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Tirbcbenecbtssckutr: ^ünk lürine-Verlag, llsllo <8asls) LI) Nachdruck verboten. „In — in die Fabrik von — von...", stotterte sie. Pips hatte sich schon wieder gefaßt. Sie streckte beide Beine lang vor sich hin und hielt die Hände in den Taschen ihres Sportrocks vergraben, die Augen aber auf die Spitzen ihrer Schuhe geheftet. Großtun war ihr zuwider. Der Schnabel war ihr durchgegangen, und sie hatte mehr herausgegeben, als sie gewollt. Jetzt war es zu spät. Jetzt sah sie da wie ertappt. Na, also da war nichts zu machen. Sie erhob sich und Pflanzte sich vor die Frau hin, so daß sie diese hätte umrennen müssen, wollte sie fort. Aber diese Gefahr bestand nicht mehr, dazu war die viel zu benommen. „Die Sache ist die", begann Pips ihre Erklärung. „Durch die hohen Zölle ist bei uns eine Konjunktur für inländische Ware entstanden, die wir ausnützen müssen, um ein für allemal den ausländischen Markt für gewisse Sachen zu schlagen. Die Erfindung des Holdl fällt in dieses Fach und verspricht Erfolg. So habe ich meinen Vater veranlaßt, das Patent anzukaufen, womit der Hold! einen anständigen Patzen Geld verdient. Das ist das erste. Das andere, daß er bei uns Aussichten hat, einmal Direktor zu werden, wenn er hält, was er verspricht..." „Der Holdl?" stammelte die Frau nun vollkommen fassungslos. „Dvr Holdl — der soll einmal...", sie kam nicht weiter. Alle ihre Dünkelhaftigkeit war von ihr ab- gcfallen, und bleich und verschüchtert starrte sie auf das junge Ding da vor sich, noch immer ungewiß, ob sich die nicht einen Spaß mit ihr erlaubte. Und als ihre Gedanken diese Richtung nahmen, hob sie wieder einigermaßen be lebter den Kopf: „Ist das aber auch sicher? Ich glaub's nets Wie kämst denn nacher daher als an' Erntearbciterin, wann..." Pips, immer noch die Hände in den Taschen, zog jetzt ein flaches Etui hervor Und entnahm ihm eine Zigarette, aus der andern Tasche kam ein Feuerzeug znm Vorschein. Während sie ihr Nauchkraut in Brand steckte und ungeniert zu paffen begann, meinte sie so nebenbei: „Ja, meine liebe Frau Verwalterin, Sie wissen noch allerhand nicht, was in der Welt vorgeht. Mit Poltern, Greinen und Besserwissen ist's nicht getan. Hat der Mensch von seinem Herrgott einen guten Kopf mitbekommen, dann soll er ihn auch nützen — das gilt von Ihnen. Was aber mich betrifft, so ist das viel einfacher. Ich bin das einzige Kind von Willy — wollte sagen, von meinem Vater. So lange er lebt und arbeitsfreudig bleibt, ist alles gut und schön und ich kann tun, was mir gefällt. Kommt es aber einmal nach Gottes Ratschluß anders, dann muß ich ans dem Posten stehen. Viertausend Menschen können -nicht feiern um eines einzigen willen, das werden Sie ver stehen — nicht wahr? Und darum ist es nötig, daß ich beizeiten kenncnlerne, was Arbeit heißt, damit ich nicht mehr von meinen Leuten verlange, als was gegebenen falls ich selbst leisten könnte." Frau Picringer hatte mit vorgestrecktem Kopf die lange Rede mit angehört. „Viertausend Arbeiter?' flüsterte sie scheu, als wenn ein Gespenst umginge. „Viertausend Arbeiter — und alles für einen Herrn?" „Alle für einen und einer für alle, jawohl", nickte Pips. „Solange es halt geht. Und wir wollen den lieben Gott reck» extra bitten, daß es geht und daß bald bessere Zeiten kommen, damit man alle die braven, fleißigen Menschen in Brot lassen kann... Und wenn Sie bedenken wollten, liebe Frau, daß dazu einiges gehört, daß das ganz andere Sorgen und Kräfte braucht, als Sie für Ihre Rechthaberei aufwenden, dann werden Sie auch hoffentlich einschen, daß es schade darum ist, und Einlehr hatten. Jede Spur unnütz vergeudeter Kraft fehlt letzten Endes dem all gemeinen Energiestrom, der aber das verstehen Sic nicht", unterbrach sie sich in gewohnter Schmucklosigkeit. Aber die Pieringer steckte auch das ergeben ein. Hier war eine Stärkere am Werk, das fühlte sie. Hier galt es nicht, mit Eigensinn seinen Willen durchzusetzen. So ver ständig wär sie auch. Nur das andere, das, was mit der Familie Hocholdinger zusammcnhiNg, das fraß an ihr — aber plötzlich fehlte es ihr an Mut, davon anzufangen. Mit staunenden Augen, in denen unwillkürlicher Respekt lag, blickte sie auf die zierliche, schlanke Gestalt da vor sich, die so sprach, wie es der Herr Bürgermeister ketli-r nicht besser konnte... Während Pips es sich angelegen sein ließ, das Glück guter, rechtschaffener Menschen dauerhaft zu zimmern, war die Exzellenz Rest in der Wiener Villa auch nicht untätig. Wohl hatte Pips vor ihrer Abreise alles geordnet, damit die alte Dame möglichst wenig von der Umgestaltung dcr Mansarde empfand, die bisher dir Bude der jungen Studentin gewesen. Nun aber sollte sie für die Bedürfnisse eines stillen Ge lehrten hergerichtet werden. Der kleine Fahrstuhl, der nur einen schmalen Sitz aufwies und niemals benutzt worden war, mußte für den leidenden alten Herrn umgebaut werden, weil der sich sonst nicht htuaufbefördcrn lassen konnte mit seinem kranken Bein. Dann kan en die Wohn- und Studierzimmer dran, von denen einige ausgeräuntt Wurden, damit der Hausrat, der aus Berlin hergeschafst wurde, ausgestellt werden konnte. All dies nahm einige- Wochen in Anspruch, während derer sich das junge Ehepaar nach Berlin begab, um don bie Uebersicdlung zu leiten und den alten Herrn persönlich nach Wien zu bringen. Nach langem Hin und Her wurde beschlossen, daß diese Reise nicht im Auto, sondern mit dcr Eisenbahn vor sich gehen sollte. PipS war anfangs absolm abgeneigt und sprach für die Autofahrt, die unabhängig mache und außerdem bequemer sei. Aber Rest bewies ihr, daß der Begriff von Bequemlichkeit für jung und alt ver schieden sei. Mit einem lahmen Bein viele Stunden lang auf einem Sitz zu verharren, tonnte dem alten Herrn nicht zugemutet werden. Pips mußte nachgeben, w«s für sie ein schweres Stück Arbeit,bedeutete. Mehr als sonst etwas, was man mit Tatkraft fördern konnte. Einmal in Berlin angelangt, konnte sie dann nach Herzenslust disponieren. Die Rollen waren schon verteilt. Gilbert sollte unter Anweisung seines Vaters Bücher und Schriften verpacken, was man niemandem überlassen tonnte. Pips blieb eie Beaufsichtigung der Auflösung des übrigen Haushalts, das Verpacken jener Stücke anzu ordnen und zu beaufsichtigen, die den persönlichen Be dürfnissen und der Gewohnheit des Gelehrten dienten und daruin die Reise nach Wien mitmachen sollten. Der Rest war der langjährigen Wirtschafterin zugedacht, die sich damit durch Vermieten von Zimmern eine Existenz schaffen tonnte. Und als Pips das schwere Wert vollendet, indem sie die Verwalterin Pieringer eines besseren Selbst belehrte, konnte sie allerdings mit starker Verspätung ihrer-neuen Mission entgegeseilen. Sie mußte sich ihrem Schwieger vater erst einmal in aller Form vorstcllen, aber sie meinte, das sei Kinderspiel. Mit einem Mann fertig zu werden, noch dazu mit einem, von dem ihre „Resi" so viel Liebes und Schönes erzählte, von dem Gilbert nicht genug sprechen tonnte — was war das gegen die Zähmung der künstigen Schwiegermutter ihrer Freundin, der Philippin Hocholdinger? Als sie am späten Abend mit ihrem Eheherrn, nach glücklich überstandener Fahrt, in einem der gemütlichen Weinstübchen, die si« weitaus einem prunkvollen Restau rant vorzog, von Innsbruck saß, da lehnte sie sich ein wenig müde gegen die Schulter dessen, der fortan ihr Weg genosse bleiben sollte, soweit es das Schicksal bestimmt, hob ihr Glas mit dem goldfunkelnden Inhalt und stieß an das feine: „Auf gutes Gedeihen unserer Pläne und Aussichten..." Mit singendem Klang schwebte es aus, wie glückhafte Verheißung. * . " " ' Der alte Professor Haller war ein feiner, stiller Stuben gelehrter, der den Großteil seines Lebens in einer selbst geschaffenen Welt lebte, aus der er nur ganz selten ins Irdische sand. Ein solcher Ausflug in die Wirklichkeit geschah, als er seine Schwiegertochter kennenlernte. Wie plötzliches Er wachen aus langem, traumreichem Schlaf, so war ihm zu Sinn, als er der jungen Frau gegenüberstand. Seiner eigenen Jugend gegenübsrstand! Pips hatte viel Aehnlich- keit mit ihrer „Resi", wie aus deren Jugendbildern hervor ging, die sich zu Pips' ungeheucheltem Entzücken in ver Studierstube vorfanden. Danach zu schließen, mußten die beiden Herrschaften in jungen Tagen in inniger Ver bundenheit gelebt haben. Ungefähr gleichaltrig und Nachbarskinder obendrein. Nach und nach erfuhr Pips von ihrem Schwiegervater — dem sie sehr bald den Rainen „Schnnbbs" gegeben, den der sich lachend gefallen ließ — eine Menge Einzelheiten über ihre „Rssi", die sic in Er staunen und Entzücken versetzten. Wer auch hätte' ihr aus deren Mädchentagen etwas erzählen sollen? Sprach sie selbst einmal von jener lange zurückliegenden Zeit, dann geschah es wie bei allen alten Menschen immer in der Weise, daß sie sich als leuchtendes Beispiel einer Epoche hinstellte, die um so viel besser und tugendhafter war als das leichtsinnige Heute. Das war schon zu allen Zeiten so. Nach Darstellung des alten Herrn aber war seine Freundin „Resi" ein Sprühteufel sondergleichen gewesen, in dem Pips massenhast verwandte Züge mit ihrem eigenen Selbst erkannte. „Schau, schau, die Resi", meinte sie mit großen Augen, „wie die schwindeln kann! Wenn man der zuhört, so muß man glauben, sie sei ein schneeweißes Täubchen gewesen. Ra warte, jetzt kriegst du deine Feti n! So ein Lugen- schippt, diese Rest..." Ihr Schwicgervgter wollte sich ausschüttcn vor Lachen über die wienerische Färbung solcher Auslassungen. Gilbert erschien der Vater dadurch ganz fremd geworden und um vieles jünger. Und er segnete die Idee seiner Frau, die das Sprichwort für „Stiefel" erklärte, daß man alte Bäume nicht verpflanzen soll. Auch war der alte Herr keineswegs abgeneigt, sich von seinen gelehrten Arbeiten abziehen zu lassen, wenn man es geschickt anfing. Unter PipS' Kommando gewann er von Tag zu Tag zusehends an Lebendigkeit und Laune. Die Energie, vie von ihr aus- ging, steckte an. Die Ücbcrsicdlung von Berlin in die Heimat erschien ihm nun ganz einleuchtend nnd als einzig logischer Abschluß seines arbeitsreichen, aber einsamen Lebens. Mit seiner Freundin „Rest- zusammen wollte e» versuchen, wie das AuSruhen schmeckt. * ' Der erste Abend, -er dem Wiedersehen der Jugend freunde folgte, war ein wenig von schwermütiger Stim mung durchtränkt, wie es ja nicht anders sein könnt», wenn Menschen sich im Greisenalter wiederfinden, di» miteinander jung gewesen. PipS, die allzeit frohgemute Pips, hielt sich energisch im Zaum. Mit Lachen und scherz- haftem Wortgeplänkel war da nichts gewonnen. Diese Wehmut mußte sich selbst erschöpfen, ehe der Alltag in seine Rechte trat. Sie würden sich schon wieder auf einer gemeinsamen Plattform finden, die beiden lieben Menschen. Pips war mit fliegenden Fahnen zu ihrem Schwieger vater übergegangen, und Gilbert meinte, jetzt habe er Grund zur Eifersucht, denn mit seinem alten Herrn könne er nicht konkurrieren. Der Tag, an dem der Gelehrte aus dem feinen Stadt hotel endgültig in seine neue Wohnung einzog, wurde zum Fest. Gleichzeitig zum Abschied für die Jungen, die noch vor Mitternacht abzureisen gedachten, um nun endlich ihre eigenen Angelegenheiten in die Wege zu leiten. Rührend anzusehen aber war der alte Diener Johann. Er wußte in der Freude seines Herzens buchstäblich nicht, wem er sich mehr widmen sollte: seinem einstigen Herrn, seiner verehrten gnädigen Frau oder seinem Augapfel, der Frau Doktor Pips... „Alte Liebe rostet nicht", sagt eines jener Sprichwörter, die erst dann Sinn bekommen, wenn man sie in einem be stimmten Fall anwendet. Ob es Irste Liebe war oder nur erste Freundschaft damals, als beide noch halbe Kinder waren, die „Resi" und der junge Studiosus Haller — wer kann es sagen, vielleicht nicht einmal die Beteiligten selbst. Aber heute hatte dieses Sich-Wiederfinven die Bedeutung eines zweiten Frühlings, einer Wiedergeburt der Seele. In einein Alter, da der Mensch, tief in Resignation verstrickt, nur mehr dem Tage lebt und leine Pläne mehr schmiedet, ist es ein Glück, so urplötzlich nach Gefühlen zu schürfen, nach schönen Erinnerungen zu fahnden und sie mit einein Gleichgestimmten zu teilen. Jeder Tag brachte neue Blütenwunder zum Aufbrechen und es war nur gut, daß kein Profaner dieses wunder schöne Erlebnis störte. Rascher, als man es von alten -Menschen erwarten konnte, hatten sich die beiden mit einander eingelebt. Sie saßen beim ersten Frühstück zu sammen, da sie Frühaufsteher waren. Die Post kam und brachte Briefe der „Kinder". Johann, dcr getreue Diener, nahm die Wünsche entgegen, die so ziemlich gleichartig waren. Dann suhr der Gelehrte mit seinem Fahrstuhl nach „oben", in sein Arbeitszimmer, das in allen Stücken jenem glich, das er jahrzehntelang in Berlin bewohn» hatte, so daß er seine Gedankenfaden gleich wieder dort weiterspinnen konnte, wo er sie vor dem Umzug verlassen. „Resi", wie sie nun auch von ihrem alten Freund wieder genannt wurde, begab sich in ihre inneren Räume, und es war stilles Uebercinkommen, daß man gegenseitige Abwesenheit respektiert und daß die Halle der neutrale Boden blieb, wo man sich treffen konnte, ohne Sorge, den andern zu behindern.' Musterhaft schön und friedlich war dieses Zusammenleben, und jeder Brief nach Rom, wo sich das junge Ehepaar zur Zett aufhiett, war voll davon, wie dankbar man Pips war, daß sie eine so gute Idee in die Praxis umgesetzt. „Wenn man dich recht betrachtet, Resi, hast du dich gar nicht verändert", meinte er einmal nachdenklich. „Im ersten Moment war mir so,' als wärst du eine andere geworden in dieser langen Zeit — aber cs mutz wohl so sein, datz ich cs war, der sich veränderte. Je länger ich dich betrachte, desto vertrauter werden mir deine Züge, und manchmal ist es mir, als könnten unmöglich Jahrzehnte seither ver flossen sein, daß wir dort drüben ain Tennisplatz herum- sprangen wie die jungen Böcklein...", setzte er ein wenig melancholisch hinzu. Eine seine Röte war in die welken Wangen der alten Dame gestiegen. Sie gehörte nicht zu jene»» älteren Frauen, die man mit Erfolg in ihrer Eitelkeit liebkost; sie wutzte genau, welche Verheerungen die Zeit an ihr angerichtet hatte. Andererseits kannte sie ihren Freund noch ge nügend, um zu wissen, datz er weit davon entfernt war, irgendeine banale Schmeichelei loszulassien, nur uin sie etwa zu erfreuen. Also mutzte er nm den nachsichtigen Augen der echten Herzensgüte schauen, und das war ein eigenartig warmes Gefühl, das sie dabei beschlich. Und aus dieser Empfindung heraus klang ihre Entgegnung, wohl Nicht infolge seiner Bemerkung, sondern ihrer eigenen Meinung nach: „Wie bin ich froh, datz ich dich hier habe — es ist das Beste, was mir das Lebe»» noch schenken konnte, da ich Pips hergeben mutzte..." Ein leises Lachen antwortete ihr. „Schöner Vergleich, wofür sich unsere Pips bestens bedanken würde. Was aber uns beide betrifft, liebe Resi — glgubst du nicht, datz es azn besten wäre, wenn wir auf unsere alten Tage noch das Wagnis unternehmen nnd einfach hejraten würden?" Der Schluß der Rede klang ein wenig unsicher. Frau Ncsi fuhr zurück: „Ich höre wohl schlecht?"-rief sie mit kugelrunden Augen. Haller seufzte: 'Dein Gehör läßt nichts zu wünschen übrig, meine Liebe. Aber ich sehe ganz gut ein, daß .s für solch einen alten Mann eine Vermessenheit ist, was ich dir da eben vorschlug. Also vergiß cs...", und er reichte ihr vie feine, schmale Hand über den Tisch hinüber, in die sie zögernd cinschiug. „Alt?" meinte sie dabei unh blickte sinncnd vor sich htt». „Alth Wir sind gleichaltrig — und da ich nicht verlange, datz d»» mit mir allabendlich Sechsschritt übst, wie in ver gangenen Zeiten, so kommt dein kranker Fuß weiter nicht in Frage..." lFINschuna kolal.)