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8 Gstergesang Siehst du die Anemonen Funkeln im zarten Gras? Spürst du des Waldmeisters Duste« Aus dem kristallenen GlaS? tLs war kein gewöhnliches Osterei, so zuckerrosa oder tirttenblau oder zwiebelgelb, sondern ein kunstvoll nnd allerliebst bunt bemaltes, hohles, echt ungarisches Osterei, eine wirkliche flaumfederleichte und entzückende kleine Kost barkeit! Von besonderem Wert dadurch, daß die Groß mama es einstmals von ihrer Hochzeitsreise aus der Pußta mitgebracht hatte, und daß es mitsamt all den an deren Raritäten ihres Biedermeierschrankes der ganzen Familie bekannt und teuer war. Wie oft hatten alle in ihrer Jugend davorgestanden und geträumt, besonders wenn Großmama mit einer von ihren altmodischen nach Lavendel duftenden Geschichten eine zarte Begleitung dazu anstimmte. Die jungen Mädchen hatten dann wohl einen feurigen und wunderschönen Zigeuner vor ihrem geistigen Auge gesehen! Die Jungens sahen Wohl ein liebliches Un garkind mit hohen paprikaroten Sasfianlederstiefelchcn, mit einem üppig wippenden Reif vielfarbiger Rausche röckchen; die graziösen Fingerchen, die weiße Eierschalen tupfend in kleine Gemälde verwandelten — die hatten sie natürlich auch gesehen. Ja, so hatten die Kinder geträumt, und die Groß- mama hatte sich wohl gehütet, ihnen zu erzählen, daß des Kunstwerkes Heimat keineswegs in so romgntischen Glanz gehüllt, sondern ein staubiges, von Mtsamen Düften durchwehtes Kleinstadtlädchen gewesen war, in dem der spindeldürre dünnhaarige Händler ganze Reihen davon erzeugte. So blieb das ungarische Osterei immer in den schönsten Gedanken der Kinder, auch als die Großmama längst gestorben und aus ihrer Tochter, der Erbin an Haus und Hof und Naritätenschrank, wieder so eine feine silberhaarige Dame geworden war — wie sie selber sagte: nur so ein un- Dcr Frühliugswind wehte es ihr aus der Hand — cs zerbrach auf den Fliesen nützes Möbel von alter Tante! Alle fanden es rührend, daß sie vor zwei Jahren ihrem liebsten, frühverwaisten Neffen Paul die kleine Kostbarkeit schenkte. Er sollte seinem geliebten Münchner Kindl Nosmarie eine Osterfreude damit bereiten! Nie mand litt denn auch tiefer unter dem, was sich daraus entwickel te, als die Tante. Es war alles furchtbar rasch und hart zuge- gangen. Strahlend hatte der Paul das Päckchen über bracht, das queck silbrige Mädchen Rosmarie hatte das seltsame Osterei staunend herausgeschält. hatte fröhlich „Oh!" geschrien und war damit, um es besser bewundern zu können, durch die offene Tür auf die Gartenterrasse gelaufen. Der Frühlingswind wehte es ihr aus der Hand — es zerbrach ans den Fliesen der Ter rasse in winzige Stückchen, ach, in bunten Staub. „Oh!" sagte das Mädchen Rosmarie abermals, bloß in einer anderen Tonart jetzt, in Moll. Paul war erblaßt. Er war sonst gar nicht so emp findlich — allein hier war doch ein Stück von seiner Jugend zerschellt! Er vergaß im Augenblick, daß Ros marie das gar nicht wissen konnte und seine Erregung daher übertrieben finden mußte. Man wußte kaum wie es ging. Erst waren so ein paar halbe Worte hin- nnd wider- gcflogen, wie kleine Pfeile mit sanften Hemmfederchen daran, die ihr Ziel nie erreichen. Bald aber trafen die Spitzen, bohrten sich jäh und grausam in die Herzen, die sic auffingen, man glaubt nicht, wie tief. „Du, das ist lächerlich!" hatte Rosmarie gesagt. Das Wort ließ den Paul aufbrausen. Lächerlich?! Wo es sich um etwas handelte, das die Großmama vor über sechzig Jahren mit aus Ungarn gebracht hatte!? „Geh! Ein Osterei von über sechzig Jahr! AU genug war's, mein ich." Was Paul nun sehr scharf von einem beachtenswerten Mangel an Gefühl, ja, Gemüt sprach, lat sie mit einem abermaligen „Lächerlich" schnippisch ab nnd gab so dem nunmehr Erbitterten Gelegenheit, von den Kleinigkeiten zu reden, die einem oft so jäh die Augen öffnen können. Zwei Jahre waren das nun gewesen. Sie hatten sich in eisigem Stolz gemieden und nicht wiedergesehen — bloß vernommen hatte eins vom andern: wie guter Dinge es sei, und jedes war daraufhin noch stolzer geworden, noch kälter. Paul ist nicht wtederzuerkennen, dachte die alte Tante bekümmert bet seinem letzten Besuch, und es würgte sie etwas in der Kehle. Zerfahren! Gedanken verloren! Und der Gram, der aus den Augen sprach! Daß er trotzdem in seinem Beruf ein gewaltiges Stück voran gekommen war, lag an seinem eisernen Fleiß. Seit Mona ten hielt er sich fern von Geselligkeit und Freundschaft, hockte nächtelang über feinen Büchern — das hatte sie be kümmert erfahren. Doch als sie endlich vor seiner Rück kehr nach Müüchen sich entschloß, mit zarter Hand direkt an jene Wunde zu rühren, schleuderte ein stammender Blick sie zurück und verriet ihr erst, wieviel da zerbrochen war. An diesem Abend hatte das alte Fräulein von Heye« geweint. Es hatte an die Mutter gedacht, und Ivie sie sich grämen würde, daß ihre liebste Erinnerung, flamn- federmcht, dennoch zentnerschwer genug gewesen war, ei,» fröhlich keimendes Glück zu zertrümmern. Endltcy ma^ die Erleuchtung gekommen, daß man alles tun durfte, bloß nicht «»»tätig dasitzen und die Hände in den Schoß legen. Paul war ganz überrascht, Ostersamstag einen Brief der Ta»»te zu erhälten. „Warum soll ein altes Huhn ewig ans seiner Stange sitzen?" schrieb sie in ihrer gedämpft- burschikosen Art, „solange es die Flügel noch ein wenig regen kann? Daher habe ich mich einer Nundreisegesell- schaft angeschlossen. Ich brauche Menschen. Und Ostern, mein Lieber, werde ich mit dir an de»» Bodensee fahren. Du wirst wohl das alte Huhn auf seine,n womöglich letz ten Ausflug ei« Stück begleiten können? Wir reisen im Omnibus. Deine Karte liegt bei. Du steigst um sechs Uhr früh in München ein und triffst mich in Kempten, wo ich von Augsburg aus ankomme. Abgemacht. Deine Absage würde mich erstens gar nicht mehr erreichen, zweitens tief verletzen Deine alte Tante Toni!" Ein Autobus-Fahrschein leuchtete gelb: München- Lindau. Abfahrt Lembachplatz, Sonntag, 18. April, 6 Uhr. Platz 14! Paul wunderte sich zunächst, wurde dann ärgerlich — schließlich aber siegte das prächtige alte Fräulein: anderen Tags, Ostersonntag, um 6 Uhr morgens, nahm er seinen Omnibusplatz Nr. 14 ein; außer dem Nr. 15 an seiner Seite war es der einzige unbesetzte. Und das von soviel sorgender Liebe versöhnte Schicksal fügte es, daß Pani die. junge Dame, die unterwegs einstieg und vom Schaff- ner auf diesen fünfzehnten Platz gewiesen wurde, erst er kannte, als das schwere Gefährt schon wieder dahinsauste. Die junge Dame schrie leise auf, ihre Augen weiteten sich in Schmerz und schreüvoller Ueberraschung — es »vor das Mädchen Rosmarie. Beide erhoben sich wie auf Vereinbarung, in dem gedankenlosen Wunsch, augenblicklich auszusteigen. Der Wagen warf sie prompt auf die Polster zurück. Einige der fröhlichen Mitreisenden blickten erstaunt — die beiden er kannten, daß sie bis zur nächsten Haltestelle.ausharren mußten. Starr sahen sie jeder nach einer anderen Seite. Aber sie sahen nichts. Paul war außer sich. Abgekartetes Spiel! Womöglich noch unter Mitwirkung von . . . von ... der da! Aber, wie sie erschrocken war! Nein, Verstellung war das nicht gewesen, gelogen hatte sie nie! Tante Toni! Welche In trigantin! Sehr geschickt, Donnerwetter! Jedoch nicht zu machen mit Paul! Diese alten Hühner mit ihrer ewigen . . . ewigen . . . was? Plötzlich fiel es ihm heiß ein: ewigen Hilfs bereitschaft! Er sah die guten Augen der Groß mama vor sich, und das alte Huhn besaß die glei chen. Etwas Seltenes lebte darin, solange man denken konnte: Liebe! Ir gend etwas in des jungen Mannes Herzen lockerte sich. Es war, als fiele da eine Fessel, eine Kette oder ein Ring, oder bloß ein schweres Stück Eis! Plumps! Man hörte es, da lag es nnn und löste sich langsam auf in Nichts . . . wie ... na, wie Großmamas Osterei so ungefähr. Jetzt setzte auch Pauls Wahrnehmung Alles ist jung und berauschend, Alles ist voller Drang, Nnd wie sehnsüchtig schmettert Erster Drosselgesang ... Und wie zieh'»» die Verlievtc^ Schwärmend über das Feld, In ihren Mienen atmet Aller Zauber der Welt. Zauber der Auferstehung, Hofsnungbcseligte Zeit —, In unsern Herzen leuchtet Ein Abglanz der Ewigkeit. Hans Bethge. Wieder ein. Was seine Augen so grimmig durch das Fenster anstarrten, war: Ein Pastellbild: zartes Grün! Sonne über lieblich hingebreiteten Wiesenteppichen, über heimeligen Bauern häusern! Sonne glitzernd in sesttäglich blanken Fenster scheiben, in blanken Menschenaugen — Ostersonntag halt! Weiter nichts! Doch dauerte es noch manchen durchrüttelten Kilometer, bis Pauls Augen einen Streifzug nach der anderen Seite wagten, über den Platz, den in Kempten Tante Toni einnehmen sollte, diese Intrigantin! Ach, er «Hute ja gar nicht, welche Arbeit diesem Spiel vorausgegangen war! Welch umfangreicher Briefwechsel mit einer Mutter, die viele Tränen um das so still gewor dene Mädchen Rosmarte geweint hatte. Nosmarie konnte überhaupt nichts denken. Lauter als der schwere Acht zylinder dröhnte der Schmerz in ihren heißen Schläfen: alle Kraft brauchte sie, die Tränen zurückzuhalten. Schmal war sie geworden, die Wangen blaß und durchsichtig wie altes Porzellan, um den Mund saßen ein paar feine Weh- mutsfalten — das Porzellan hatte Sprünge bekommen. Immer deutlicher sah es Paul,' je öfter er hinblickte, und vor solcher Anklage versank der strahlende Ostermorgen zum zweitenmal. Aber seltsam: für das Mädchen stieg er langsain herauf! Langsam begann cs zu erkennen: die zärt lichen hellgrünen Laubwolken, die vorüberhuschten, und den steten Himmel darüber, niemals so blau, so voller Sonne, so ewig schön! Sie sah die frohen Festtagsgesichter im Wagen, die hinanslachtcn, nnd ab nnd zu draußen welche, die hereingrüßten. Auch eine Glocke grüßte einmal Herei»», so bim- bim-ban», bim-bim-bam! so zwischen Moll nnd Dur, der Klang, ans Herz grei fend. Da konnte das Mäd chen Rosmarie nicht wi derstehen: Tränen riesel ten über die schmalen Wangen, ganz leise, wie ei»» zaghaftes kleines Rinnsal, das durch die Frühlingswiese seinen Weg sucht. Der Mann sah es. Er legte seine Hand langsam auf die ihre, mit tiefem Druck; beide bebten. Nach einiger Zeit lächelten sie sich an. Schmal war sic geworden, die Wange» blaß und durch sichtig wie altes Porzellan. Zeichnungen (2): Grunwald — M. Antreten zum Alundöffnen Eine Ostergcschichte aus dem alten Rußland von Tr. Rclkniw. Zu meinem größten Schrecken wurde ich, lange, lange ist es her, als junger Leutnant von Petersburg in eine südrussische Garnison versetzt. Anfangs fühlte ich mich kreuzunglücklich, aber schließlich fand ich mich mit der Tatsache ab, denn es gab auch in der neuen Garnison gute Kameraden und schöne Mädchen. Das erste Osterfest in der neuen Garnison kam. Für den Ostersonnabend hatte ich mit einigen Kameraden eine Verabredung. Wir wollten einen fidelen Abend feiern. Den nächtlichen Gottesdienst konnte man ja ohne Bedenken schwänzen. Die Mannschaften mußten natürlich alle daran teilndhmen. Der Gottesdienst in der russischen Osternacht war außerordentlich interessant. Die ganze Bevölkerung war auf den Beinen, man brachte Speisen mit in die Kirche, um sie vom Popen segnen zu lassen. Nachdem der Pope die Auferstehung des Herrn verkündet hatte, küßte er den höchsten in der Kirche anwesenden Staatsbeamten auf den Mund. Dann begann ein allgemeines Küssen der Kirchen besucher. Alle Standesunterschiede waren aufgehoben, und inan begrüßte sich mit den Worten? „Der Herr ist er standen!" Wie gesagt, diesen Gottesdienst schwänzte ich. Daß ich in dieser Nacht nicht ebenfalls geküßt hätte, will ich aber nicht behaupten. Morgens gegen 5 Uhr kam ich sehr anfgeräumt nach Hause und freute mich auf den Oster sonntag, weil er mir Zeit zum Ausschlafen lassen würde. Als ich meine Wohnung betrat, räkelte sich auf einen» Sofa der Bursche mit einer Ordonnanz. Sie hatten mich erwartet. Schnapsgläser standen auf dem Tisch. „Was soll denn das heißen, schrie ich sic an?" „Was hast du nachts in meiner Wohnung zu suchen?" Diese Frage galt der Ordonnanz. Ich sollte cs sogleich erfahren. Die Ordonnanz halte eine Order für mich. Ich sollte früh um 7 Uhr auf dem Kasernenhofe sein zum Mundöffnc»» meiner Esfadron. Ich muß da einflechten, daß der griechisch-katholische. Ritus seinen Bekenner« verbietet, am Ostermorgen etwas zu genießen, ehe ihm nicht von einer berufenen Person der Mund durch einen. Kuß „geöffnet" worden ist. Beim Militär wurde dieser Brauch streng eingehalten. Die be rufene Person war immer ein hoher Offizier. Nun wollte es das Unglück— was ich bis zu dieser Sekunde nicht wußte —, daß ich als einziger Offizier der Eskadron der orthodoxen Kirche angehörte. Der Major war als Balte Lutheraner, ebenfalls der andere Leutnant, Rittmeister und Oberleutnant bekannten sich zur römisch-katholischen Konfession. Ans mir blieb also die Geschichte sitzen. Statt mit schwerem Kopf ins Bett zu kriechen und einen laugen Schlaf zu tun, mußte ich in knapp zwei Stunden auf dem Kasernenhofe stehen und 126 Kerls mit einem Kuß den Mund öffnen! Es war ein Ehrendienst, aber für solche „Küßchen in Ehren" hatte ich im Augenblick kein Verständnis. Deshalb war meine Stimmung alles andere als freundlich. Aber was half es. Ich schickte die Ordonnanz nicht eben freund- lich ihrer Wege und versuchte schließlich, etwas zu schlgfcn. Bald war eS Zeit, mich in Uniform zu stürzen. An einem bitterkalten und dabei nebelfeuchten Märzmorgen stand ich mit einem jämmerlichen Kater aus dem Kasernen hof. Vor mir hatte sich die Eskadron aufgebaut. Kom mandos ertönten. Der Oberleutnant — er hatte hier nnr für den militärischen Teil das Kommando — meldete mir, dem jüngsten Leutnant, die angetretene Eskadron. Und nnn öffnete ich der Reihe nach einhundertsechsundzwanzig nach schlechtem Fusel und noch schlechterem Tabak duften den Dragonern die Mäuler mit einem Kuß. Nein, »nit einhundertsechsunvzwanzig Küssen, den», jeder mußte ja einen kriegen. Ich bin nie wieder in die Lage gekommen, einer ganzen Eskadron den Mnnd öffnen zu müssen. Aber das Küssen war mir sür alle Zeiten verleidet, und jeder Ostertag läßt die Erinnernng wach- werdcn an den Befehl: „Um 7 Uhr auf dem Kaserncnhos , antreten znm Mundöffnen!"