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- Orboberrcclitsscbut^! pünkDUrmc-Verlag, Halle (8aale) 15) Nachdruck verboten. Und Gilbert Haller, Ihn zu begegnen, würde das Schlimmste bedeuten Was wollte sie ihm sagen, wenn er sie fragte, weshalb sie eine äußere Verschönerung so dringend gewünscht hatte? Sie war der Ueberzeugung, er würde ihr die Wahrheit von der Stirn ablcsen. Plötzlich schämte sie sich. Schämte sich so sehr, daß cs ihr die Tränen in Vie Augen trieb. Schon am gleichen Abend war Pips in Salzburg an- gclangt und nahm viesmal in einem Hotel Aufenthalt, wo man sie nicht kannte. Unfrei und bedrückt, wie sie sich fühlte, verbrachte sic die meiste Zeit in ihrem Zimmer, ging immer nur abends aus und konnte sich auch nicht entschließen, ihr Vorhaben auszuführen und nach einem Sommerquarticr Umschau zu halten. So waren etwa acht Tage vergangen, als Pips wieder einmal das Verlangen empfand, ihre Großmutter in Wien anzurufcn. Sic ließ sich mit ihr in ihrem Zimmer verbinden, und die geliebte Stimme der alten Frau gab ihr viel von ihrem seelischen Gleichgewicht zurück. „Was ist dir nur, Pips? Deine Stimme klingt ganz fremd?" fragte die Resi. „Was soll mir sein? Nix!" entgegnete Pips und suchte gewaltsam Znflucht zu ihrem alten Selbst. „Erzähl'! Was gibt cs Neues?" „Richtig!" rief Frau von Breitenschlag lebhaft. „Fast hätte ich es vergessen — ein Brief von Gilbert Haller ist für dich gekommen. Aber bei dir weiß man ja nie, wo du bist, und so konnte ich dir das Schreiben auch nirgends hinschickcn." Pips gab cs einen Ruck, aber sie bemühte sich, einen ganz gleichgültigen Ton zu finden. „Na, also schick mir halt den Brief. Was wird es schon sein? Von wo kommt er denn?" „Soviel ich hcrausbuchstabicren konnte aus dem Post stempel, kommt er aus Smyrna — denk' dir!" „Was drin steht, weißt du natürlich nicht — oder hast Lu vielleicht ein bisserl —" „Pips", rief die alte Dame hörbar empört, „ich hänge sofort ab, wenn du nicht auf der Stelle um Entschuldigung hittest!' „Aber woher hängst du ab, Resi! Du freust dich ja viel zu sehr, daß du mit mir sprechen kannst. Aber damit Lu auch deine Freude hast: also ich bitte um Ent schuldigung. Nämlich, ich an deiner Stelle, hätte ganz bestimmt mit einer Stricknadel den Umschlag geöffnet — man kann das mit einiger Geschicklichkeit so tadellos durch führen, daß nichts zu bemerken ist.. Für Minuten war es der alte Ton und die gewohnte Art, deren Pips sich bediente, und es tat ihr selbst wohl. Im besten Einvernehmen mit der „Rest" wurde das Ge spräch beendet. Eine Weile danach blickte Pips noch starr nuf den gleichen Fleck. Er hatte ihr geschrieben. Seine Abwesenheit dauerte offenbar länger, als er voraus- gesehen. Und er hatte geschrieben... Darüber hinaus faßte sie keinen Gedanken. Sie rech nete aus, daß sie mit der morgigen Mittagspost den nach- gcschickten Brief bereits haben konnte. Ihre Laune schlug unversehens um, und unbekümmert, ob sic Bekannten begegnen würde oder nicht, kleidete sie sich an und nahm sich vor, das seltene Vergnügen eines sonnigen, regenlosen Salzburger Tages gründlich zu ge nießen. Unterwegs fiel es ihr ein, daß sie von Gotthold Pieringer so lange nichts mehr hören konnte, bis sie ihm ihre Adresse angab, und sie ging aufs Postamt und schrieb dort einen Kartenbrief, in dem sie ihn bat, ihr von seinen Fortschritten Mitteilung zu machen. Sie hatte ihrem neuesten Schützling, der Steinwendcrin mit ihren sieben Kindern, eine regelmäßige monatliche Unterstützung zugesagt, und es sie! ihr plötzlich schwer aufs Herz, daß sie dieses fast vergessen im Wirbel der Ereignisse der letzten Wochen. So kaufte sie jetzt auch gleich eine Postanweisung, füllte sie aus und begab sich zum Schalter. Als sie aber ihr Täschchen öffnete, um die Note herauszunchmen, machte sie die Entdeckung, daß sie für sich selbst nicht mehr Geld genug hatte. Sie mußte unbedingt nach Wien schreiben, um Nachschub zu ver- langen. Auch das war bald erledigt, und in froherer Stimmung begab sie sich endlich wieder in ihr Hotel. Als sie ihren Zimmerschlüssel verlangte, überreichte ihr der Portier gleichzeitig ein Blatt Papier. „Die Zimmer rechnung", meinte er mit einer leichten Verbeugung. Freilich, sie war ja schon eine Woche hier, fiel es ihr ein, und es war üblich, nach Ablauf dieser Frist die Rechnung vorzulegen. Sie nahm das Papier an sich. „Schön, ich habe kein Geld und werde morgen oder übermorgen be zahlen." Sie sagte das so nebensächlich, wie sie es auch meinte, weil bei ihr „kein Geld haben" die landläufige Bedeutung nicht haben konnte. Sie bemerkte auch nicht den seltsamen Blick, mit dem der Portier sie maß, sondern verlangte in ihrer kurz angebundenen Art, man möge ihr das Nachtmahl in ihrem Zimmer servieren. Dies geschah denn auch in so lässiger und zögernder Mt, daß sie, die sich auL derartigen Dingen sonst nicht viel machte, aufmerksam wurde. Aber weit entfernt von dc> richtigen Fährte, nahm sie davon weiter keine Notiz, sondern war ganz von Erwartung hingenommen. Gilben hatte Ihr geschrieben. Was auch in dem Brief stehen mochte — es war wichtiger als'die seltsame Art, mit der ma- ihr hier plötzlich begegnete. Pips, die allerorten an zur kommende Behandlung gewöhnt war, und die auf ihren vielen Reisen immer in den besten Hotels wohnte, dachte nur so nebenbei, daß sie, wenn sie einmal die Scheu ablegen konnte, die sie gegenwärtig beherrschte, wieder ihre an gestammte Umgebung aufsuchcn würde. Um den Postboten nicht zu versäumen, ging sie auch am folgenden Morgen nicht aus. Aber erst am Nachmittag traf ein Brief von ihrer „Resi" ein, dem Gilberts Schreiben beigeschlossen war. Um die Wahrheit zu sagen — Pips nahm erst seinen Brief vor. Gilbert schrieb, daß er sehr zu seinem Verdruß und wider Erwarten dis nach Kleinasien verschlagen worden sei, daß er aber die Rückreise im Flugzeug machen wolle, damit er ohne Zeitverlust wieder nach Wien kommen könne. „Ich weiß, daß ich mich in Ihren Augen wie ein ausgemachter Narr benehme, ich weiß, daß es unent schuldbar ist, wenn ich zu der Braut eines anderen solche Worte spreche — aber es ist stärker als ich! Meine Ge danken kreisen immer um Ihr geliebtes Haupt, mein Herz sehnt sich nach Ihnen, nach Ihrer Stimme, nach Ihrem Anblick — und ich weiß, daß ich ein einsamer Mann bleiben würde lebenslang, wenn Sie jenem Mann zum Altar folgen. Ich mutzte es Ihnen sagen, Pips, mein geliebtes Mädchen, und wenn ich auch keine Hoffnungen daran knüpfe, so ist es auch schon ein kleines Glück, daß Sie nun wissen, wie es um mich steht... Zürnen Sie mir nicht! Ich will ehrlich versuchen, Ihr Freund zu bleiben, wenn ich Ihnen nicht mehr sein darf. Und versagen Sie mir nicht den Abschied, wenn ich in Wien bin. Gehen Sie nicht fort, um mir aus zuweichen, um das eine bitte ich Sie! Sehr bald reise ich nach Berlin zurück, und es bleibt mir nichts mehr als — die Erinnerung an einen wunderbaren Traum, der ausgeträumt sein muß..." Wie lange Pips dagesessen und mit starren Augen auf das Papier in ihren Händen geblickt hatte, das hätte sie nie zu sagen vermocht. Was war das? Aeffte sie eLr: Traum? Konnte das sein? Konnte es Wahrheit sein? — Und wieder las sie den Absatz, las ihn zum dritten Male — und. dann sprang sie auf, breitete die Atme weit, und ein jauchzender Schrei entrang sich ihrer Kehle, daß es klang wie der Jubelruf eines Waldvogels... Dann stutzte sie. Was meinte er mit dem andern? Wieso kam er zu diesem Mißverständnis? Hatte Maryfa im trüben gefischt? Aber nein, sie war ja nicht böse von Gemüt. Wer in aller Welt konnte da in Frage kommen? Doch nicht Phil? Und plötzlich entsann sie sich des Ge sprächs gleich nach seiner Ankunft in Salzburg und an das kleine Geplänkel über den Begriff „Freund". Ja, so mußte es sein: er hielt Gotthold, von dem sie ihm sprach, für ihren Zukünftigen und hatte sie gemeint, als von Pini die Rede war... Oh, wie herrlich! Wie über alle Begriffe wunderbar war dies ! Er — er liebte sie, so wie sie war, das häßliche Mädchen! Und nun wußte sie auch, daß es für sie niemals Glück geworden wäre, hätte sie ihn sich erst j,e tz t erobern können. Untz datz sie dumm und unbedacht gehandelt hatte,, wie nur irgendein kleines Mädel, als sie nur einer Aeutzer- lichkeit willen an ihm gezweifelt. Pips lachte und weinte durcheinander uckv war völlig außer Rand und Band. Dann trat sie vor den Spiegel und betrachtete sich. Aus der geplanten Verschönerung war nichts weiter geworden als das sichtbare Zeichen ihres Mißtrauens. Das hübsche, feine Näschen, das der kos metische Künstler ihr gleichsam gedreht — es wurde jetzt zum Wahrzeichen ihrer eigenen Kleinlichkeit... Oh, Pips! Ein Leben voll heiliger Liebe würde nicht ansretchen, um das gut zu machen, was sie an dem herrlichen Mann gesündigt... Die Gedanken liefen im Kreis, unzusammenhängend, zwecklos — und vennoch so unendlich beglückend. Die „Juristin" hatte sich völlig verkrochen, und ein arg ver liebtes Mädel, wie jedes andere im gleichen Zustand, lachte und weinte, tanzte und jubelte und hätte die ganze Welt umarmen können vor lauter Glückseligkeit... Endlich hatte sich Pips so weit gefaßt, daß sie an das Zunächstliegende denken konnte: Wann war der Brief geschrieben? Und als sie sich überzeugt hafte, vaß es zehn Tage her waren, da erfaßte sie eine beispiellose Unruhe. Wie? Er kam nach Wien und fand sie nicht vor? Sic mußte sofort abreisen — sofort. Ja, aber dann konnte es geschehen, datz er bereits auf dem Weg nach Salzburg war?! Also blieb nichts übrig, als morgen ihre „Resi" anzurufen. Für heute war es zu spät geworden, dank des Umstandes, daß eS Stunden gedauert, ehe sie vom Himmelsflug wieder aus die Erde gesunden. Und als sich Pips endlich entschloß, zu Bett zu geben, oa legt« sie GNbertS Brief unter Ihr Kopfpolster. Wörant zu ersehen ist, datz auch daS modernste Mädel in Sache» der Liebe keinen Schaden nimmt... * * >» Pips war spät eingeschlafen und hatte dann an. Morgen nicht aus dem Bett finden können. Eben als sie Mit dem Ankleiden fertig war — es ging schon auf Mittag zu —, klopfte es an ihre Zimmertür. » „Der Geldbote für Fräulein Breitenschlag aus Wien." „Sehr willkommen!" lachte Pips und öffnete die der- sperrt gewesene Tür. „.Treten Sie ein!^ „Es ist eine größere Summe für Sie angewiesen, und ich ersuche, sich zu legitimieren", sprach der Beamte in höflichem Ton. Pips nickte, wandte sich ihrem Koffer zu und entnahm dem ihren Paß. „Genügt das — oder was soll ich Ihnen sonst vor- weisen?" erkundigte sie sich. „Genügt!" war vic Antwort, und der Geldbote nahm das Büchlein aus ihrer Hand, schlug cs aus, verglich den Namen mit jenem auf der Anweisung und wendete das Blatt, in dem er die Photographie, die dort eingeklebi war, mit Pips verglich. Zweimal blickte er von dem Buch auf Pips und wieder zurück, und vann schüttelte er be fremdet den Kopf. „Erlauben Sie, das sind Sie doch nicht!" kam es ausgesprochen mißtrauisch. Pips fuhr zurück und blickte gleichfalls auf ihre Photo graphie — im selben Augenblick wurde sie puterrot: Das Bild zeigte Pips im Profil, in jenem^ Profil, das der Professor für „bedeutend" erklärt hatte, aber das mit ihrem jetzigen auch nicht die entfernteste Aehnlichkeit mehr aufwies. Ratlos blickte sie auf vcn Beamten und be gegnete dessen eigentümlichem Blick. Es sind an sich die kleinen Dinge, aus denen zuzeiten die größten Verwirrungen entstehen können. Was sollte sie tun? Dem Gelvboten sagen: sie habe sich die Nase operieren lassen? Lachhaft. Was in aller Welt sollte sie tun? Plötzlich besann sie sich auch des eigentümlichen Benehmens der Leute hier im Hause, da sie ihre Zimmer rechnung immer noch nicht bezahlt hatte und die sie mit unverhülltem Mißtrauen betrachteten. Sie hatte bisher keine Zeit damit verschwendet, über die Gründe dieser Veränderung nachzusinnen und sich nur vorgenommen, dieses unfreundliche Haus nicht wieder aufzusuchen. Jetzt gewann auch dies eine andere Deutung. - Indessen wandte sich der Geldbote zum Gehen. „Wenn Sie keine andere Legitimation haben — darauf hin kann ich Ihnen selbstverständlich das Geld nicht auszahlen!" sprach er kurz angebunden. Und dann war er gegangen. Sprachlos blieb Pips zurück. Sie, die eine so hohe Meinung von sich hatte, datz sie niemals einen anderen Willen gekannt als den eigenen; die sich eingebildet, in jeder Lebenslage sich zurechtzufinden — sie stand be nommen da und mutzte ihre Gedanken erst sammeln. Was sollte sie zunächst tun? Natürlich Rest telephonieren. Ja, aber das nützte nichts. Die konnte ihr auch nur Geld schicken, das man ihr abermals nicht auszahlen würde. Alle vollgültigen Dokumente, die sie mit sich führte, wie sie es als Äutlerin gewohnt war — sie nützten ihr nichts, da ihr Bild den Vergleich unmöglich machte. Daran hatte sie nicht gedacht, als sie aus dem Sanatorium ihren Weg genommen. Daran nicht — und ec war doch das Zunächst liegende. Die Hände auf den Rücken gefaltet, was sie immer tat, wenn sie in Nachsinnen versunken war, ging sie im Zimmer auf und ab und suchte ihre Gedanken zu ordnen. Da klopfte es wieder. Auf ihr „Herein!" tra, der Direktor des Hotels etn, in Begleitung eines zweiten Herrn, und sprach, zu diesen gewandt, ohne Pips zu grüßen: „Das ist das Mädchen!' Pips maß den Mann mit einem empörten Blick und wollte schon tziefe Formlosigkeit des Eintretens und Sprechens zurückweisen, als der Fremde sich an sie wandte: „Ich komme von der Polizei — bitte sich zu legitimieren!" sprach er mit ruhiger Bestimmtheit. Gleichzeitig gab er dem Direktor ein Zeichen, uNd dieser verließ den Raum. Pips hatte ihre Fassung wiedergewonnen. „Es ist eine Verkettung von Umständen", sprach sie ruhig, „ich habe meine Papiere in vollkommener Ordnung — und sie können meine Identität dennoch nicht er weisen." Der Beamte lächelte eigentümlich. „Sie haben eine ziemlich bedeutende Geldsumme aus Grund dieser von Ihnen selbst zugegebenen Unzulänglich, keit annehmen wollen und hätten eS auch getan, wenn der Postbeamte weniger vorsichtig gewesen wäre", meinte er trocken. Und mit einem „Also bitte!" streckte er die Hand aus und nahm das Papierpäckchen entgegen, das Pips ihm reichte. Ihre Hand zitterte, und sie war blaß geworden. Heil lose Geschichte!, dachte sie dabei, ohne den Humor der Sachlage erfassen zu können. Patz, Triptyk, Scheckbuch — das war alles. „Ich will Ihnen die Sache erklären", begann da Pips, als sie sah, daß ihr nichts weiter übrigblicb. Sie erzählte von der Operation in Wien, und daß sie nicht daran gedacht, das „korrigierte Gesicht" auch gewissermaßen zu legitimieren. Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht des Beamten, als wollte er sagen: Richt übel ausgedacht! Er sann einen Moment nach und meinte dann: „Wo haben Sie diese Operation ausführen lassen?" Pips nannte das Sanatorium, gab auch den Namen des Operateurs an. „Wir werden Ihre Angaben prüfen — inzwischen aber muß ich Sie ersuchen, mit mir zu kommen. Wie man mir berichtete, haben Sie auch FhrL HötelrechnuNK nicht be- zahlen können, sie scheinen demnach kn Geldnöten zu feilt — wie?" > ...... (Fortsetzung folg«.). >