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OrbLb^nrcclltscbutr: künk Türive-Vcrlag UaUs (Lasle). 16) . Nachdruck verboten. Uebcr Renate war es wie ein Rausch gekommen. Sie sprach, sie lachte, sie bewegte sich, sie tanzte — wie in Hypnose. «Sie hat uns der Himmel geschickt!" trocknete sich der Regisseur den Schweiß von dec Stirn. „Ich glaube, wir werden keinen Durchfall erleben. Und jetzt schnell in die Garderobe — zwei Frauen sollen Ihnen beim Anziehen helfen. Donnerwetter, das nenne ich Karriere: gestern noch halfen Sie dem Star beim Umkleiden — und heute sind Sie der Star, dem beim Umkleiden geholfen wird. Und nun: Hals- und Beinbruch!" „Bin ich das — bin ich oas wirklich?" fragte sich Renate immer wieder. „Es geht los!" pochte der ReMcur an ihre Tür. „Sind Cie fertig?" „Jawohl!" - . Und Renate trat aus den Gang hinaus , Er stand starr da. „Sapperlot!" brachte er endlich hervor. „<»s heute cabe ich ja gar nicht bemerkt, daß Sie eine blendende Schönheit sind! Na — das Publikum wird Augen machen. Mein Ehrenwort: die d'Acclle reicht Ihnen nicht das Wasser. Uebrigeus: Unter weichem Namen wollen Sie denn angckündigt werden?" Renate wußte cs nicht. , Er schaute sic prüfend an. „Blondes Haar, blaue Augen, also nordischer Typ. gossen Sic mich nur mache», ich werde schon was Passen des finden!" Er lief davon, stellte sich vor den Vorhang. „Meine Herrschaften!" tönte seine Stimme an Renates Ohr. „Die Direktion bringt Ihnen mit Bedauern zur Kenntnis, daß Madame Lucille d'Acclle plötzlich erkrankt ist und heute nicht austrcien kann." '' In die Rufe des Bedauerns, die vom Zuschauerraum hcraustöntcn, schnitten seine weiteren Worte. „Doch cs ist der Direktion gelungen, einen voll wertigen, um nicht zu sagen besseren Ersatz ausfindig zu machen — eine berühmte Künstlerin, die zufällig in den Mauern unserer Stadt weilt: Senta Löhrsen." Wieder ließen sich einzelne „Ah!" vernehmen — doch nun in Bewunderung. Ein Großteil der Leute wollte es nicht eingcstehen, daß er den Namen Senta Löhrsen noch nicht vernommen hatte, da der Regisseur die Künstlerin als Berühmtheit hingcstcllt hatte. Nun überkam Renate doch Lampcnficber. Aufgeregt überdachte sie all sie Lehren von Tonansatz und Ton bildung, die sic als glückliche Frau Renate Westin bei der ausgezeichneten Meisterin studiert hatte, sic... Ta schob sic der Regisseur auch schon auf die Szene — ihr Auftritt war gekommen. Renate sah so bildschön ans, und nach anfänglicher, bald überwundener Befangenheit spielte sie so sicher, daß sie, die sich selbst am meisten darüber wunderte, das Publikum zu wahren Beifallstürmen hinriß. Der Abend wurde ein einziger, großer Triumph für sic. „Na — die d Acclle wird Augen machen, 'wenn sie zurückkommt", triumphierte der Direktor. „Die. kann nur gleich zur .Blauen Libelle' gehen, wenn man sie dort nimmt. Wir haben unseren neuen Star." Und er schloß einen Kontrakt mit Renate, der bei der Löhe der Gage, die ihr geboten wurde, beinah schwindelte. Tabei hatte der Direktor, der kein schlechter Menschs aber ein guter Geschäftsmann war, ihr ohnedies bloß zwei Drittel des Honorars gegeben, das Lucille d'Acelle bekam. Die Kritik lobte Senta Löhrsen, den neuen Stern der Kleinkunstbühne, über alle Maßen. Ihre geschmeidige Tanzkunst, von natürlicher Grazie getragen, die Lieblich keit ihrer reinen Stimme, die Schönheit des Antlitzes und der Figur — all das vereinten die Zeitungsbesprechungen zu einer begeisterten Hymne auf Renate. Wenn sie sich in der Garderobe in dem Spiegel be schaute, mußte sie lachen. „Meine liebe Renate, wie viele Namen hast du nun schon gehabt! Im Augenblick bist du Senta Löhrsen und ein Star der Kleinkunstbühne »Schwarzer Falter' — was wird noch aus dir werden?" Peinlich berührten Renale bloß die manchmal allzu leichten Kostüme, die sie in dem Stück „Die Badereise der schönen Frau Yvette" zu tragen gezwungen war. Doch es blieb ihr nichts übrig, als sich in das Unabänderliche zu fügen. Und Abend für Abend heimsteM Stürme des Beifalls ein, Abend für Abend schickte mim thr kostbare Blumen gewinde und lud sie zum Souper,M. Doch Renate nahm keine einzige dieser Einladungen an. Sie hatte wohl das bescheidene Stübchen, das sie als Aushilfsgarderobiere gemietet hatte, nun mit einem weit aus schöneren Zimmer, das sogar einen kleinen Empfangs raum besaß, vertauscht, doch nur, um den Besuch von Agenten, die ihr weitere Engagements verschaffen wollten, annehmen zu können. Nach wie vor lebte sie welt abgeschieden, und eS verging keine Stunde, die sie in Ein samkeit zubrachte, in der ihre Gedanken nicht bei ihrem Gatten weilten. Daß er am Leben war, wußte sie durch Doktor Lech- lvald; doch er weilte nicht in Berlin, das rauhe Klima hätte seiner noch immer schwachen Gesundheit zu sehr ge schadet. Ob er wußte, daß sie sich nach ihm sehnte? Ob ihm Kunde davon geworden war, daß sie nun Senta Löhrsen bieß und Star der Kleinkunstbühne „Schwarzer Falter" genannt würde? Oft vergoß sie heimliche Tränen. Wie gern hätte sie all die Bewunderung, die Triumphe elngetauscht gegen stille Zweisamkeit, gegen ein Leben an seiner Seile! Doch er rief sie nicht. Eines Abends, als sie gerade ihr Licblingslied „Du bist das Glück" gesungen hatte und sich für den Applaus, der ihr dafür wurde, dankens verneigen mußte, fühlten sich ihre Augen magisch von einer Loge angezogen. Eine Dame und ein Herr, mit auffallender Eleganz und Kostbarkeit gekleidet, saßen darin. Eisiges Schaudern durchrann Renales Glieder, daß ihr Partner sie heimlich aufmerksam machen mußte, auf das Spiel zu achten. Sie nahm sich zusammen, und cs gelang ihr, den Schrecken, der ihr in den Gliedern lag, abzu- schütteln. Die Dame und der Herr, die in der Loge Platz ge nommen hatten, waren niemand anders als Daisy Flcß und Ulrich Preberg. Sic mußten sie erkannt haben, denn aus ihren Zügen sprach Wissen um Renales Identität. Irrte sie sich — oder blitzte es in beider Augen wie Gehässigkeit, wie Neid und Zorn und doch auch wieder wie Triumph? Renate wurde aus dem Benehmen der zwei nicht klug. „Wenn ich ihre Gedanken ergründen könnte, dann..." Mechanisch sang und spielte, tanzte und lachte sie Weiler — die Rolle war ihr gewissermaßen in Fleisch und Blut übcrgegangen. In diesem Monient betrat ein zweiter Herr die Loge, und mit Mühe unterdrückte Renate einen Aufschrei — es war Aufburg. Er war sichtlich gealtert und machte einen müdcn^ hoffnungslosen Eindruck; doch sie hätte ihn unter Tausenden hcrausgefunden, so tief hatten sich ihr die Züge des Mannes cingeprägt, der ihr Glück zerstört und die Brandfackel der Eifersucht in Westins Herzen zum Lodern gebracht hatte. ' - Was hatten Prcberg, Ausburg und Daisy Fleß mit einander zu schaffen? Waren sie Verbündete, die ihr übel wollten?" Renates Mißtrauen war geweckt, und trotz der über- sprudelnden Lustigkeit, mit der sic auf der Bühne ihre Nolle mimte, beschäftigten sich ihre Gedanken unausgesetzt mit dem Trio. . Nun setzte Aufburg das Glas an die Augen — offen sichtlich hatte Prcberg ihm gesagt, er solle raten, wer Senta Löhrsen in Wirklichkeit sei. Jetzt zuckte er zusammen, ließ das Glas sinken. Sein Antlitz war bleich und zeugte von mühsamer Beherrschung. Er wandte sich an Prcberg. Aufburzs Lippen waren schmal und hart — gewiß, eie machte dem anderen Vor würfe, die Prcberg mit' dürrem Lächeln und wegwerfen dem Achselzucken abwehrte. In Daisys Mienen spiegelte sich Schadenfreude., Renate konnte an dem Abend den Schluß der Revue kaum erwarten. Der „Schwarze Falter" war ein Lokal, in dem es nach den Produktionen Publikumstanz gab. Ein Teil der Zu schauer begab sich wohl nach Hause, doch etwa ein Drittel blieb stets im Hause, um selbst der Göttin Terpsichore zu huldigen. Renate beobachtete, daß die Gesellschaft, die in der Loge neben Daisy, Prcberg und Aufburg saß, sich zum Weggehen rüstete, und sofort erstand ihr Plan. Sie kannte Frau Fleß viel zu genau, um nicht zu wissen, daß sie jedes Vergnügen äuskostcte, solange es ausgekostet werden konnte. Die drei würden also gewiß noch bleiben, dem Tanz zusehen oder sich selbst zu einem Tango oder einem Lnglisli >Va!te verleiten lassen. Was sie sonst über die Massen erfreute — der Applaus des Publikums —, das empfand sie jetzt als Last, denn es raubte ihr Zeit. Sie fieberte darauf, sich umzukleiden und sich in die Loge zu schleichen, die neben der ihrer Widersacher lag. Endlich konnte sie ihre Garderobe aufsuchen. „Ich habe es gezählt, Fräulein Löhrsen", rief ihr die Garderobiere stolz entgegen, „heute waren es zweiund zwanzig Hervorrufe. So viele hat die d'Acelle nie gehabt. Na, wenn sie jetzt auch glücklich ihren Mister Miller er- wischt hat — ich möchte trotz des Reichtums,' den sie erheiratete, nicht in ihrer Haut stecken. Denn dieser Mister Miller ist ein alter Lebemann, was sage ich, ein Lebe greis — und für so einen möchte ich danken. Sie doch auch, Fräulein Löhrsen — nicht wahr? Warten Sie, Sie bekommen einen Gatten mit sehr viel Geld, der dazu noch fesch und lieb und gut ist." „Ich bekomme einen Gatten mit sehr viel Geld, der dazu noch fesch und lieb und gut ist...", wiederholte Renale mechanisch. Dann aber raffte sie sich zusammen. „Wir müssen heute besonders schnell machen, Ella ich habe Eile." Ella riß die Augen Welt auf, denn sie war gewöhnt, daß Renate, für sie Senta Löhrsen, nie hastete, da nie jemand auf sie wartete. Doch sie sagte nichts und mühk sich, dem Wunsche ihrer Herrin nachzukommen. ! j Die Logen,im „Schwarzen Falter" besaßen Vorhänge,! für das übrige Publikum unsichtbar , - machen konnten. Renate zog einen dichten Schleier vors Gesicht und huschte dann in den Zuschauerraum. Sie mühte sich, un gesehen an den Billettcuren vorbeizukommen, und da die Musik gerade einen flotten Tanz spielte und im ganzen Lokal Hochbetrieb herrschte, gelang es ihr auch. Es war, wie sie vermutet hatte: die Loge neben der ihrer drei Feinde erwies sich als leer. Lautlos betrat sie sie und ließ die schützenden Vorhänge herabglelten. „Seien Sie doch ein Mann, Aufburg!" tönte Prebergs harte Stimme zu ihr herüber. „Wie kann man denn gleich so zusammenklappen!" „Sie wissen, Preberg, daß ich mir in letzter Zeit das Trinken verhältnismäßig abgewöhnt habe..." „Schade um die Kraftanstrengung, um die Selbst-! Überwindung", warf Daisy spöttisch ein. Ohne sie zu beachten, sprach Ausburg weiter „...und dadurch ein wenig zu Verstand gekommen bin. Ich sehe jetzt erst, was alles ich verbrochen habe." „Wollen Sie uns eine Moralpauke halten, weil Sie Zeuge waren, wie die schöne Renate Triumphe als Kabarettstar feierte?" Das war Preberg, und Daisy sekundierte: „Wahrhaftig, das Schicksal ist viel zu milde mit ihr Verfahren. Wenn es nach mir ginge, gäbe es für diese Frau, die Westin damals im .Lachenden Faun' davon abhielt, den Kontrakt zu unterzeichnen, und uns dadurch ins Verderben stürzte, keine gute Stunde auf Erden." Aufburgs Stimme klang in strengem Widerspruch: „Sie reden, als hätte Frau Westin ein Verbrechen an Ihnen begangen. Jin Gegenteil waren cs aber doch Sie, die an Westin ein Verbrechen begehen wollten, die ihm Geld herauszulockcn gedachten, obwohl Sie wußten, daß es von dem Augenblick an, in dem er seinen Namen unter den unseligen Vertrag setzte, für ihn verloren war." „Geschah damit uns ein Leid", replizierte Daisn höhnisch. „Nein. Weshalb ereifern Sie sich so zugunsten des Mannes, den Renate, der Sie heimlich Ihr Herz zu wandten — nein, in die Sic nicht nur rasend verschossen waren, sondern noch verschossen sind — noch immer mit der letzten Faser ihres Hetzens liebt." „Woher wissen Sie das?" Gequält preßte Aufburg die Frage hervor. „Ich erkundigte mich beim Kellner: .Wird Fräulein Senta Löhrsen oft eingeladen? Welcher der Kavaliere ist denn ihr offizieller Freund?' Doch er schüttelte förmlich mit Entrüstung — diese Renate bezaubert ja alle! — den Kopf und erwidert: .Fräulein Löhrsen nimmt keinerlei Einladung an, und sie besitzt weder einen offiziellen noch einen inoffiziellen Freund. Fräulein Löhrsen ist eine voll kommene Dame.' Und dabei schaute er mich an, als halte er mich für keine vollkommene Dame." Kurze Stille folgte diesen Worten. Renates Herz pochte zum Zerspringen. Was würde sie noch hören? „Es war aber doch sehr schlecht von mir, daß ich mich für Ihrs Pläne hergab", ereiferte sich Aufburg nun wieder. „Zuerst das Hofmachen, das sie bei ihrem Gatten in Verdacht brachte — dann die nächtliche Zusammenkunft im Tannenwäldchen, in der Sie..." „Keinen Laut weiter", zischte Daisy außer sich. „Hat Sie der Anblick Renates denn toll gemacht? Wenn Sie jemand hört!" „Ich wollte, es würde mich jemand hören! Sie ahnen nicht, wie ich leide — dabei aber bringe ich nicht den Mut auf, zur Polizei zu gehen und alles aufzudecken." Eisig klang es von Preberg zurück: „Das ist Ihr Glück, denn ehe Sie dick Polizei erreichten, wären Sie ein Kind des Todes." „Würden Sie mrich vielleicht , zu erschießen trachten wie..." Aufburg begehrte auf: „Gehen Sie nach Hause, Aufburg, und kaffen Sie sich erst wieder blicken, wenn Sie betrunken sind! Nüchtern erscheinen Sie mir vollkommen unverdaulich." Sesselrücken erklang. Was geschah? Renate hätte ein Vermögen darum ge- geben, einen Blick in die Nebenloge tun zu dürfen. Dann fing Aufburg von neuem an: „Ich gehe wirklich, denn meine Seele ist erschüttert. Ich fühle erst, daß ich überhaupt eine Seele habe — bisher wußte ich es kaum." „Dann sind Sie ja um eine wertvolle Gewißheit reicher." Daisy spottete. „Gute Nacht, und kommen Sie morgen vernünftiger wieder!" „Vielleicht bin ich vernünftiger, aber nicht so, wie es Ihnen in den Kram paßt." „Sie sind plötzlich irre geworden, mein Lieber.' Ganz nachlässig sagte es Preberg. Um so erregter brauste Aufburg auf: „Mir ist plötzlich eine Erkenntnis geworden — und die bringt es mit sich, daß..." „Welche Erkenntnis?" „Die Erkenntnis, daß ich gulmachen muß, was ich ge sündigt habe." Schwer war die Pause, die nun zwischen den dreien lastete. „Haben Sie vergessen, was Ihnen dann von meiner Seite droht?" In ganz leichtem, gesellschaftlichem Plauderton sagte es Preberg. „Sie würden es wirklich wahrmachen?" „Unbedingt." „Gehen Sie doch endlich heim und überschlasen Sie die Geschichte!" meinte Daisy ungeduldig. „Preberg", sagte jetzt Aufburg, „ich bin ein Lumv — doch Sie sind ein noch viel größerer," (Fortsetzung folgt)