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Z U R E IN FÜHRUNG BEETHOVEN: II. Sinfonie Im Sommer 1802 suchte Beethoven auf dem Lande Gene sung von seinem sich in immer beängstigenderem Maße bemerkbar machenden tragischen Gehörleiden und mußte ohne Hoffnung auf Heilung nach Wien zurückkehren. Dieser quälenden Zeit, in der er sich immer mehr von der Welt zurückzog, entstammt das „Heiligenstätter Testa ment“, jenes erschütternde Zeugnis Beethovenscher Menschen- und Weltliebe — und dieser Zeit entstammt auch die zweite Sinfonie, deren Heiterkeit und Frische nicht ahnen lassen können, daß sie zu ebendieser Zeit geschrieben wurde. Zwingender kann die Unabhängigkeit des.genialen schöpferischen Geistes von Einflüssen nicht nur der Umwelt, sondern auch des persönlichen Lebens und Leidens nicht erwiesen werden. — Ihre Uraufführung erlebte die zweite Sinfonie 1803 in einem von Beethoven veranstalteten Konzert in Wien zusammen — Programme von dieser Ausdehnung waren damals nichts Seltenes — mit der ersten Sinfonie, dem Klavierkonzert in c-moll und dem Oratorium „Christus am ölberg“. Wenn Beethoven auch erst in seiner dritten Sinfonie, der „Eroica“, zum künstlerischen Revolutionär wird, so wäre es doch verfehlt, wollte inan die zweite Sinfonie, wie es oft geschieht, gewissermaßen noch nicht der eigentlichen Sinfonik Beethovens zurechnen. Sie ist in ihrer Durch gestaltung und in der Ausgewogenheit von Form und Inhalt ein Meisterwerk wie jedes andere. Daß sie in vielen Punkten über den allgemeinen Zeitgeschmack hinaus ging, zeigt sich schon darin, daß sie damals weniger Beifall gefunden hat als die erste Sinfonie. Daß die „Zeitung für die elegante Welt“ das Werk nach der ersten Aufführung 1804 in Leipzig als ein „krasses Ungeheuer“ bezeichnet hat, sei nur als Kuriosum vermerkt. E.C. BEETHOVEN: VII. Sinfonie Die VII. Sinfonie Ludwig van Beethovens sagt unseiniges aus über das Wesen des Meisters, etwas über seinen Humor, seine Heiterkeit, die er sich trotz aller Schicksalsschläge bewahrt hat. Aber es ist eine ganz eigene, eine Beet- hovensche Heiterkeit. Man kann auf ganz verschiedene Art heiter sein. Der eine lächelt still vor sich hin. Der andere lacht hell seine Freude in die Welt. Der dritte pfeift sich ein lustiges Liedlein. Der vierte geht durch den finsteren Wald und singt. Nichts von alledem bei Beethoven. Wenn er heiter ist, wird es uns unheimlich. Er geht nicht, er stürmt. Er lacht nicht, er schreit. Er übersieht nicht d'e dunklen Abgründe des Waldes, er wird von ihnen beinahe erdrückt. Erwehrt sich dagegen. Er greift die Finsternis an. Er besiegt sie. Lacht er über sie, bleibt ein Rest des Kampfes in seinem Lachen. Es sc.hwingt etwas Dumpfes mit, es klirrt etwas wie zerbrochenes Glück und Glas. Das ist ungefähr die Stimmung, die uns aus der Siebenten Sinfonie Beet hovens entgegentönt. Sie besteht aus vier Sätzen. Dem ersten geht eine Einleitung voraus, in langsamem Tempo, während der eigentliche Satz — wie es die Regel ist — schnelles Tempo (Vivace) anschlägt. Während jene Einleitung den Anschein erweckt, als würden wir von dem Tondichter in die Gefilde des Friedens und der Ein tracht geführt, zeigt uns das Vivace den eigentlichen Charakter der Musik. Sie ist von einem Rhythmus bestimmt, der sehr stark an Tanz erinnert. Hören Sie nur, wie das Vivace beginnt: Drei Takte lang der gleiche Ton, als wollte Beethoven sagen: nicht auf die Melodie kommt es mir an, soudern auf den Rhythmus, ich will tanzen und ihr sollt mit mir tanzen, im starken Rhythmus meiner Musik. Wenn dann das eigentliche Thema des ersten Satzes erklingt, ist es. als gebe sich Beethoven ganz der Lebensfreude hin. Aber wir merken bald, daß diese Lustigkeit etwas gemacht ist, daß sie zu grell ist, um ganz echt zu sein. Wir hören, wie die Linie des Themas, das den ganzen Satz beherrscht (es fehlt das eigentliche zweite Thema), unterbrochen wird, wie düstere Moll-Akkorde auftauchen, wie plötzlich der heitere Fluß stockt, als sei der Mensch schon müde der Freude. O ja, erist sehr müde, hört euch nur den zweiten Satz an, wie das traurig voranschreitet, ein Totenmarsch fast, ein Allerseelengang. Hört, wie unter der Oberfläche Bratsche und später die zweiten Geigen leise vor sich hinweinen. Der Mittelteil hellt das Bild etwas auf, aller^ dings bleiben die Bässe bei ihrem eigensinnigen, dumpfe® Pochen, der Gang zu den Toten ist nicht zu Ende. De^ dritte Satz sprüht von Leben und Bewegung. Auch er hat wieder den Tanzrhythmus. Das ist nicht weiter ver wunderlich. Denn der dritte Satz einer Sinfonie, meist „Scherzo" genannt, ist nichts anderes, als ein Menuett, das aus der Tanzsuite in die Sinfonie hereingenommen wurde. Bei Haydn und Mozart ist der Menuett-Charakter noch ganz deutlich. Bei Beethoven verliert er sich immer, es bleibt nur noch die Taktart des Menuetts, der Drei vierteltakt, übrig. Es ist ein ausgelassener wilder Tanz, der hier getanzt wird. Kein fröhlicher Bauerntanz wie in der „Pastorale". Eher ein Gespenstertanz. Um so friedvoller wirkt der zweite Teil des Satzes (das sogenannte „Trio“), in dem Beethoven die Weise eines österreichischen Wallfahrts-_ gesanges verarbeitet. Die beiden Teile werden dann noch .einmal wiederholt, der erste Teil ein drittes Mal, während man vom zweiten Teil nur noch ein paar Takte hört, al wollte Beethoven damit betonen, daß ihm die wilde Auf geregtheit wichtiger ist, als die friedvolle Wallfahrer weise. Wie zur Bekräftigung dessen ertönen am Schluß fünf Schläge des vollen Orchesters. Der letzte Satz ist ein einziger Rausch von Freude und Lust. Es ist, als wolle der Komponist alle trüben Gedanken fortscheuchen, als würde er sich unter frohe Zecher mischen, um im Wein Vergessen zu trinken. Angesichts dieser Musik versteht man, daß Richard Wagner die Siebente Sinfonie eine „Apotheose des Tanzes“ genannt hat. Dieses sind seine wahrhaft „klassischen" Sätze über das Werk: „Seinen Tongestellten" selbst jene Dichtigkeit, jene unmittelbar erkennbare sinnlich sichere Festigkeit zu geben, wie er sie an den Erscheinungen der Natur zu so beseligendem Tröste wahrgenommen hatte, das war die liebevolle Seele des freudigen Triebes, der uns die übe alles herrliche A-dur-Sinfonie erschuf. Aller Ungestüm alles Sehnen und Toben des Herzen; wird hier zum wonnigen Übermute der Freude, bacchantischer Allmacht uns durch alle Räume der Natur, durch alle Ströme und Meere des Lebens hinreißt, jauchzend selbstbewußt überall, wohin wir im kühnen Takte dieses menschlichen Sphären tanzes treten. Diese Sinfonie ist die Apotheose des Tanzes selbst: sie ist der Tanz nach seinem höchsten Wesen, die seligste Tat der in Tönen gleichsam idealisch verkörperten Leibesbewegung. Melodie und Harmonie schließen sich auf dem markigen Gebeine des Rhythmus wie zu festen menschlichen Gestalten, die bald mit riesig gelenken Gliedern, bald mit elastisch zarter Geschmei digkeit schlank und üppig fast vor unseren Augen den Reigen schließen, zu dem bald lieblich, bald kühn, bald ernst, bald ausgelassen, bald sinnig, bald jauchzend die unsterbliche Weise fort und fort tönt, bis im letzten Wirbel der Lust ein jubelnder Kuß die letzte Umarmung beschließt Dr. Karl Laux