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Orbodvrrecbtscbutr: küak Dürme, Verlsg UsUs (5»sls). M Nachdruck verboten. Sie wandle sich von ihm ad und Renate zu, die in töd licher Verlegenheit zu Boden schaute. ^Mein liebes Kind", meinte sie gütig, „Sie bleiben mir weiter die getreue Freundin! Ich bin überzeugt, daß an dem peinvollen Zwischenfall Sie nicht die geringste Schuld trifft." Und sie küßte sie sanft auf die Stirn. In Renate erstand ein Gefühl unendlicher, sap heiliger Freude. Es gab einen Menschen, der an sie glaubte, der ihr vertraute, trotzdem der Schein gegen sie sprach. Und daS schien ihr fast wie Vorbedeutung, daß sich auch ihr Gatte besinnen und zu ihr finden würde, wenn die Zett der Trennung ihn erst von dem Wahn ihrer Schuld geheilt hatte. Am Abend, als Nina Ninsen nach rauschendem Bühnen erfolg wieder heimgekehrt war, legte sie Renate eine Schicksalsfrage vor: „In sechs Wochen fahre ich auf der .Bremen' nach Amerika. Wahrscheinlich werden Jahre vergehen, ehe ich den heimatlichen Boden wieder betrete. Wollen Sie mit mir kommen, liebes Kind?" Renates Herz war schwer. Einerseits betete sie Nina Ninsen an — andererseits fühlte sie, daß ihre Abreise nach Amerika einer Wiedervereinigung mit ihrem geliebten Hans so gut wie alle Wege versperrte. Und wenn sie auch keine Aussicht hatte, mit ihm zusammenzutreffen, so war es doch das Gefühl einer gewissen Nähe, das ihr Trost gewährte. Sie zögerte mit der Antwort. Nina Ninsen las in ihrer Seele. „Ich weiß, was Sie hier festhält in der alten Welt und verstehe und billige Ihre Gründe! Ehrlich gestanden: Ich war sicher, Sie würden nicht mit mir fahren. Und darum habe ich mich bereits um eine neue Stelle für Sie umgesehen — falls Sie es nicht vorziehen, doch endlich die Geldmittel in Anspruch zu nehmen, die Ihr Gatte Ihnen zur Verfügung stellen will." „Nie und nimmer würde ich das tun, und wenn ich trockenes Brot essen müßte! Vergessen hat mich Hans jedoch nicht, das weiß ich, denn schon einige Male sprach Doktor Lechwald in seinem Namen bei mir vor und bot mir große Summen, mir ein sorgensreieS Dasein zu ver schaffe». Doch ich lehnte stets energisch ab." Die Künstlerin seufzte mit melancholischem Lächeln. „Wie ungeschickt doch die Menschen sind — das bißchen kurzes Erdenleben verbittern sie sich durch Hirngespinste. An Stelle Ihres Gatten hätte ich keine Sekunde an Ihrer Schuldlosigkeit gezweifelt — doch ihn treibt übergroße Liebe in den Wahnsinn blinder Eifersucht und läßt ihn bandeln, wie er es nicht verantworten kann. Mit Ihnen glaube ich es, mein Kind! Eines Tages wird der Schleier zerreißen, der sich über seine Augen gelegt hat, und er wird erkennen, welch kostbaren Schatz er an seinem Weibe hat. Darum pflichte ich Ihnen bei, daß Sie in Europa bleiben. Leider ist der Platz, den ich für Sie fand, nicht gerade das, was ich mir für Sie wünschte — doch in vieser Zeit der Arbeitslosigkeit und des Stellenmangels war ich froh, daß es meiner Fürsprache gelang, Sie über haupt unterzubringen. Uebermorgen schon können Sie in der Kleinkunstbühne .Schwarzer Falter' als Garderobiere cintreten. Man wird Sie gut behandeln, dessen können Sie gewiß sein. Der Direktor ist ein ehemaliger Kollege von mir und verdankt mir manches — ich habe Sie ihm ans Herz gelegt, und er ist ein anständiger Charakter, der Ihnen gewiß nicht zu nahe treten wird." Renate war halb betäubt. „Ich soll Sie so schnell verlaffen, gnädige Frau ...?" Leiser Schmerz breitete sich über Nina Ninsens aus- vtucksvolles Antlitz. „Das ist mein Prinzip: Wenn schon geschieden sein muß, dann so schnell wie möglich! Es bedeutet unnütze Qual, die Tage langsam verrinnen zu sehen und zu wissen, daß es ein Auseinandergchen ja doch geben muß," Die Zett verging Renate wie im Flug, und der Augen blick kam, in dem sie tiefbewegt Abschied von ihrer Gönnerin nahm. Nina Ninsen schloß sie in die Arme. „Sollte es Ihnen wider Erwarten Übel gehen, dann wenden Sie sich nur an den Agenten Grauer. Hier ist seine Adresse. Er weiß immer Mister Robertsons An schrift, und der kennt genau die Wege, die meine Tournee nimmt. Sollten Sie also Sehnsucht nach mir haben, folgen Sie mir hinüber in die neue Welt. Um das Fahrgeld brauchen Sie sich nicht zu sorgen — das streckt Ihnen Grauer vor, und ich verrechne es dann mit ihm." . Renale war erschüttert. „Gnädige Frau, wie soll ich Ihnen danken?" Rina Ninsen verbarg die Tränen, die sich ihr in die Lugen stehlen wollten, unter heiterem Lächeln. Selbst beherrschung war ihr zweite Natur geworden, seit sie es auf sich genommen hatte, auf der Bühne so vollkommen aus dem eigenen Ich heraus — und in ein anderes hinein- -«schlüpfen. « „Danken Sie mir, indem Sie nicht nach Amerika kommen, sondern mir recht bald ein Kärtchen senden, das Sie wieder mit .Frau Renate Westin' unterzeichnen können, wie es Ihnen nach Lug und Recht gebührt«" a * Der „Schwarze Falter" war ein sehr elegantes Lokal, das seine Pforten um zweiundzwanzig Uhr erschloß — zu einer Zeit, in der die anderen Bühnen daran gingen, die Rampenlichter zu verlöschen. Schüchtern betrat Renate die strahlend erleuchtete Halle. Der Portier, noch mehr goldstrotzend wie jener, den sie im „Lachenden Faun" gesehen hatte, fragte nach ihrem Begehr. „Zu den Garderoben, bitte!" stammelte Renale ver wirrt. „Sie sind wohl die Neue, die der Lucille d'Acelle beim Umziehen behilflich sein soll?" Renaie nickte, und er wies sie den Weg. „Hier", meinte er schließlich freundlich und machte vor einer schmalen, w-ißgestrichenen Tür halt; aus dem Zimmer tönten Stimmen. Bescheiden klopfte Renate und öffnete auf den Ruf „Herein!". Einen leichten Mantel um die blendend weiß ge schminkten Schultern geworfen, saß ein entzückendes Ge schöpf vor dem mächtigen Spiegel und war eben dabei, vie groben, nachtdunklen Augen mit dem Stift zu unter malen. Ein zierliches Mädchen war beschäftigt, eine Flut hauchdünner, farbenbunter und metallflirrender Kleider zurechtzulegen. Ihre Augen trafen sich mit denen Renates, und sie schrie leicht auf. Auch Renate durchzuckte es — vor ihr stand Minette. Ueberwältigend stürmte die Vergangenheit auf sie ein. Jener Abend in Daisy Fleh' Billa — der Besuch im „Lachenden Faun", wo sie ihren Hans kennenlernte —, das grauenhafte, trostlose Erwachen aus glückzitterndem Traum und... „Fräulein Ohlsen, ist es möglich? Sie sind die.Neue'?" Renate nickte. Vergeblich mühte sie sich, ein Wort her vorzubringen. Lucille d'Acelle wurde aufmerksam. „Sie kennen einander?" Mit übersprudelnden Worten berichtete Minette. „Ich dachte, Sie hätten den Lehrer Artur Merker ge heiratet. Sie standen doch damals knapp vor der Ver lobung, Fräulein Ohlsen?" Renate atmete auf. Minette nannte sie „Fräulein Ohlsen"; sie hatte also keine Ahnung, daß sie mit Hans-. Westin verheiratet war. „Ich lehnte seinen Antrag in letzter Minute ab", be richtete sie wahrheitsgetreu, „und dann ging ich hinaus ins Leben!" Minette verzog das Gesicht. „Na — weit haben Sie es nicht gebracht, da Sie AuS- hilfsgarderobiere im .Schwarzen Falter' sind — wenn es immerhin auch noch bedeutend schlechtere Lokale gibt. Wir" — sie wies auf Lucille d'Acelle und sich — „werden schauen, daß wir den Staub bald von unseren Füßen schütteln können." „Was geschah. Ihnen in der Zwischenzeit, Minette?" Das Mädchen schlug die Hände zusammen. „Böses, viel Böses! Frau Fleh brachte mich in eine schöne Tinte. Zuerst nahm sie mich auf ihrer Flucht mit, dann ließ sie mich sitzen und lenkte den Verdacht der Polizei auf mich, so daß ich verhaftet wurde. Meine Schuldlosigkeit stellte sich jedoch bald heraus, und ich wurde freigelaffen. Nun bin ich bei Mademoiselle d'Acelle und..." .. und muß mich beeilen, ihr in Kleid Nummer eins zu helfen, sonst bekommen wir Schelte vom Regisseur", unterbrach diese lachend den Redestrom ihrer Gehilfin. Bald darauf tönte das schrille Klingelzeichen, das den Star des „Schwarzen Falter" auf die Szene rief. „Kommen Sie, Fräulein Ohlsen", mahnte Minette, „wir müssen hinaus auf die Bühne. Die d'Acelle hat im ersten Bild gleich drei Umkleidungen hinter den Kulissen." „Sie kommt nicht in die Garderobe zurück?" „Nein, es bleibt ihr nicht die Zeit! Beim Theater muß alles fix gehen, besonders in einer Revue, in der es auf großen Toilettenwechsel abgesehen ist." So kam es, daß Renate fast den ganzen Abend hinter der Bühne verbrachte, und da das Stück: „Die Badereise der schönen Frau Yvette", Tag sür Tag gegeben wurde, merkte sie sich bald die Melodien und die Texte, sogar die kleinen, eingestreuten Dialoge hafteten fest in ihrem Gedächtnis. Besonders ein Lied hatte sich ihr eingeprägt, denn seine Worte zauberten ihr immer das Bild des Vielgeliebten vor Augen und ließen sie für Minuten vergessen, daß sie einsam und verlaffen im Leben stand. Atemlos lauschte sie Abend für Abend, wenn Lucille d'Acelle mit ihrer spröden kleinen Stimme, die an klirren des Glas erinnerte, den Refrain sang: —. „Du bist das Glück, 8 Das so Heitz Ich ersehnt, Du bist das Glück, Das mein Leben verschönt; § Die ganze Welt Scheint mir verzanbert und neu. Seit süße Liebe uns zwei - Gefangenhält." Lucille d'Acelle war keine ausgesprochene Schönheit, doch sie besaß Scharm und Pikanterie. Die Männer liefen ihr «ach wie toll und überböten sich, ihre bizarren Wünsche zu erfüllen. Renate gefiel ihr Wesen, daS eine gewiss» KindUchleit zur Schau trug, nicht übel, wenn sie sich auch bewußt war, daß sie ihr seelisch niemals so nahe würde stehen können wie Nina Ninsen, die inzwischen nach Amerika abgereist war. Sie hatte sie nicht wiedergesehen, nur ein paar Zeilen waren in ihre Hände gelangt, die der großen Künstlerin charakteristische, fast männliche Schriftzüge trugen: „Wozu sollen wir uns beide daS Herz schwer machen? Ich sage Ihnen nicht adieu, sondern auf Wiedersehen — und unter einem günstigeren Stern. Meine liebe Renate — Sie erlauben doch, daß ich Sie so nenne? Vergessen Sie mich nicht, wie ich Sie nicht vergessen werde, und wissen Sie, daß Sie in mir eine wahre Freundin gefunden haben, die Ihnen stets gern zur Seite stehen wird, wenn Sie sh rufen. Mw Nina Ninsen." Renate hatte Tränen der Rührung vergossen, als sie den Brief gelesen hatte, doch er war ihr et» lieber Trost im Leben, denn sie wußte nun ganz gewiß, daß ein Wesen in der Welt existierte, das sie tief ins Herz geschlossen hatte. Eines Abends kehrte Lucille d'Acelle in höchster Nervosität und Exaltiertheit in die Garderobe zurück. „Denken Sie sich", rief sie Renate schon von weitem entgegen, „der Unmensch von einem Direktor will mir nicht einmal drei Tage Urlaub geben, damit ich ein bißchen auf Erholung fahren kann. Finden Sie das nicht empörend?" Renate fand es eigentlich richtig, denn Lucille d'Acelle war eben engagiert und hatte damit die Verpflichtung auf sich genommen, allabendlich im „Schwarzen Falter" auf zutreten. Sie begnügte sich also damit, zu schweigen. „Natürlich — auch Sie sind außer sich über solch ein« Rücksichtslosigkeit! Wissen Sie, daß mir dadurch eine fabel hafte Chance entgeht? Mister Charles Miller, der reiche Amerikaner, der keine Vorstellung versäumt, um mich nur ja zu sehen, hat einfach den Kopf verloren. Er verreist für drei Tage geschäftlich und bat mich, ihn zu begleiten. Jeder andere hätte Verständnis dafür gehabt und mich mit Mister Miller fahren lassen — du lieber Gott, ich pfeife auf die ganze dumme Theaterspielerei, wenn ich Mistreß Miller werden kann, eine immens reiche Frau, di« die einzige Sorge hat, das Geld ihres Gatten mit Grazie anzubringen. Und diese Chance will mir der Direktor nehmen!" Lucille d'Acelles geschmeidiger Körper, dessen Gelenkig keit Renate stets so sehr bewunderte, daß sie daheim ganz für sich alle die Tänze probierte, die die Künstlerin auf der Bühne dahinwirbelte, warf sich in den Stuhl, rauste das krause, blauschwarze Haar und stampfte mit den knabenhaft schlanken Beinen den Boden. Minette nahm sofort den Vorteil wahr, der ihr er- blühte, wenn Lucille d'Acelle Mistreß Miller würde. „Man muß dem Direktor zur Strafe einen Streich spielen", meinte sie geheimnisvoll. „Was kann er Ihnen denn anhaben? Sie sind unbestrittener Liebling, und er wird sich hüten, den Bogen zu straff zu spannen. Nötigen falls bekommen Sie sofort in seinem Konkurrenzunter, nehmen, der .Blauen Libelle', ein Engagement. Was kann also passieren?" Lucille d'Acelle schaute aust , „Was soll das bedeuten?" Minette warf einen mißtrauischen Blick auf Renate, in deren Zügen sie Befremden las. „Wir wollen das zu Hause besprechen, Madame!" meinte sie schließlich. Am nächsten Abend wartete man vergeblich auf Lucille d'Acelle. Sie erschien nicht im „Schwarzen Falter"^ Verzweifelt lief alles umher. „In die Wohnung schicken — in die Wohnung schicken; auf telephonischen Anruf rührt sich niemand!" brüllte der Regisseur. Doch der Bote, der in Windeseile hin- und wieder zurücksauste, konnte nur melden, daß Madame d'Acelle mit der Zofe abgereist sei — unbekannten Aufent halts. „Kontraktbruch — ich werde sie Strafe zahlen lassen, daß sie schwarz wird!" tobte der Direktor. Doch da ihm dies nicht über den Augenblick htnweghalf» beruhigte er sich schnell wieder. „Das Haus ist so gut wie ausverkauft — was fangen wir an? Wir können doch die Aufführung nicht absagen?" In einen Winkel gedrückt, hatte Renate die Szenen verfolgt. Sie wußte selbst nicht, woher sie den Mut nahm, plötzlich vorzutreten. „Herr Direktor, ich habe das Stück Abend für Abend gehört und weiß jedes Wort. Wollen Sie -s mit mir ver suchen?" Mit großen Augen schaute er sie an. „Getrauen Sie sich wirklich?" „Ja!" erwiderte sie beherzt. Der Regisseur rang die Hände. „Aber die Tänze — die Tänze, für die wir so schön- magische Beleuchtung haben! Wenn die ausfallen, ist das ganze Stück nichts wert. Gott, besonders schwer sind die Schritte ja nicht, die Hauptsache machen die Kostüme und die Beleuchtungseffekte aus; aber gebracht müssen sie werden, sonst stehe ich für nichts." Renate blieb fest. „Mir gefiel die Beweglichkeit von Madame d'Acelle so außerordentlich, daß ich daheim versuchte, es ihr gleich zu tun. Und — ich glaube, es ist mir gelungen." In seiner Freude umarmte sie der Direktor. „Sie sind ja ein Prachtmädel! Schnell eine kleine Probe, damit die Geschichte gut sitzt — und dann in Gottes Namen! Unberufen — toi, toi, toi!" Er spuckte, nach altem Thcateraveralauben. dreimal de« Boden . «Fortsetzung solgt.>