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(ü. Fortsetzung.) Hell fiel das Licht auf die beiden Mädchengestalten vor ihr. Eine war so schlank und hochgewachsen wie die andere. Und auch die Gesichter schienen im ersten Moment von verblüffender Aehnlichkeit. Doch das Mutterauge sah tiefer. Es sah, wie in Giselas Augen Sehnsucht nach der Welt da draußen glühte, während Gerlindes Blicke sanft und ohne Begehren waren. „Muttchen hat zwar recht: Gisa, du sollst nicht rauchen; aber heute..." Gerlinde nestelte an ihrer kleinen Börse und fand zwei Zehnpfennigstückc. „Ach, Herzlinde, du bist doch meine allerbeste Schwester!" Gisela umarmte Gerlinde stürmisch. Sie wußte nicht, daß in diesem Augenblick die Mutter wieder Vergleiche zog. So zärtlich und stürmisch in seinen Liebkosungen war auch Waldemar Steinbrück gewesen, wenn alles nach seinen Wünschen ging. Warum ihr nur heute alle diese quälenden Gedanken kamen? Warum fühlte sie die Vergangenheit heute so be sonders stark? Die Kinder... Ach, wenn Gisela, die so sehr nach Glück und Reichtum strebte, gewußt hätte, daß der Groß vater, Graf Nyssen, noch lebte und ein schwerreicher Mann war! Wie leicht konnten es die Mädchen haben, und wie schwer hatten sie es! Frau Klara Steinbrück erwog zum ersten Male den Gedanken, ob sie nicht doch noch einmal den Vater bitten solle. Nicht für sich... für die beiden Kinder. Aber sie sah keinen Weg. Orittcs Kapitel. Tie große Modenschau der führenden Berliner Mode häuser war selbst für die Hauptstadt ein Ereignis, bei dem kaum eine Dame der großen Gesellschaft fehlte. Auto auf Auto fuhr am Zentralpalast vor. Ach, die vielen bekannten Gesichter, die man hier sehen konnte, von Ler Leinwand her allen so wohlvertraut! Alles hatte sich zusammengefunden. Durch den prächtigen „Roten Saal" schwirrte Sprechen und Lachen. Die Stimmung war diesmal besonders ge spannt. Diese Modenschau stand unter dem Kennwort „Deutsche Kleidung". Die Modekünstler hatten nicht ge- wetteifert, raffinierte Höchstleistungen herauszubringen; sie wollten nicht versuchen, Pariser Geschmack nachzu- ahmcn — nein, deutsche Kleidung aus deutschen Stoffen sollte gezeigt werden. In den Ankleideräumen hinter der Bühne fieberten die kleinen Mannequins. Friseure arbeiteten schnell und geschickt. Unzählige Perücken lagen bereit — und...sollte so etwa die moderne deutsche Kleidung aussehen? Das waren ja Trachten aus der Ritterzeit. Nein — natürlich nicht! Es war nur geplant, einen kurzen, charaktetistlschen Ueberblick über die Entwicklung der Mode zu geben, um so alle Uebertriebenheiten und Geschmacksverirrungen am besten hervorzuheben und schlichter, ansprechender Kleidung gegenüberzustellen. Eine Luft zum Zerschneiden lag in den Räumen. So ein Gemisch von Wärme, Puder und Schminke, das irgendwie erregend war. „Halt, halt! Sie braucht jetzt keine Perücke!" Der Friseurmeister hielt die Hand seiner Gehilfin fest, die eben Gerlinde Steinbrück eine Perücke über den Blondkopf ziehen wollte. Schon war er neben Gerlinde, scheitelte ihr herrliches, silberblondes Haar und flocht es in zwei Zöpfe, die ihr lang auf die Brust fielen. „So — da ist das schönste Ritterfräulein fertig!" lachte ' er zufrieden. „Dieses echte Haar wirkt schöner als jede j Perücke." Und wirklich: Gerlinde sah in der mattgrauen, alter tümlichen Tracht aus wie aus dem Rahmen eines Bildes gestiegen. Aber es war keine Zeit zu langen Betrachtungen. Schon klangen abgerissene Akkorde der Musik herauf. Dann ertönte das Zeichen, und die große Modenschau nahm ihren Anfang. Lange schon waren die Trachten vorbei; man befand sich schon mitten drin in den neuesten Schöpfungen der Mode. Für die Mannequins gab es keine Sekunde Ruhe. An... aus... Frisch zurechtmachen, frisch frisieren nnd dann wieder hinaus! Endlich war die erste Pause. Der Vorhaüg senkte sich. * Jetzt konnten sich auch die Mannequins etwas Er holung gönnen. Auch für sie gab es Erfrischungen: kleine Kuchen, feine Brötchen. Die fünf Mannequins ^vom Modehaus Merkur und ihre jüngste Kollegin Gerlinde Steinbrück saßen in ihrer kleinen Kabine und aßen mit enormem Appetit oie leckeren Sachen. Plötzlich stürmte die schwarze Lotte davon. Toch schon nach wenigen Minuten kam sie aufgeregt zurück. „Ja, Kinder, Baron Gersheim ist auch unten mit seiner sabelhasteu Freundin. Ach, was sag' ich — fabelhast? ?ie sich, auch nicht viel anders aus als ich. Wenn ich mich so anziehcn könnte... Aber wir dürfen ja all den Staat nur mal ein paar Minuten hin und her schleifen. Dann hetßt's.: 'runter damit!" „Baron Gersheim?" Die große blonde Erna verdrehte fast die Augen. „Sagt, was ihr wollt, ich finde den Mann himmlisch. Aber...ich wittere da ein Geheimnis. Glück lich ist der mit all seinem Reichtum nicht. Ich hab' ihn ja zufällig neulich bedient, als er seiner Freundin Ria das Abendkleid aussuchen half. Ach, half... Er guckte immer woanders hin, während er gelangweilt: Ja, ja — ent- zückend, reizend!' wiederholte. Seine Augen sind so fabel haft schwermütig." Die anderen stimmten bei. Nur Gerlindes große graue Kinderaugen waren weit und erstaunt. Wie konnte man für einen Mann schwärmen? Das waren ihr alles fremde Begriffe. „Ach, Herzlinde, jetzt siehst du wieder aus, als wärest du vom Himmel eben heruntergefallen!" lachte die schwarze Lotte. „Aber du wirst schon noch dahinter kommen. Ern« hat recht. Gersheim muß man lieben, ob man will oder nicht. Aber...aus uns kleinen Mädels macht der sich nichts. Uns guckt er nicht mal an, und wenn wir wirklich hübsch sind, wo doch die größten Künstlerinnen ihn um schmeicheln." In diesem Augenblick ging die Tür auf, und Fräulein Scholz trat mit hochrotem Gesicht herein. „Ach, Kinder, Gott sei Dank, daß bis jetzt alles so ge klappt hat! Sie haben übrigens fabelhaft vorgesührt, Fräulein Steinbrück! Die Chefs waren sehr zufrieden!" wandte sie sich an Gerlinde, die tief errötete. „Aber das wollte ich nicht sagen. Ihr habt eure Sache alle schön gemacht, Kinder! Nein etwas anderes! Unten werden während der Pause Lose verkauft. Der Chef fragt, ob von euch ein paar mithelfen möchten. Die Losverteiler, die da sind, reichen nicht aus. Es ist Massen andrang. Alles zugunsten des Winterhilfswerks." „Lose verkaufen?" Die Mädchen sprangen wie elektri siert auf. „Ja, ja... das macht doch Spaß!" „Sie möchten nicht, Fräulein Steinbrück?" „Ich weiß nicht, wie man das macht." „Ach, sie ist goldig. Komm, mein Süßes, wir gehen zusammen! Ich werd' dir's schon zeigen." „Ihr geht in weißen Matrosenanzügen, damit man euch schnell erkennt." Bald standen sechs entzückende junge Matrosen da, von denen drei die Sammelbüchse trugen, während die anderen drei in einem Behälter die Lose verwahrten. „Ich geh' mit Gerlinde." Die schwarze Lotte schob die bloift>e Erna beiseite. „Geh, mein Herzchen, such dir eine andere. Du mußt voch zugeben, blond und blond ist nichts. Aber schwarz und blond, das wirkt. Man muß immer an die Wirkung denken." Korksttzurg folgt.)