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vj Nachdruck verboten. „Eine Frau in Schwesterntracht? Merkwürdig! Da stimmt irgend was nicht.* Verwundert schüttelte Spencer den Kopf. Seit einigen Tagen hielt er als moderner Ritter Toagenbura daS Haus des erträumten Schwiegervaters „Und wann kommen die Ellern zurück? „Erp gegen MorgenI Genau weiß ich das nicht/ „So lange kannst du bleiben?* „Um Mitternacht möchte ich wieder zu Hause sein. — Liebster! Fünf Monate habe tch auf dich warten müssen, und wieder gehst du für fast ein halbes Jahr fort.* Sie traten in das kleine Zimmer. Da umfaßte Jack das junge Mädchen und erdrückte es fast mit seinen Küssen Dann versank die Welt um sie und der gütige Geist der Liebe schwebte über dem Raume. Es war nach zwölf Uhr, als die Liebenden -voneinander 'Abschied nahmen. Ueber alles, was sie anging, hatten sie sich ausgesprochen. Jack, der als Chefingenieur auf der „Tasmania* fuhr, hoffte, daß es diesmal seine letzte Reise sein würde. Dann wollte er irgendwo in Südafrika mit einem kleinen ererbten Kapital eine Bau- und Reparatur werkstatt fürBergwerksmaschinen aufmachen. Seit längerer Zeit beschäftigte er sich daher theoretisch mit diesem Fach gebiet. „Glaubst du nicht, daß deine Eltern vielleicht doch 'hre Einwilligung geben?* „Wie die Dinge zur Zeit liegen, halte ich das für völlig ausgeschlossen. Mama will, daß ich einen Mann mit sehr viel Geld heirate, und der Papa, der vielleicht Verständnis für mich hätte, steht gznz unter ihrem Einfluß. Sie wollen mit Gewalt, daß ich^mich mit Brodersen verlobe — du weißt doch, jenem Goldmenschen, dem die neuen Gruben bei Broken Hill gehören. Ich habe dir doch von ihm erzählt.* „Und das sagst du so ruhig, als ob dich's nicht an ginge?* „Liebster, sicher bin ich weniger ruhig als es scheint; aber vorläufig bletbt mir gar keine andere Möglichkeit, und du kannst sicher sein, daß tch dir immer treu bleiben werde.* Jack biß sich auf die Lippen. Ihm kam dies Versprechen aus dem Munde einer zukünftigen Braut reichlich leicht- fertig vor. - . ,Wa5 machst du für ein merkwürdiges Gesicht, Jack? Wenn man mich gegen meinen Willen zu einer mir her- haßten Sache zwingt, übernehme ich doch keine Wichten gegen irgendwen?* „Ich glaube doch, sobald du mit dem Gedanken spielst, dich zu einer Verlobung mit jenem Menschen zwingen zu lassen.* „Jack, versteh mich nicht falsch und halte mich nicht für schlecht! Sieh mal, daß ich Brodersen jemals heiraten werde, ist ausgeschloffen. Du weißt, hier unten am Kap ändern sich die Verhältnisse manchmal von heute auf morgen. Mein Vater hat zum Beispiel in den letzten Wochen schwere geschäftliche-Rückschläge erlitten, und wer weiß, wie alles noch kommt.* „Und du hältst es für recht, dem Mann, diesem Brodersen, etwas in Aussicht zu stellen, was du von vorn herein gar nicht halten willst?* „Nein, Jack, versteh mich doch! Es soll ja nur-ein kurzer Uebergang sein. Ich wollte später offen zu Brodersen über die Sache sprechen, ihm einfach sagen, daß ich einen andern liebhabe.* „Was ist uns beiden damit geholfen?* „Brodersen ist ein hochanständiger Kerl, und ich weiß bestimnit, daß er sich nach und nach zurückztehen würde. Auf diese Weise würden mir häßliche Szenen zu Hause erspart bleiben; wir beide aber hätten Zelt gewonnen. Wer weiß, was inzwischen alles geschieht, und in ein paar Jahren bin ich großjährig. Dann kann ich tun und lassen, was tch will.* „Meinst du nicht, daß eS richtiger wäre, für unsere Liebe schon jetzt etwas zu wagen — zu kämpfen für das gemeinsame Ziel?* „Kämpfen, Jack? Glaube mir doch: das ist im Augen blick aussichtslos!* Jack wollte ihr sagen, wie Weh sie ihm mit ihrer Mut- lostgkeit täte; da sah er ihr in die bittenden Augen, sah die herbe Süße ihres jugendlichen Körpers und sKwieg. Uebermorgen müßte er wieder fort, und daS einzige, was ihm von ihr verbliebe, wäre die Erinnerung an ein paar glückliche Stunden. Bald stand sie wieder in der wenig mädchenhaften Ver- kleidung vor ihm. Sie setzte die entstellende Brille-auf. „Laß daS, Alice*, sagte der Mann. „Mach das nachher; du stehst darin wie eine Nachteule auS. Es ist ja doch dunkel draußen, und ich möchte die Erinnerung an diesen Augenblick mit mir aufS Meer hinaus nehmen. — So, und nun gib mir den letzten Kuß. Ich begleite dich bis zur Ecke.* Beide schritten den Pfad hinunter. Jetzt noch ein inniger Händedruck. Dann trat Alice auf die Hauptstraße, rief einen Wagen heran und nannte eine in der Nähe der väterlichen Villa einmündende Nebenstraße als Ziel. Mitten im Grünen, ganz von Bäumen und Büschen umgeben, liegt in Camps Bah bei Kapstadt, wenige hundert Schritte vom Strande entfernt, ein kleines Sommer häuschen. Durch den ungepflegten Vorgarten schritt ein Mann und spähte den schmalen Pfad hinunter, der vom Hauptweg herauMhrie. Er mochte dreißig Jahre alt sein und trug zu dunklen Hosen eine weiße Jacke. Der eigenartig wiegende Gang, mit dem er soeben den Garten durchschritten hatte, ließ auf einen Seemann schließen — ein Eindruck, der durch das energische, wettergebräunte Gesicht noch verstärkt wurde. Versonnen schaute er zwischen dem urwaldartigen Gewirr üppiger Pflanzen hindurch. Plötzlich spannten sich seine Züge, und sein Gesicht bekam einen unverkenn baren Zug der Erwartung. Die weiße Haube einer Frau in Schwesterntracht leuchtete hell zwischen dem Blätter grün auf. Mit schnellen Schritten huschle ihre Trägerin über den Weg und eilte dem Häuschen zu. Verständnislos starrte der Mann auf die ungewöhn liche Erscheinung. „Aber das kann doch unmöglich Alice...* Noch hatte er den Gedanken nicht zu Ende gedacht, als jemand an seinem Halse hing und ihn mit heftigen Küssen fast erstickte, während eine jugendliche Stimme unter silbernem Lachen rief: „Aber Jack, lieber alter Seebär I Kennst du mich denn nicht mehr?* „Du, Alice? Bist du es wirklich? Wie siehst du denn aus?* „Aber Jack, bist du schwerfällig! So schlecht kennst du mich?* Sie stand vor ihm in der unkleidsamen Tracht und nahm eine dunkle Sonnenbrille vom Gesicht. Ein Paar tiefschwarze, samtene Augen lachten dem Mann aus langen, dunklen Wimpern entgegen. Ehe er sich's versah, hing sie von neuem an seinem Halse und hielt den Geliebten fest und leidenschaftlich um schlungen. „Komm schnell ins Haus, Alice, daß niemand dich sieht I* Eng umfangen schritten die beiden Liebenden durch den Vorgarten auf das Häuschen zu. „Oh, du lieber Jack, ahnst du wohl, wie ich mich all die Zeit nach dir gesehnt habe?* „Und ich, Liebste? Denke doch: Vier Tage habe ich hier Stunde um Stunde auf dich gewartet, und", mit einem leisen Seufzer fügte er es hinzu, „übermorgen geht die .Tasmania' wieder in See.* „ÖH, sei mir nicht böse, Jack! Du weißt ja, wie schwer Man mtr's macht. Tag für Tag hoffte tch, auf ein paar Stunden entwischen zu können. Meinen Brief hast du inzwischen sicher erhalten? Heute sind die Eltern endlich mal fort, zu Bekannten nach Simonstown. Tausend Leiden habe ich vorgeschützt, um zu Hause bleiben zu können." '* „Ja, denk dir, die Sachen lagen noch immer von der Schwester Ilse bei uns — ich erzählte dir doch. Sie hatte damals die Mama gepflegt und verschwand dann eines TageS plötzlich unter Mitnahme einiger Andenken bei Nacht und Nebel." iHat dich jemand weggehen sehen?" „Rein, Jack! Kein Mensch hat eine Ahnung. Den Chauffeur schickte ich vorher mit einem Auftrag der Eltern hur Stadt; und daS Mädchen hatte in der Küche, die nach dem Hof hinaus liegt, längere Zeit zu tun. Falls sie mich doch nöch vermissen sollten, werden sie annehmen, daß ich den Eltern nachgefahren bin. Daß mich unterwegs jemand erkannt hat, ist ausgeschlossen; tch habe auch niemand weiter aetroffen.* Wieder zog Brodersen die Brauen finster zusammen. Mein Gott, dachte Wilkins, hier hast du heute kein Glück! Er hatte im Augenblick ganz vergessen, daß er zu dem zukünftigen Schwiegersöhne des „Alten* sprach. Brodersen aber hatte sich schnell gefaßt und fragte tn "gleichmütigem Ton: „Ist man den Einbrechern schon auf ver Spur?" „Soviel ich weiß, nicht. Es wird bei der Untersuchung kaum was herauskommen. Der Wächter konnte keinerlei Angaben machen, und in einer Hafenstadt haben es die Herren Verbrecher nun mal nicht schwer, spurlos zu ver- schwinden." „Glauben Sie, daß Mister Angel Schwierigkeiten haben wird?" „Schwer zu sagen! Man weiß bei ihm nicht so recht, wie die Dinge eigentlich liegen." Das Gespräch wurde unterbrochen; Fräulein Wilke brachte die Papiere zur Unterschrift. Während Brodersen seinen Namen daruntersetzte, tonnte er sich einen heim lichen Blick auf Wilkins nicht versagen und stellte fest, daß dieser das junge Mädchen unverwandt anstarrte. Ganz gegen seinen Willen bekam seine Stimme einen schneidenden Klang, als er Wilkins zurief: „Bitte hier, Herr Wilkins!*, während er ihm die Schlußscheine zur Unterschrift zuschob. Das junge Mädchen hob bei der un gewohnten Schärfe des Tones den Kopf und sah Brodersen fragend an. „Sie können gehen, es ist alles in Ordnung*, sagte dieser fast tonlos zu ihr. unter dauernder Aufsicht, sobald er Ar Büroräume vev lassen hatte. WilttnS' Worte hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. ", Mit zunehmendem Erfolg seiner heimlichen Schieber- geschäfte wuchs auch die stille Hoffnung, sich der An gebeteten eines Tages als ernst genommener Bewerber nähern zu können. Vorläufig begnttgie er sich damit, die Zeiteinteilung des jungen Mädchens zu überwachen, um eine Gelegenheit zu einer zufälligen Annäherung fest zustellen. So hatte er in dem kleinen Pavillon des schräg gegen überliegenden, unbewohnten und zum Verkauf stehenden Hauses gesessen, als er seine so auffällige Beobachtung machte. Erst war Papa Angel, verspätet aus dem Büro kom- mend, erschienen und in der Billa verschwunden. Dann . war er nach einiger Zeit mit der Gnädigen wieder zum Vorschein gekommen, während der Chauffeur den Wägen herausfuhr. Die Eltern waren dann eingesttegen; Angel steuerte selbst, und der Chauffeur war ins Haus zurück gegangen. Nach knapp einer Viertelstunde war er mit einem Brief in der Hand wieder aus dem Hause getreten und in der Richtung auf die Innenstadt zu gegangen. Und schließlich war das Hausmädchen im Vorgarten erschienen, hatte die Straße hinuntergeblickt und war nach einiger Zeit durch den Setteneingang, der ins Erdgeschoß führte, in die Villa zurtickgegangen. Spencer kannte die Räumlichkeiten von den gelegent lichen größeren Festlichkeiten her, zu denen die leitenden Angestellten geladen wurden. Auch über die im Hause be- schäftigken Personen war er genau unterrichtet. So fragte er sich überrascht: „Wo kommt die Schwester her? Zum Teufel! Außer der Alice' und dem Mädchen kann doch jetzt niemand mehr im Hause gewesen sein?" Er richtete sich auf und schaute zwischen den Blättern eines Feigenbaums hindurch der Davoneilenden nach. Da sah er, daß diese sich mehrmals scheu umsah. i Wie leicht beschwingt die anscheinend ältere Dame davonschwebte — trotz der anscheinend viel zu weilen, etwas schlotternden Kleider. Wie ein Blitz schoß Spencer der Gedanke durch den Kopf: „Sollte das etwa Alice selbst... Das wäre so was für dich, alter Junge!* Schon wieder sah sich die Schwester um. Vergebens bemühte sich der Beobachter, daS Gesicht zu erkennen. Es lvurde tief von der Haube bedeckt und obendrein durch eine auffallend dunkle Brille entstellt. Eben wippte und tänzelte die merkwürdige Erscheinung um die Ecke. „Dick, nun aber hinterher! Feste!" Er jagte dte Straße hinunter, dem Mädchen nach. Eben sah sich die Davoneilende wieder um. Ruhigen Schrittes überquerte Spencer den Fahrdamm und tat, als wäre er eben aus einem der im Schatten liegenden Häuser getreten. Erinnerungen an seine frühere Tätigkeit als Privat- detektiv erwachten. Lorbeeren hatte er freilich dabei nicht geerntet — es sei denn, daß man den Anspruch aus staat liche Unterbringung hinter vergitterten Fenstern als solche ansehen will. Die Sache hatte damals nämlich — in Newcastle war eS — ein jähes, Ende gefunden, wobei eine kleine Erpresserangelegenheit eine peinliche Rolle gespielt hatte. Dick war zunächst nicht der leidende Teil gewesen, sondern — der andere. Dessen Opferwilligkett versagte jedoch eines Tages, und die Sache wurde brenzlig, so daß Dick beschloß, das Feld seiner dunklen Tätigkeit in den ebenso dunklen Erdteil zu verlegen. Der Entschluß wurde nicht ganz freiwillig gefaßt. DaS letzte seiner vielen Opfer hatte ihn in einem Anfall von Verzweiflung vor die Wahl gestellt: Zuchthaus wegen Er- Pressung unter erschwerenden Begleitumständen — oder- freie Seereise nach Kapstadt. Nach Lage der Sache war kaum zu zweifeln, daß der Geschröpfte vor letzten, verzweifelten Schritten stand, und so zog' Richard Spencer die Reise der freien Unterkunft und Verpflegung auf Staatskosten vor. Noch steckte ihm zwar der Schrecken von dem nächtlichen Besuch der nur tagsüber für ihn bestimmten Räume bei Angel in allen Gliedern; und Spencer hatte eigentlich den Wunsch, zunächst neue Ausgaben zurückzustellen. Hier aber sprach neben sonstigen Gründen die Liebe zu der schönen Alice mit, und so beschloß er, der Sache auf den Grund zu gehen. Noch war es ihm gelungen, sich im Schatten der Bäume zu hallen. DaS Mädchen schien ihn bisher überhaupt nicht bemerkt zu haben. Da führ eine Taxe vorüber, die von ihr angerufen wurde. „Fatal! DaS fehlte noch!" Nein, heute hatte Spencer wieder mal Glück. Kaum war „Schwester Alice*, wie er sie mit hämischem Grinsen getauft hatte, in das Auto gestiegen, als ein zldetter Wagen sich näherte, der auf seinen Anruf sofort hielt. In einigem Abstand fuhr er hinter dem ersten her. . Am Fischmarkt machte dieser halt. „Ich möchte gern wissen, wo die Dame dort bleibt. Ja, natürlich — die dort in Schwesterntracht!* „Wird gemacht, mein Herr!- Das Mädchen war ausgesttegen und ging ein paar Schritte zu Fuß, während der Wagen Spencers einen Augenblick stehenblieb und bann langsam folgte. Auf ein mal sah Dick, daß die Schwester einen zweiten Wagen heranrief, nicht ohne sich vorher nochmals vorsichtig um gesehen zu haben. Nun war für Spencer kein Zweifel, daß eS Alice war, die unerkannt bleiben wollte. „Fahren Sie hinterher!* Die weiße Haube bildete ein weithin leuchtendes Richtzeichen. Bei den letzten Häusern von Camps Bay machte der Wagen von „Schwester Alice* halt. Spencer bezahlte und beobachtete dabet, daß die Gestalt mit der weißen Haube den Weg zur Linken mit schnellen Schr"ten hinaufetlte. (Fortsetzung solat) Lop^ttgkt 1936 ^ukwärts-Verlag, Lettin 8VV 68