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LE * vo^i l-iEkLkLiWkox Ratata — ratata — 1a — la ... Die kleine Schreib maschine klappert. Ein Buchstabe haut sich neben den an deren hin. „Ich habe das Gefühl", schreibt die kleine Schreib maschine, „daß gerade Sie die Frau sind, die ich suche. Das ist merkwürdig, und ich kann es nicht erklären, dieses Gefühl, Ihnen nicht und mir nicht . . ." Der Mann der hinter der Schreibmaschine sitzt, blickt auf den Spiegel, der schräg vor ihm an der Wand hängt. Er sieht sich ein wenig von unten. Was bist du für ein komischer Kauz, denkt er und schneidet sich eine Grimasse, schreibst da auf irgendeine Zeitungsanzeige, in der ein Mädel einen Gefährten sucht . . . bildest dir ein, auf die sem Weg das Glück zu finden . . . glaubst sogar, diese und keine andere müßte es sein . . . Hinrich Garven nimmt die Zeitung, die an all dem schuld ist, zur Hand und liest zum siebenunddreißigsten Male in der Spalte „Heiratsanzeigen" dies: Pfingstwunsch. Ich bin 2t Jahre alt und richtig blonv. Meine Bekannten sagen, ich sei hübsch Ich bin gebildet, aber nicht eingebildet. Ich habe nicht viel Geld, aber viel guten Willen, eine tüchtige Hausfrau und ein quter Kamerad zu sein. Ich suche den Mann, der zu mir paßt. Zuschristen unter — Pfingstwunsch 202 —. Die Frühlingssonne fällt auf das Blatt, auf dem die Buchstaben tiefgegliedert Parade stehen. Und in den Hellen Streifen liest man etwas von Alleinsein und Sehnsucht, von Enttäuschung und Hoffnung, und auch von einem „letzten Versuch" ist da die Rede. Aber dann zuckt der Sonnenstrahl ein wenig — es ist nur, weil der Fenster vorhang sich im Winde bläht, — und scheint dem Mann direkt auf die Nasenspitze. Und jetzt sieht er wirklich wie ein komischer Kauz aus. Hinrich Garven ist seit Tagen nicht zu gebrauchen. Wenn er es sich recht überlegt: es ist, seitdem er diesen närrischen Brief geschrieben hat: Pfingstwunsch 202 . . . er war wohl nicht ganz gescheit, als er den losließ . . . bißchen verrückt, wie? Und heute fängt der Tag überhaupt gut an! Draußen regnet's in Strömen, das Zimmer ist kalt, der Morgen kaffee siedend heiß, und der Postbote läßt auf sich warten. Ein Saustall sozusagen! Das ganze Junggesellenleben! Es hängt ihm zum Halse heraus. Er kann sich selber nicht mehr leiden. Und gerade holt er tief Luft, um sich mal recht kräftig auszufluchen, da klingelt es zweimal. Der Postbote, schießt es Hinrich Garven durch den Kopf, und schon schießt er selber zur Tür, umrundet die stattliche Wirtin, reißt dem verblüfften Briefträger das weiße Etwas glatt aus der Hand und verschwindet wie der in seinem Zimmer. Del Postbote sieht die Wirtin an und klopft vielsagend mit dem Zeigefinger an die Stirn. Aber die Wirtin weiß es besser: Sie legi die etwas zu rundliche Hand auf die Stelle, unter der nach menschlichem Ermessen das . Herz liegt. Und damit ist der Fall Hinrich Garven für die beiden eindeutig geklärt. „Ich freue mich", steht in dem kleinen Bries, „ich freue mich, Sie zu sehen. Auch ich hatte, als ich Ihre Zeilen las, das Gefühl des Zusammengehörens. Wie ein alter vertrauter Freund sprechen Sie zu mir. Und so er warte ich Sie denn am Pfingstmontag um 3 Uhr am Hirschdenkmal im Alten Stadtpark. Ihr Pfingst wunsch 202." Eigentlich, denkt Hinrich Garven und ist doch ein biß chen enttäuscht, hätte sie diesen kleinen Brief auch mit der Hand schreiben können, und nicht so unpersönlich mit der Schreibmaschine. Aber dann fällt ihm ein, daß er ja selbst . . . Doch daran ist nur seine „Klaue" schuld, seine ganz und gar unleserliche Handschrift, die niemand ent ziffern kann. Selbst Erna konnte sie nicht lesen, Erna, die doch so viele Briefe von ihm bekommen hatte . . . Immer, wenn Erna kam, zog sie ein paar Briefe von Hinrich aus der Tasche, und er mußte sie ihr dann vorlesen. Es war wun derbar und viel schöner, als wenn er ihr das alles direkt gesagt hätte. So närrisch waren Hinrich und Erna, weil sie sich liebten. Zeichnung: Grunwald <Mi Und als Hinrich beschwörend die Hände hebt, zieh sie ihn am Ohrläppchen. Weil sie sich liebten . . . Aber das war ja nun vor bei. Endgültig aus. Eine kleine, dumme Eifersuchtsge schichte, hatte die große Liebe ums Leben gebracht. Die Menschen, denkt Hinrich, sind kleiner als ihr Glück. Das ist nicht von ihm, er hat es irgendwo gelesen. Aber ihm ist, als sei dieser Satz eigens für Hinrichs und Erna geprägt. Und damit fängt die Geschichte von Hinrich und Erna eigentlich erst richtig an. V»»*, V"»"? kannt, und dann, als wir dachten, nun könnte uns nicht» mehr trennen, da kam der Riß. Und sein letzter Brief, tu dem er alles aufgeklärt hatte, war überhaupt ohne Ant wort geblieben . . . Na, also Schwamm darüber. Das ist ja jetzt ver gessen, nicht wahr? Hinrich gibt sich einen Ruck, und ent schlossen greift er nach dem Weißen Blatt mit den wenigen Schreibmaschinenzeilen: „Ich freue mich", liest er da. Und jetzt muß er schon wieder lachen über den komischen Kauz, der da mit Fräulein „Pfingstwunsch 202" Briefe wechselt, als wären sie ganz alte Bekannte. Der Hirsch im Alten Stadtpark — er ist aus Bronze und ein königliches Tier — hat an diesem Pfingsttag ein Fell aus bunten Sonnenkringeln angelegt. Und der Hin rich daneben steht auch ein wenig gesprenkelt aus. Die Sonne blendet ihn, aber er möchte doch gern den kleinen Weg da vor ihm im Auge behalten, auf dem sein Pfingst wunsch kommen muß. Es kommen viele, allzu viele, Hin rich hat gar nicht gewußt, daß es so viele Menschen gibt. Auch Mädchen kommen, aber keines steht so aus, wie er sich das Mädchen Pfingstwunsch 202 vorstellt. Hinrich kneift ein bißchen die Augen zusammen, die Sonne blendet dann weniger. Und dann erschrickt er plötz lich. Er hat Erna gesehen . . . Hoffentlich erkennt sie mich nicht, denkt Hinrich und tritt den Rückzug hinter den Bronzehirsch an. Aber Erna geht direkt auf ihn zu. „Tag, Hinrich", sagt sie und hält ihm die Hand hin, so, als hätte sie ihn gestern zum letztenmal gesehen. Hinrich windet sich ein bißchen. „Ich hab' gar keine Zeit jetzt, Erna. Tut mir leid, wirklich. Ich warte hier auf einen Freund ..." Er blickt hilflos auf seine Schuh spitzen, dann auf den Bronzehirsch, dann auf Ernas neuen Hut. Und er findet es unerhört, daß Erna jetzt hell auf- lacht. „Du", sagt sie, und ihre Stimme schwankt ein bißchen, „du schwindelst ja!" Und als Hinrich beschwörend die Arme hebt, zieht sie ihn am Ohrläppchen — das Hai er nie leiden können — und flüstert: „Oder willst du deinen Pfingstwunsch schon verleugnen, bevor er in Erfüllung ging?" Jetzt macht Hinrich bestimmt das «dümmste Gesicht seines Lebens. Und stottert: „Pf—Pfingstwunsch — woher weißt — woher weißt du denn . . ." „Mensch", sagt Erna da ganz schlicht, „Mensch, weil ich doch der Pfingstwunsch 202 selber bin!" Und dann zieht sie Hinrich, der immer noch ein wenig verglaste Augen hat, auf eine Bank. „Sieh mal", erzählt sic ihm, „ich wollte neu anfangen, wollte dich ganz und gar vergessen, und da habe ich es mit einer Anzeige ver sucht. Vier Briefe habe ich darauf bekommen, und einer davon, Hinrich, war von dir. Und da merkte ich plötzlich, daß ich ja doch nicht von dir los könnte. Ich wollte nicht kleiner sein als das Glück, das dich nun wieder in meinen« Weg gestellt hatte. Und weil in deinem Brief ctivas von einem „letzten Versuch" stand — nun, Hinrich, das hier ist mein letzter Versuch, mein allerletzter." Und dabei küßte sie Hinrich ganz einfach auf den Mund. Hinrich bekommt die Kur ausgezeichnet. Er steht wieder wie ein fröhlicher Junge aus, und stottern tut er auch nicht mehr, als er nun fragt: „Aber, warum hast du mir denn damals nicht auf meinen Brief geantwortet, du liebes, kleines Schaf?" „Weil ich ihn doch nicht lesen konnte, du lieber großer Hammel!" Und jetzt zieht sie aus ihrer Handtasche ein zusam mengefaltetes Stück Papier. Zwei Köpfe, ein brauner und ein blonder, beugen sich darüber. Hinrich enträtselt Erna seinen letzten handgeschrie benen Brief. Seinen allerletzten . . . Denn als sie zu Ende sind, sagt Hinrich, und es klingt wie ein Schwur: „Von jetzt ab, Erna, sag ich dir alles selber . « .!" Eine heitere Pfingstgeschichte von S. DrosteHülshoff. Deidesheim und Lambrecht sind zwei schöne kleine Städte in der sonnigen Pfalz. Die Städtlein haben von jeher auf gute Nachbarschaft gehalten. Als die Lambrechter Bürger einst mehr Vieh aufzogen, als sie auf eigenen Gründen weiden lassen konnten, überließen ihnen die Dei desheimer bereitwillig Weiderechte im Deidesheimer Non nenwald. Die Lambrechter verpflichteten sich ihrerseits, als Entgelt jedes Pfingsten einen prächtigen Weißen, gut ge hörnten Ziegenbock zu liefern. So wurde vor mehr als fünfhundert Jahren ein Vertrag fein säuberlich auf Per gament niedergeschrieben. Und seither holten sich die Dei desheimer alljährlich ihren Prachtbock aus Lambrecht. Weil aber die Stadtväter selbst mit dem Tier nichts an fangen konnten, ließen sie diesen regelmäßig am Pfingst- montag versteigern. Natürlich war das Abholen des Weißen Ziegenbockes von jeher eine wichtige Sache. Gewöhnlich machten sich zwei ehrsame Deidesheimer Bürger in der Woche vor dem Pfingstfest auf den Weg nach Lambrecht, um das Tier in Empfang zu nehmen. Einmal aber — es war in der friedlichen Biedermeierzeit — fiel Pfingsten besonders früh, andererseits gab eS damals nach einem verregneten April ein spätes Frühjahr. Erst kurz vor Pfingsten setzte gutes Wetter ein. Run hatten alle Deidesheimer Bürger alle Hände voll zu tun, um die Weinberge zu hacken, zu häufeln, zu düngen und zu bepflanzen. Die beiden wür digen Winzer, die alljährlich den Geißbock abzuholen pfleg ten, konnten nicht abkommen. Da beauftragte man Schnei der Schorsch, diesmal allein den Geißbock zu holen. Der Schorsch war freudig bereit, das wichtige Amt zu über nehmen. Im feinsten Sonntagsstaat marschierte also Schneider Schorsch drei Tage vor Pfingsten in aller Frühe nach Lambrecht. Auf halbem Weae lag daS Wirtshaus „Zum Rewehennrtch", doch Schorsch ging stramm vorbei und freute sich auf den herrlichen Trunk, den die Lambrech ter nach aller Sitte den Abholern deS BockeS zu kredenzen pflegten. Rach heißem Marsch saß der Schorsch dann vergnügt t» der Ratsstube zu Lambrecht und ließ sich den köstlichen «ein schmecken, wobei e» ihn durchaus nicht störte, daß «er Inhalt de» mächtigen KrugeS eigentlich für zwei Bock- Mer bestimmt war. Der Schorsch wurde leicht damit fer tig, ließ sich unter den üblichen Zeremonien den schönen weißen Bock übergeben und wanderte wohlgemut heimzu. Freilich ging es nun lange nicht so rasch dahin wie am Morgen. Der Bock hatte seine Mucken. Und als der Schorsch wieder am Wirtshaus „Züm Rewehennrtch" vor beikam, bedurfte er dringend einer Erfrischung. Er band den weißen Bock im Wirtsstall an und stärkte sich in der Gaststube für den Rest des Weges. Spätnachts langte dann der Schorsch schwankend und wankend endlich wie der daheim an und sperrte den weißen Lambrechter einst weilen in die Holzlege. Am anderen Morgen wurde der Schneider höchst un sanft aus dem Schlafe geweckt. Vor dem Bett stand seine Frau, hatte beide Arme in die Seiten gestemmt und schimpfte in allen Tonarten: er müsse gestern ja wieder einmal unheimlich herumgesoffen haben, so daß ihm samt dem ohnehin geringen Verstand auch noch das Augenlicht abhanden gekommen sei! Nun solle er gefälligst einmal im Holzstall nachsehen, was er da eigentlich gestern nach Hause gebracht habe. Der Schorsch taumelte schlaftrunken in die Holzlege, rieb sich die Augen — aber es half wenig. Denn was da meckernd in einem Winkel stand, trug zwar stattliche Hör ner und war schneeweiß — war aber unzweifelhaft eine kräftige Geiß! „Alter Esel, kannst du nicht einmal einen Bock von einer Geiß unterscheiden? Läßt dich von den Lambrech- tern hereinlegen, daß die ganze Gegend über dich lacht und ganz Deidesheim zum Gespött wird? Sofort gehst du nach Lambrecht und bringst die Geiß zurück!", schrie die Frau. Der Schorsch nahm schleunigst die unwillkommene Geiß beim Strick und trottete eilig Lambrecht zu. Und just stand der Rewehennrtch vor der Haustür, als der Schneider an dem Wirtshaus vorüberzog. Der Schorsch klagte dem Hennrich sein Leid und dieser grinste und meinte, der Schorsch solle sich erst einmal gründlich Mut antrinken, um den Lambrechtern für ihre Unverschämtheit tüchtig die Meinung sagen zu können. Das ließ sich der Schorsch nicht zweimal sagen. Er setzte sich hinter den Krug und der Hennrich führte die Geiß einstweilen in den Stall. Als der Schorsch nun weiterwanderte, hatte er Mut für zehn. Heftig mit den Händen fuchtelnd, sagte er laut alles vor sich hin, was er den Lambrechtern vorzuhalten gedachte. Auf dem Lambrechter Rathaus machte er einen Riesenkrach, begegnete aber sehr verdutzten Mienen: ob er einen Rausch habe und was sonst mit ihm los sei, denn das Tier, das er am Strick führe, sei doch ein tadelloser Geißbock, an dem nichts auszusetzen sei. O Fest der Blumen und Nachtigallen, Du zeigst uns die Welt im bezaubernsten Lich» Wenn wir durch die Gärten und Fluren Waller Wir sehen die Erde vor Blüten nicht Wenn wir uns lagern^im Rande der Wälder Wir spüren unter beglückenden Träumen Die Strahlen der Sonne auf unseren Glie Wie ein Liebkosen aus ewigen Räumen. Wir wissen: das Licht ward ausgegossen Von liebender Hand auf die Häupter von allen; Wir hören auS den sanft schimmernden Fernen Eil, liebliches Halleluia schallen... Hans Bethge. „Da schlag doch der Blitz ein! Das Vieh ist verhext!", schrie der Schorsch voller Entsetzen. Es war tatsächlich ein Bock, und so blieb ihm nichts übrig, als mit dem Hexen biest wieder nach Deidesheim zurückzukehren. Der Schorsch lief, so schnell er konnte, und schaute sich immer wieder voll Angst nach seinem meckernden Begleiter um. Schweiß triefend langte er beim Rewehennrich an, erzählte dort die unheimliche Geschichte, und der Hennrich brachte schleu nigst einen Krug Wachenheimer zur Stärkung. Wer weiß, wie Schneider und Ziegenbock noch heim- gesunden hätten, wenn des Schneiders Frau njcht ge wesen wäre. Die war, als der Nachmittag vorrückte, ihrem Mann auf der Landstraße entgegengegangen. Vorsichts halber. Sie ging immer weiter und kam endlich züm RLWe- hennrich. Durchs Fenster sah sie ihren Schotsch hinter den Krügen sitzen, und aus der Tiefe des Hauses hörte sie leises Meckern. Da begab sich die Frau zunächst in den Stall. Dort stand der schöne schneeweiße Lambrechler Zie genbock und neben ihm die ebenfalls weiße, gut aebörnte Geiß des Wirtes. „Ach so! —", brummte die Frau gedehnt. Dann nahm sie den Bock beim Strick, holte ihren über ihr Erscheinen nicht gerade erfreuten Schorsch aus der Wirtsstube und brachte Mann und Bock schimpfend, aber sicher nach Hause. Und das war gut so, denn ohne ihr tatkräftiges Eingreifen hätten die Deidesheimer Wohl noch lange auf den „verhexten Lambrechter Geißbock" warten können.