, daß er eine Art Neisewagcn mit rcrabgclassenen Vorhängen ist. Der Wagen wartet, wartet. Der Kutscher am Bock ist eingenickt. Nach der Ansicht der Leute, die wie Schatten zwischen den Bäumen herum- gleitcn, stellt er sich wohl nur so, als ob er schliefe. Jetzt taucht, vermummt bis zur Unkenntlichkeit, eine Frauensperson auf. Sie schleicht an der Mauer entlang. Ihr Nock ist zur Krinoline gebauscht. Ihre Gangart ver rät alles. Die Männer hinter den Bäumen wissen sofort, daß diese bauschige Krinoline ein Versteck ist für den klei nen Prinzen .. . Keine hundert Schritte weiter wird der Wagen an- gchaltcn. Die Fran jammert und schreit. Es gibt Skandal, Leute laufen herbei. Derbe Worte gegen die Polizisten fallen — dann löst sich alles in ein unbändiges Lachen anß Ganz Wien weiß die Geschichte am selben Tag. Und einer der jungen Erzherzöge bekommt vom Kaiser, der in sol chen Dingen keinen Spaß versteht, eine ordentliche Moral pauke . . . Am selben Abend aber hält ein anderer Wagen vor der Schloßauffahrt. Der Prinz soll noch zu später Stunde — cs ist halb acht, eben wollte die Kiu ihn zu Bett brin gen — nach Wien in die Hofburg. Der kaiserliche Groß papa will den Buben sehen. Es ist — nicht notwendig, daß die Fran Gräfin „sich derangiert", sie braucht ihren Schützling nicht zu begleiten. Sic steht am Fenster und blickt in den Hof hinab, als der Wagen hinausrollt. Sie zittert. Sic ist fassungslos. Jetzt hat man ihr das Kind genommen. Genommen? Nein — gestohlen! Tante Kiu sitzt neben dem leeren Bett des Prinzen und weint. Lautlos, ohne zu schluchzen, ganz still ... Linfam und allein Am nächsten Morgen präsentiert sich der Hofmarschall Freiherr von Wessenbcrg in Schönbrunn. Als er in den Salon der Gräfin Montesquieu geführt wird, ist ihm alles andere als wohl zumute. Er hat den Auftrag, der Gouvernante so schonend wie möglich bcizubringcn, daß ihr kleiner Schützling von nun an in der Hofburg wohnen wird und daß sie selbst nun nicht mehr dem Hofstaat Ihrer Kaiserlichen Hoheit der Frau Herzogin von Parma, Piacenza nnd Gnastalla an- gehört. Um Peinlichkeiten zu vermeiden, wird es besser fein, wenn die Grüfin Montesquieu sich nicht erst („zumal die Frau Herzogin unpäßlich Ist") verabschiedet. Es wird dafür gesorgt werden, daß sic bald freies Geleit nach Hause — ins Feindesland — erhält. Alles das soll er sagen, aber es fällt ihm nicht leicht. Der salongcwandte Hofmarschall hat es noch selten so schwer gehabt, die französischen Worte, die ihm sonst nur so von den Lippen sprudeln, zu finden. Aber die Kiu macht es ihm leicht. Sie hat die ganze große Ucberlegcn- hcit voraus, die das Leid dem Duldenden über den Gleich gültigen verleiht. Der Marschall braucht von ihr keine peinliche Szene zu befürchten. Er schreibt hernach, in der Sprache ocs Feindes, die er sofort nach dieser Unter redung wiedergefunden hat, in sein Tagebuch: „Ich entledigte mich meines Auftrages mit aller tun lichen Schonung, wofür mir die Frau Gräfin auch Dank zu wissen schien." Nach dem Kleinen hat sie nicht gefragt. Das war unnötig. Der verlassene Prinz, der nnn seine Kiu nie mehr Wiedersehen soll, weint zwei Tage lang, er ist un tröstlich, er weigert sich sogar zu essen und sträubt sich, als ihn ein Fremder, ein Hofmeister, den man ihm zugeteilt hat, zu Bett bringen soll. Nun ist die Kiu fort; ihr folgen die Kammerfrau Soufflot und die Kinderfrau Marchand. Längst weiß der Fünfjährige ganz vernünftig zu plaudern, oft setzt er Leute durch originelle, merkwürdige Einfälle und Rede wendungen in Erstaunen. An die Stelle der Französinnen sind Männer, Oester- reicher, getreten. An die Stelle liebevoller Pflegerinnen — Erzieher. Da ist der fünfzigjährige Graf Moritz Diel- richstein-Leslie, ein vornehmer, reicher Feudalherr, der sich vor vielen Jahren, als Major, von allen Geschäften zurück gezogen hat und gepflegter Geselligkeit lebt. In seinem Hause konzertieren die besten Musiker, die Wien aufzuwcisen hat. Er ist ein vorzüglicher Lateiner, dieser Graf Dietrich stein, sein Französisch ist so vollendet wie sein Italienisch. Einem jungen Prinzen von zwanzig Jahren könnte er ein sehr geistvoller Mentor sein. Den Weg zum Herzen des Fünfjährigen wird er nie finden. Dann ist da der „zweite Gouverneur" des Prinzen, Herr von Foresti, ein nüchter ner Mann mit einem kühlen, aber gewiß nicht bösen Herzen und mit den abgezirkelten Mayieren eines Zeremonien- meistcrs. Und endlich, als drit ter, der Historiker Matthias von Collin. Diesen drei Männern, de nen gewiß nicht die innere Berufung gegeben ist, ein Kind zu quälen, fällt die grausame Aufgabe zu, dem fünfjährigen Sohn Napoleons die Erinne rung an seinen Vater „mit der Wurzel" aus dem Herzen zu reißen, das französische Kind mit Leib und Seele in die österreichische Uniform zu pressen, die Kaiser Franz seinem Enkel als Geschenk hat überbringen lassen. Mit ihnen ist der Prinz, seit Maric Louise im März 1816 tränenlos von ihm und von Wien Abschied genom men hat und mit Neipperg nach Parma gereist ist, allein. Seine Majestät hat es angeordnet Fast täglich erstatten die Erzieher dem grencn Kaiser Franz über seinen Enkel, über die Anwendung des von ihm persönlich entworfenen Erzichungssvstcms Bericht. Nach Parma sendet Dietrichstein gelegentlich Briefe, und sie klingen manchmal so, als ob er, unausgesprochen, nur leise angedeutet, die Mutter um Hilfe für seinen kleinen Zögling bäte. Aber diese Mutter vermag nicht, zwischen den Zeilen zu lesen, oder sie ivill es nicht. In einem Brief an eine Freundin schreibt sic über das Kind: „Ich will aus ihm ganz und gar einen öster reichischen Prinzen machen. Sein Talent und seine Rit terlichkeit müssen ihm einen Namen machen: denn der, den er von Geburt an trägt, ist leider nicht schön." Manchmal fragt der Bub nach der Mama, will wis sen, wann sic wiederkommcn wird Er hängt an U"- weiß noch nicht, daß sie ihn verlassen und verraten hat, so wie sie seinen Vater verließ und verriet. Bon dem Kammerdiener in Schönbrunn, nicht von der habsburgischen Mutter, hat der Prinz die ersten deut schen Worte gelernt. Er hat sie gutlannig nachgcplappcrl, so gut sic sich in seinen vom Französischen geformten Mund legen wollten. Jetzt, in Schönbrunn, ergeht stren ger Befehl: Der Prinz darf kein französisches Wort mehr hören. Aber er seht sich zur Wehr. Graf Dietrichstein sperrt die Zinnsoldaten fovt. Der kleine Napoleon schluckt tapfer die Tränen herunter, trotzt — und antwortet fran zösisch. Graf Dietrichstein verhängt Zimmerarrcst über den Prinzen. Der bleibt hartnäckig. Nnn ist Dietrichstein ratlos und holt sich neue An weisungen vom Kaiser. Er ist sehr blaß nnd niedergeschla gen, als er von der Audienz znrückkommt. Als er den Prinzen sieht, blickt, er scheu nnd verlegen zur Seite. Im Nebenzimmer flüstert er mit Herrn von Foresti. „Seine Majestät hat cs ungeordnet." Etwas später geht Foresti in das Zimmer des Klei nen. „Wir nehmen jetzt ein Stück ans dem „Lesebuch der Naturkunde" durch. Es erzählt von der Sonne, vom Mond nnd den Sternen." Der Bub, unnachgiebig, antwortet französisch. Graf Dietrichstein eilt auf den Korridor hinaus, er hebt die Hände an den Kopf, er hält sich die Ohren zu, als er die Treppe hinabläuft; aber cs hilft nichts, er hört die schrillen Schreie — das Prasseln der Peitschenhiebe! So soll dieses Kind, das von der Mutter her deutschen Blutes ist, die Liebe zu seiner zweiten Heimat, „seinem anderen Volk" lernen. Der Kaiser hat angeordnet, daß der Prinz einen Spiel- und Lernkameraden bekommen soll. Der pädago gische Gedanke ist gut, die Ausführung aber leidet dar unter, daß der kleine Sohn des Kammerdieners dem Prinzen doch — zu sehr überlegen ist. Mit dem ganzen Eifer des gesunden Ki-.ldes wirft er sich auf die Arbeit. Er fragt nicht zuviel, er nimmt, was ihm gesagt wird, willig auf. Nic muß ihn Graf Dietrichstein oder Herr von Foresti oder Professor von Collin zur Sache rufen — er ist immer bei der Sache. Der Prinz hat sich nun unter die harte Zucht gebeugt; er spricht jetzt deutsch, er lernt lesen, schreiben, er sagt auswendig die Lchrfprüchc her, die Herr von Foresti ihm aufgcgcben hat. Die Peitsche, die Kaiser Franz für ihn befohlen, hat ihre Wirkung getan. Der Bub traut nie mandem, er verschließt sich in sich, er beginnt zu lügen. Man ertappt ihn dabei und tadelt ihn streng. Er preßt die Lippen zusammen, duldei die Demütigung und schweigt. Herr von Foresti aber wundert sich darüber, daß sein Zögling „ohne erkennbaren Anlaß lügt, aus reiner Lust am Lügen". Er ist, obwohl er auf strengen Befehl des Kaisers nie, auch nachts nicht, allein gelassen wird (Foresti schläft in seinem Zimmer!), einsam. Der Prinz hat ge lernt, die Menschen zu fürchten. Aus Lügen will er sich einen Schutzwall aufbaucn, damit die Feinde ringsum seine geheime, geträumte Wahrheit nicht ahnen. Lange ist es nnn her, zwei Jahre bereits. Mit grober Fanst hat man das Kindcrschloß des kleinen Königs von Nom zerschlagen: aber ans den Bausteinen, die noch wirr hcrumliegen, baut sich der Knabe ein Traumschloß auß Jedes Wort der Kin bewahrt er in seinem Herzen wie eine Reliquie, jede flüchtige Bemerkung erwächst nun, da er znip Grübler geworden ist, zu phantastischer Bedeutung. Wo ist mein Vater? Eines Tages, als der Bub bei seinem Großvater ist, faßt er sich ein Herz. Dieser seltsame, gedankenarme, mür rische, herrschsüchtigc und doch innerlich schwache Mensch, den seine Untertanen pflichtschuldigst den „guten Kaiser Franz" nennen, läßt den Jungen manchmal holen — ja, er hat sogar, wenn man von einem Großvater sprechen darf, eine gewisse Schwäche für ihn oder, richtiger gesagt, „ein Faible" Vielleicht tm es dem Kaiser leid, daß der entzückend hübschd blonde Bub gerade der Sohn Napo leons sein muß. nnd daß, allen Gcsandtschaftsbcrichten zufolge, in Frankreich Hnnderttanscnde von Menschen, init" den engherzigen Bourbonen nnznfricdcn, von dem kleinen „Napoleon >1." schwärmen. Schade. Man muß Hali aus den Buben aufpassen, sonst wird er, hast du's nicku gesehen, gestohlen und verschleppt, nnd das nächste Waterloo könnte ja auch anders anssallen. Wer weiß, ob die enttäuschten Völker diesmal so streitbar wären wie in den Freiheitskriegen? Nnn, eines Tages, im harmlosen Gespräch, fragt der Kleine plötzlich: „Großvater, wo ist mein Vater?" Der Kaiser kann schließlich nicht behaupten, daß er das nicht sagen „darf". „Eing'spcrrt," sagt der Kaiser unwirsch. Er verfällt gern in die Wiener Klcinbürgcrsprechweisc, die seinem Wesen besser entspricht als das vornehme Hof Wienerisch mit seinen dunklen, gedehnten Vokalen. „Warum cingespcrrt, Großvater?" Fortsetzung folgO Aufnahme: Roth (Mauritius) — M. Der Herzog von Reichstädt, einst König von Nom, als österreichischer Offizier auf dem Exerzierplatz in Wien.