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Orüoberreclitssckutr: rimi ^üime »V erlag, rialls (Laalo) ch * Sie ging wieder ins Zimmer und stellte sia- ßanz nahe zum Spiegel, der eine halbe Seite des Schranks einnahm und ihre ganze Gestalt zurückgab. Die Sonne sandte schräge Strahlen und beleuchtete sie scharf. Aufmerksam prüfend wollte sie sich diesen Blick ins Gedächtnis rufen, so tief und so weich war dieses Schauen... Und dann lachte sie höhnisch, und die Tränen schossen ihr in die Augen, daß alles verschwamm auf der leuchtenden Fläche. Gab cs eine Frage? Voll Mitleid, so war der Blick! Mitleid mit ihrer lächerlichen Häßlichkeit — was sonst? Pips ging weder ins Theater noch überhaupt aus an diesem Abend. Sic fühlte auch keinen Huntzer, noch hätte sic später sagen können, was sie überhaupt gefühlt in diesen furchtbaren Stunden völliger Mutlosigkeit. Nachdruck vcrboic« Laut aber sagte sie etwas ganz Gegensätzliches: „Wenn Sie hungrig sind, dann essen Sie doch!* „Wurzeln und Kräuter?" „Ach, so weit sind wir noch nicht." Sie fuhr mit der Rechten nach rückwärts und holte eine jener eckigen Blech kassetten hervor, wie man sie zu Ausflügen mitzunchmen pflegt, um den Proviant vor Zufälligkeiten zu schützen. „Schinkenbrot gefällig?" erkundigte sie sich schalkhaft und öffnete das Kästchen. Im trüben Zwielicht zeigte sich eine verlockende Menge von allerhand guten Dingen, und die beiden jungen Menschen aßen, als hätten sie seit Tagen gehungert. Nichts zeitigt so viel Vertraulichkeit wie eine gemeinsame Mahlzeit zu zweien. „Kalten Tee oder Kognak?" fragte Pips. „Kalten Tee mit Kognak!" lachte er. Und man trank aus einem kleinen Becher, und Gilbert vermeinte, noch niemals eine so wundervolle Mahlzeit gehalten zu haben. Plötzlich, wie er begonnen, hörte der Regen auf. „Warten wir, bis das Wasser aus den Straßen ein wenig versickert ist", meinte Gilbert, der sich durchaus nicht wünschte, das Bcieinanderscin abzukürzen. Daß er noch vor einer halben Stunde an fluchtartige Abreise gc-° dacht hatte, das war schon wieder vergessen. Es gibt eine Zeit der Liebe, da Sprunghaftigkeit der Gedanken ein ebensolches Kennzeichen darstellt.wie Blitz und Donner bei einem Gewitter. „Wenn Sie sich fürchten, dann bleiben wir noch ein bisscrl; wir versäumen ja nichts!" spottete Pips. „Ich sttrchte mich", gab Gilbert zu. Pips blickte ihn mißtrauisch an. Es hatte so seltsam geklungen. Auch er hatte die Augen aus sie gerichtet und sekundenlang blieben die Blicke ineinander verankert. Es war Heller geworden, die Vögel begannen leise zu zwitschern, als wollten sic die Stimmen probieren für ein späteres Konzert. Autos kamen den Weg herauf und herunter und die Insassen blickten neugierig auf den kleinen, roten Wagen im Dickicht. Ein Autler verhielt seinen Wagen: „Panne gehabt — kann ich helfen?" „Danke, schon in Ordnung!" entgegnete Pips und winkte grüßend. „Ich bringe Sie in schlechten Ruf!" sprach sie, zu Gilbert gewandt. „Zeit zum Weiterfahren — wiewohl die Luft jetzt geradezu himmlisch ist." Um keinen Preis hätte sie merken lassen, daß sie nur ungern dem Alltag entgegenging. Was war das für ein Blick!, dachte sie unruhig. Wes halb sah er sie so eigentümlich an? Das Herz begann ihr zu klopfen, und schier atemlos ging sie langsam prüfend um den Wagen herum, damit sie Zeit gewinne, bis sie ihm wieder unter die Augen trat. - Pips hatte ihre Ferien weniger bcschauncy gestaltet. Von beispielloser Ruhelosigkeit getrieben, war sie immer fort unterwegs. Aber was sie auch unternahm, nichts konnte ihr zu ihrer schönen Ausgeglichenheit verhelfen, die den Grundzug ihres Wesens ausgemacht, trotz ihrer Jugendlichkeit. Zum ersten Male im Leben lernte das Mädchen das klägliche Gefühl der Schwäche kennen, erkannte sein kleines Menschentum und die Machtlosigkeit gegen das Geschick. Aber wenn Pips bisher den Schmerz der Entsagung mit allen Mitteln ihres reichen Geistes niederzuzwingen sich bemühte, so kam eine Stunde, da sie sich die Fragen vor legte: „Warum soll gerade ich ausgestoßen sein? Warum soll ich vom Kampf ausgeschlossen sein wegen einer lächerlichen Laune der Natur?" Nie erschien sich Pips so häßlich wie seit jenem Nach mittag, da Gilbert Haller mit ihr zum Leuchtturm ge gangen war und Marysa erblickte. Dieses Aufleuchten in seinem ruhigen Blick, diese Veränderung seines ganzen Menschen, und diese Nichtachtung, die er für den Rest des Tages empfinden lieb, hatte ihr den schwersten Schlag ihres Lebens versetzt. Denn die sonst so kluge PipS wußte eS nicht, daß eine momentane Entflammung eines Mannes mit wirklichem Gefühl gar nichts zu schaffen hat. Wäre sie unbeteiligt geblieben, dann hätte sie die Schale ihres Spottes reichlich über ihn anSgegossen. Aber, da es anders kam, so wider Erwartest ganz anders, geriet sie immer tiefer in ein Minderwertigkeitsgefühl, das sonst wahplich nicht in ihrer Art lag. Der Rückschlag konnte aber bet einer Natur wie PipS nicht lange auf sich warten lassen. Und ein zuerst nur flüchtig auftauchender Gedanke begann immer festere Formen anzunchmen. . Von deinem Privatleben welk ick eiaentlich gär nichts", meinte Phil naiv. Der Vater lachte: „Ich von dem deinen, wie man sieht, auch nicht!" „Es wiä mir aber schcincn, Papa, daß du drauf- gekommen bist; es sei nicht gut, allein zu sein — und darum rate ich dir..." Er stockte. „Ich werde es mir gesagt sein lassen, mein weiser Sohn!" erwiderte Zerbach, ernsthaft sinnend. Die Folge dieses Gesprächs war, daß Marysa bald nach .ihrer Ankunft am Abersee eine völlig veränderte Lage der Dinge vorfand. Professor Zerbach kam ihr sichtlich erfreut entgegen, und Phil glänzte durch Abwesenheit. Er hatte in dieser Saison im Kreise einer Anzahl von Backfischen die Anstellung ols Hahn im Korbe bekommen und schien sich mit »ein „grünen Gemüse", wie er sich noch vor einem Jahre auszudrücken beliebte, ausnehmend wohl zu fühlen. Im Werdegang eines Jünglings läßt sich diese Erscheinung oft beobachten. Der Jüngling will schwärmend aufblicken zu dem Gegenstand seiner Wahl. Wohingegen der Mann, sofern er seelisch rein geblieben, sich im Be- schützcrwillcn übt und darum Jüngere bevorzugt. Ein Jahr aber spielt in diesem Abschnitt der Entwicklung eine große Rolle. Es machte sich von selbst, daß Vater Zerbach von nun an fast stets mit Marysa zusammen gesehen wurde. Die Gelegenheiten zum Zeitvertreib in einer einfachen Sommerfrische sind nicht allzu mannigfaltig: Bootfahren, Schwimmen, Tennis und gelegentliche Ausflüge von größerer oder kleinerer Ausdehnung. Lauter Anlässe, sich gründlich kennenzulernen. Und hat man so einen ganzen Sommer ausschließlich in Gesellschaft einer einzigen Person verbracht und dies nicht unangenehm empfunden, so kann man schon mit einiger Sicherheit vom Gleichklang der Seelen sprechen. Marysa war wirklich besser als ihr Ruf. Ihre Freude, zu einer Zeit, da sie ganz besonders niedergeschlagen und hoffnungslos war, plötzlich vor der Erfüllung dieses Wunsches zu stehen, den sie schon nahezu völlig aufgcgeben, machte sie sehr liebenswürdig. Vielleicht hatte der Professor recht, und es steckte ein guter Kern in ihr. Denn nun, da sie alle koketten Mätzchen, ohne es zu wissen, ab gelegt hatte, da blieb ein liebes und schönes Mädchen übrig. Und weil Philipp Zerbach, der Aeltere, ein kluger und ein guter Mann war, stattlich und auch in angesehener Stellung, so kam auch die Eitelkeit Marysaö auf ihre Rech- nun, was sich dahin auswirkie, daß sie sich sterblich in ihn verliebte. Alles, was sie jahrelang unternommen hatte, um unter die Haube, um aus der Botmäßigkeit einer launenhaften Tante zu kommen, die ihr in jeder Stunde genossene Wohltaten vorhielt, das war vergossen. Vorläufig aber neigten sich die Fericntage ihrem Ende zu, und man verschob die offizielle Anzeige der Verlobung buchstäblich auf die letzte Stunde vor der Abreise, damit die unangenehme, stets übelnehmerische Tante, der es niemand recht machen konnte, die frohe und glückliche Stimmung nicht becinträchtiac. Professor Zerbach saß mit seinem Sohne Phil im Boot und ließ sich schaukeln. So die ersten Tage nach der Flucht aus der Großstadt — wie verzaubert kam man sich vor. Die reine Luft berauschte förmlich. Das ganze Wesen strebte nach Erneuerung nach dem zchnmonatigen Fron dienst des Jahres. Was nicht hindert, daß man sich nach Ablauf der Ferien, ja, oft schon früher, nach seiner alt- gewohnten Tätigkeit sehnt... Für jetzt aber war es schön. Schlafen, essen, die alten Winkel und Plätze aufsuchen, Bekannte suchen oder ihnen auswcichcn, je nachdem — und die herrliche Freizügigkeit. „Was ist denn mit deiner Freundin Marysa?" er kundigte sich Zerbach-Vater und zündete eine neue Zigarette an. Er war ein festgefügter, noch jugendlich wirkender Mann in den sogenannten besten Jahren. Immerhin aber schon in jenen Jahren, da der einsame Mensch seine Einsamkeit zu fühlen beginnt. „Kollegin!" verbesserte Phil lachend. „Freundin klingt außerhalb des angestammten Kreises so — wie soll ich nur sagen?" Professor Zerbach blickte den Sohn forschend an: „Also, nicht Freundin in landläufigem Sinne? ES hätte mir auch leid getan um das Mädel; es steckt ein guter Kern in ihr, wenn ich auch an ihre Sendung als Jugend bildnerin nicht recht gjauben kann!" „Weshalb? Sie hat einen guten Kopf!" meinte Phil zerstreut. Lobgesänge auf Marysa lagen ihm nicht. „Sie hat einen guten Kopf; aber einerseits ist sie trotz dem lcrnfaul, andererseits gehört mehr dazu: Berufung, Einfühlung in die kindliche Seele! Und die spreche ich ihr ab. Wenn sie den richtigen Mann bekommt, den sie lieb hat und der sie zu nehmen Weitz, so wird sie eine gute Gattin und auch Mutter sein. Ihr liegt eben mehr der enge Kreis der Hausfraulichkeit", sprach Zerbach gedanken voll und bemerkte nicht den eigentümlichen Blick seines Sohnes, der so viel sagen wollte wie „Oha"! Aber schließlich — weshalb nicht?, überlegte Phil, der reifer dachte, als man es bei seinen jungen Jahren ver langen konnte. Papa leidet, je länger, je mehr, unter der Einschichtigkeit. Er selbst wollte über kurz oder lang nach England, dem Lande seiner Träume. Dann würde der „alte Herr" völlig vereinsamt sein. Die hausfraulichen Tugenden der Marysa in Ehren; aber er glaubte nicht sehr daran. Marysa in der Küche oder beim Nähtisch? Aber man steht die Menschen bekanntlich nicht so wie sie sind, sondern wie man sie sehen will. Und wenn Papachen das Mädel Mit diesen Augen betrachtet und sie klug genug ist, ihre Rolle gut zu spielen — es konnte schlimmer kommen —, so philosophierte der Sohn. Und meinen Segen habt ihr!, dachte er abschließend. Phil war in bezug auf Weiblichkeit mißtrauisch. Außerdem — Marysa war um ein halbes Dutzend Jahre älter als er — zur Stief mutter reichlich jung; aber dennoch eher passend, als wenn er — na, aber das war ja längst vorbei. „Was mich wundert, Vater, das ist, daß du sie so gut zu kennen scheinst, wo du dich eigentlich gar nicht um sie bekümmert hast!" Zerbach lachte: „Vorigen Sommer schien es mir, als ob du dich für sie interessiertest, und es wäre mehr als geschmacklos gewesen, mich in eure Gesellschaft einzudrängen." „Ra, du hättest es ruhig tun können, sie hat mich oft genug gequält, dich zum Mithalten einzuladen', platzte Phil heraus. Zerbach neigte sich vor: „Wahrhaftig? Weshalb hast du mir nie etwas davon gesagt, du infamer Schlingel, du brotneidiger?' Sanz aufgeräumt wurde der ernste Mann, wie PHU seinen Vater eigentlich gar nicht kannte. „Verkehrte Welt', knurrte der Jüngere, „wahrhaftig verkehrte Welt! Soll ich dich einführen? Bist du nicht die Respektsperson, die zu gebieten hat? Konntest du nicht kommen, wann eS dir beliebte?" „Respektsperson, dar ist eS, was sch gar nicht sein will, wenigsten» ein paar Wochen lang nicht. Man muß sich da» Jahr über immerfon im Zaum halte«, daß man nicht au« der «olle fällt. Ab«, ich bi« gar kein so verknöcherter Schulmeister — da» solltest du doch eigentlich am Kotz« Der berühmte KoSmettk-Professor betrachtete das Profil der jungen Dame, die ihn soeben aufsuchte. „Es ist eine an sich nur kleine Korrektur', meinte er und lächelte eigentümlich. „Aber weshalb wollen Sie sie durchführen?" PipS sah erstaunt zu ihm auf: „Warum? Halten Sie eS für angenehm, lebenslang als Papagei herumzulaufen, Herr Professor?" „Na, na", machte der, „so schlimm ist es nun wieder nicht. Sie habe« ein bedeutendes Gesicht, so wie Sie sind. Bet de« alten Romern konnten Sie ruhig al» Schönheit angestttvche« werden", lächelte er auf sie nieder. Er war ei« berühmter Mann und durste es sich scho« erlaube«, ewe« „Fall" -u tzektteren, wenn ihn sei« Gewisse« dazu trieb. -7' FWortsetzmmkolM In der Garage nahmen sie Abschied voneinander und trafen eine Verabredung für den Abend. Pips behielt ihre Theaterkarte still in ihrer Tasche — jedenfalls hatte die Vorstellung für sie momentan ihre Zugkraft ein- gebützt... Aber kaum war sie im Hotel und aus ihrem Zimmer angelangt, schrillte das Telephon: „Ja, hier Gilbert — denken Sie sich, Pips, ich finde eine Depesche vor! Muß sofort abreisen, eben daß ich noch den Paris«-Bukarester Expreß erreiche... Wie? Sagten Sie etwas? Die ganze Kommission wartet auf mich — große Dinge stehen auf dem Spiel — nicht für mich allein, denn sonst..." Pips war bis in die Lippen erblaßt. Wie gut, daß sie niemand sah!, dachte sie bei sich, als ihr diese Eiseskälte durch die Glieder kroch. Sekunden dauerte es, bis sie ihre Stimme in ihre Ge walt bekam und einige Worte rauh hervorbrachte. „Man versteht Sie so schlecht, Pips! Fehlt Ihnen etwas? Haben Sie sich erkältet? Nein! Also leben Sie recht wohl und — ja, auf dem Rückwege suche ich Sie in Wien auf. Verschwinden Sie nicht abermals!" „Gute Fahrt!' Das war alles, was Pips zu sagen vermochte. Mechanisch legte sie den Hörer auf, blickte mit leeren Augen um sich, und dann trat sie vor den Spiegel. „AuSgeträumt, Pips...", murmelte sie ihrem Spiegel bild zu und nickte schwer. „AuSgeträumt — und es ist gut so." Er war fort. Und man würde sich nie mehr wieder- sehen. Rie mehr! Dafür würde sie schon sorgen. Wenig- sten» aber so lange nicht, bis Kopf und Herz wieder klar Würden. Mit müden, schleppenden Schritten trat sie auf den Leinen Balkon ihre» Zimmers hinaus. Vergessen wollte fie ibn, und wußte «S doch schon jetzt, daß das nie, niemals geschehen tonnte. Aber tmmer würde sie nicht die Kraft haben, sich so zu verstelle«, daß er nichts merNe, was in ihr vorging — »nd darum wollte fie künftig jede Begegnung meiden. Plötzlichdurchfuhr e« fie. St« erinnerte sich des eigen tümlich?« Blicks, vorhta — im Walde. Eigentümlich — sprechend — vielsagend... Was aber wollt» er ihr sage«, Was er nicht in Wvrte fasse« konnte? Was?