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— -7— (8. Fortsetzung.) So blieb denn Sidonie Siegerin. Von Tag zu Tag wartete Sanitätsrat Keunecke, daß Herdith ihm schreiben würde, aber keine Zeile kam, obwohl Herdith wußte, der Onkel war noch bettlägerig und elend. Und Sidonie triumphierte. Immer wieder ließ sie spitze Bemerkungen fallen Uber die abgrundtiefe Undankbarkeit der jungen Menschen von heute. Und Heinrich Keunecke litt schweigend. Aber immer öfter gingen seine Gedanken zu Herdith. Wie war es hell und sonnig im Hause gewesen, als sie hier war mit ihrem lieben sonnigen Lächeln I Ob sie auch keine Not litt? Die kleine Rente, die sie von der Mutter her hatte, konnte nicht reichen, um ihr einigermaßen das Leben in der großen Stadt zu sichern. Was sie verdiente, ahnte er nicht. Wenn sie nicht das Bedürfnis hatte, ihrem alten Onkel einmal von sich zu berichten — schließlich hatte inan auch seinen Stolz! — Aber je länger das Kind fort war, um so schwerer war es für den alten Mann, der nicht einmal mehr seine Praxis so wahrnehmen konnte, wie er es gewohnt war. Er würde sich doch zu einem Assistenten entschließen müssen. Sonst ging einem nach und nach die ganze Praxis verloren, oder man ruinierte sich das bißchen Gesundheit, das man sich mühsam wieder erworben hatte. Ach, alles wurde schwer, wenn man alt wurde und ein sam war und von den Launen von Menschen abhängig. Dem alten Sanitätsrat Keunecke war jetzt recht wehmütig zumute. Er saß in seinem Lehnstuhl am Fenster. Die Zeitung lag ihm im Schoß. Er sah darüber hinweg in den frühlingshellcn Garten. Vorhin hatte er sich noch so über das erste Werden und Blühen gefreut. Jetzt war ihm alles vergällt. Auch die Zeitung war nicht dazu an getan, ihn fröhlicher zu machen. Ueberall Sorgen, Unruhe, ein Durcheinander auf der Welt. Am besten wäre es schon, man wäre bei der Krankheit neulich geblieben. Was hatte man schließlich zu erwarten? Wieder neue Krank heit, ein Alter in Einsamkeit. Sidonie wurde auch immer schrullenhafter. Sicher würde sie wieder ein paar Tage gekränkt sein. Und er wußte nicht, was schlimmer war: wenn sie von früh bis abends lamentierte und an ihn herumcrzog — oder wenn sie mit diesem schweigenden, verkniffenen Gesicht herumging und förmlich eine Eis atmosphäre um sich verbreitete, in der es wie von lauter spitzen Eisnadeln zu stechen schien. l Fünftes Kqpiter. Zum ersten Male seit Wochen hatte sich der Frühlings- - Himmel über Berlin vormittags bezogen. In der Nacht hatte ein heftiger Westwind sich aufgemacht und schwere Wolken vom Ozean mit herübergebracht. Vormittags flaute der Wind ab, die Wolken hingen nun niedrig und schtvaV-grau über der Stadt. Die Paffanten auf der Straße gingen schneller. Jeden Augenblick konnten die Wolken da oben brechen und ihre Regenfluten über die Stadt ausgießen. Da fielen auch schon die ersten Tropfen, und auf einmal schüttete es wie ein Wolkenbruch in prasselnden Fluten hernieder. Im Augenblick waren die Straßen wie leer gefegt. Das war ein böses Ereignis für all die jungen Mädchen und Frauen, die ihre neuen Frühjahrskostüme gerade spazieren führten, aber für die Autodroschken ein willkommener Zwischenfall. Sonst standen sie in langen Reihen und konnten Stunde um Stunde auf Fahrgäste warten. Jetzt waren sie im Augenblick alle besetzt, rollten durch das Regengrau auf den feucht glänzenden Straßen entlang. Das Wasser spritzte hoch auf unter ihren Rädern bis zu den Bordsteinen. Die wenigen Passanten brachten sich ängstlich vor den Schmutzspritzern in Sicherheit. Die Kaffeehäuser und Restaurants waren im Augen blick überfüllt. In den Toreingängcn stauten sich die Menschen. Ein junger Mann in schäbigem, abgetragenem Regen mantel und einem Hut, dessen Band abgegriffen und glänzig war, zögerte einen Augenblick. Dann trat er schnell in ein Kaffeehaus ein, das in einer Hauptstraße des Zentrums gelegen war. Es hatte große, glänzende Spiegelscheiben. Man sah auf weiß gedeckte Tische mit elegantem Gerät. Tiefe Klubsessel standen um die niedrigen Tische. Die Wände waren mit roten Seiden- tapetcn bespannt. Das Ganze machte einen vornehmen und soliden Eindruck. Das Publikum freilich war einigermaßen merkwürdig. Es war eine eigentümliche Mischung von protziger Eleganz und einer gewissen abgerissenen Salvppheit. Neben Herren in den neuesten, modischen Frühjahrsanzügen saßen andere, deren Anzüge schon ziemlich mitgenommen waren oder zeigten, daß sie als die billigsten irgendwo „von der Stange" gekauft waren. An den Kleiderhaken hingen protzige Pelze. Doch konnte man deren Inhaber in Ver dacht haben, daß sie diese jetzt bei der Frtthlingswärme trugen, weil sie keinen andern Mantel halten. Daneben hingen fadenscheinige Ulster. Alle Tische waren voll besetzt. Die verschiedensten Sprachen schwirrten durcheinander. Neben deutsch hörte man hauptsächlich polnisch und russisch, auch die breiten Laute des Holländischen klangen dazwischen. Ausfallend viele der Gäste trugen protzige Brillantringe an den Fingern. Alle Männer hier schienen sich irgendwie zu : —i > u i 'DWWWWWWWWW kennen. Immer wieder stand einer von einem Tisch auf,! I begab sich zu einem andern und mischte stch in das leise! und lebhaft geführte Gespräch. Ab und zu trat Mer von! den Männern mit einem andern näher än «ine der gieoßen Lampen heran. Aus kleinen Schächtelchen oder Seiden papier wurden Steine herausgeholt, die tm Lichte auf- sprühwn, wurden unter die Lupe genommen, hin und her gewendet. Und dann ging der Handel loS. Das Kaffeehaus war der Treffpunkt einer gewissen Sorte internationaler Juwelenhändler. Jedoch würde man die wirklich soliden, großen Geschäftsleute hier ver gebens gesucht haben. In all den verschiedenen Ge sichtern, massigen wie schmalen, Hellen wie dunklen, lag irgend etwas Eigentümliches: ein Aug von Schlauheit, Unsolidität und Skrupellosigkeit. Frauen sah man nur vereinzelt. Ein paar wirkliche Damen hatten sich bei dem Wetter hierher geflüchtet und blickten etwas erstaunt aufj die eigentümlichen Gäste des Kaffeehauses. Unaufhörlich rannten die Kellner mit gefüllten Tabletts durch das große Lokal. Der Rauch lag dick und trübe im Raum. Die Lampen versuchten vergeblich das Grau des Regentags völlig vergessen zu lassen. Der junge Mann blieb einen Augenblick vor dem Büfett stehen. Er grüßte mit einem vertraulichen Lächeln die hübsche, gut zurcchtgcmachte Büfettdame. Die gab ihm ebenso lächelnd den Gruß zurück. „Na, Herr Tessel, mal wieder da? Sie haben sich ja so rar gemacht!" „Schlechte Zeiten, Fräulein!" „Noch immer nichts gefunden, Herr Tessel?" Der jung« Mann zuckte die Achseln. „Das letzte ist nichts gewesen. Ich habe ja mehr Fahr gelder verbraucht, als ich Provision verdient habe an den Waren. Na, mal sehen, vielleicht findet sich doch noch was. Einen Kaffee, bitte!" Er ging in den Hinteren Raum, setzte sich in eine Ecke und war bald in einen Berg Zeitungen verlieft. Was ihn besonders interessierte, waren die Stellenangebote. Er nahm ein Notizbuch.aus der Tasche und trug sorgfältig eine Reihe Adressen ein. Dazwischen aber hatte er immer noch Zeit, mit schnellen Augen umherzublicken, einen lächelnden Blick mit der Büfettdame zu tauschen und alles zu beobachten, was um ihn herum vorging. „Sehen Sie mal, da ist ja der Tessel", sagte ein dicker Mann mit breiten, roten Händen und aufdringlichen Brillanten an den kleinen Fingern. „Kommt der auch mal wieder hierher?" Sein Begleiter sah flüchtig hinüber. „Wirklich! Ra, sicht auch ziemlich ramponiert aus, scheint noch nichts Rechtes gesunden zu haben." (Fortsetzung folgt.)