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Vrkoderreedtssevutr: äukwürts Verlag O. m. d. U.» Vvrlin 8>V S8 Sj Nachdruck verboten. „Wir arbeiten jetzt zehn, ja meist zwölf Stunden, und wenn mich deine Gedanken suchen wollen, dann, bitte, im Geschäft an meinem geliebten Zeichenbrett!" hatte ihm Arista auf der kurzen Karte geschrieben, die ihm heute morgen im Geschäft überreicht wurde. / „Ich würde Ihnen raten, für heute hier Schluß zu machen und sich vor allen Dingen einmal die Stadt anzu sehen. Sie werden wahrscheinlich am Tage nicht mehr da zu kommen, wenn Sie erst in die Tretmühle des Arbeits prozesses eingespannt sind!" fiel nun Lore Haller in seine Gedanken, die bis jetzt rücksichtsvoll geschwiegen hatte. Da drehte Klaus sich um und war im Nu wieder da. „Sie haben recht, Fräulein Haller!" sagte er uyd strich sich über die Stirn. „Aber Sic kennen doch diese Stadt. Wollen Sie mich denn so ganz ohne ein paar gute Winke ziehen lassen?" Er hatte seine Frage in so kläglichem Ton gestellt, daß das junge Mädchen hell auflachte. „Gut", sagte sie, „ich will Ihnen verraten, wie Sie zu den bekannten Sehenswürdigkeiten unserer Stadt kommen, denn die anderen Schönheiten, die muß sich jeder selbst suchen. Da gibt es kein Rezept dafür. Das sind die stillen, versteckten Plätze, die nur von Einzelgängern ausgesucht werden." Da sah Klaus überrascht auf. „Und Sie haben solche Lieblingsplätze, die nur ganz wenige kennen?" fragte er, und in seiner Stimme klang ungläubiges Staunen mit. Das junge Mädchen antwortete nicht. „Wenn Sie hier herauskommen, dann gehen Sie die Straße bis zum Ende hinunter", sagte sie dann. „Das ist die Haltestelle des Omnibusses. Der fährt direkt auf den Bahnhofsplatz, und da schauen Sie sich erst einmal den Dom an, gehen die Glockengasse hinunter und lassen sich dann ein wenig treiben!" „Und wenn ich nicht mag?" fiel Klaus ihr ins Wort. „Wenn ich nun für mein Leben gern zuerst die versteckten Schönheiten dieser Stadt gesehen hätte?" „Ja, da werde ich halt den Bärenführer machen müssen!" lacht Lore Haller, die sofort erraten hat, woraus Klaus hinaus will. „Da ich Ihnen nun einmal den Mund wässerig gemacht habe!" Sie verschließt bereitwillig ihren Schreibtisch, schlüpft in das weiße Jäckchen und setzt den Hellen Strohhut auf. Und alles geschieht mit ruhiger Selbstverständlichkeit, Ziererei und langes Bittenlassen liegen ihrer kameradschaftlichen Art nicht. Und schon deshalb ist sie eine so angenehme Begleiterin. Sie will nicht unterhalten sein, sie bleibt ruhig stehen, wenn Klaus in die stille Berträumtheit einer engen Gaste hineinhorcht. Sie ist dann wieder ausgelasten wie ein fröhlicher Schulbub, als sie unversehens in die zwerchfell erschütternde Lustigkeit eines Panoptikums hineingeraten. Als sie dann in einem stillen Vorstadtgarten die not wendige Mittagspause einschieben, da strahlt Klaus sie' begeistert an. „Sie sind eine ganz famose Führerin, Fräulein Haller. Aber ich glaub«, ich war ein sehr schlechter Begleiter. Ich hab immer nur geschaut und all das Neue ausgenommen: und dabei nicht ein einziges Mal den Versuch gemacht, Sie zu unterhalten." „War auch absolut unnötig. Ich wollte ja gar nicht unterhalten sein", antwortete Lore. „Die Wirtin, die mit einem großen Tablett heran- tommt, unterbricht das Gespräch. Sie wirft einen lächeln den Blick auf das jung« Paar, die zu dieser Zelt die ein zigen Gäste find. Klaus.hat diesen Blick aufgefangen und er hat ihn an Christa erinnert. Ein wenig Schuldbewußtsein steigt in ihm auf. Eigentlich war es nicht richtig, daß er mit einem jungen Mädchen, das er erst wenige Stunden kennt, so vertraut beisammen fitzt. Aber Lore Haller hat eine so kameradschaftliche Art, es liegt so gar nichts von Koketterie in ihrem Wesen und wahrscheinlich steht sie auch in ihm nur den neuen Geschäftskollegen. Bei diesem Gedanken atmet er ein wenig erleichtert auf. Und gleichsam, um sein Unrecht gutzumachen, schreibt er «ine Karte an Christa, die leider etwas kühl ausfällt. Wahrscheinlich ist seine vorübergehende Verstim mung daran schuld. Zu allem Ueberfluß bittet er noch Lore Haller um einen kurzen Gruß und weiß im gleichen Augenblick, daß Christa nun ein ganz falsches Bild von diesem Ausflug bekommen wird. Aber es läßt sich nicht ungeschehen machen. O^ie seine Zeilen zu lesen, hat Lore ihren Namen darunter gesetzt. „Dort drüben ist ein Briefkasten, Sie Annen di« Karte gleich hinübertragen!" sagt fie bereit willig. Und mit einem »einen, hörbaren Seufzer kommt Klau» thr«r Aufforderung nach. Am Nachmittag unteryshmen fi« «in« kleine Ausfahrt auf einem der halbstündlich verkehrenden Dampfer. Sie kahren nicht weit, eine größere Fahrt wollen sie sich für einen der kommenden Sonntage ausheben, aber Klaus ist trotzdem begeistert. Es sind nicht landschaftliche Schönheiten, die der ge waltige Strom ihnen hier bietet, es geht vorbei an rauchenden Schloten, vorbei an heulenden Sirenen. Ruhig und gelassen ziehen lange Reihen von Schleppkähnen an ihnen vorüber. Bild der Arbeit — unermüdliche Reg samkeit, heißer, kämpfender Wille, die Naturkraft in den Dienst zu stellen. Das sind die Gedanken und Eindrücke, die Klaus von dieser kurzen Fahrt hat. Eindrücke, die ihn ungemein be friedigen und die ihm imponieren. Wieder hat sich Lore Haller ein wenig abseits gestellt, so daß es ihm nicht möglich ist, ein Gespräch mit ihr zu beginnen. Nur ab und zu schaut sie zu ihm hinüber, aber nur, um ihm den einen oder anderen besonders reizvollen Anblick zu zeigen. Als sie an d«r Hauptbrücke aussteigen, dröhnen die Feierabendsirenen der nahen Fabrik zu ihnen herüber — schrill und anhaltend. Es dauert dann nicht mehr lange und die Arbeiter verlassen in langen Scharen das Werk. Die beiden sind stehengeblieben und schauen interessiert hinüber. „Morgen abend um diese Zeit sitzen wir noch im Büro", sagt Klaus lächelnd und freut sich darauf. „Nach einem so wunderschönen Tag ist auch Arbeit ein Genuß." Doch als Lore Haller ihn ein wenig spitzbübisch an lächelt, schrickt er zusammen. „Ja, um Eotteswillen, Fräulein Haller, ich habe Sie so einfach um Ihre Begleitung gebeten. Durften Sie denn so ohne weiteres weggehen? Mußten Sie nicht erst eine besondere Erlaubnis einholen?" „Ja, da kommt Ihre Reue ein wenig zu spät!" lachte das junge Mädchen. „Für gewöhnlich dürfen die An- gestellten der Leuchner-Werke nicht so ohne weiteres die Firma oerlasten. Denken Sie nur, wenn jeder einen solchen Ausflug machen und die Arbeit einfach im Stich lasten wollte!" Sie schaut noch immer lächelnd ihren Be gleiter an. „Ich werde zum Direktor gshen und Tie «ntschuldigen!" verspricht Klaus eifrig. „Nicht nötig!" lacht Lore. „Ich stehe schon selbst meinen Mann. Aber Sie können sich beruhigen, eine so pflicht vergessene Mitarbeiterin werden Sie denn doch nicht be kommen. Ich hatte noch ein paar Ueberstunden gut und habe im Personalbüro angerufen, daß ich ste heute ab schwänze. Es lag zum Glück auch keine eilige Arbeit vor." „Dann ist ja alles gut!" antwortet Klaus aufatmend. „Mir fällt direkt ein Stein vom Herzen. Aber nun habe ich noch eine Bitte an Sie." „Nur keine Furcht, wenn Sie nicht gerade noch an» andere Ende der Stadt pilgern wollen, dann wird es sich schon machen lasten", ermuntert Lore. „Nein, das ist es nicht! Nur " „Nur " , „Bisher haben Sie mir so brav Ihre Zeit geopfert, haben mir all Ihre Lieblingsplätze gezeigt und mir da- mit unbeschreibliche Freude bereitet. Jetzt möchte ich Ihnen vorschlagen, daß wir als netten Abschluß für diesen Tag irgendwohin tanzen'gehen. Da» heißt, e» ist nur ein kleiner Vorschlag. Nur, um Ihnen eine Freude zu be reiten." Ein wenig nachdenklich sah Lore vor sich hin. Dann schaute ste an ihrem schlichten Leinenkostüm herunter und sagte schließlich: „So wird e» nicht aut gehen, aber wenn Sie mich eine Viertelstunde veurMkGn, ich wohne hier in der Nähe !« Diese Viertelstunde benutzte Klaus, um in sein Hotel hinüberzugehen. -- Gelosten schlängelt er sich an den dicken Portier heran. „Sie wissen doch in der Stadt Bescheid, nicht wahr?" Seine Hand verdeckt nicht ganz das blinkende Geldstück und so wird die Miene de« Portiers immer höflicher. „Das will ich meinen", schmunzelt er. „Wo soll es denn hingehen?" „Ich möchte ein« sehr exklusive Gaststätte misten, in der man ausgezeichnet speist und später ein wenig tanzen kann!" Der Portier zeigt die Andeutung eine» kleinen Lächelns. „Verstehe, verstehe, vollkommen!" , Und dann beugt er sich näher zu Klaus herab und es folgt eine lange Erklärung, von der dieser nur die Hälfte begreift. Nur der Name bleibt in seinem Gedächtnis: Hotel Winzler. - Klaus bedankt sich. Ja natürlich, er wird schon hin- finden. Lore Haller scheint keine der weiblichen Untugenden ihr eigen zu nennen. Pünktlich zur festgesetzten Zeit ist ste an dem verabredeten Treffpunkt. Jetzt trägt fie ein groß- geblümtes Kleid mit einem dazu paffenden großrandi- gen Hut, Und Klaus, der fie den ganzen Tag über «l» schMt», Gportmädsl neben stch gehabt hat, schaut verwund»»^ aus. ,Mrf ich Ihnen Verraten, daß Sie entzückend aussehen und daß ich mich auf die kommenden Stunden freue, da mich neidische Männerblick« tzkff-u werden!" lacht er. Lore Haller geht auf seine« Scherz ein. „Gibt es denn überhaupt neidische Männer?" fr-at st«. „Ich habe bisher nur immer gehört, daß es großzßgi«, intelligente und liebenswürdige Vertreter des startin M- schlechts gibt." „Ausnahmen bestätigen eben die Regel!" lacht Klau» und führt sie sorgsam über den Damm zu einem Taxi. - Klaus hat sich von dem verständnisvollen Portier seines Hotels gut beraten lasten. Es ist eins der größten Vergnügungslokale, in das er Lore Haller führt. Ein diskret blickender Empfangschef führt sie zu einem kleinen Tischchen, das von einer Ampel schwach beleuchtet wird. Auf einer Tanzfläche aus buntfarbigem Elas, deren Wirkung durch wechselnde Beleuchtung erhöht ist, tanzen einige Paare. Das Orchester sitzt halbverdeckt hinter auf gestellten Palmen, und nur der schwarze Scheitel des ersten Geigers leuchtet in den Raum hinein. — Auf allen Tischen hauchdünnes Porzellan und die schmale Schlankheit einer silbernen Vase, aus der ein paar ausgesucht schöne Blüten fallen. ,. „Ich glaube, Sie kennen die Stadt bereits bester als ich", lacht Lore Haller, nachdem sie diesen ersten Eindruck ausgenommen lM Und dann reicht sie Klaus mit einer impulsiven Be wegung die schmale Hand herüber und sagt: „Ich danke Ihnen dafür, ich komme sehr selten in diese Lokale, aber wenn es einmal der Fall ist, dann ist es für mich ein wirklicher Genuß!" „Es wird eine sehr gute Zusammenarbeit geben!" denkt Klaus. „Lore Haller ist ein wundervolles Mädchen. Sie versteht nicht nur mit beglückender Selbstverständlichkeit zu schenken, fie versteht es auch, ihrem Dank eine gute Form zu verleihen." Doch ehe er dazu kommt, etwas zu erwidern, beginnt das Orchester, der schwarzhaarige Geiger tritt einige Schritte vor und singt dann mit schmelzender Stimme: Die Lieb' ist wie ein Traum, ein kurzes Stückchen Glück, zuerst spürt man ste kaum, dann weitet sich der Blick, wenn man sie recht erfaßt, die schöne Liebelei, dann ist zu End der Traum aus vorbei." Es ist das gleiche Lied, das er mit Christa an ihrem letzten Abend getanzt hat," Mit Christa —! Ihr schmales, so tapfer lächelndes Mädchengeficht taucht vor ihm auf. Aber wie lange ist es schon her, daß er weg ist, sind es Tage — — Stünden — oder Wochen. Es scheint alles so fern zu liegen. Nur dieser heutige Tag ist Wirklichkeit — der neue Lebenskreis, an dem Christa keinen Anteil hat, in den ste nicht hineingeLogen werden kann. - 8. Kapitel „Kommen Sie heute abend mit, Fräulein Christa?" Max, der kleine, sommersprossige Laufjunge ist es, der vor dem großen Zeichentisch von Christa Lindner Halt macht. Er balanciert vergnügt mit seinem Tablett die lange Reihe der Milchflaschen aus, die im Zeichensaal all gemein als Getränk bevorzugt werden. Er mutz seine Frage noch einmal wiederholen, ehe Christa den Sinn seiner Worte begriffen hat. „Ja, natürlich komme ich mit, ich werde mich doch nicht ausschlietzen, aber erst später!" Es ist ein wenig müde, das sonst so freundliche Lächeln, das ste dem kleinen Max schenkt. Sie hat in der so notwendigen Frühstückspause, die gemäß den Anweisungen von Just Ooerland aus keinen Fall ausfallen darf, ihren Stuhl an» Fenster gezogen und träumt mit offenen Augen in die tanzenden Sonnen- > strahlen hinein. „Schon feit einer Woche hat Klaus nicht -mehr ge schrieben", grübelt fie. „Ueberhaupt seit der ersten Karte, bei der schon eine Dame unterschrieben hat, ist er ver ändert. Der herzliche Ton ist aus seinen Zeilen ver schwunden. Und ste kämpft immer von neuem den immer stärker werdenden Wunsch nieder, Hier alles im Stich zu lassen und in die angeboten« Stellung nach Köln hinüberzu- wechseln. Immer wieder hat ste die dunkle Stimm« von Direktor W«lzl«r im Ohr, der ihr beim Abschied sagte: „Ein halbes Iaht halte ich mein Angebot noch aufrecht, Fräulein Lindner!" Und je kürzer die Briefe und Kartengrüße werden, um so größer ist die Versuchung. Aber jetzt, zwei Tage vor der Modenschau im Splendid-Hotel, darf sie aus keinen Fall fahnenflüchtig werden. Und später? — — Ja, dann werden neue Aufträge kommen, man wird aus ihre Entwürfe warten, man wird fie rufen, wenn es gilt, schwierige Kundinnen zu befriedigen, die Kolleginnen werden weiter ihre Sorgen und Nöte bei ihr abladen und in Köln? — — Wird man ihr dort ebenfalls so feundlich gegenübertreten? Ein wenig müde streicht Christa die blonden Haare aus der Stirn. Es ist so entmutigend, dieses ewige Grübeln und Nachdenken. Man sollte ja, man sollte die Dinge auf sich zukommen lasten abwarten schließlich kann do.ch alles gar nicht so schlimm sein. Vielleicht ist es wirklich die viele Arbeit, die die Briefe von Klaus so kurz werden lasten. „Ich habe hier einen Arbeitsplatz gesunden, der mich vollauf befriedigt. Zwar find es manchmal zehn, ja oft sogar zwölf Stunden, die ich im Büro zubringe, aber ich spüre es, daß man mit mir zufrieden ist, daß meiste Ent scheidungen den BeifaN meiner Vorgesetzten finden." lFortschung solgt.) .