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Orneberrecktsscbutr: ^uk>värtsr Verlag 6. m. b. n. öerlin nl'^ " Nachdruck verboten. Und sie unterhielten sich beide so gut, daß die Zeit dabei verflog, ohne daß sie es merkten, bis Alfred Held berg plötzlich fcststellte: „Es ist ja schon halb zwei Uhr, also höchste Essenszeit I Ich wundere mich, wo meine Damen so lange bleiben." In diesem Augenblick hörte man ein Auto hupen; aber man konnte es nicht sehen, das Arbeitszimmer lag nach dem kleinen Park zu. Alfred Heldberg lächelte: Eben sind die Damen gekommen, nun wird's gleich Tisch gehen." Zwei Minuten später klopfte es an, und gleich darauf stand Maria Franz aus der Schwelle. Sie trug ein einfaches weißes Kleid mit blauweißem Jäckchen und großer blauer Schleife, ein blaues Hütchen ließ das lichte blonde Haar seitlich frei. Der Besucher saß mit dem Rücken der Tür zugewandt. Alfred Heldberg fragte vergnügt: „Rate mal, Maria, wer uns besucht hat, wer da in dem Sessel sitzt?" Schon erhob sich die hohe Gestalt Ralf Vurggrafs und wandte sich um. Marias Gesicht verlor alle Farbe, tief erblaßt blickte sie den Mann an, den sie mit aller Gewalt hatte vergessen wollen. In den Augen Ralf Burggrafs blitzte es verstehend auf. Mit einem Male wurde ihm vieles klar, mit einem Male wußte er Bescheid, mit einem Male war er im Bilde. Sie. die er geküßt, deren süße Blondheil stürmisch und überschnell sein Herz erobert, war die Braut des viel älteren berühmten Mannes, und würde in kurzer Zeit seine Frau sein. Jetzt mußte er, weshalb sie vor ihm geflohen, die so selbstvergessen in seinen Arinen geruht. Alfred Helvberg war berühmt und reich, und wenn man solche Zukunft schon so gut wie fest in seinen Händen hält, läßt man sich auf kein Experiment mit einem jungen Unbekannten mehr ein. Nüchtern und praktisch war das gedacht. Bitternis erfüllte ihn. 4vkfred Heldberg merkte nichts von dem Erschrecken der «iciden, er stellte vergnügt vor: „Das' ist Ralf Burggraf, der Sohn meines Lebens retters, liebe Maria! Ich schrieb ihm doch, und da er serakle'M Berlin zu tun hatte, besuchte er mich." Er, wandte sich an Ralf Burggraf und stellte vor: „Das ist Maria Franz, mein Mündel und meine Ver lobte!" Er lächelte: „Wir haben uns sehr lieb, Maria Franz und ich, und wollen sehr glücklich werden." Maria tat jedes Wort weh, das Alfred Heldberg sprach, und Scham, so vor dem anderen dazustehen, ließ sie er beben. Sic mußte alle Kraft zusammennehmcn, ui» nicht die Fassung zu verlieren, die sie in ihrem jungen Leben niemals nötiger gebraucht als in diesem Augenblick. Sie reichte Ralf Burggraf die Hand, sagte leise: „Ich freue mich, Sie kennenzulernen!" Er erfaßte die Hand mit hartem Druck. „Das glaube ich Ihnen gern, mein gnädiges Fräulein, «chon weil Ihrem Verlobten daran lag, mich kennenzu lernen! Menschen, die sich sehr lieben, haben meist die gleichen Wünsche." Alfred Heldberg nickte. „Im allgemeinen stimmt das Wohl, aber in unserem Falle war Maria eigentlich sehr dagegen, daß ich Ihnen schrieb! Sie fürchtete nämlich, Sie könnten es irgendwie falsch auffassen, weil meine Dankbarkeitsregung reichlich verspätet kam. Da schrieb ich hinter ihrem Rücken und kann ihr nun beweisen, daß Sie meinem Briefe doch Ver ständnis entgegenbrachten." Ralf Burggrafs Lippen zuckten ein wenig. . „Ich verstehe Ihr Verlangen, an mich zu schreiben, und ich verstehe auch, daß Jhn/n das gnädige Fräulein ab- rcdete!" Maria hörte aus der Antwort deutlich den Doppelsinn Ler Worte heraus, der Alfred Heldberg verborgen blieb. Der Hausherr lächelte Maria an: „Herr Burggraf ist heute mittag unser Gast, unter richte, bitte, Tante Bern« davon!" Maria nickte. „Wir werden gleich essen!" Sie verließ nach flüchtigem «Äruß das Zimmer. Sie hätte es hier nicht eine Minute länger ausgehalten unter dem ständigen Blick der grauen Augen, in denen sie Verachtung und Zorn zu lesen -glaubte, und sie hastete die Treppen hinauf, riß Berna SickhardtS Stube auf, ohne an ein Anklopfen zu denken. ' Atemlos stieß sie hervor: «Er. Ist da und bleibt zu Tisch. Alfred hat ihn mir dorgestellt. SS ist furchtbar!' Bern« Licfhardt, dk sich noch eben, in Gedanken »er- gnügt, mit den heutigen Einkäufen beschäftigte, ftagte verwundert: „Wer ist da? »erLleibt zu Tisch? Was ist furchtbar? Und wen hat dir Alfred vorgestellt?" Maria war auf den nächsten Stuhl gesunken. „Ralf Burggraf ist hier, Alfred hat heimlich doch an ähn geschrieben, und nun hat er heute hier Besuch ge macht, weil er gerade in Berlin zu tun hat. Er bleibt 1 Maria stieß es abgerissen hervor, und ihr Gesichts ausdruck hatte etwas Verzweifeltes. Berna Sickhardt erschrak natürlich ebenfalls, aber sie blieb äußerlich ruhig. Jetzt galt es, Maria Mut zu machen, damit sie nicht etwa die Herrschaft über ihre Nerven ver lor. Nur das nicht! Sie fragte: „Hast du den Eindruck, als ob Burggraf irgendwie die Absicht haben könnte, dir einen Skandal zu machen?" Maria fuhr sich über die Augen, die tränenschwer waren. „Nein, den Eindruck habe ich nicht! Doch er sah mich so verächtlich und böse an — das aber tut entsetzlich weh. Ich schäme mich entsetzlich vor ihm, und es ist einfach un möglich für mich, mit ihm am selben Tisch zu sitzen, gleich gültig und fremd zu tun." Berna Sickhardt zuckte bedauernd dis Achseln. „Es wird dir aber Wohl nichts anderes übrig bleiben, mein liebes Kind! Du hast dir leider in Frankfurt eine Dummheit eingebrockt, die nicht mehr aus der Wett zu schaffen ist. Hauptsache ist, daß er keinen Skandal provo ziert! ES wird ein etwas peinliches Mittagsmahl, sowohl für dich als auch für mich werden; aber da alles einmal vorübcrgcht, werden auch die Stunden vortibergehen, die uns unangenehm sind. Danach wird dir Ralf Bnrggraf bestimmt nicht mehr in den Weg kommen, weil er jetzt weiß, du bist Alfred Heldbergs zukünftige Gattin." Sie seufzte. „Wir müssen durch die Geschichte hindurch, wenn uns auch Dornenhecken den Weg erschweren. Und jetzt nimm eine Kolaiablette, die verscheucht die allergrößte Angst, und dann mach' dich fertig. Ich gehe vor und lasse ein drittes GedKk auflegen." Sie küßte Maria auf die Wange. „Laß gut sein, Pädel, dieser Tag geht doch auch vorüber! Vergiß nicht, wenn deine Nerven streiten wollen, daß es nicht allein darauf ankommt, dich oder Burggraf zu schonen, sondern darauf, daß Alfred geschont werden muß — er vor allem. Denke an seine Arbeit. Nichts ahnen, nichts erfahren darf er. Ich glaube, Burggraf wirs Schweigen bewahren, nachdem er die Sachlage begriffen hat. Wollen das wenigstens annehmen und hoffen, unv jetzt: Kops hoch, Maria!" Sie verließ die Stube, und Maria steckte gehorsam eine Kolatablette in den' Mund. Aber sie versprach sich gar nichts von der Wirkung der Tablette. Kola kann Er müdung verscheuchen, kann auffrischen,' doch so weit ging seine Wirkung nicht, ihr die Liebe zu dein anderen aus dem Herzen zu reißen. Die Liebe, die sie, seit sie ihn wieder- gesehen. so mächtig und zwingend spürte, daß sie nicht mehr begriff, warum sie Alfred Heldberg damals, als es noch Zeit gewesen, nicht doch die Wahrheit gestanden. Vielleicht hätte er sich damit abgcfunden. Heute war cs zu spät dazu — viel zu spät. Langsam tropften ein paar große Tränen nieder auf ihren Schoß Zu spät! > 'So tief und schwer klingen Totenglocken, wenn ein Sarg in die Erde gesenkt wird — so tief und schwer klingen Totenglocken wi- Ki- rwei kurzen Silben: Zu spät! Fünfzehntes K a p i t e l. Maria preßte die Lippen fest aufeinander, um den grau samen Schmerz niederzukämpfen, der ihr ein Meer von Tränen entlocken wollte. Sie durfte nicht weinen. Eben klang das Gongzcichen durch das Haus, das zur Mahlzeit rief. Sie eilte in ihr Zimmer nebenan und kühlte die Augen mit kaltem Wasser. Danach strich sie mit ver Bürste über das Haar und sagte leise, aber mit fester Stimme vor sich hin: „Ich darf nicht schwach werden, ich muß die Lüge aufrechterhalten!" , Das zweite Gongzeichen. Das dritte würde erst nach einigen Minuten ertönen, und diese wenigen Minuten mußten genügen, ihrem Gesicht den Ausdruck von Nutze und Freundlichkeit zu geben. Alfred Heldberg sollte keine Unruhe in ihren Zügen finden; auch ber andere nicht — nein, auch er nicht! Und doch, die Angst in ihr wuchs mit jedem Schritt, den sie die Treppe hinunter machte, und vor der Tür des Speisezimmers wartete sie ein ganzes Weilchen, ehe sie die Klinke niederdrückte. Ein Lächeln herbeizwingend, trat sie dann ein. Alfred Heldberg stand mit seiyem Gast aus der offenen Veranda, die sich vor dem Speisezimmer hinzog. Ganz in Sonne getaucht war die schneeweiße Veranda, und nahe Parkbäume warfen Schatten über.daS Helle Weiß, wie be wegliche Netze, denn in den grünen Blättern spielte ein leiser Wind. . Beide Herren wandten sich um bei Marias Eintreten. Gleich darauf, noch ehe jemand ein Wort gesprochen, trat auch Berna Sickhardt eim Ralf Burggraf hatte es sich, nachdem er Maria ge sehen, schon denken können, wer Alfred Heldbergs ver- witwete Kusine aus Frankfurt am Main war, deshalb wunderte er sich gar nicht, als er in ihr die Frau erkannte, die ihm in Frankfurt erklärt, sie kenne keine hellblonde junge Dame. Er hatte sie ja schon mit Maria am Frayk- surter Hauptbahnhof zusammen gesehen, ehe er noch ge wußt. wer sein „blondes Abenteuer" war. Bern« Sickhardt ließ sich den Besucher vorstellen, tat, als wilte inan sich noch niemals imLeben begegnet; aber ihr Blich lag flüchtig in dem deS : Mannes wie eine zwingende Bitte. Er verstand die Bitte und dachte zornig: Schonung wollen die beiden Frauen! Er wünschte nichts von ihnen; aber besser wäre eS ge wesen, Alfred Heldberg hätte ihm niemals geschrieben, dann wäre ihm dieser schlimme Tag wohl erspart ge- blieben, Er litt. Er verachtete Maria Franz, weil sie um schnöben Vorteils willen den Mann heiratete, der ihr Vater hätte sein können. Man ging zu Tisch. Maria saß neben dem Gast, Berna Sickhardt ihm gegenüber. Der Herr des Hauses lenkte die Unterhaltung. Er verstand es sehr gut. Schließlich sagte er: „Sie sollten unsere Hochzeit mit feiern, lieber Herr Bnrggraf! Die paar Tage, die noch bis dahin vergehen, gibt Ihnen Ihr Chef wahrscheinlkh frei. Soll ich khn darum bitten? Vielleicht hat mein Name ein bißchen Einfluß." . Maria erschrak bis ins tiefste Herz.' Gütiger Himmel, nur das nicht!, betete sie in Gedanken. Sie sah ein eigenes Lächeln um Ralf Burggrafs Lippen gleiten. Ein Lächeln, das wie ein Messer war, mit dem man einen Feind verwunden will. Jetzt antwortete der neben ihr Sitzende. „Ihre liebenswürdige Einladung ehrt mich ungemein, Herr Heldberg! Aber cs ist bei uns in dieser Ze«tt so sehr viel zu tun, daß mir mein Chef die Bitte bestimmt ab schlagen würde." Maria wußte es kaum, daß sie ihm einen dankbaren Blick znwarf, doch senkte sie sofort die Lidcr vor den harten grauen Augen. -- „Schade!" bedauerte Alfred Hcldbcrg aufrichtig, und dann wandte sich die Unterhaltung wieder anderen Dingen zu. Nach Tisch nahm man den Kaffee auf der Veranda, von wo eine breite Treppe in den Park führte. Alfred Heldberg schlug vor, Maria sollte dem Besucher den Park und den hübschen Pavillon zeigen, er hätte ein wichtiges Ferngespräch zu erwarten und müsse in der Nähe des Telephons bleiben. „Nein, du leistest mir besser Gesellschaft, Berna!" ordnete er an, als seine Kusine erklärte: „Ich werde mit in den Park gehen." „Ich bitte dich, darauf zu verzichten", fuhr er fort, „weil ich etwas mit dir besprechen möchte!" So mußte Berna Sickhardt Zurückbleiben, und sie dachte: Es war wohl gut so, den beiden jungen Menschen Gelegenheit zu ungestörter Aussprache zu geben, die ihnen not tat! Maria würde mit Ralf Burggras aus die Weise ins reine kommen; sic wußte ja, was sic ihrem Verlobten schuldig war. Maria aber war schlimm zumute. Sie fürchtete sich vor einem Alleinsein mit Ralf Burggraf, und zugleich, dachte auch sie, es war vielleicht gut, wen» sie sich mit ihm aussprechen konnte, damit sie ruhig und still in ihre Ehe gehen durfte. In eine Ehe, vor der ihr jetzt bangte, die ihr furchtbar schwer schien, seit sie den anderen wieder gesehen. Sie gingen beide nebeneinander die breite Tcrrassen- treppe hinunter, und der Mann an ihrer Seite bewunderte die silbernen Reflexe, die Souncnglanz über ihr seltenes Haar hinzanberle. Er sprach Alltägliches zu ihr, sagte, das Wetter wäre herrlich, Berlin wäre eine Stadt des Tempos, und der Park scheine geschmackvoll angelegt. Sie ant wortete mit ein paar belanglosen Worten, und als die Treppe hinter ihnen lag, raunte er ihr plötzlich zu: „Sage, Mädchen, falsches, leichtsinniges, schämst du dich denn nicht ein bißchen vor mir? Ich bin nur mit dir gegangen, damit ich dir erklären kann, du brauchst mir keine schönen Augen mehr zu machen, um Schonung von mir zu erbitten! Meinetwegen kannst du heiraten, wen du willst! An einem Mädel deiner Sorte verliert man nichts. Ein Alltagsverdiener wie ich kann dir nichts nützen — da frägt man lieber nicht danach, daß man auch ein Herz in - der Brust hat." Er schlug den nächsten Seitenweg ein und blickte sich um, hielt sie an einem Aermel ihres Kleides fest und zwang sie so zum Stehenbleiben. „Meine Allerschönste, von der Terrasse aus kann man uns hier nicht mehr beobachten, und darauf kommt es mir an! Ich möchte um keinen Preis, daß Heldberg auch nur im geringsten mißtrauisch wird. Vor allem seinetwegen nicht, denn dir gönnte ich eine Enttäuschung und Nieder- läge." Er neigte den Kopf tiefer, und sein Atem strich über ihr Gesicht wie ein leiser, heißer Wind. „Waruin bist du vor mir aus Frankfurt geflohen? Warqm hast du mir nicht die Wahrheit gesagt? Ich Hätte sie damals viel leicht verstanden, heute verstehe ich sie nicht mehr, heute ekelt sie wich an, weil ich nur Berechnung von deiner Seite in dem sehss, was dich mit ihm verbindet." Er wies mit dem Daumen der Rechten über die Schulter zurück nach der Richtung, in-der sich die Terrasse befand. . . > Maria hatte bis jetzt noch kein einziges Wort ge sprochen, , , Zorn war in ihm, hell lodernder Zorn,, weil sie, die da vor ihm stand, die er am liebsten wie ein Ver- schmachteier geküßt, einem anderen Manne gehören' sollte.' Sie erwiderte leise: ? „Wäre es nicht desser, wir sprächen unS ganz ruM aus? Ich vermag dir dann vielleicht zu erklären, daß ts für mich wohl doch ein paar Entschuldigungsgründe gibt." Er zuckte die Achseln. ' - „Entschuldjgungsgründe haben auch die schlechtesten Menschen zur Hand." , „ Zu denen du mich natürlich zählst!" lächelte sie Hitler. „Trotzdem schlage ^ch dir vor, mich i« den Pavillon zu begleiten, dort können wir ungestört miteinander redeu!" Er zuckte wieder die Achseln. (Forlsetzung folg,.) )