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küvkl'ürme-Verlag, tlalls (Laale) Orkeberreclitssekutr: 6) Nachdruck verboten. „Die Herrschaften wollen schon gehen?" meinte sie ein wenig blinzelnd. Gilbert verbiß ein Lächeln. Niemand hatte eigentlich Anstalten dazu gemacht. Es schien dies eine Gewohnheit ver alten Dame zu sein, von der sie vielleicht selbst nichts mehr wußte. Auf ein Zeichen brachte der Diener Marysa einen leichten Mantel. Gilbert nahm ihn ab und half der jungen Dame hinein. Phil zog die Mundwinkel ein wenig spöttisch herunter. Er kannte seine Pappenheimer. Marysa hatte ein neues Opfer ihrer Künste gefunden, sollte das heißen. „Das Auto", ordnete Vie alte Dame an, und zu Gilbert gewandt: „Sie kommen doch morgen vormittag wieder heraus — ich will noch recht viel von Ihnen haben, so lange Sie hier sind..." Der Angesprochcne neigte sich über die feinen Hände und dankte für die freundliche Aufnahme. Pips stand da bei und sprach kein Wort. „Werden Sie vormittags zu Hause sein?" erkundigte sich Gilbert, indem er ihre Hand ergriff, die sie ihm nur halb entgegenhielt. „Das kann ich jetzt noch nicht wissen", erklärte sie wider borstig. „Entweder ich bin da oder nicht." „Das ist cchi Pips!" lachte Marvsa. „Daran müssen Sie sich gewöhnen!" Gilbert lachte gleichfalls: „Es ist nicht schwer, man weiß wenigstens sofort, woran man ist!" meinte er mit einem kleinen Seufzer, der vielleicht seiner eigenen Unklarheit galt. Während das Auto mit den drei Gästen von dannen rollte, schob Pips ihren Arm umer den der Großmutter: „Komm schlafen, Rest! Es war urfad heute!" Damit schritt sie neben der alten Dame durch den Park .-ach dem Pavillon, wo sie sich aus eigener Machtvoll kommenheit cinguartiert hatte. Im Fond des Wagens saßen Gilbert und Marysa, während Phil einen der Vordersitze eingenommen hatte. Es herrschte Schweigen und Dunkelheit, und nur, wenn ein Vogenlicht einen Strahl hineinwarf, waren zwei Ge sichter hell beleuchtet, die, voneinander abgewandt, dennoch Erregung zeigten. Gleich nachdem man den Stadtbahnviadult passiert hatte, hielt yas Auto. „Ich bin angelangt", sprach Phil und schwang sich behende heraus, hob grüßend die Hand und verschwand ziemlich formlos. Das Fahrzeug setzte sich wieder in Bewegung. Auf dieses plötzliche Alleinsein mit dem Mädchen war Gilbert nicht vorbereitet. Nein, er war kein Frauenverführer, der junge Altertumsforscher. Keine Ahnung kam ihm, daß sie, Marysa, den ganzen Abend lang an dieses vorausgesehene Alleinsein mit ihm gedacht und sich einen Kriegs- und Ueberrumplungsplan sorgsam zurechtgelegt hatte. - * * Aber ehe Marysa noch eine hasve Stunde älter ge- ivorden, hätte sie in ihren Erinnerungen eine neue Ent täuschung verbuchen müssen. Ein ganz anderer schien Gil bert Haller von dem Augenblick an, da sie mit ihm allein geblieben. Die trauliche Dämmerung, das enge Bei sammensein, halbe Worte und ganzer Augenaufschlag — all diese bewährten Mittel blieben ohne jeden Erfolg. Freundlich, zuvorkommend, was man so in der alten Schule „ritterlich" nannte, das alles war Gilbert. Aber jenes Fluidum, das sich nicht in Worten kleiden läßt und das dennoch in seiner zarten Kraft Berge zu versetzen ver mag, das war wie weggeblasen... Und Marysa erkannte erbittert: dieser Mann war nicht wie andere... Nicht einmal „Nein" konnte man ihm sagen. Nicht einmal diese Genugtuung bot er ihr... Er war ganz einfach ein anständiger Kerl, der aus der Situa tion keine Vorteile herauszuschlagen beabsichtigte. Nieder trächtig war das... * * Und Gilbert? Einigermaßen ernüchtert trat er in setn Hotelzimmer und wußte nicht, woher dieses schale Emp finden des Katzenjammers kam. Die prickelnde Erregung, die sich seiner wie noch nie bemächtigt hatte, war verflogen. Wodurch? Er hatte einen Plick aufgefangen — einen gutmütig-spöttischen Mck.-von diesem Phil Zerbach an die Adresse des Fräulei/s Marysa Ellinger, im Moment, als er mit einem «Gute Nacht!" aus dem Wagen stieg. So unerfahren im Spiel Gilbert auch war — dieser vertraute, geringschätzige Blick hatte ihn getroffen wie ein Hieb. Mit einem Ruck war er aus der süßen Träumerei erwacht, die ihn seit Stunden gefangen gehalten. * » * Am Morgen nach diesem denkwürdigen Tage kaip Pips -' ein wenig übernächtig ins Frühstückszimmcr, im Trench coat und Mütze, mit einem Handkoffer von ziemlichem Umfang, der in seiner ansehnlichen Schwere ihre schmale Figur seitlich niederzog. „Weshalb rufst du nicht den Johann? Und wohin will» du denn überhaupt?" erkundigte sich die GroßmaMa mehr mechanisch und alten Ueberlicferungen folgend, a daß sie sich irgendeinen Erfolg versprach. „Der arme, alte Kerl soll vielleicht den schweren Koffr schleppen — so was!" war die schmucklose Antwort, mck auf die zweite Frage ging Pips überhaupt nicht ein. „Erwartet mich nicht früher, als bis ich wieder da bin!' war alles, wozu sie sich bequemte. Neu war dieses Verfahren allerdings nicht. Sie kam und ging, wann es ihr beliebte, und war ja schließlich erwachsen genug dazu. Großmama rechnete bei jeder Gc legenheit nach, wieviel Kinder sie in diesem Alter bereits hatte, und die große gesellschaftliche Rolle, die sie nebenbei innegehabi. Heute scherte man sich weder um das eine noch um das andere. Sie erwartete auch keinerlei Ant wort — es erleichterte sie aber irgendwie, wenn sie die gute alte Zeit heraufbeschwor. Pips ließ solche Auslassungen wie unvermeidliche Vor bereitungen über sich ergehen. Als dann die alte Dame seufzend die silberne Kaffeekanne ergriff, um der Enkelin das Frühstück zurechtzumachen, da meinte Pips wie nebenbei: „Sag, Nesi, kannst du mir dreitausend Schilling geben; ich habe nicht genug Geld bei mir und lasse dir einen Scheck zurück..." . Exzellenz fuhr so erstaunt herum, daß sie einen großen Kaffeeflcck auf das schöne rosa Tischtuch machte: „So lange willst du wegbleiben? Und weshalb hast du gestern nicht vorgesorgt — ich glaube, ich habe so viel im Hause, weil ich doch für deine Mutter Rechnungen bezahlen soll. Und was wird sich Doktor Gilbert von dir denken?" Es war die Art Ihrer Exzellenz, solche Sammelfragen zu stellen. Als sie damit fertig war, wartete Pips in ungewohnter Höflichkeit, ob noch etwas nach käme, und dann meinte sie, immer zwischen einem Schluck Kaffee: „Wie lange ich wegbleibe, weiß ich noch nicht; zu fahren habe ich mich heute morgen entschlossen — die Rechnungen von Hortense interessieren mich nicht, und was sich dein Doktor Gilbert von mir denkt, noch viel weniger! — Sonst was?" „Pips, du bist der Nagel zu meinem Sarg!" jammerte die alte Dame. „Amen!" schloß Pips. Dann aber erhob sie sich, trat auf die Großmutter zu, nahm deren Gesicht so fest zwischen ihre Hände, daß sie es zusammendrückte wie eine Zitrone, und küßte sie ein paar mal fest auf den Mund, bis die alte Dame nach Luft schnappte. „Bist meine gute, alte Resi! Bleib gesund, führ' dich brav auf, damit ich nichts hören muß, wenn ich wiSder- komme — hast du verstanden? Ueberfriß dich nicht mit warmen Buttersemmeln, wie gewöhnlich — und jetzt gib mir das Geld...", schloß sie, energisch die ungewohnte Weichheit abschüttelnd. Gehorsam erhob sich Ihre Erzellenz und ging in den Nebenraum, wo ihr Kassenfach in die Wand eingelassen war. Gleich darauf kam sie mit einem Bündel Banknoten zurück. „Du raubst mich vollkommen aus", klagte sie, „ich muß gleich nachher telephonieren lassen, daß mir der Lehmann Geld schickt." „Na, da hast du hundert Schilling", sprach Pips groß mütig und legte den Schein aus ihrem Täschchen vor die Großmutter hin. „Wozu brauchst du denn Geld? Die Rechnung kann warten, bis Willy wiederkommt — Hortense ist gar nicht so versessen aufs Zahlen..." Aber die alte Frau hatte schon wieder die Gedanken anderwärts: "" „Schade, daß Gilbert nicht länger in Wien bleiben kann!" „Wozu in aller Welt?" erkundigte sich Pips gleich gültig. „Vielleicht hättet ihr Gefallen aneinander gefunden — es wäre eine so passende Partie...", meinte die Groß mutter bekümmert. Pips lachte so schallend, daß es widerhallte. „Daß du doch das Mausen nicht lassen kannst, Resi!" tadelte sic milde. „Partie! — Schon das Wort kann einem jeden Gedanken an eine Heirat abgewöhnen — und alles ist umsonst bei dir! Wie oft habe ich dir schon gesagt, ich heirate nicht — meine Lebensziele liegen auf anderem Gebiet!" „Jemine, jemine", jammerte die alte Frau, „wenn ich dich so reden höre, wird mir angst und bange. Und wenn du endlich einmal einen stichhaltigen Grund für diese Dick köpfigkeit angcbcn würdest, damit man versuchen könnte, dich zu verstehe»! — Zu meiner Zeit..." Pips nickte lachend. „Ich weiß, zu deiner Zeit gab es auch alte Jungfern, das hast d» mir schon unzählige Male gesagt. Aber die hatten entweder eine unglückliche Liebe oder kein Geld — nicht wahr?" Exzellenz blickte ganz bestürzt aus ihre Enkelin. „Gewiß!" Lebenslang umhegt, kannte sie nur eine eigens für du keine Und nur me abschließend: „Mit meiner anerkannten Schönheit kannst 'arade machen, Nesi — das stehst du doch ein? ' sie und ihresgleichen zurechtgemachte Außenwelt. Für sie gab es überhaupt nur zwei Menschengattungen: solche, die Geld hatten, und — die anderen. Sie gehörte einem halben Dutzend Wohlsahrtsvcreinen an, bezahlte ihre Bei- . träge pünktlich, und war überzeugt, daß sie ihrer Nächsten pflicht Genüge tat. Als es sich herausgestellt, daß ihre einzige Enkelin insgeheim ein Brotstudium betrieben, konnte sie vor dem Schock nur der Gedanke bewahren, daß sie einen wirklichen und wahrhaftigen Doktortitel damit erworben hatte. Damit konnte man schließlich bei den Freundinnen aufwartcn, wenn anzügliche Reden über Extravaganzen der heutigen Jugend ergingen. - Schließlich war sie sogar stolz darauf, zumal Pips nicht darauf zu bestehen schien, eine Anstellung zu suchen. Und >aß dieses Mädel abstach gegen die übrigen ihres Alters, mmit mußte sie sich abfinden. Und als hätte Pips ihre Gedanken gelesen, sprach sie. Es war elf Uhr, als Gübert Haller sein Hotel verließ. Herrliches Sommerwcllcr, nicht zu heiß, prangendes Grün der ösfentlichen Anlagen und der Ningstraßenallecn — die ganze Schönheit von Wien übte ihren Zauber auf den Fremden. Der -junge Gelehrte dachte an den gestrigen Abend. Fräulein Marysa — das schöne Mädchen. Aber nichts regte sich mehr in seiner Brust. Vielleicht ein etwas un behagliches Gefühl, ihr wieder zu begegnen — obwohl, weshalb eigentlich? Aber Pips! Sein Mund verzog sich zum Lachen, wenn er an sie dachte. Das war echt, dieses Mädel! Und ganz, ganz anders, als die meisten Mädchen ihres Alters sind. Gilbert kannte nicht viele, aber die waren so ziemlich alle gleich — etwa wie diese schöne Marysa. . (Fortsetzung folgte UN mein bißchen Geld jemandem in die Taschen zu stecken, azu ist es zU schade..." „Du bist gar nicht so häßlich!" verteidigte die gute Lame die Enkelin vor sich selbst. „Nein, gar nicht!" spottete Pips und wurde plötzlich .'laß. „Meine Nase zum Beispiel — ganz wie Napoleon, ttso eine Zierde für jedes Mädchengcsicht — nicht?" Und mit einer plötzlichen Bewegung, als wollte sie eine Last abschütteln, riß sie ihr Täschchen an sich und begann darin zu kramen. „Wozu nimmst du denn den Paß mit — ich bitte dich?" forschte die alte Frau, die aufmerksam zugesehen hatte. Sie besaß trotz ihres Alters vorzügliche Augen. „Du bist so verändert, Pips; ich habe das schon gestern abend wahrgenommen l Du warst ja förmlich höflich mit deinen Gästen — das kommt mir verdächtig vor. Du bist doch nicht am Ende krank? Da solltest du'doch erst recht nicht fahren! Oder nimm wenigstens den Chauffeur mit." Nervösen Menschen oder solchen, die eben andere Dinge im Kopf haben, mußten derartige Fragen samt Be gründung aus der Fassung bringen, und Pips war deny auch drauf und dran, eine ihrer saftigen Antworten zu geben, zum Zeichen, daß sie völlig gesund sei. Aber sie besann sich und preßte die Zähne aufeinander. Dann neigte sie sich und berührte die Wange der Großmutter flüchtig mit den Lippen: „Pa — Pa, höchste Zeit, daß ich wegkomme..." Sie blickte an der alten Frau vorbei, als wollte sie vermeiden, dem forschenden Blick zu be gegnen. „Da — also, bitte!" rief sie erregter, als cs der Anlaß erforderte. „Schau dir den Kerl an! Untersteht sich! Klctzelt der'an meinem Wagen herum, was ihm doch streng verboten ist — na wart'..." Und mit einem Satz sprang sie zur Tür hinaus, über die Terrassenstufen und flog nur so über den Nasen. Dort drüben stand das kleine, rote Auto. „Werden Sie die geehrten Pfoten vom Ver gaser tun, Sie — Sie —!" „Aber, ich bitt' schön!", verteidigte sich der Garage meister. „Ich bin doch gelernter..." „Trottel!" unterbrach ihn Pips wild. „Hundertmal hab' ich Sie verwarnt — mach' mir eh' alles allein. Aber nein, er muß sich wichtig machen — es ist direkt zum aus der Haut fahren!" Der Gemaßregelte trat mit gekränkter Miene zurück; aber böse sah er eigentlich nicht drein. Er wußte ver mutlich schon, was jetzt kam. Pips griff in die Manteltasche und entnahm der eine Zigarettenschachtel von einer teuren Marke: „Na, Sie Scheusal, bedienen Sie sich — und falls Nest — also falls meine Großmutter ausfahren will, so soll sie der Oerlinger fahren und nicht der Wurlitzer; der macht immer Rekordfahrten, und das ist nichts für die alte Fraü. Schönes Vergnügen, wenn man sich dabei zu Tode ängstigen muß — nicht? Ja — und warum lassen S' mich denn die dalkerten Zigaretten eine Ewigkeit halten? Sind Ihnen vielleicht nicht fein genug — gelt?" „Bitt' schön, die Schachtel ist ja noch geschloffen!" ver teidigte sich oer Mann wiederholt. „Gottes willen! Wie schamhaft! Behalten Sie's nur als a ganzer, Sie werd'n schon nicht dran sterben!" Und ohne die hilfreiche Hand zu berühren, schwang sich Pips aus den Führersitz, als ihr noch etwas einfiel: „Ja, richtig — meinen Koffer, den hält' ich beinah vergessen. Aber ein biff'l plötzlich, wenn ich bitten darf!" So, als fürchte sie sich zu verspäten, stampfte sie mit dem Fuß und prüfte ihre Armbanduhr, dann reckte sie den schlanken Hals und sah die Straße entlang, die völlig un belebt hinter dem Gartengitter im Sonnenschein lag. Der Garagemeister war davongesprungen, und schon kam er mit dem Köfferchen heran. Gleich darauf flog das zier liche Gefährt in eleganter Kurve durch das Gittertor. Noch ein paarmal hörte man die Hupe, die klana wie Sunde- gebell, und dann war Pips fort.