Volltext Seite (XML)
(Irkvberrecktssedutr: kunk lürme-VerlaA, tlLllv (8aLle) I'-) Nachdruck verboten. Wie aber, wenn Ilona Naskallo wirklich von gleichem Blute — seine Halbschwester war? Dieser Gedanke machte seinen Zorn zuschanden; cs blieb nichts als ein banges, quälendes Fragezeichen. Hatte ihn die Stimme des Blutes geneigt gemacht, ihrer Ein ladung williger zu folgen, als er es sonst wohl unter den gegebenen Umständen getan haben würde? War es das? War dies das Geheimnis seiner Zuneigung, der er sich jetzt erst bewußt wurde, und die er bisher für ein rein menschliches Interesse an der schönen Tänzerin und ihrer vollendeten Kunst gehalten hatte? War das des Rätsels einfache und doch wiederum verwirrende Lösung?! Nun, er mußte sich Gewißheit verschaffen. , . Sei ihr — ? War cs nicht doch besser, erst ein offenes Wort mit seinem Baler zu sprechen? Wenn jenes Kind, das sie er wähnte, gestorben war, wenn das stimmte — dann konnte ihm die Tänzerin Ilona Raskallo gleichgültig sein, dann war sie nicht mehr als jedes andere weibliche Wesen für ihn, nur daß sic zur Mutter zufällig jene Frau hatte, die sein Pater einmal geliebt. Blicb sie ihm Vann wirklich so gleichgültig? Verteufelter Zwiespalt! Er liebte Mela Heithüsen, er konnte dieser Liebe nicht von Hettle auf morgen entsagen; selbst eine Enttäuschung, die sie ihtn durch ihr sonderbares Verhalten bewußt zu bereiten schien, hals ihm nicht ohne weiteres über das licfwurzclnde Gefühl hinweg. Das eben ist ja das Zeichen wahrer Liebe, daß man sie nicht aus dem Herzen reißen, sie nicht entwurzeln konnte wie eine dorrende Pflanze, auf deren holde Blüte ein kalter Neis fiel und ihre frohe Kraft zerstörte. Sein rasch gefaßter Entschluß, sich bei Ilona Naskallo Gewißheit zu holen, wurde wankend. Er ging dem wahren Grunde aus dem Wege, umschrieb ihn. gestand es sich nicht ein, daß ihm vor dieser Aussprache ein wenig bangte. Und er meinte cs damit begründen zu können, daß es sür ihn peinlich sei, gerade von ihr zu erfahren, was noch nicht geklärt war. Zu erfahren, daß sic — seine Halb schwester war. Iu diesem Augenblick läutete dcr Fernsprecher im Nebenzimmer. § * Auch Ilona Naskallo hatte in diesen letzten Minuten an die Möglichkeit gedacht, daß Graf Heribert sie miß- verstanden haben tonnte. Es war, als habe eine ge heimnisvolle Macht hier die Jdeenverbindung hcrgestellt. Und so empfand es auch Gras Heribert, als er hörte, daß Ilona am Apparat war, und erfuhr, was sie von ihm wollte. Da fand er sich doch bereit, gleich zu ihr zu fahren. Es kam jedoch nicht dazu. Eben hatte er den Anzug gewechselt und durch das Haustelephon sein Auto bestellt, da ries Ilonas Zofe an, die ihn im Namen ihrer Herrin ersuchte, seinen Besuch auf den Nachmittag zu verschieben. Er mochte nicht nach dem Grunde fragen, und Ninon gab keinen an. Ein wenig ärgerlich war er doch. Wollte -sie ihn auf die Folter spannen? Sie selbst schien doch empfunden zu baden, daß sie da etwas aufzuklären, die Geschichte ein Ende hatte, die sie ihm da am Tage zuvor erzählte. Und sie mußte es sich denn auch denken, wie sehr ihn diese Ge schichte beschäftigte — warum ries sie sonst an!? Nun war er gebunden an die Verabredung, tonnte frühestens gegen Abend nach Düsseldorf fahren. Denn es lag ihm nach wie vor daran, Melas Verhalten äufzu- klären, sie ausfindig zu machen und sich mit ihr auszu- sprechen. Er war sich bewußt, wie schwer cs sein würde, sic in der großen Stadt ain Rhein zu finden. Weil er nicht recht wußte, wie er die Zeit verbringen sollte, fuhr er noch einmal zur Wohnung von Melas Tante. Er hoffte, vielleicht von den Hausbewohner» etwas er fahren z» können, was ihm wenigstens einen kleinen An haltspunkt gab, wo und bei wem er Mela Heithüsen zu suchen hatte. Im Hausgang traf er mit dem Briefträger zusammen, der eine Frau fragte, ob Frau Hemmfels verreist sei. Einer Eingebung folgend, wartete er, bis der Postbote auf die Straße hinaustrat, wo er ihn stellte. Zuerst wollte ihm der Mann die Karte nicht zeigen. Erst als er ihm sagte, er sei der Bräutigam von Fräulein Heithüsen, wurde er geneigter. Und richtig, die Karte kam aus Düsseldorf. Mela teilte ihrer Tante mit, daß sie gut angekommen und von ihrer Freundin gut ausgenommen worden sei. Unten war dann noch einmal die genaue Anschrift angegeben und die Bitte wiederholt, ihr alle Post nachzusenden. Diese Adresse schrieb sich Graf Heribert auf und steckte dem Postboten ein Fünfmarkstück zu, so daß dieser ihm ganz verdutzt nachstarrte, als er in sein Auto stieg und davonfuhr. , , , . Die Zofe Ninon merkte es bald, daß sie eine Dummheit begangen haben mußte; denn im kleinen Salon ging es ein wenig lebhaft zu. Als sich der alte Graf Eggetfeld melden ließ, hatte ihn Ninon zuerst von sich aus avwetscn wollen. Dann aber war ihr eingefallen, daß er der Vater des blonden Grasen war, was sie aus einer Bemerkung ihrer Herrin ent nommen hatte, als sich diese tags zuvor verleugnen ließ und sich später weigerte, den Besucher zu empfangen. Ninon meinte es natürlich gut, als sie einfach meldete: »Graf Eggetfeld, gnä' Frau!" Ilona Naskallo dachte selbstverständlich, es sei Graf Heribert — und ließ bitten. Als sie den Irrtum erkannte, war es zu spät. So ließ sic durch Ninon das Hotel an- rufen, in dem Gras Heribert wohnte. Erst dann sagte sie sich, daß der Erwartete noch gar nicht hätte da sein können. Nun stand sie gerade aus ihrem Sessel auf, meisterte ihre Erregung und erklärte: „Graf Eggetfeld, Sie haben kein Recht, meine Hand lungsweise zu kritisieren — merken Sie sich das! Ob ich das Spiel, wie Sic es zu benennen beliebten, bewußt in Szene gesetzt Hape oder nicht, das ändert nichts an dcr Tatsache, daß Baron Hiddekamp, Ihr Schwiegersohn, darauf einging. Wo bleibt da die so oft betonte Uebcr- legenheit des Mannes gegenüber dem schwachen Ge schlecht?!" . Graf Wotrad hatte sich gleichfalls erhoben. „Meine Gnädige, Sie vergessen, daß das Glück meiner Tochter aus dem Spiele stand. Sie vergaßen ferner, daß ich Sie als Richterin — und damit als Rächerin — meiner Schuld an Ihrer verstorbenen Frau Mutier nie an erkennen würde. Ich gebe Ihnen rech» darin, daß Baron Hiddekamp sich nie soweit vergessen durfte — aber ich bin erfahren genug in diesen Dingen, um zu wissen, welche Macht einer schönen Frau gegeben ist. Und die, meine Gnädige, haben Sie zu einem Zweck mißbraucht, der nicht fair ist, um es gelinde auszudrücken.' Ilona Raskallo wollte scharf erwidern. Doch dann lachte sie mit einmal kurz und klingend auf. „Mein bester Graf Eggetfeld, ich finde, auch Sie kleidet die Rolle des objektiven Richters — objektiv in der Be urteilung der Affäre schlechthin — gänz gut. Ihr Hiersein dürfte aber noch eine sehr subjektive Seite Haden, fällt mir eben ein.' „Ah, wie scharfsinnig! Und die wäre?' unterbrach er sie. „Sehr einfach: Sie waren nicht ganz sicher, ob ich nicht doch — Ihr Kind bin, Graf Eggetfeld! Richt wahr?' Nun war Graf Wolrad doch überrascht. Daß er in. diesem Augenblick gerade nicht geistreich aussah, merkte er an ihrem Gesicht, dann an ihrem kleinen, heiteren Ge lächter. Er räusperte sich, um die erste Verlegenheit zu über winden. „Nun — ja — hm! — so ganz vorbeigeraten wäre das — hm! — ja tatsächlich nicht — meine Gnädige!' Die Wandlung, die da in ihm vorgegangen zu sein schien, seine merkbare Verlegenheit rührte sic beinah. „Haben Sie wirklich angenommen, daß ich Sie bewußt täuschen wollte, Graf Eggetfeld? Wenn es so ist, dann haben Sie, Herr Graf, eben doch ein schlechtes Gewissen! Entschuldigen Sie, wenn ich das so ungeschminkt zum Aus druck bringe!' Nun haue sich Graf Wolrad gefaßt. „Ich gab Ihnen wenig Veranlassung, das alles so un geschminkt zum Ausdruck zu bringen, da ich mich von vornherein zu meiner Schuld bekannte. Es liegt mir nicht, sic näher zu begründen; ich möchte Ihnen keinen Vorträg über das hallen, was in meiner Familie Gesetz und Tradi tion ist.' „Und was scheinbar von jeder neuen Generation durch brochen wird — um nicht zu sagen: vom Leben selbst, Herr Gras!' Er stutzte. Sollte sie bereits von Heriberts Torheit wissen — oder das auf sich selbst und ihr Verhältnis zu seinem Sohne beziehen? War cs schon so weit? Nicht gut denkbar, obwohl sie wahrlich schön und begehrens wert genug war, um einen Mann von der ersten Minute an zu fesseln. , „Es kommt auf das Ende an. meine Gnädige!' sagte er im ersten Acrgcr unnötig scharf. „Was meine Mutter gemerkt haben dürfte', gab sie schlagfertig zurück. „Ich war nicht ganz unbeteiligt — bitte, vergessen sie das nicht! Es ist doch nicht jo, daß nur das Glück Ihrer Mutter zerbrochen wurde. Aber wir verlieren uns in sentimentalen Randbemerkungen zum eigentlichen Thema.' „Sehr gut gesagt, Herr Graf! Ich verstehe durchaus, daß die Tradition Ihres Hauses nicht durch sentimentale Begleitumstände gefährdet werden durfte. Es hat mich nie gehindert, meine Mutter zu entschuldigen und Sic, Graf Eggetfeld, dementsprechend zu verurteilen. Die einzige Entschuldigung, die ich gelten lasse, wäre die, daß Sie meine Mutter so sehr liebten wie diese Sie. Nicht gut möglich, denn sonst hätten Lie Ihren Willen — wie bereits einer Ihrer Vorfahren — durchgesetzt.' „Von wem wissen Sie das?' , „Von Ihrem Sohn, Herr Graf!' „Ich hätte cs mir denken können!' „Daß ich es von ihm weiß? Oder denken Sie darüber hinaus schon weiter? Ah, Sie glauben, ich könnte Graf Heriber« in meine Rachegelüste etnvezichcn? Nein, wir sind quitt, Gras Eggetfeld, endgültig! Wie ich die Frau achtete, die Mutter werden will, so werde ich auch das Mädchen achten, das Ihr Sohn liebt.' Innerlich atmete Graf Wolrad hoch auf, was ihm seine Ruhe und damit die erforderliche Haltung wirdergab. Er ahnte den Zusammenhang: Heribert hatte der Tänzerin wohl lediglich von Fräulein Heithüsen und dem, was oorgegangen war, erzählt. Sollte er da eine Bundes- genossin gefunden haben? Hm! — die war jedenfalls nicht zu unterschätzen. „Mein Sohn weiß um die Geschichte?' fragte er. „War es für Sie nur eins Geschichte? Nein — das heißt, ich erzählte davon; vielleicht schon zu viel, gewiß.' Er ging zwei Schritte vor, trat einen kleinen Schritt zurück — aber die Worte wollten ihm nicht recht über Vie Lippen. „War das notwendig?!' brachte er nur hervor. Ihr Gefühl für Graf Heribert machte sie sehr hell hörig. Sie wußte, daß er sie als Bundesgenossin des Sohnes fürchten würde. Und das Weib in ihr machte sie zur Diplomatin. Sie zuckle die Achseln und erwiderte nur: „Vielleicht!' Das konnte er sich deuten wie er wollte. „Damit haben Sie meinem Sohne einen schlechten Dienst erwiesen, meine Gnädige! Sie helfen ihm nur, sich die Wahl zu erschweren, vor die er doch einmal endgültig gestellt werden muß. Wissen Sie um Baronesse Edla?" Da lächelte Ilona Raskallo fein — und nickte nur. Graf Wolrad erhob seine Stimme etwas, als er sagte: „Sie achteten die Frau, dir Mutter werden will, Sie achten nicht minder das Mädchen, oas mein Sohn liebt —' Weiter kam er nicht. Die Tänzerin hob die Hand und fiel ihm ins Wort: „Und ich achte erst recht Fräulein von Sadcburg, Herr .Graf, und werde ihr mit besonderem Vergnügen Helsen, ihr Ziel zu erreichen!' . Jetzt war er so baff, daß er sich nicht die geringste Mühe gab, seine maßlose Ueberraschung zu verbergen. „Aber dann ist ja alles gut!' entwischte es ihm voreilig. Ueber Ilonas schönes Antlitz flog ein rätselvolles Lächeln, dessen tieferer Sinn Graf Wolrad natürlich nicht aufgehcn konnte. „Das wird nun meine Rache sein!' erklärte Ilona voll Pathos, der zu schön klang, um echt zu sein. „Da können Sie sich nicht gut übet mich beklagen, Herr Graf! „Donnerwetter! Ich hätte gar nicht geglaubt, daß man so vernünftig mit Ihnen reden kann, meine verehrte Gnädige!' Ilona lachte schallend. „Ein direkt rührendes Kompliment, mein sehr ver ehrter Graf Eggetfeld! Es fehl» nur noch, daß Sie mich zu einer Flasche Sekt einladen. Was ich allerdings mit Dank ablehnen würde. Denn es steht da immer noch ein Schatten zwischen uns, das nämlich, was Sie so bewundernswert unsentimental eine .fatale Geschichte' zu nennen belieben.' „Oh, ich bitte Sie — seien Sie versichert...' Sie unterbrach ihn rasch: „Gehen Sie in Ihrer Freude nicht zu weit, Sie könnten es bereue« müssen. Nur leiste Beteuerungen? keine Ent schuldigungen für Ihre anerkannte Schuld. Es würde Sie in meinen Augen ein wenig verkleinern, »»ein lieber Gräf!' Er dachte: Ein Luder ist sie doch — und eine säbelhafte Frau obendrein. Dieser Heribert! Der reinste Gralsritter, oder der reine Tor in Person. Dann erwiderte er: „Gut, gut, wir verstehen uns! Es freut mich außer ordentlich. Meinem Schwiegersohn werde ich...' „Wenn Sie so fortsahren, werden Sie noch die weiße Fahne hissen. Herr Graf! Fehlt nur noch, daß Sie in mir die Mutter sehen, ganz ihr Ebenbild. Stimmt nicht: ick gleiche weitaus mehr meinem Vater. Seien Sie froh, daß er nicht um den Roman seiner Frau gewußt hat — wie ich. Er hätte Sie glatt über den Haufen geknallt.' „Oho!' Ilonas Gesicht verschloß sich kühl, sic sah jetzt etwas hochmütig aus. Und spöttelnd meinte sie: „Erschossen sind Sie auch so, Graf Eggetfeld!' Er faßte das als schlechten Scherz auf, runzelte zwar die Stirn ein wenig, ging aber über diese Bemerkung hin weg und verabschiedete sich, obwohl er ganz gern noch mit ihr gesprochen haben würde. Doch sie ließ es nunmehr zu deutlich fühlen, daß sie die Unterredung für beende» hielt — und schließlich hatte er gerade nach dieser Aussprache nicht die geringste Ursache, sie nicht als Dame zu behandeln. Ilona Naskallo ließ sich nicht einmal die Hand küssen. Aber sie geleitete ihn artig bis zur Bortür. wo sie ihn sei 4ose überließ, die seine Garderobe brachte. —- Siebentes Kapitel. Mela Heithüsen hatte sich mit ihrer Freundin aus gesprochen. Sie saßen in dem Zimmer, daS Frau Alwerts der Freundin ihrer Tochter gegen mäßige Miete zur Ver fügung stellte, und in dem vorher der älteste Sohn Walter hauste, der vor Monaten auswärts eine Stellung erhielt. Der Frühling regte sich schon rcchl lebhaft am Nieder rhein; in den letzten Tagen war es wärmer geworden, der späte Winter schien aus seine eisige Herrschaft end gültig verzichten zu wollen, nnd die Sonne meinte es mit einem Male sehr gut. Vor den beiden kleinen Fenstern blähten sich die blütest- weißen Gardinen im lauen Märzwlnd, ein Sonnen schimmer huschte herein und ließ an dcr Wand über dem alten Biedermeiersofa das Muster der Tapete aufleuchten. Im Vorgarten sang ein kleiner Vogel sein Helles Früh- lingslied. Dann läuteten die Kloben Uttd riesen zur Kirche. Eö wär Sonntag. Aennchen Alwerts hatte sich schon „staats gemacht' und prängte in einem eleganten Jackenkieid, aus das sie ganz stolz war, weil sie es selbst geschneidert hatte. (Fortsetzung folgt.)