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uns wohl un- ganzen Kram ärgerlich und Alwcrts zu ihrer'Freundin. „Die wollte schädlich machen?!" „Am liebsten möchte ich mich um den nicht mehr kümmern", entgegnete Mela traurig zugleich. „Erlaube mal — schofel war Heribert nie!" „Oho, du brichst 'ne Lanze für ihn?! Sehr verdächtig!" Mela wurde verlegen. Trotzig sagte sie: „Er hätte auch selbst zu deiner Mutter kommen können." „Das eben mein' ich auch, Kindchen. Schwamm drüber! Komm, wir trudeln ab. Erst Telegramm, dann Auskunft, später Abfahrt nach Kassel, wollte sagen: Eggfcldhausen. Dem ollen Jrafen werd' ich mal dew-Standpunkt klar- machcn. Der soll merken, daß am jrünen Rhein nicht bloß siche Trauben wachsen, sondern auch Mädchen, die Haare auf den Zähnen haben — wenn'ö nämlich sein mutz." Mela hatte für diese halb lustig, halb ernst gemeinte Rede nur ein schwaches Lächeln übrig. Ihr war das alles sehr peinlich und von Herzen zuwider. Es kränkte sie tief, daß Tante Ursula aus ihrer Herzensangelegenheit ein Geschäft machte und obendrein ein weites Gewissen zu haben schien. Und sie verstand es nur zu gut, warum die Tante auf und davon ging. Sie rechnete damit, daß man die Sache vertuschen würde, spekulierte auf ihre und des alten Grafen Anständigkeit. Mit der Freundin ging sie zum nächsten Postamt, wo Aennchen Alwerts die Depesche an Graf Wolrad aufgab. Von dort fuhren sie zum Anhalter Bahnhof, wo sich Aenne die Auskunft holte, die sie brauchte. Dann kehrten sie heim. Aenne packte den kleinen Hand koffer und überlegte: „Gegen sieben Uhr abends komm' ich an; wenn der Weg zum Schloß nicht so weit ist, gondle ich gleich hin. Schickt sich zwar nicht, so spät Besuch zu "machen, aber es schickt sich manches nicht, was ich dem hochwohledlen Jrafen schon beibringen werde." »Fall nur nicht auS der Rolle", mahnte Mela. „Kindchen, meckere nicht! Ich weiß, was sich gehört — verlaß dich drauf. Pein Graf ist schließlich auch bloß 'n Mensch — hat also ztvel Öhren und 'nen Mund, den er Dürme-Vorlaz, Hollo (8salo) säst alles ausgeräumt war bis auf ein altes Hauskleid und den Wintermantel. „Puh, die ist abgedampft!" stellte Aennchen AlwertS fest. Auch Mela zweifelte nicht daran. „Was machen wir jetzt?" fragte sie schier verzweifelt. „Krach!" entgegnete Aenne lakonisch. Und das setzte sie gleich in die Tat um. Sie eilte zur Wohnungstür und hämmerte mit beiden Fäusten gegen die Füllung. Zuerst rührte sich nichts. Endlich aber kam jemand über die Treppe herauf. Es war Frau Schulze aus dem unteren Stockwerk. Die holte dann einen Schlosser aus der Nachbarschaft, und der sorgte dafür, daß dann, nachdem er geöffnet hatte, ein einigermaßen passender Schlüssel aufgetricben wurde, den er zurechtfeilte, damit Meta Heithüsen die Wohnung verschließen konnte. Da war nun guter Rat teuer. Man konnte die Tante doch nicht einfach anzeigen und durch die Polizei suchen lassen. „Was hat sich die Dame denn gedacht!" sagte Aenne „So siehst du aus, Kindchen! Der Spinatwachtel das Geld lassen und obendrein in den Verdacht geraten, daß du mit im Komplott bist. Deine Tante hat doch an den alten Grafen geschrieben. Wenn der ihr noch Geld schickt, ist sie fein heraus — und auf dich fällt's zurück. Da müssen wir einen Riegel vorschieben. Die braucht doch bloß eine andere Adresse anzugeben, wo das Geld hingeschickt werden soll. Kapierst du das denn nicht, du edle Seele?!" Mittlerweile war's ziemlich spät geworden. Die Freun dinnen suchten einen Gasthof auf, der ein paar Straßen weiter lag, und dort ließen sie sich etwas zu essen geben. Dann gingen sie Arm in Arm zur Wohnung der Tante zurück. Aennchen Alwerts sprach vorläufig nicht mehr über den Fall, weil sie merkte, daß es der Freundin sehr naheging. Als Mela schlief, schrieb sie an Graf Eggetfeld, machte den Brief postfertig und steckte ihn in ihre Hand tasche. — Am nächsten Morgen blieben sie daheim, in der Hoff nung, daß die Tante vielleicht doch noch reumütig zurück- kehren würde. Aenne besorgte etwas zum Frühstück, lauste sich eine Freimarke und steckte den Brief an Graf Eggetfeld in den nächsten Postkasten. Hinterher kamen ihr Bedenken. Wenn Melas Tante etwa noch am vorhergehenden Abend an den alte« Grafen geschrieben hatte, könnte der Brief, den sie eben aufgab, zu spät eintreffen. So besprach sie die Sache mit Mela. „Weißt du was — ich fahr' hin", schlu» Aenne vor, „und rede mit dem ollen Jrafen ein vernünftiges Wort." Mela wollte nichts davon wissen. „Das steht ja so aus, als lief' ich Heribert nach.. „Tust du ja gar nicht, Kind — fällt dir ja nicht im Traume ein! Du sollst selbstverständlich hierbleiben. Wie lange fährt man bis zur Station Eggfeldhausen?" „Weitz ich nicht — ich war nie dort." „Na, vafür gibt'S ja 'ne Auskunft an den Bahnhöfen. Und jetzt geb' ich eine Depesche auf — red mir nicht da zwischen, Mädchen, es mutz etwas geschehen. Dein Graf soll nicht sagen können, daß du genau so schofel bist wie er..." Aennchen Alwerts halle an Melas Lame geschrieben. Es war wirklich ein Brief geworden, ver nichts an Deut lichkeit zu wünschen übrigließ. Die Antwort blieb aus. Das empörte die junge Rhein länderin sehr, und auch Mela Heithüsen wußte nicht, was sie davon halten- sollte. Da ergab es sich, daß eine Kollegin von Aennchen Alwerts ihren Urlaub verlegen wollte. Diese Gelegenheit ergriff Aenne sofort und nahm einen Teil der ihr zu- stchenden Ferien schon jetzt. „Wir fahren nach Berlin, Mela. Die Unkosten rechnen wir dem ollen Jrafen an — warum macht er auch solchen Quatsch. Und deiner Tante fühlen wir heftig auf den hohlen Zahn." Mela hatte Bedenken. Davon, daß man die Unkosten von den tausend Mark bestreiten sollte, die noch immer unangetastet in einer Kommodenschublade lagen, wollte sie überhaupt nichts wissen. „Gut — so verpulvere ich mein Fericngeld dafür. Edel sei der Mensch, hilfreich und gut! Trotz der Wut, die ich auf deine Tante, nicht minder auf den alten Grafen hab'." „Ich kann die Ausgabe nicht verantworten", hatte ' Mela gesagt. Doch schließlich setzte die Freundin ihren Willen durch. Und so fuhren sie denn nach Berlin... Tante Ursula war inzwischen von Eberswalde zurück- gekehrt. Angemeldet hatten sich die Freundinnen natürlich nicht, so daß deren Besuch für Frau Ursula Hemmfels sehr überraschend kam. ' Aenne Alwerts machte die Wortführerin. Sie erklärte, Mela könne vielleicht das Geschäft ihrer Mutter käuflich erwerben, doch würden dazu etwa zehntausend Mark erforderlich sein. Im Laufe der Unterredung verwickelte sich Melas Tante in einige Widersprüche, wußte sich jedoch immer wieder zu helfen. In ihrem Schreiben hatte Aenne Alwerts nichts von dem Verdacht, den sie und Mela hegten, verlauten lassen, nur die Art der Bevormundung kritisiert, zu der sich Frau Hemmfels berechtigt zu halten schien. Die Tante tat auch jetzt noch so, als sei sie von Graf Wolrad dazu beauftragt worden, war aber bereit, der Richte noch zweitausend Mark auszuhändigen und an den ulten Grafen zu schreiben. Ehe Mela dazu Stellung nehmen konnte, erklärte sich Aenne in ihrem Namen bereits einverstanden. Kaum war oer Brief zur Post gegeben, da kam Frau Hemmfels mit oer Neuigkeit heraus, unbedingt verreisen zu müssen. Mela gab ihrer Verwunderung Ausdruck, daß ihr Zimmer immer noch nicht vermietet mar. Die Dame sei wieder ausgezogcnl, redete sich die Tante heraus und war bemüht, die Nichte und deren Freundin loszuwerden. Aber die blieben, wichen nicht aus der Wohnung. Frau Hemmfels hatte ein viel zu schlechtes Gewissen, um mit Erfolg energisch werden zu können. Sie wand sich und versuchte cs mit allerlei Mitteln und Vorwänden, ihre geplante Reise als dringend und unaufschiebbar hin- z »stellen. Aenne Älwerts, schlagfertiger als Mela, meinte, sie seien eigens nach Berlin gekommen, um die Kauf angelegenheit zu beschleunigen. Da müsse man die Ant wort des alten Grafen schon abwarten. Was ihre Reise denn so dringend mache? In ihrer Not mußte sich Frau Hemmfels zu einem halben Geständnis bequemen, das doch nur wieder eine Lüge war. „Ich habe auch etwas Geld bekommen und will ebenfalls einen kleinen Laden übernehmen." „Ah, so ist das!" Aenne kniff die Augen ein. Dann legte sie Melas Tante die Hand auf die Schulter und meinte: „Ja, sehen Sie mal, Frau Hemmfels, wir müssen uns ja auch gedulden, und uns eilt's schließlich genau so gut wie Ihnen." Da fügte sich Tante Ursula scheinbar, stellte den Freun dinnen sogar das freie Zimmer zur Verfügung — und verschwand bei der ersten günstigen Gelegenheit. — Mela und Aenne hatten sich, müde von der Reise, hin gelegt. Als sie gegen Abend aufwachten, war Frau Hemm- felS fort. Zuerst glaubte man, sie sei ausgegangen, um tn der Nachbarschaft einkaufen zu gehen; denn die WohnungStür war verschlossen. Dabei dachte nian sich nichts; die Tante hatte vielleicht nicht stören wollen, hatte einfach für. die Zeit, wo sie abwesend war, abgesperrt. Aber als dann die zweite Stunde verging, die Tante immer noch nicht Heimtam, wurde es den beiden jungen Mädchen unheimlich zumute. Mela sah im Schlafzimmer ihrer Tante nach, öffnete Oen KleymKrqnkund gewährte auf den ersten Blick, daß ' llrboberrecbtsscbutL: klink 18) Nachdruck verboten. Der Verwalter nahm oas Telegramm, überflog den Inhalt und schüttelte den Kopf. „Unbekannt, Herr Graf. Weder ein Lieferant, noch ein Vertreter heißt so — meines Wissens wenigstens nicht." „Na, der Mann will ja Herkommen, da warten wir ab." Damit war der Verwalter wieder entlassen. Graf Wolrad aber kam nicht entfernt auf den Ge- oanken, daß die Depesche irgend etwas mit dem Brief zu tun haben könnte, den ihm Fran Hemmfels geschrieben und d<>n er vorhin noch einmal gelesen hatte. auftun kann, wenn er mir seine Meinung sagen will. So, nun loS, sonst erreiche ich den Zug nicht mehr!" — Mela brachte die Freundin zum Bahnhof und dann an den Zug. „Testament werd' ich vorher nicht zu machen brauchen", scherzte Aennchen AlwertS noch, gab Mela die Hand und winkte ihr aus dem Abteilfenster zu. „Interessante Ferien!" rief sie noch. Und dann nahm sie ihren Eckplatz ein. Zehntes Kapitel. Nach schweren Stunden, nach einem Kampf zwischen Liebe und Stolz entschloß sich Ilona Raskallo, Graf Heri bert anzurufen und ihn um eine Unterredung zu bitten. Sie hörte, daß er vor einer knappen Stunde abgereist war. Und Edla von Sadeburg mit ihm. Ilona Raskallo wußte nur zu gut, daß sie nun nichts mehr unternehmen konnte, ohne sich etwas zu vergeben. Sie mußte dieser Liebe entsagen; es blieben ihr die Kunst, die Welt und der Ruhm, die Verehrung der Männer — die ihr gleichgültig waren. Noch einmal überdachte sie jeden nur erdenklichen Weg, jede Möglichkeit, eine letzte Aussprache mit ihm, dem ihre Liebe gehörte, dem ihr Herz gleich entgegengeschlagen hatte, zu erzwingen. Dann setzte sie der Stimme des Herzens ein endgültiges Nein entgegen, ging zum Fernsprecher, ließ sich mit dem Manager des amerikanischen Filmunternehmens ver binden und unterschrieb abends — kurz vor ihrem Auf treten — den Kontrakt. Im Mai, wenn hier alles in voller Blüte stand, würde sie jenseits ves großen Wassers sein und neue Triumphe feiern können. An diesem Abend überbot sich die Tänzerin selbst in ihren künstlerischen Leistungen. Das Haus raste vor Bei fall. Und zum ersten Male ließ sich die spröde Ilona Ras kallo bewegen, einen Tanz zuzugeben. Sie tanzte ein kleines, russisches Volkslied, das Lied von dem Mädchen Mascha, das den Liebsten verlor und ihn suchen geht. Und als sie dann nichts findet als ihr eigenes Herz, das ihr in Sehnsucht und Leid kalt' und tot aus der jungen Brust gefallen ist — als die Raskallo das durch ihre hohe, ausdrucksvolle Kunst tn stummer Pamo- mime, in getanztes Leben umsetzte, da hieit vas Publikum förmlich den Atem an, da glaubte selbst der, der ven Text und den Sinn des Liedes nicht kannte, daß sie da in ven langsam sich hebenden Händen ihr eigenes Herz hielt... Der Vorhang rauschte hernieder, ging dann wieder auf. Aber die Bühne war leer — und blieb leer. Ilona saß in ihrer Garderobe, hatte sich eingericgelt und weinte tränenlos in sich hinein. Ninon aber stand da und wußte nichts, was trösten konnte. Dieser gewaltige, stumme Schmerz erschütterte die Zofe so sehr, daß sie mit hängenden Armen und gesenktem Kopf dastand. Nur die blanken Tränen rannen ihr über die Wangen. Dann ballte sie die Hände und murmelte zwischen den Zähnen: „Den könnt' ich umbringen, den Herrn Grafen!" Als sie endlich leise zu ihrer Herrin trat, zart deren Schulter berührte, die Tänzerin sich nicht regte, bekam sie Angst. Ilona Raskallo war ohnmächtig geworden. Wie tot trug man sie dann aus ihrer Garderobe. Am nächsten Morgen las man rn einer bedeutenden Zeitung über diesen Abend eine begeistert geschriebene Kritik, in der die Zugabe besonders herausgehoben war. Und was der Kritiker über dieses Erlebnis schrieb, das las sich wie eine kleine Novelle... Und es war doch mehr, war der wehe Roman eines Herzens, die Geschichte einer schmerzvollen Lieb«, den eine begnadete Künstlerin sich von der Seele getanzt hatte. Denn als Ilona Raskallo die Kriilk- tas, konnte sie lachen, war ihr Herz leicht und ihre Seele frei. Dieses Lachen war still und irgendwie »erklärt — das Lachen eines Menschen, ver sich in überwundenem Schmerz übpc- sich selbst hinausgehoben hat. Und die kleine Ninon staunte und wußte nicht rechts was sie davoü halten sollte, als sie ihre Herrin in scheinbar bester Laune vorsand. Aber froh war sie doch. „Recht Ham S', gnä' Frau! Wenn man erst lachen kann über so eine dumme. Liebe, dann ist's eh schon gut!" Die Tänzerin fühlte, wie gut das gemeint war, und sah Ninon dankbar an. „Wollen Sie mich nach Amerika begleiteü?" fragte sie. „Ha, gleich nach Amerika?! Ja, mir wär's schon rechtl Aber was wird mein Schatz dazu meinen, gnä' Frau?" „Nun, der wird vielleicht inzwischen vernünftig, wenn er merkt, was er an Ihnen verloren Hai, Ninon!" Die Zofe zog die Unterlippe zwischen die Zähne und schien skeptisch zu sein. " „Ja, wissen S', gnä' Frau, wenn er's nur merken würd', nacha möcht's mir gcrad' recht sein. Aber sowas merken die Mannsbilder selten, weil sie halt rasch eine andere finden, die sie gern über ven Verlust Föstet — gell - ja?!" Da dachte Ilona an Edla von Sadeburg, die ja auch nicht abgeneigt zu sein schien, Gras Heribert zu trösten. Einer Eingebung folgend, sagte sie: „Ninon, besorgen Sie mir ein Adreßbuch. Halt, nein, es genügt mir das Fernsprechverzeichnis!" Die Zofe brachte es. Zufällig erinnerte sich Ilona, datz Graf Heribert die Firma erwähnt hatte, bei der Mela Heithüsen beschäftigt gewesen war. Vielleicht konnte sie dem jungen Mädchen helfen — wenn schon nicht sich selbst. So rief sie denn an und erfuhr, wo Fräulein Heithufen gewohnt hatte. Sie schrieb sich die Adresse der Frau Hcmmfels auf und wollte sich bet Melas Tante die Düssel dorfer Adresse der Nichte besorgen. (Fortsetzung folgt.)