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(30. Fortsetzung.) „Ja, Jobst Reichardt. Doktor der Medizin und bis zu seiner neuen Assistentenstelle Trainer von unserm Klub.« „Ulkige Zusammenstellung — Trainer und Mediziner!" Herdith, für Jobst schrecklich empfindlich, glaubte eine kleine, leise Verachtung daraus zu hören. „So etwas können Sie sich natürlich nicht vorstellen«, erwiderte sie kampfbereit. „Ihnen ist cs wahrscheinlich immer gut gegangen«, sie warf einen Blick auf die elegante Gestalt von Herrn Thomas Frankhofer und das schöne Auto, „aber in Deutschland müssen sich die jungen Leute oft verzweifelt hcrumschlagen. Das ist keine Schande, das ist eine Ehre. Da hat Jobst eben zugegriffcn. Und ich sage Ihnen, er ist als Trainer genau so tüchtig Wie als Arzt.« „Daran zweifle ich keine Minute, Fräulein Aßmnssen. Sie brauchen gar nicht böse mit mir zu sein. Im Gegen teil! Ich bewundere die Tüchtigkeit der jungen Leute, und wie sie sich durchsetzen. Ich weih nicht, ob ich das Zeug dazu hätte.« „Vermutlich nicht«, lachte Herdith, schon wieder ver söhnt. „Sie sind wahrscheinlich im Auto auf die Welt gekommen.« „Ra, so ungefähr. Aber sehen Sic, deswegen branchcn Sie nun wieder mich nicht zn verachten. Uebrigcns: Reichardt — Reichardt? Sagen Sic mal, mir dämmert doch so irgend etwas. Ich habe doch neulich darüber etwas gelesen. Vorhin fiel mir Ihr Name schon ans, auch der Ihres Verlobten ist mir irgendwie bekannt. Ich habe Ihre beiden Namen zusammen in der Zeitung gelesen. Aber wo denn nur?« „Vermutlich, weil wir nächstens bei Ihnen in Prag antreten werden, Herr Frankhofer. Wir stellen doch die Mannschaft, die gegen Ihren Damenrudcrklub kämpft.« „Das sind Sie? Das ist ja ulkig! Dann werde ich ja das Vergnügen haben, Sie in Prag begrüßen zu können?" „Wenn Sie sich für Rudern interessieren." „Von jetzt an sicher, mein gnädiges Fräulein." TH«^naS Frankhofcr sagte cs sehr überzeug« und bremst« langsam o,e schnelle Fahrt seines Wagens. Sic waren jetzt an dem Weg angelangt, der zum Klubhaus abzweigte. „Also muß jch Sic wirklich hier absctzen? Schade!« „Aber nicht zu ändern. Also vielen Lank, Herr Frank- boket " .Auf Medersehen tn Prag, mein gnSdlgeS Fräulein.« „Vielleicht, Herr Frankhofer." „Bestimmt, Fräulein Aßmussen." Thomas Frankhofer riß seine Mütze vom Kopf und grüßte Herdith ehrerbietig. Herdith eilte mit ihrem kleinen Köfferchen den schattigen Weg entlang zum Klubhaus. Wie dicht das Laub d?r Bäume jetzt schon war! Drinnen in der Stadt merkte man gar nicht soviel vom Werden der Natur» Aber hier draußen sah man die Natur förmlich von Tag zu Tag sich entfalten. Als sie mi» dem Training begannen, waren dis Bäume fast noch laublos. Jetzt wölbte sich das dichte Blätterdach der Ulmen und Buchen schon so voll über dem Wege, daß die Sonnenstrahlen nur gedämpft in dies grün goldene Dämmern hineindrangen. Schon von weitem sah Herdith Jobst. Er stand am Boote. Da es jetzt um jede Minute Training ging, hatte er das Boot schon herausschaffen lasten. Aufmerksam besah er cs von allen Seilen. Es war ja jetzt ihr Kost barstes. Von der Zuverlässigkeit des Bootes hing der Erfolg ebenso ab wie von der Zuverlässigkeit der Mann schaft. .Herdith pfiff. Es war das Signal, mit dein sic alle fünf vom Skull „Frohe Fahrt« sich riefen. Jobst sah auf. Sein ernstes Gesicht strahlte vor Freude. Er winkte mit der Hand. Wie schön und schlank er aussah! Die Sonne lag auf seinen blonden Haaren. Wie sie ihn lieble! Die letzten paar Schritte lief sie fast. „Tag, Herr Doktor Reichardt!« Sie sagte cs betont laut. Aber ihre Augen und ihre sehnsüchtige» Lippen sagten: Guten Tag, Jobst, lieber, lieber Jobst. „Guten Tag, Herdith. Na, heute sind Sic die erste." Herdith lachte. „Allmählich lernt man es, pünktlich zn sein.« Sie drückten sich fest die Hand. „Liebes, Liebstes«, flüsterten seine Lippen unhörbar dabei. „Was hast du seit gestern erlebt?« fragte er. „Du, cs kommt mir schon entsetzlich lange vor, seit wir uns gesehen haben.« „Sind aber erst achlundvierzig Stunden. Dn, wie soll denn das werden? Du weißt doch, wieviel Jahre wir noch warten müssen.« „Jch will aber nicht mehr warten!" Er sagte cs trotzig wie ein Kind. Sic strich ihm schnell und heimlich über die Hand. „Brüderlein fein, Brüderleln sein, darfst mir ja nicht böse sein", summte sic leise vor sich hin. „Ist doch wahr", maulte er, „immer diese abgestohlcneu paar Minuten. Du, wenn ich erst Assistenzarzt bin, dann verloben wir uns doch öffentlich. Diese Geheimnistuerei Halle ich auf die Dauer nicht aus." „Pst!" machte Herditb warnend. »Marion!« sie wies mit dem Kopf auf daS Auto, daS darf drüben eben über die Brücke rollte. „Der Kuckuck soll sie holen!" „Aber Jobst, wie häßlich! Gsgen eine von unserer Mannschaft? Sonst tonntest du doch deine Kücken immer nicht schnell genug beieinander haben.« „Ach, LiebeS, ich bin manchmal ganz verrückt vor Sehn sucht, mit dir allein zu sein. Da ist mir sogar der ganze Klub egal. Nur du, nur du!« „Vernunft, Jobst!" mahnte Herdith. Und dann ging sie Marion freundlich entgegen. „Güten Tag, Marion. Wie geht es?« Marion legte flüchtig ihre Hand in die Herdiths. „Danke, gut. Tag, Reichardt!" Sie wandte sich osten- tativ an Reichardt: „Na, wie ist Ihnen neulich unser kleiner Abend bekommen? Jch habe immer gedacht, Sie würden einmal anrufen." Sie verwickelte Jobst in ein lebhaftes Gespräch über ihr letztes Zusammensein. Sie plauderte so lebhaft uns amüsant, daß Jobst plötzlich die ganze heitere Atmosphäre wieder in sich aufsteigen fühlte und lebhaft auf Marions Art einging. Herdith stand einen Augenblick wie verloren. Sie fühlte sich jäh von Jobst so abgelrennt. All die Namen, die Marion da nannte, all das, was sie erzählte: Jobst kannte es, aber sie nicht. Und zum ersten Male stieg auch in ihr der Gedanke auf, daß es mit so einer heimlichen Brautschaft von vielen Jahren eine bittere Sache wäre. Sie glaubte so un erschütterlich fest an Jobsts Aufstieg. Er würde sich schnell genug seine Stellung in dem Krankenhaus von Geheimrat Küstner schaffen. Er würde mehr und mehr Menschen kenncnlernen. In neue Kreise kommen. Sie würde draußen stehen und an nichts tcilhabcn können. Das tat Weh. Nicht für einen selber, sondern weil man für den geliebten Mensche» keine Resonanz sein konnte. „Ja, da will ich mich umkleiden gehen«, sagte sie leise. Aber weder Jobst, noch Marion schienen es zu hören. Marioü stand sehr dicht bei Jobst. Im Eifer des Sprechens legte sie ihre Hand auf Jobsts Arm. Allmählich kamen die andern. Und nun ging es ans Training. Es waren die letzten Tage vor der Prager Reise. Die traurigen und ängstlichen Gedanken Herdiths verschwanden im Augenblick, da sie als Schlagmann die Skulls anfaßte. Jetzt war sie nichts anderes als eine der! Vier hier vom Skull „Frohe Fahrt". Jobst war nicht mehr der liebe Liebste, Marion nicht mehr etwas, was sie fürchtete und ihr antipathisch war. Alle waren sie zu- sammengeschlosscn im Gedanken an das eine Ziel. Am Ufer standen die andern Mitglieder des Klubs. Sachverständig wurde die Abfahrt des Skulls beobachtet. Mit Augengläsern verfolgte man das Boot. Erreg» Debatten über Stil, Zeit und alle sonstigen Bedingungen wurden leidenschaftlich erörtert. lForllitzung folgt.)