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wie -le Schneeflocken wur-en. Ein Märchen von MariaSeyfried. Das Paradies war den Menschen ver schlossen worden. Sommer und Winter gingen über die Erde hin. Und sie lag da — arm — braun und fahl — zerzaust und zerrissen von den Stürmen. Dann tarn der Frost; und die Erde stöhnte unter seinen Füßen. Das sah der liebe Gott, und in seiner Güte beschloß er, der Erde zu helfen. Er winkte einem seiner Engel und sagte ihm: „Sieb da die Erde. Sie erstarrt in Eiseskälte. Geh' zu deinen Schwestern und sinnt darauf, wie ihr sie davor schützen könnt."— Der Engel ging. Er fand seine Schwestern auf der Himmels wiese, wo sie den neuen Festtags- reigen übten und , erzählte ihnen von dem Auftrag Gottes. Da saßen sie nun, die großen und die kleinen Engel, legten die Fingerchen an die Nase und dachten und grübelten, wie der armen Erde am besten zu helfen sei. „Etwa« Warmes müßte eS sein," riet «in kleiner Engel. ,La, damit die Erde nicht friert,* meinte ein anderer. — „Hurra! Ich hab's!" rief da einer der Großen. — ,Hhr wißt doch, daß hinten in der letzten HnnmelSkammer sie neue Leinwand aüfgestavelt liegt, die wir neulich für die Engelskleider nicht mehr gebraucht haben und die bis zum nächsten Jahre liegen bleiben sollte. Nun, die zerzupfen wir zu kleinen Flocken und streuen sie auf die Erde hinunter." — „Ob wir das aber auch dürfen," zweifelte ein kleiner Engel. „Dummer chen" — lachten die Großen. — „Der liebe Gott hat uns befohlen zu helfen. Und dann, wenn wir fleißig sind, haben wir für das nächste Mal wieder neues Leinen fertig." Nun liefen sie alle zu der letzten Himmelskammer und schlepp ten die großen Leinwandballen auf die Himmelswiescn. Ach, war das schwer! Aber die Engelchen taten cS gern, weil sie der lieben Erde helfen wollten. Dor! zupften sie mit fleißigen Fingerchen nur schwatzten, lachten und sangen nach Herzenslust dabei. Endlich gebot der älteste Engel: „Für dieses Mal ist es ge nug. Wir wollen nun unsere weißen kleinen Flocken auf die Erde schicken." — Unten auf der Erde war es Nacht ge worden. Trefschwarz lag sie auf der Erde. Aber der Frost schritt unentwegt weiter. Er warf klirrende Fesseln über die arme Erde, die in Schmerzen gegen die Todeskältc sich wehrte. Oben am Himmel hatten du Engel ihre goldc- nen Sternenfen- ster geöffnet unk forschten mit neu gierigen Auger auf die Erde hin ab. Dann öff. neten sich die Weißen Engels. Hände und ließen die Flocken aus die Erde hinabrieseln. ,Hhr sollt die arme Erde warm und weich einhülle»," — lächelte ein süßer EngelSmund die Flocken an. „Tanzt nur recht lustig, ehe ihr hcr- unterkommt," — lachte ein kleiner En gel chnen fröhlich nach. - . „Wenn die Menschen euch fragen, warum ihr wie. Sterne ausseht, dann sagt, daß ihr aus dem Himmel kommt," — sagte ein anderer. „Warm und Weith — fröhlich und engelrein sollt ihr sein," — flüsterte ein vierter stillfroh. — Und so rieselte der Weiße Segen die ganze Nacht. Am Morgen aber strahlte die Erde. Die Bäume streckten ihre Aste wchliq im warmen Schneeflockenkleid. Die Pfähle und Steine sahen fröhlich unter ihren Weißen Mützen hervor. Und die Wi^en erst! Sie lagen in reiner, glänzender Weiße, als lägen tausend und abertausend sternenübersäte Engcls- kleider über sie gebreitet. — Und so ist eS geblieben bis auf den heutigen Tag. Schaut sie euch einmal an, unsere winterliche Erde. .