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MOZART'BEETHOVEN'ABEND Es gibt viele Menschen, die nicht mehr verstehen, wanun in der Musik so viele fremde Wörter und Be zeichnungen Vorkommen, die das Verständnis für Musik sosehr erschweren. Siewürden den Kopf schütteln, wenn sie erführen, daß gerade diese italienischen Ausdrücke zur Erklärung des Charakters der Musik hingeschrieben worden sind. Italien war vor etwa 200 Jahren das führende Musikland Europas — und wie jeder Komponist, der es zu etwas bringen wollte, unbedingt in Italien, etwa in Neapel, in Florenz oder in Rom Musik studieren mußte, so mußte er auch die italienischen Begriffe über seine einzelnen Musik stücke schreiben. ^)r hatte aber damit die Garantie, daß damals in ganz Europa jeder verstand, was er mit diesen italienischen Bezeichnungen ausdrücken und sagen wollte. Auch Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) und Ludwig van Beethoven (1770-1827), die man unter die bedeutendsten Komponisten zählt und die man auch Klassiker nennt, haben sich dieser damaligen Sitte gefügt. Viele werden staunen, wenn ihnen diese italienischen Ausdrücke übersetzt werden, weil sie im Deutschen ganz natürlich klingen. Heute ist es oft so, daß in der neuen Musik die Komponisten die Angaben, ob ihre Musikstücke langsam oder sclinell, traurig oder lustig gespielt werden sollen, in ihrer Muttersprache darüberschreiben. Deutsche Komponisten drücken dies also deutsch aus, die Russen in ihrer Muttersprache, die Franzosen fran zösisch usw. Das ist eben heute eine andere Sitte als damals. Wer die italienischen Bezeichnungen von damals nicht versteht, sollte nun nicht auf die damaligen Komponisten böse sein und ihnen vorwerfen, sie wollten sich nur mit Gelehrsamkeit brüsten. Von Mozart werden zwei Werke gespielt, eine Serenade und eine Sinfonie. Eine Serenade ist ein Ständchen, das man seiner Freundin oder Geliebten am Abend darbrachte. Das sollte immer eine nicht zu ernsthafte, anspruchslose Musik sein, mit der man die Freundin in eine angenehme Stimmung versetzen wollte, damit sie gut und freundlich von einem träumte. Wenn nun Mozart zwei kleine Orchester mit Pauken dafür wählt, so ist seine Serenade nicht mehr zum Musizieren unter dem Fenster seiner An gebeteten gedacht, sondern zum Vorspielen in einem Konzert. Aber heiter und geistvoll, gutgelaunt und im lachenden Plauderton geht es in diesem Werk immer noch zu. Es besteht aus 3 Sätzen. Der erste ist ein majestätischer Marsch (marzia maestoso). Der zweite Satz ist ein Menuett. Damit meint man einen ziemlich langsamen Tanz im Dreivierteltakt. Früher wurde an den fürstlichen Höfen Menuett getanzt, meist etwas steif und gravitätisch. Zum Schluß erklingt ein Rondo. Das war damals oft ein lustiges, freudig erregtes Stück Musik mit einer seltsamen Form: immer wieder hört man in diesem Satz einen ganz bestimmten Gedanken, eine ganz bestimmte Melodie. Gleich zu Beginn dieses Satzes geht es damit los — aber dann wird etwas anderes erzählt. Plötzlich ist dieser Hauptgedanke wieder da, er wird aber gleich wieder abgelöst von einem anderen. Der immerwährende Wechsel zwischen der Hauptmelodie mit Zwischenspielen macht den Witz dieses Stückes aus. In der Sinfonie C-dur, die auch die Jupiter-Sinfonie genannt wird, geht es viel ernster und gedankenvoller zu. ,,Jupiter“-Sinfonie heißt sie deshalb, weil sie die Krönung aller seiner Sinfonien sein soll und ihr deshalb der Name des römischen Göttervaters verliehen wurde. Sie hat wirklich etwas Strahlendes an sich, was aber auch auf die Tonart C-dur zurückzuführen ist. Den Namen haben ihr überdies spätere Geschlechter verliehen, nicht Mozart selbst. Eine Sinfonie hat fast immer vier Sätze, von denen der erste der wichtigste ist. Hier bei Mozart ist auch der vierte sehr wichtig, was man daraus ersehen kann, daß er dort eine Fuge hineinkomponiert hat. Allegro heißt eigentlich munter oder fröhlich, heute ver steht man eine Bezeichnung des Zeitmaßes darunter, nämlich,,schnell". Vivace heißt fast dasselbe, nämlich ,.lebhaft“ — und molto wird übersetzt mit „viel“ oder „sehr“. Also ist der erste Satz lebhaft schnell und das Finale (das auf deutsch Schlußstück heißt) sehr schnell. Wie einfach! Andante cantabile, wie der zweite Satz überschrieben ist, lautet übersetzt: ruhig gehend, gesangvoll. Daraus merkt man schon, daß hier die Musik ruhig fließen und uns mit schöngesungenen Melodien überschütten wird. Hingegen ist das Menuett wieder lebhaft. Wer wird nun ab heute noch Angst oder Abneigung vor jenen Fremd wörtern haben? Ludwig van Beethoven schrieb das Es-dur-Klavierkonzert op. 73, sein fünftes und letztes seiner Konzerte für Klavier und Orchester 1809. Er hat es, obwohl er ein hervorragender Klavierspieler war, nie selbst öffentlich vorgeführt. Das hing mit seiner beginnenden und fortschreitenden Ertaubung zusammen, die es nicht mehr zuließ, daß er sich dem edlen Wettstreit zwischen Klavier und Orchester hingab. Die musikalische Welt bezeichnet dieses Werk als den Gipfel innerhalb der klassischen Musik, sie nennt es deshalb das „königliche“ Konzert. Immer, wenn Beethoven in Es-dur komponiert, gelingt ihm etwas Heroisches, etwas Heldentümliches. So ist der erste Satz. Er ist eigentlich eine Sinfonie mit Klövicr. Im Gegensatz dazu ist aber der zweite Satz zart und süß und so schön, daß man früher sagte, er sei himmlisch. Adagio heißt „sehr langsam“ — un poco mosso wird übersetzt mit,,ein wenig belebt“. Das Rondo am Schluß des Konzertes (Allegro ml non troppo = lebhaft, aber nicht zu sehr) ist ein sehr lebensfreudiges, jubelndes Musikstück, das uns beweist, daß ein echter Künstler die Schicksals schläge, die das Leben ihm austeilt (bei Beethoven die beginnende Taubheit), überwinden kann. Das ist der Gedanke, der gerade uns heute not tut und den wir mit nach Hause tragen sollten. Johannes Paul Thilman D 03 763 350 0,6