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Einmal (Ernst Goll) Haben uns im Grund der Seele lieb, — ging doch jeder seinen Weg allein. Aber eine linde Hoffnung blieb: einmal werden wir beisammen sein. Einmal geben wir uns stumm die Hand, gehen in die dunkle Nacht hinaus. Wenn der Morgen webt sein Rosenband, ruhn wir eng in einem stillen Haus. Zu spät! (E. Th. Vischer) Sie haben dich fortgetragen, weit fort, ich kann es dir nicht mehr sagen, wie oft ich bei Tag und Nacht dein gedacht. Dein, und was ich dir angetan auf dunkler Tugendbahn. Ich habe gezaudert, ver säumet, immer geträumet. Über den Hügel der Wind nun weht: Es ist zu spät — zu spät! Wohl fühl' ich, wie das I.eben rinnt .. . (Theodor Storni) Wohl fühl’ ich, wie das Leben rinnt, und daß ich endlich scheiden muß, daß endlich doch das letzte Lied und endlich kommt der letzte Kuß. Noch häng’ ich fest an deinem Mund in schmerzlich bangender Begier. Du gibst der Jugend letzten Kuß, die letzte Rose gibst du mir. Du schenkst aus jenem Zauberkelch den letzten goldnen Trunk nun ein. Du bist aus jener Märchenwelt mein allerletzter Abendschein. Am Himmel steht der letzte Stern, o halte nicht dein Herz zurück, zu deinen Füßen sink’ ich hin, fühl’s, du bist mein letztes Glück. Laß einmal noch durch meine Brust des vollen Lebens Schauer wehn, — eh’ seufzend in die große Nacht auch meine Sterne untergehen. War’s Glück, — war’s Unheil? (Dichter unbekannt) War’s Glück — war’s Unheil, das dich mir bescherte. Kaum weiß ich noch, was einst mein Leben war, seit deine Flamme meine Sinne verzehrte. Bewältigt war ich, ehe ich mich wehrte, und keine Regung wies mir die Gefahr ... Nun habe ich mich so an dich verloren, daß mich kein Weg zurück zur Mitte lenkt. Uralte Träume hat dein Bild beschworen. Ich bin aus dir und du aus mir geboren. Hat Glück — hat Unheil uns so reich beschenkt? Ludwig van Beethoven (1770—1827) schrieb seine siebente Sinfonie A-dur, op. 92, im Jahre 1812. Es ist das Jahr, in welchem Napoleon seine ent scheidende Niederlage in Rußland erlebt, von der er siph nicht mehr erholt; es ist das Jahr, in dem sich in Spanien aus der Unterdrückung durch die fremden, französischen Eroberer eine revolutionäre Bewegung entwickelt, die sich in der spanischen Verfassung aus diesem Jahre in folgenden Worten ausdrückt: „Das spanische Volk ist frei. Die sou veräne Gewalt gehört ihrem Wesen nach dem Volke.“ Es ist das Jahr, in dem in England Arbeitcr- aufstände gegen die Ausbeutung durch die Fabri kanten ausbrachen. (Die Unruhen in Nottingham), in dem in Deutschland die Industrialisierung wesent liche Fortschritte macht (Krupp in Essen) — es ist ein Jahr des Tumultes, der Tragödien, des Leides, des Kampfes vieler Menschen um ihre eigene Frei heit. Von diesen Nöten und politischen Ereignissen ist in der siebenten Sinfonie wenig zu spüren. Beethoven hatte gerade in diesen Jahren eine innere Entwicklung durchgemacht, die ihn von der Außen welt zur Welt der Phantasie, der inneren Gesichte, hinführte, Leopold Schmidt sagt: „Er hatte in sich eine höhere Macht der Musik entdeckt, ihr eigenstes Reich war ihm aufgegangen, in dem sie souverän ist, wo alle Dinge ihr eigenes Leben haben und einer Deutung nicht mehr bedürfen.“ Richard Wagner sah in der siebenten Sinfonie die „Apotheose des Tanzes“, also eine Verklärung und Idealisierung tänzerischer Zustände. Recht hat er insofern, als der rhythmische Einfall in diesem Werk vorherrscht, daß er eine bedeutende Rolle im schöpferischen Vorgang spielt. Beethoven ist in