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15) Nachdruck verboten. / Ihre Mutter hatte Graf Wolrad geliebt... Sie li-btc !Graf Heribert, den Sohn. Aber sie griff dein Schicksal vor. Und darin lag ihre eigentliche Schuld, die sich nun gegen sie selbst gekehrt hatte. Was halfen ihr solche Gedanken? Was frommte ihr diese Erkenntnis? Es war zu spät... I v An diesem Abend trat Ilona Naskallo nicht auf. Sie ließ sich entschuldigen, schloß sich in ihr Zimmer ein und weinte sich aus. Dann unternahm sie — um ihrer Liebe willen — den schwersten Gang ihres bisherigen Lebens. Tics in einen Mantel gehüllt, den sic nur scltcn anzuziehen pflegte, durch einen breitrandige» Hut unkenmlich gemacht, ging sie zu dem Hotel, i» dem Graf .Heribert wohnte. Dort hörte sie, daß er vor einer Stunde abgcrcist sei. In Be gleitung einer junacn Dame... Achtes Kapitel. Baronesse Edla hatte ihr Auto in der Garage dcS Hotels gelassen. Sic selbst machte gleich nach dem Abend essen ven Vorschlag, gemeinsam nach Düsseldorf zu fahren, und zwar in der Nacht. Graf Hcril»crl, der nicht gezögert hatte, sofort nach Berlin zu fahren, als er Melas wegen die Auseinander setzung mit seinem Vater hatte, fand das reichlich aben teuerlich. Edla von Sadeburg verstand eS aber, ihn zu überreden. Sic halten etwa zwei Stunden in der vornehmen Wein- diclc verbracht, sich bei einer Flasche Selt geduzt, dann recht angeregt geplaudert, und Heribcn mußte insgeheim zngebcn, daß sie ein entzückender Racker mar, mit dem es sich gut auskommcn ließ. Trotzdem kam er nur vorübergehend in Stimmung. Er war Herr genug über seine Gefühle, um Edla nicht merken zu lassen, was in der Wohnung der Tänzerin geschah und was ihn seitdem bewegte. Diese Stunden mit der klugen, lebhaften Baronesse be festigten seine sreunoschastlichen Empfindungen für sie. Er mußte denn auch zngebcn, daß er die Aussprache mit Mela nicht länger ausschiebcn und schließlich nicht seinem Zwiespalt und der Klärung dieser Dinge mehr Zeit opfern durste, als er verantworten konnte. Nur die Eile war ihm auf einmal nicht mehr recht sym pathisch; er wußte selbst nicht, warum. Nun saß Baronesse Eola neben ihm; er führte das Steuer. Sie rief ihm hin und wieder ein Wort zu, schwieg aber ganz, als sie die Riesenstadt hinter sich hatten und das Auto durch das dunkle Land dahinbrauste. Die Märznacht war kalt, der Himmel sternbesät und wolkenlos. Ein würziger Duft erfüllte die scharfe Nacht luft; man atmete förmlich aus diesem Erdgcruch all das neue Werden des Frühlings ein, der bas Land segnen wollte zu neuem Blühen. In Stendal gab Edla vor, müde zu sein. Es war nm Mitternacht. Graf Heribert fand sich bereit, hier Station zu machen. Sie suchten ein Hotel aus; jeder ließ sich ein Zimmer geben. Sie wünschten sich eine gute Nacht und verabredeten die Stunde der Weiterfahrt. Als er sich zur Ruhe begab, kamen ihm doch Bedenken, ob das alles wirklich nur dem Zufall zu verdanken war, daß er Edla von Sadeburg in Berlin getroffen hatte. Wollte sie ihm — als Freundin — helfen? Eigentlich be schämend. daß sie ihn erst so energisch zu der Fahrt nach Düsseldorf drängen mußte. Er war zu müde, sich mit diesen Gedanken weiter zu beschäftigen, und schlief bald ein. — Wie vereinbart, stellte er sich bereits um sieben Uhr früh im Gastzimmer des Hotels ein. Edla kam wenige Minuten später. Sie begrüßte ihn herzlich und schien in bester Laune zu sein. .Das scheint ein richtiger Vorfrühlingstag zu werden*, meinte sie; .da dürften wir herrliche Fahrt haben. Kennst du Düffeldorf, Heribert?" .Ja, ich war mit Papa einmal dort, der einen ehe maligen Regimentskameraden besuchte. Eine schöne Stavt, sehr heiter, in vielen Teilen recht vornehm — kurzum, es hat mir dort gefallen.* »Auch mir ist die Stadt nicht ganz unbekannt. Ich be suchte eine Pensionsfreundin, d'e inzwischen geheiratet hat. Und da ich herzlich eingeladcn bin, werde ich sie auf suchen.* Sie ließen sich Zeit mit dem Frühstück, unterhielten sich, wobei Edla allerdings gesprächiger war als er. Erst gegen neun Uhr vormittags fuhren sie weiter. Der Tag war sonnig und klar. Ein feiner, rotvioletter iDuft lag über allen Fluren; erstes Grün legte einen ihoffnungsvollen, zarten Schleier über Felder und Wälder. Eine Lerche stieg jubilierend zum seidigblaücn Himmel empor. Jugcndfrisch saß Edla an Heriberts Seite. Später übernahm sie das Steuer. In Hannover speisten sie zu Mittag. Da erzählte Baronesse Edla eine »eine Geschichte. Es ckam eine Komtesse darin vor, die einen Grobkaufmann ^geheiratet hatte — aus reiner Liebe. Die Ehe wurde trotz dem nicht glücklich. Der Mann sollte ein schrecklicher Pfahl bürger sein und ganz verichrobene Ansichten haben. „Aber das ist natürlich alles individuell*, schloß Edla und schlug dann von sich aus ein anderes Thema an. Graf Heribert hätte sich bei dieser kleinen Geschichte nichts gedacht, nur die Schlußbemerkung machte ihn stutzig. Da man jedoch balv vorauf aufbrach und die Wciterfahrt antrat, mochte er nicht mehr vorauf zurückkommen und keine Fragen stellen. Wollte sie auf sein Verhältnis zu Melo Heithüsen anspielcn... ? In Hamm mochten sie noch einmal Station. Die Fahrt durch dos Industriegebiet boi Reize besonderer Art. Uebcrall Zechen, Schlote. Fördertürme, riesige Fabrik anlagen, Stadt an Stadt, vazwischey ein waldreiches Land, Fclderbrcilen, kleine Gehöfte, Katen — alles dicht bei einander Die Landwirtschaft, bedroht von den gigan tischen Stätten der Jndnstrie, schien sich trutzig zu be haupten. Ein sonderbares Stück Erde, ein wechsclvollcs Bild. Dann bezog sich der Himmel, graue Wolken stürmten darüber hin; der Wind tanzte über das Land — nnd bald darauf peitschte ein kalter, heftiger Regen hernieder. Sollte das nach schöner Fahrt ein schlechtes Omen sein? Der Wetterwechsel legte sich doch ein wenig auf Heriberts Stimmung. Nur Edla behielt ihren frohen Mut und trieb zur Eile, um nicht zu später Stunde in Düsseldorf anznkommen. Ursprünglich hatte sie gleich ihre Pensionsfreundin ans- suchcn wollen, dann aber entschloß sie sich, im Hotel zu übernachten. — Nachdem sic Zimmer belegt, sich gesäubert und um- gcklcidct hatten, kamen sie im Speisesaal zum gemein samen Abendessen wieder zusammen. Graf Heribert war naturgemäß sehr erfüllt von dem, was ihm bevorstand. „Wenn mein Vater ihr npr nicht das Geld angeboten haben würde", sagte er aus seinen Gedanken heraus. „Das ist der fatale Punkt bei der ganzen Sache.* „Fatal, gewiß, ein bißchen taktlos obendrein — ober daß sie das Geld nahm — hm — das ist fast noch fataler", meinte Baronesse Edla. „Ich glaube cs nicht so recht", erwiderte er. „Legst du Wert darauf, es vorher zu erfahren?* fragte Edla. „Wie kommst du darauf?" wollte er wissen. „Nun, ich könnte ja versuchen, es herouszubringcn. Es wäre ja immerhin bezeichnend, sozusagen ein wenig komisch." „Was?" „Wenn sie das Geld nahm, um sich eine Existenz zu gründen. Dann müßte ihr doch der Vorschlag deines Vaters direkt gelegen gekommen sein." Damit traf Edla selbstverständlich seine geheimsten Be fürchtungen. Er traute Mela das nicht zu — aber wie sehr man sich in einem Menschen zu täuschen vermochte, das hatte er ja bei Ilona Naskallo erlebt. Sein Schwager Harald schien sehr aufgeregt gewesen zu sein; doch ein Mann von dessen Erziehung und Vorleben vergaß sich nicht so leicht, wenn nichts voraufgegangen war, was ihm ein gewisses Recht gab, eine Frau so zu kompromittieren, wie er es getan hatte. Graf Heribert kannte das Leben doch genügend, um nicht alle Menschen für edel und charakterfest zu halten, er war keineswegs weltfremd; aber das, was er in der letzten Zeit erlebt hatte, war doch dazu angetan, ihm etwas von dem guten Glauben an die Menschheit zu nehmen, den sich wohl jeder Mensch zu wahren sucht, um an diesem Erdendasein nicht verzweifeln zu müssen. „Hm — wenn ich das wüßte?! Wrnn es so wäre, möchte ich fast auf die Aussprache mit Mela verzichten*, sagte er wie zu sich selbst. Lebhaft erklärte Baronesse Edla: „Das darfst du nicht, Heribert! Du bist nun einmal hier und mußt ihr das Recht einräumen, ihr Verhalten dir gegenüber erklären zu können." Da er nicht gleich antwortete, schlug sie vor: „Ich könnte mich ja unauffällig erkundigen, ohne dabei ver raten zu müssen, wer ich bin. Was wär' groß dabei? Ein kleiner Freundschaftsdienst, den ich dir gern erweise.* Er überdachte ihren Vorschlag und war schließlich damit einverstanden. Vielleicht konnte er sich auf diesem Wege eine neue, endgültige Enttäuschuna persönlicher Art ersparen. ,, Ein Beispiel überzeugt oft mehr, als es wohlgesetzte Worte zu tun vermögen. Mela Heithüsen hatte solch ein Beispiel an ihrer Schul freundin Aennchen Alwerts. Gewiß lag der Fall anders — und doch stimmte ihre Enttäuschung in einem Punkte überein: sie hatte ihr Herz an einen Mann verloren, der eben doch an bestimmte Lebensvoraussetzungen gebunden war, die einmal stärker sein würden als ihre Liebe. Diese Erkenntnis stimmte Mela nicht gerade fröhlich — im Gegenteil, sie war dazu angetan, sie mit dem Dasein und seiner Weltordnung hadern zu lassen. Warum ist die Liebe den Menschenkindern gegeben, wenn das Leben selbst die Schranken errichtet, übe? die sie nicht hinweg kann, oder nicht hinweg darf?! um die Stunde, in der sich Paronesse Edla auf den Weg machte, kam zu Mela Heithüsen der Geldbrlefträger, verlangte einen Ausweis und zählte ihr dann tausend Mark aus den Tisch. Da Frau Alwerts dabei stand, die runde Augen machte, kam Mela nicht recht dazu, ihrer peinlichen Ueberraschung Ausdruck zu geben. Auf dem Abschnitt für den Empfänger stand vermerkt: Brief folgt. Es grüßf dich deine Tante Ursula. Sofort war es Mela Heithüsen klar, wie berechtigt ihr Verdacht gewesen war. Sie stand gerade im Begriff, mit der Straßenbahn in die Stadt hinetnzufahren, steckte die Geldscheine in ihre Handtasche und verließ das Haus, ohne der neugierigen Mutter ihrer Freundin irgendeine Aus kunft gegeben zu haben. § Kaum war sie fort, da fuhr draußen Edla von Sade burg in Gras Heriberts Auto vor. Sie wurde von Frau Alwerts, die in ihrem kleinen Kolonialwarenladen gerade eine Kundin abgefertigt hatte, mit zurückhaltender Freundlichkeit empfangen. „Sind Sie Frau Alwerts selbst?" begann Edla. .Und als das bejaht wurde, fragte sie weiter: „Wohnt bei Ihnen neuerdings ein Fräulein Heithüsen, das von Berlin gekommen ist?" Ehe Frau Alwerts Auskunft gab, musterte sie die Fremde nicht ohne Mißtrauen. Baronesse Edla gewahrte das wohl, lachte heiter und erklärte: „Ruscn Sie, Fräulein Heithüsen nur, wenn Sic mir nicht recht trauen sollten, liebe Frau!" „Ach, Sie wollen selbst mit ihr reden!? Ja — dann! Aber Mela — Fräulein Heithüsen, meine ich, ist leider ausgcgongen." Und weil die Frau immer noch von der Wißbegieroe geplagt wurde und hoffte, über das Geld und seine Herkunft etwas zu erfahren, so fügte sie rasch hinzu: „Sic erhielt vorhin tausend Mart — wenn ich recht sah, von ihrer Tante." „Und wieviel hat sic vorher erhalten? Viertausend Mark — stimmt's?" erkundigte sich Baronesse Edla. „Was — vorher viertausend!? Das wären zusammen fünftausend Mart! Heutzütag' ein Vermögen. Wer sind Sie denn, wenn man fragen darf?" Edla überlegte schnell, was sie erwidern sollte. Es paßte ihr eigentlich ganz gut, daß Mela Heithüsen auS- gcgangen war, so gern sie auch das junge Mädchen kenneu- gelcrnt hätte. Nun sagte sic: „Ach, ich bin eine Kusine von Gras Eggctfcld und wollte mich lediglich erkundigen, in welcher Weise Fräu lein Heithüsen das Geld anzulegcn gedenkt. Ist das hier die Filiale, die sie übernehmen will?" Frau Alwerts hob den Kopf und war sichtlich ver wundert: „Ob das 'ne Filiale ist? Komisch! Wieso 'ne Filiale? Tas hier ist mein eigenes Geschäft, gnädiges Fräulein!" „Ich hörte, daß Fräulein Heithüsen hier eine Filiale übernehmen wollte, wofür sie von Graf Wolrad vorläufig diese fünftausend Mark erhielt. Später soll sie noch einmal dieselbe Summe erhalten." Die Türklingel läutete, ein kleines Mädchen kam herein und verlangte ein paar Kleinigkeiten. Frau Alwerts be diente das Kind hastig und war scheinbar nicht ganz bei der Sache. Kaum hatte das Mädchen den Laden verlassen, da forderte die Frau die Besucherin auf: „Kommen Sie doch in die Wohnung, gnädiges Fräu lein! Gottenee, das wären ja zehntausend Mark. So viel Geld — und das bloß dafür, daß Mela den Herrn Grafen nicht heiraten soll. So 'n Glück, das begreift man kaum — das ist ja wie in einem Roman." „Wie ist das nun mit der Filiale?" fing Edla von neuem an, als sie in dem gemütlichen Wohnzimmer saßen. „Oder will sich Fräulein Heithüsen an Ihrem Geschäft be teiligen?" „Bei mir beteiligen? Davon weiß ich kein Wort, war keine Rede von, gnädiges Fräulein! Und von einer Filiale ist mir auch nichts bekannt. Aber die Freundiir meiner Tochter ist ja noch nicht lange hier, da mag sie erst auf das Geld gewartet haben." „Jedenfalls ging der Rest der Summe heute ein — nicht wahr?" „Ob's der Rest war, weiß ich auch nicht; es waren rund tausend Mark. Und Mela verlor kein Wort darüber, steckte das Geld ein und fuhr in die Stadt." „Ist sic sehr unglücklich?* fragte Baronesse Edla un vermittelt. Frau Alwerts schien nicht gleich zu verstehen. „Ach, unglücklich sieht sie nicht gerade aus, hat ja auch keinen Grund. Da war's bei meiner Aenne anders, die liebte einen armen Maler. Die Mela hat sich wenigstens gleich einen Grafen geangelt und kann jetzt wohl lachen." Baronesse Edla war nicht sehr angenehm berührt. Diese Frau schien Geldangelegenheiten über Herzensfragen zu stellen. Aber das ging sie schließlich nichts an. Baronesse Edla empfahl sich schleunigst. Sie verspürte keine Lust, die Unterhaltung sortzusetzen. Die Frau war ja ganz nett, stand gewiß mit beiden Beinen mitten im nüchternen Leben und nahm deshalb kein Blatt vor den Mund; aber sie war nicht hergekommen, um solche Dinge zu besprechen. Und es wunderte sie doch ein wenig, daß Mela Heithüsen gerade hier ihre Zuflucht genommen hatte. Baronesse Edla, von Frau Alwerts bis auf die Straße hinaus begleitet, bestieg das Auto und fuhr davon. Da würde sie Heribert nun notgedrungen eine bittere Enttäuschung bereiten müssen. Als aufrichtige Freundin durfte sie ihm nichts verschweigen. Und es stimmte: Mela Heithüsen hatte dos Geld angenommen, schien aber nicht einmal ernsthaft um ihre fernere Zukunft besorgt zu sein. Da mußte Heribert rein blind gewesen sein — vor lauter Liebe! (Fortsetzung jolgt.>