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Zur Einführung Schubert sah seine Lieder, die wir heute als kostbarsten Schatz hüten, nur cerine an. Cr ,,sitze jetzt ganz in Sinfonien und Opern", sagte er einmal. Das Vorbild Beethovens lockte ihn. So schuf er seine Sinfonien. Zunächst sind sie nur Stufen zu der großen Sinfonik. mit der Schubert das Werk Beethovens tatsächlich fortsetzte. Auch seine Sinfonie Nr. 5 in B - d u r ist eher die Skizze als die Ausführung einer Sinfonie nach Beethovenschcr Art. Schon die Instrumentierung, ohne Trompete und Pauke, zeigt das ..kleine Format“, läßt darauf schließen, daß Schubert diese Sinfonie vielleicht für Liebhaber-Orchester gedacht hat, für eines jener bürgerlichen Orchester, das sich in der Wiener Stadt aus Musikfreunden und Berufsmusikern an manchen Pulten zusammensetzte. So zeigt alles kleine Maße und ist doch echt schubertisch, lieblich und aussingend wie sein Lied. Nach dem unbeschwerten Musizieren des ersten Satzes ist der langsame Satz am meisten schubertisch, sowohl in der Gesangslinie wie in der reichen Chromatik. Das Scherzo ist noch (oder richtiger gesagt: wieder) ein echtes Menuett, aber es steht in der Scherzo-Tonart g-moll und schließt ein ländlerfrohes G-dur-Trio ein — ein Hinweis auf den eigentlichen Charakter der Schubertschen Sinfonie, die ein Zwischenglied zwischen Beethoven und Bruckner ist. Der Schlußsatz endlich sprüht durch sichtig wie von Joseph Haydji, dessen Landschaft Schubert gehört, vorbei. Schubert ging als ein Liebender durch die Natur, ging in ihr auf, verkündete ihre Schönheit, ließ sich von den Wundern der Natur treiben und beseligen. Ein Gegensatz darin zu Beet hoven, der die Natur nicht sieht wie sie ist, sondern nur durch das Gitter seiner Gedanken (von der einen ..Pastorale“ abgesehen). Stundenlang konnte er durch Feld und Wald rasen, ohne sie in Einzelheiten zu bewahren, dann stürmte er nach Hause, um aufzuschreiben, was ihm der Tag draußen in der Natur (aber nicht aus der Natur) geschenkt hatte. Schubert aber durchwandert die Wiener Landschaft, macht Fahrten nach Oberösterreich und in die Steier mark. Sein tiefes Naturgefühl spricht aus den Worten, mit denen er seinem Bruder Ferdinand im September 1825 die Umgebung der Stadt Salzburg schildert: ..Dir die Lieblichkeit dieses Tales zu beschreiben, ist beinahe unmöglich. Denke Dir einen Garten, der mehrere Meilen im Umfange hat, in diesem unzählige Schlösser und Güter, die aus den Bäumen heraus- oder durchschauen; denke Dir einen Fluß, der sich auf die mannigfachste Weise durchschlängelt; denke Dir Wiesen und Äcker, wie ebensoviele Teppiche in den schönsten Farben, dann die herrlichen Wasser, die sich wie Bänder um sie herumschlingen, als wären sie Wächter dieses himmlischen Tales.“ Diese Naturstimmung spricht uns in seiner C-dur-Sinfonie, die gewöhnlich als die Siebente bezeichnet wird, in Wirklichkeit aber seine Neunte ist. an. Während Beethoven sein Tonmaterial formt, es anpackt, gestaltet, verändert, ja geradezu vergewaltigt, steht Schubert vor ihm als einem Wunder der Natur, staunend, in Ehrfurcht und Liebe. Und so kommt es, daß er seine Themen nicht eigentlich verarbeitet, sondern vielmehr aneinanderreiht wie musikalische Bilder. So entstanden jene ,,himmlischen Längen“ der C-dur-Sinfonie, von denen Schumann spricht, der das Werk mit einem Roman in vier Bänden etwa von Jean Paul vergleicht, ,,der auch niemals enden kann und aus den besten Gründen, um auch den Leser hinterher nachschaffen zu lassen“. Das ist ein Hinweis auf die vielen Schönheiten, die mit dem Hornsolo der dem ersten Satz vorangestellten Einleitung beginnen, die mit dem sich bald ins Tänzerische wendenden Haupt- thema des ersten Satzes und dem keinen eigentlichen Gegensatz bildenden Seitenthema fort gesetzt werden, ein keckes Hineinstürmen in eine Welt voll Sonnenschein. Zum Schluß ein Aufschwung ins Heroische, das Thema der Einleitung erscheint im vollen Glanz des Orchesters. Um so größer der Gegensatz im Andante. Es ist bei aller Straffheit, mit der die Bässe ein gangs aufsteigen, ein sehr wehmütiges Lied, das Schubert hier singt, es ist der Schubert der ein Jahr zuvor geschriebenen ,,Winterreise", der Schubert, der kurze Zeit danach die Straße gehen mußte, „die noch keiner ging zurück“ . . . Die Oboe singt das Lied, später zusammen mit der Klarinette, die Streicher pochen einen schier unheimlichen Rhythmus dazu. In einer atemraubenden Steigerung wird es zu einem schmerzhaften Aufschrei der Streicher geführt, um dann wieder in die verhaltene Resignation, die dem Satz seinen Charakter gibt, zurück zusinken. Scherzo und Finale sind dann wieder ganz dem Leben zugewandt. Das Scherzo, das unwirsch wie manchmal bei Beethoven beginnt,' besinnt sich schnell in den Holzbläsern auf freundlichere Töne, in die sich bald Wiener Walzerseligkeit mischt. Und das Finale ist ein einziger Freudenrausch, ein ungebärdiger C-dur-Rausch. Mit diesem Werk hat Schubert als Nachfolger und Fortsetzer Beethovens der Welt eine große Sinfonie geschenkt. Dr. Karl Laux