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AN Nachdruck verbalen Inzwischen werde sich yicr alles entwickeln und sie bei ihrer Heimkehr die beiden als einträchtiges Ehe paar vorsinden. Sie sprach, als wäre sie schon eine er fahrene Hausmutter, von Aussteuer und Einrichtung des neuen Hausstandes und bemerkte dann wie nebenbei, daß eine ihr nahestehende alle Dame in Wien es übernommen Habe, die persönliche Ausstattung der Philippi» zu be sorgen. Mit dieser neuen Erössnung entfesselte sie aber mals einen Sturm der Freude und des Entzückens. „Aber, wieso denn?" rief die Mutter und schüttelte immer wieder ihren Kopf. „Das ist ja wie im Märchen — dn bist ja wie eine Fee, Josefa! Wenn man dir zuhört, so dächt' man, die ganze Welt ist nur von gütigen, hilfs bereiten Menschen erfüllt. Und ich hab' doch Zeit meines Lebens just das Gegenteil erfahren —" Pips lachte. „Das kommt, weil Sie nie mit den richtigen Leuten zu tun bekommen haben, Mutier Hocholdinger" meinte sie augcnzwinkcrnd. „Höchste Zeit, daß ich die Geschieht' in die Hand genommen hab'." „Ja, aber — was ist denn das nun auf einmal für eine Dame, die eine ganze Staffierung ver.schcnkt?" Die gute Lehrerswitwe war immer noch ganz fassungslos. „Sie kennt doch die Pini gar nichl und weiß nicht, ob es eine wahrhafl Würdige ist —" „Ach, reden S' doch keinen Stiefel, liebe Frau Lehrer", wehrte Pips, wider Willen gerührt, ab. „Wo wird denn die Resi eine Würdigere finden als die Pini?" „Rcsi heißt die' Dame?" kczm es erstaunt zurück. „So ein einfacher Nam' für ein königliches Geschenk..." „Was ist ein Name?" wollte Pips wissen, um ihre Verlegenheit zu bcmänleln. „Wann sie Scholastika heißen tat', so wär s ein Ding. Meine Resi hat nicht nur das Herz ans Gold, sondern auch am rechten Fleck. Ihr werdet sie schon noch tennenlernen —" „Woher kennst du sic?" wollte die Philippin wissen. „Woher? No, wie man halt jemand kennenlernt. Das acißi, ich bin ein Her; und eine Seele mit ihrer Enkelin. Die ist zwar ein nichtsnutziges Ding — aber da kann man nir machen. Und, wie gesagt, scid's ganz außer Sorg' — zur richtigen Zeit wird alles oa sein..." „Eins möclu' ich wissen", meinte die Philippin nach denklich. „Warum bist du eigentlich so gut? Weshalb sorgst du dich um fremde Leut' und schaust nicht auf deinen eigenen Vorteil? Gar oft hab' ich mir das schon ge dacht ..." Pips wurde feuerrot. Was sie vermeiden wollte, ver meiden, daß man in ihr eine Art rettenden Engel sah, freigebig, uneigennützig und menschenfreundlich — just das sah dieses einfache Mädel dennoch in ihr. Drohte ihr die Maske eines Eulcnspicgcls abzustreifen, dahinter ein großer, vornehmer Mensch verborgen war. Schon setzte sic zu einer kernigen Antwort an, aber sie wurde dieser Absicht enthoben. Mitten in dieses Idyll fiel buchstäblich ein Schatten. Im Nahmen der offenen Tür, die über den kleinen Vorbau nach dem Garten führte, stand plötzlich, wie ans dem Boden gewachsen, die große, knochige Gestalt der Frau Verwalterin Pieringcr. Niemand hatte sie kommen gehört, nicht einmal Gilbert, der draußen, in Gedanken versunken, seine Zigarette rauchte. „So ist das?" begann sie mit unheilverkündender Stimme, ohne Gruß odkr Entschuldigung für ihr Ein dringen. „Da muß ich den jungen Herrn finden, wann er sich heimlich aus 'm Haus stehlen tut?!" Gotthold fuhr empor wie ein ertappter Schuljunge und starrte bleich und fassungslos aus. die Gestrenge. Ausgelöscht war die hohe Freude aus seinem schmalen Gesicht, und seine Träumeraugen öffneten sich weit und erschreckt. „Was ist denn, Mutter?" stotterte er hilflos, und sein Blick fuhr an den Wänden des Zimmers hin, als suche er einen Weg zur Flucht. Armer Kerl!, dachte Pips. Aber gleich darauf fuhr Zorn in ihr hoch. Was läßt er sich so knechten von dieser bösen Sieben? Unbegreiflich war ihr das. Aber ehe sie noch eingreifen konnte, fuhr die große Frau dort an der Tür in ihrer Strafpredigt fort, unbekümmert darum, daß sie sich in einem fremden Haus befand. „Na, es is nur gzit, daß man endlich weiß, wo es hinaus soll. Einfangen wollen s' den Gotthold Pieringer — gel, ja? Das war scho ein feines Einischliefen ins Derwalterhaus aus der Lehrerkeuschn — net wahr?! Aber mir sein a noch da!" Mit höhnischem Blick maß sie den blumengeschmückten Tisch und die einfachen, aber freundlich und gefällig an- gcordneten Dinge darauf. Haller hielt sich im Hintergrund des Vorbaues und horchte angestrengt den polternden Worten. Die Szene war ohne Kommentar verständlich, aber die Mundart machte ihm Schwierigkeiten, da er nur das Schriftdeutsch beherrschte. Für ihn war das wie eine Szene aus irgend einem Volksstück, und er gedachte sich später von seiner Pips belehren zu lasten. Philippine, ebenso bleich wie ihr Herzliebster, Hämmerte sich an den Arm der Freundin, und nur die Hausfrau selbst, die stille Frau Hocholdinger, von der kaum jemand noch ein lautes Wort gehört, war der augen blicklichen Lage völlig gewachsen. Ruhig, als wäre kein schlimmes Wort gefallen, erhob sie sich zu einer schlanken Höhe, und einfach, aber würdevoll klang ihre Einladung: „Guten Tag, Frau Verwalterin. Wollen S' nicht Platz nehmen?" .Wie Peitschenhiebe wirkte diese Ruhe auf die Fran an der Tür. Mit hochrotem Gesicht und geballter Faust trat sic einen Schritt vorwärts. Aber sie kam nicht weiter. Auch Pips hatte sich erhoben und war zu ihr getreten, hatte den ausgestreckten Arm ergriffen und hing sich un geniert daran. Ruhig und gelassen klang auch ihre Stimme: „Vielleicht nachher — aber jetzt hab' ich mit der Frau Verwalterin zu reden. Am besten draußen im Garten, da stören wir nicht..." Die Pieringer wollte aufbcgchren. Aber etwas lag in der Ari der Sprecherin, das sie selbst nicht zu deuten wußte, ihr aber die polternde Rede verschlug. War es Ucbcr- raschung oder was sonst — aber cs war nur eine Art Gestammel, das sie wirr hervorstieß: „Wie is mir denn? Is das nit die Josefa — oder schaut sie ihr nur gleich?" stotterte sie, mit starrem Blick in das blühende Gesicht der jungen Frau. Ihr Auge war durch keinerlei Sympathie am klaren, unbarniherzigen Prüfen behindert, ihr fiel sofort die äußere Veränderung auf, die mit Pips vor sich gegangen. - Pips benutzte die kurze Pause der relativen Hilflosig keit ihrer Gegnerin, und ehe die sich's versah, saß sie drunten im Erlcngebüsch, neben dem Bgchlein, das mil mehr gutem Willen als Kraft durch das Gestein sickerte. Hari neben der großen Fran, so daß. die ihr nicht ent rinnen konnte — es sei denn mit Gewalt —, hatte sie zum Ueberfluß den festen, runden Arm in den knochigen nebeN sich eingehakt. . Arglos, wie im besten Einvernehmen, begann Pips nun zu sprechen: „Also, ehe Sie dem Brautpaar gratu lieren. wollen wir uns ein bisscrl unterhalten..." Die Pieringer wollte ausspringen,'aber Pips hatte ansehnliche Kräfte in ihren schlanken Händen. „Nicht so hitzig, Frau Verwalterin, nicht so hitzig. Sie wissen ja noch gar nicht, warum ich plötzlich da bin, wo es doch gar keine Ferien gibt." „Bin net neugierig", knurrte die andere und strebte wieder fori. Pips klopfte ihr auf den Rücken, wie einem aufgeregten Noß. „Wär' nicht übel! Nicht neugierig — eine Frau und nicht neugierig! Nur schön ruhig, Frau Verwalterin, nur schön ruhig... Was haben Sie eigentlich gegen die liebe, brave Frau Lehrer? Jst's wahr, was die Leut' erzählen: Daß die Frau Verwalterin Pieringer einst ein Äug' gehabt hat aus den Herrn Lehrer, der abez seines aus die schöne, blonde Försterstochicr geworfen hatte, die dann auch seine Frau geworden war — und jetzt leider seine Witwe..." Die Pieringer war zusammengezuckt, wie unter einem Peitschenhieb. Jetzt saß sie mit tief gesenktem Kopf plötz lich ganz still. Pips begann sie leid zu tun. Aber ihr war zumute wie einem Arzt, der seinen Patienten Heilung bringen mußte, auch durch neuen Schmerz hindurch. Eine Weile herrschte Schweigen. Dann begann Pips langsam zu sprechen:-„Es war mir vergönn», heute ein Glück mitzubringen — ins Lehrerhaus und auch zu Ihnen, Frau Verwalterin, so hoff' ich..." ? „Was für ein Glück?" forschte die Frau verächtlich. Sie hatte sich schon wieder gefaßt und befand sich durchaus in der Verfassung, mit Pips anzubindeir^ „Was die Stadtleut' schon a Glück heißen? Vielleicht die An- bandlcrei mit dem Mavl drin, die nennst ein Glück..." „Der Gotthold hat seine Erfindung verkauft — das ist das eine", meinte Pips und hielt sie noch immer fest. Aber das war nicht mehr nötig. Entgeistert starrte die Frau auf die Sprecherin, die ihr lächelnd zunickte. Der Erfolg dieser Freudenbotschaft war dennoch grund verschieden von dem, was man in ähnlichen Fällen er warten konnte. Frau Pieringer war keiner weichen Regung fähig, auch bei Empfang einer Freudenbotschaft nicht. Sie hatte ihre Fassung wiedergefunden, die sie vorhin bei der unzarten Bemerkung unserer Pips fast verlassen. hatte. Solche alte Geschichten, die einen Stachel bergen, machen den Erzähler selten beliebt. Und die Neuigkeit, die sie jetzt zu hören bekam, war um kein Haar bester. „Schau, schau", nickte sie höhnisch lächelnd gegen die offenstehende Tür zum Wohnzimmer, „die dort drinnen Haben s ender gewußt, als wie ich? Und darum Blumen auf dem Tisch und Torten und Gugelhupf und an Wein, wie beim Verspruch. Freili', was denn noch?" PZps hätte gern herausgelacht — aber das ging leider nicht. Es lag noch ein Stück Arbeit vor ihr, und die ver langte Ernst. Wenigstens äußerlich. „Die Sache ist die, daß ich die Nachricht mitgebracht habe", wiederholte sie,- wie obenhin, und setzte dann mit Nachdruck hinzu: „Nicht zu vergessen, daß es das Geld der Frau Lehrer war, mit der der Holdl seine Erfindung fertiggebracht hat." Das traf. Blaß wie ein Leintuch starrte die Pieringer auf tyrc Bändigerin, und es blieb ungewiß, ov sie den tieferen Sinn der Rede überhaupt verstanden hatte. Nur eines begriff sie: Gotthold, ihr einziger Sohn,,war ihrer Zucht entwachs-»». Richt jetzt in dieser Stunde, sondern schon lange, lange vorher, als sie in ihrer Herrschsucht ver- meinte, ihn immer noch unter der Fuchtel' zu haben. ES war fast so, wie damals... damals, als ihr Mann neben ihr verging, den sie geknechtet hatte mit ihren, Willen, bis ver seine zerbrochen war und er nur sprach und tat, was sie gewollt. Und vann eines Tages, da sie sich un umschränkte Herrin glaubte, da ta, dieser Mann ganz plötzlich etwas durchaus Selbständiges: er legte sich hin und starb. Ohne Krankheit und Vorbereitung. Akkurat so wär es jetzt auch. Der Gotthold lebte und dachte nicht ans Sterben. Freilich. Aber seine unver- mutete erste selbständige Tat glich jener dennoch ans ein Haar: sie hatte den Sohn verlören... Der war ihr nicht nur entwachsen, er war ihr verloren...'Di- dort drin, viese scheinheilige Blonde, die den Mann, den sie dann als Witwe begehrt, so sehr ihre harte Natur es fähig war. bekommen hatte — jetzt nahm sie jhr auch de» einzigen Sohn... Mit 'plötzlich erwachter Wu> wandte sie sich an die Uebcrbringcrin der Botschaft. Diese Person da, diese Fremde, der man Brot und Obdach gegeben (Hane Arbeit zählte nicht mit!), unv die das jetzt so lohnte, daß sie hinter dem Rücken zum. Feind hielt! Mit beiden Fäusten zu greifen und sie.zerbrechen, diese schmale, puppenhafte Ge stalt! So kochte es in ihr. Aber plötzlich konnte sie nicht weiter. Mit gesenktem Kops hörte sie die weitere Rede mit an, ohne sich zu rühren. Hörte, daß Gotthold eine Anstellung bekommen sollte, weit weg von der Heimat, in der Nähe von Wien. Däb sei» Gehalt weit ausreichen würde, um die Braut heim- zziführen, an der er mit allen Fasern seines Herzens hing, lange schon... . .. Und all dies war ohne ihr Wisse» vor sich gegangen. Man hatte sie mit keinem Wort gebeten, ob sie nicht vielleicht doch Gnade üben wolle. Ja, man Hatje sie über haupt weder gefragt; noch ins Vertrauen gezogen, Alles war hinter ihrem Rücken abgemacht worden, das Gute wie das Böse. Mit dem Bojen meinte sie die drohende Verbindung mit der verhaßten Familie Hocholdinger. Und alle diese Ränke hatte diese Werkstudentin, diese Josesa, «»gezettelt, wie cs sich jetzt hcrausstellte. Haß und Bitterkeit erfüllten sic ganz und gar. Aber ihr Starr- sinn kannte kein Einlcnkcn, auch wider ihre bessere Ucber- zeugung. In ihrem ganzen Leben war kein Fall, in dem sie sich dazu bekannt hätte, unrecht zu haben. Ihre Un fehlbarkeit erschien ihr selbstverständlich. Mit zusammen- gekmssenen Lippen saß sie da, und zwischen ihren halb geschlossenen Wimpern schossen Blitze nach der völlig un gerührten Pips hin. Wie durch eine Glasscheibe hindurch sah diese die bösen Gedanken dieser Frau hinter der Stirn arbeiten, aber sie zwang sich zu einem versöhnliche» Ton: „Machen Sie Frieden, Frau Verwalterin, machen Sie Frieden — Md freuen Sie sich, daß Ihr Einziger ein so patenter Kerl ist, auf den Sie stolz sein können!" „Ich will nichts mehr wissen von ihin", knirschte die Fra» und stieß die haltende Hand zurück. „Larifari!" rief Pips in ihrem alten Ton. „So was spricht man hin, ohne zu bedenken, daß man sich selbst damit trifft. Nichts wissen vom einzigen Sohn! Weil der sich unterstanden hat, endlich wie ein erwachsener Mensch und nicht wie ein unmündiges Kind zu handeln. Wenn s nach Ihnen ginge, dann müßte er sich noch an Ihren Schürzenzipfel hängen", lachte Pips. Vielleicht war das unbedacht, vielleicht aber auch Wollte Pips die Frau nur ärgern und sie aus ihrer Ver schanzung verbissener Wut hervorlocken, in der richtigen Erkenntnis, daß ein Gewitter reinigende Kraft besitzt. Wenn sie letzteres gewollt, dann war cs ihr gelungen. Wie ein Stotzvogel fuhr die Pieringer aus die „Werk studentin" los. „Was mischst du dich überhaupt in unsere Sachen, he? Was kommst du daher, uin Unfrieden zu stiften? Wer hat dich gebeten, Post für meinen Sohn zu bringen? Was ist das überhaupt für eine narrische Idee, datz ich ihn weg gehen lassen werd', unter Fremden sein Brot suchen? Wegen was braucht er die dumme Erfindung, aus der eh' nichts wird? Das sein lauter so Sachen, wie am Theater — gelt? Wo ma sich an andere Nasen ins Gesicht pickt und is a Graf oder a Wurschtl oder sonst wer? Das is bei uns net Mode. Mir leben und sterben auf unsern» Grund und Boden, und hat's bis jetz g lanzt, wird's auch noch langen, bis wieder andere Zeiten kommen und vie Fabrik da wieder arbeit't." „Reden Sie doch nicht so dalkert daher, liebe Frau", verlor nun auch Pips endlich die Geduld. „Sie reden akkurat wie ein unreifes Dirnderl! Wenn ein Mann die Begabung hat wie der Gotthold, wenn sich ihm die Mög lichkeit bietet?"heute in seinem Beruf vorwärtszukommen, so soll er hier bei Ihnen das Gnadenbrot essen, damit Sie nur ja nicht Ihren Sklaven verlieren? So eine lächerliche Idee! Nur gut, datz ich ihm endlich den Star gestochen hab', dem Holdl, und datz er das tun wird, was ich ihm geraten habe." Das war zweifellos unvorsichtig von Pips, aber nun war sie einmal im Zug, und an ein kluges Ein lenken ihrerseits war auch nicht mehr zu denken. „Was du Ihm geraten hast — du? Wer bist denn schon? Wo möchtst mir denn meinen Sohn hinzarr'n, he? Wohin, frag' ich?" keifte die Frau mit verächtlichem, Unterton. „Wohin?" fragte nun auch Pips zum Ueberflutz zurück. „Der Gotthold kommt zu uns, in unsern Betrieb, das heißt in die Fabriken meines Vaters..." So — heraus war es! Auch ein edel bewahrte- Inkognito muß gelüftet werden, wenn eS not tut. Die Wirkung war denn auch entsprechend. Die Frau Verwalterin fuhr auf und mak> halb verblüfft, halb «ngläubig die junge Sprecherin. (Fortsetzung folgt.)