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(35. Fortsetzung.) Es wurde Thomas Frankhofer gar nicht dewußt, daß er Direktor Krumbhaar einfach anschrie. Aber dieses Mädel tat ihm wirklich in der Seele leid. Armes Kind' Er hätte nicht Sekretärin bei Direktor Krumbhaar iein mögen. »Jawohl, Kursbuch! Direktor Krumbhaar suchte mit fahrigen Händen auf seinem Schreibtisch und buchte alles nach mehr durchein ander. Briefe flatterten herunter. Der Inhalt eines Schnellhefters löste sich und sauste zur Erde. Ein Tinten- fatz geriet in Gefahr. „Wo habe ich denn das Kursbuch? Wo habe ich's denn nur?" murmelte Krumbhaar. Thomas Frankhofer konnte sich nicht verkneifen, zu sagen: „Na, da sehen Sie! Manchmal findet man eben die Dinge nicht gleich." „Links im Schreibrischfach, Herr Direktor!" fiel jetzt Herdith schwach ein. Wäre sie nicht so in Angst gewesen, die Szene hätte komisch gewirkt. ' Endlich hatte man das Kursbuch. „Braunschweig 8 fünfundzwanzig v eins!" murmelte Frankhofcr vor sich hin. Mit dem Finger fuhr er die Reihen entlang. „Schabe, Fräulein Aßmussen! Der einzige O-Zug geht gerade jetzt vom Potsdamer Bahnhof ab. Der nächste Personenzug über Magdeburg. Ach du lieber Gott!, da reist man ja eine Ewigkeit." Herdith brach in Tränen aus. „Ra, das fehlt noch!" sagte Direktor Krumbhaar. „Vielleicht wird man bei Ihnen noch nicht einmal weinen dürfen?" fuhr Thomas Frankhofer auf. Und dann vollendete er: „Also, ich nehme an, Sir geben Fräulein Aßmussen Urlaub, Herr Direktor. Auf Wiedersehen! — Kommen Sie, Fräulein Aßmussen!" „Aber, aber unsere Verhandlung..." „Setzen wir fort, wenn Sie sich beruhigt haben, Herr Direktor." Willenlos stand Herdith auf und folgte Thomas Frank hofer. Krumbhaar blieb konsterniert zurück. Das war ja ein schöner Ton, den der junge Herr aus Prag anschlug. Aber da die Firma Eckstein eine der Hauptabnehmer der Grosch- Witzer Zellstoffabriken war, mußte man mit dem Junior chef Frankhofer sich schon einigermaßen gut stellen. Franz Testet hatte inzwischen seine Mittagspause hinter sich. Er hatte im Kasino der Firma gegessen und war dann schnell auf einen Sprung zu dem Photogeschäft her- übergegangcn. Sein Kodak hatte eine kleine Reparatur nötig gehabt. Die mußte jetzt fertig sein. Er konnte sich zugleich ein paar Rollfilme besorgen. Als er die Treppe heraufging, kam ihm Edith entgegen. Sie sah ihn nicht, sondern ging mit gesenktem Kopf und schien den Worren ihres Begleiters zu lauschen. Dazu ging sie noch unter- gefaßt von diesem unbekannten, dunklen Herrn. Nanu! Was war denn das? Wer war denn dieser Herr im bemerkenswert gutgcschnittenen Anzug? Elegant von Kopf bis Fuß mit jener unaufdringlichen Eleganz, die selbstverständlichen Reichtum zum Hintergrund hat? Die graue Perle in der taubengrauen Krawatte war ein kleines Vermögen wert. Franz Tessel drückte sich schnell in eine Nische zwischen zwei hohen Aktenrcgalen. Vielleicht konnte man ungesehen irgend etwas aufschnappen, was für Marion von Wichtig keit wäre. Aber schon diese Begegnung der beiden Men schen hier Arm in Arm, das war ja unbezahlbar. Herdith konnte ja nicht zu gleicher Zeit mit zwei Männern verlobt sein. Und dieser elegante junge Mann sah ganz aus, als ob er selbstverständliche Besitzerrechte an Herdith hätte. So liebevoll blickte er sic an. „Tapfer, tapfer, kleine Herdith!" hörte Franz Tessel den Fremden sagen, als er jetzt mit Herdith ganz in seiner Nähe war, ohne Franz in seinem Versteck gesehen zu haben. Franz nahm blitzschnell den Apparat. In dem Klingeln der Elektrischen, dem Hupen der Autos, deren Lärm durchs offene Korridorsenster von der Straße her hereindrang, hörte man nicht das winzige Knacken des Apparats. Hcrdith und Thomas Frankhofer gingen langsam vom Büro der Friedrichstadt zu. Herdith hatte, so gut sie konnte, Thomas Frankhofer alles erzählt. Sie hatte plötzlich zu ihm ein Vertrauen wie zu - nun eben wie höchstens zu Jobst. Und Jobst war jetzt nicht da. Sie konnte ihn auch im Moment nicht erreichen. Sie konnte ihm höchstens em paar Zeilen schreiben. Aber sic hatte jo Thomas Frank hofer. Er war gut zu ihr und zart, wie ein Bruder Kein Mensch koimte bester sein. „Als ob Sie mir wie ein Schutzengel vom Himmel ge schickt werden, Herr Frankhoser!" Thomas Frankhoser lachte: .„Einzige Aehnlichkett zwischen einem Engel und mir, daß ich fliegen kann. Zwar nicht höchstselbst direkt mit so weißen Flügel» am Rücken. Aher schließlich tut es meine kleine Sportmaschine auch. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, Fräulein Herdith, wie ich mich freue, daß ich Ihnen Helsen kann." „Also, Sie wollen mich wirklich nach Braunschweig fahren?" „Fliegen, Fräulein Herdith! Fliegen! Also los! Jetzi ! ins Auto!" Er winkte einem Chauffeur. „Wir erledigen j jetzt das Nötigste. An Herrn Rechtsanwalt Megede gebe» ' wir eine Depesche aus, daß Sie kommen. Dann gondeln wir nach dem Tempelhofer Feld. In garantiert anderthalv Stunden sind wir in Braunschweig. Das Wetter ist ja wie bestellt." Er sah hinauf zum Himmel. Er war wolkenlos und klar. Das Gewitter am Tage zuvor hatte alles reingefegt. „Ich weiß gar nicht, warum Sie so gut zu mir sind, j Herr Frankhoser." Herdith sah Thomas Frankhoser zaghaft an. Sie saßen ' im Wagen nebeneinander. Thomas Frankhoser nahm schnell Herdiths Hand mit einem kurzen Druck: „Weil Sie ein lieber, anständiger und tapferer Kerl ! sind, Fräulein Herdith. Und weil Sie mir etwas be- ! deuten. Rein, nein! Zucken Sie nicht zurück. Ich weiß ja: ! Jobst Reichardt! Der Jobst Reichardt ist ein Glückspilz, j Aber boxen möchte ich doch mal mit ihm." Herdith fühlte sich wunderbar erleichtert. Diese frische Ari Frankhofers, dieses Gar-keine-Rührung-Aufkommen- lassen beruhigte so wunderbar. Lenkte die Gedanken so- gleich auf das Nächstliegende. Sie hatte plötzlich das Emp finden, es konnte doch in Braunschweig nicht zum Schlimm sten kommen. Onkel Heinrich tonnte nicht sterben, ohne daß sie ihn noch einmal gesehen, ihm gesagt hatte, wie lieb sie ihn hatte. Wie sie an ihm hing, und daß nur diese unselige Geschichte mit Franz und Tante Sidonie schuld gewesen, daß sie aus dem Hause ging. Aber vielleicht würde er doch nichts mehr glauben vo» ! dem, was man ihm Böses von ihr erzählt hatte. Vielleicht wurde er wieder gesund. Alles würde anders und besser werden. Als sie in Zehlendorf angelangt waren, kam Frank hoser wie selbstverständlich mit ihr ins Haus. „Ich muß mich doch Ihrer Pcnsionstante vorstellen, ' damit sie nicht denkt, irgendein wilder Räuber aus den ! Bergen entführte Sie!" ! Herdith lächelte schwach: ! „Räuber mit Flugzeug!?" « „Auch Räuber bedienen sich modernster Methoden!" z scherzte Thomas. Und dann meinte er: „Sie sind mir doch nicht böse, wenn ich ein bißchen Unfug mache? Wissen Sie, ohne Unfug kann ich nicht leben. Und ich bin der Meinung, gerade wenn es einem schwer ums Herz ist, soll man versuchen, ein bißchen fröh lich zu sein." „Böse? Sie lieber Mensch!" Herdith sah Thomas warm an. Und dann ösfnete sie die Tür und stand vor Frau Studienrai Schrader.