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STEINSAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Mittwoch, 2. Mai 1962, 19.30 Uhr F E STV E RAN STA LTU N C, ZU EHREN DES 1. MAI IN DER WOCHE DER K U LTU R F E S TT A G E DER GEWERKSCHAFTEN HO-Kreisbetrieb Tcxtil-Schuhe Dresden Dirigent Prof. Heinz Bongartz Solistin Annerose Schmidt, Leipzig LUDWIG VAN BEETHOVEN Ouvertüre zu „Egmont“, op. 84 Festansprache und Auszeichnungen zum 1. Mai WOLFGANG AMADEUS MOZART Serenata notturna für zwei Orchester, KV 239, D-Dur Marcia - maestoso Menuetto Rondo, allegretto RICHARD STRAUSS (1864 1949) Till Eulenspiegels lustige Streiche (nach alter Schelmen ¬ weise in Rondeauform), op. 28 PAUSE PETER TSCHAIKOWSKI Konzert für Klavier und Orchester, Nr. 1, b-Moll, op. 23 Allegro non troppo e molto maestoso Andantino simplice Allegro con fuoco HEINZ BONGARTZ (geboren 1894) Patria o muerte (Fidel Castro und dem kubanischen Volk in aufrichtiger Bewunderung gewidmet) Im Jahre 1810 hat Reethoven seine Musik zu Goethes Schauspiel „Egmont“ vollendet. Die Ouver türe dieser Musik ist am bekanntesten geworden. Eine langsame, qualvoll wuchtende Einleitung: schwer lasten Gewissenszwang und Heimatnot auf den Niederländern, nur verstohlen wagen die Bedrückten zum Himmel aufzublicken. Dann aber beginnt cs sich im Allegro zu regen. Noch ist die Grundhaltung ein gedämpftes Moll; doch schon faßt die gepeinigte Seele zuweilen lichte Hoffnung. Das Allegro wächst im Kampf zur offenen Empörung, zum Aufbegehren gegen die immer wieder hart dreinfahrende Faust des äußeren Schicksals. Strahlende Bläserakkorde erhel len den inneren Himmel, bis endlich im Schlußsatz jenes Thema aufrauscht, das den Sieg in brünstigen Glaubens über die Mächte der Finsternis versinnbildlicht. In leuchtenden Farben schließt diese Heldcnouvertüre. (Auszugsweise aus Meyers Konzertführer) Mozarts Sprache gibt uns in dem ausgcwählten Wcrkchcn ,,Serenata notturna“ (= „Nächtliches Ständchen“) keine Rätsel auf. Mozarts Tonbilder sind zwar meist in das Gewand seiner Zeit, des feudalen Rokoko, gekleidet; aber wir fühlen darin sein liebewarmes Herz pochen und sind von seinen anmutigen, innigen Melodien, dem Wohllaut und der Kraft seiner originellen Erfindungen immer aufs neue entzückt. Deshalb ist Wolfgang Amadeus Mozart wohl der bei Laien wie Fach musikern am meisten bevorzugte musikalische Großmeister, dessen bedeutendste Werke als unser klassisches Kulturerbe auch Eigentum unseres ganzen Volkes werden müssen. (Vor allem seine drei letzten Symphonien neben den Opern: Entführung aus dem Serail, Figaros Hochzeit, Don Juan und Zauberflöte.) Die heute erklingende Serenata bringt, von zwei kleinen Orchestern mit Pauken gespielt, einige charakteristische Bilder: zuerst - Narcia maestoso - einen gesellschaftlichen Aufmarsch großen Stils, dann als 2. Stück einen Tanz, ein gravitätisches Menuett, und als 3. Stück ein Rondo, einen freudig erregten Rundgesang, worin sich in heiterem Wechsel die musikalischen Gedanken um eine immer wiederkehrende Hauptmclodie drehen. „Till TLulenspiegels lustige Streiche — nach alter Scbelmenweise in Rondeauform fiir großes Orchester ge setzt" von Richard Strauss! In Weimar lernte der Komponist eine Oper „Eulenspiegel“ von Cyrill Kistler kennen, deren Inhalt ihn lange beschäftigte. Aber ein eigener Textentwurf für eine ähnliche komische Oper kam nicht über den ersten Akt hinaus. Schließlich entschied sich Strauss für die Tondichtung, für das „Rondeau“ (die französische Form Rondeau für das italienische Wort Rondo ist absichtlich gewählt!), für „den amüsanten Rundgesang in übermütiger formaler Verknüpfung lustiger Eulcnspiegclweisen, für den Purzelbaum der Persiflage und Keckheit, für das siegreiche Gelächter der Musik . . .“. Nach den Worten Wilhelm Furtwänglers ist der Till Eulenspiegel von Strauss „ein Geniestreich, Beethovens würdig“. Der Schelm als Künder bitterer Wahrheit; als Rebell, sollte unmittelbar aus der volkstümlichen Legende in die Strauss- schc Klangwclt eintreten, immer strahlend, lachend, dabei voller Verachtung für die Philister, die Dummen und Denkfaulen. Noch bei der Kölner Uraufführung 1895 lehnte Strauss eine detaillierte Erläuterung des Inhalts ab: „Es ist mir unmöglich, ein Programm zu ,Eulenspiegel‘ zu geben: Was ich mir bei den einzelnen Teilen gedacht habe, würde, in Worte gekleidet, sich oft seltsam genug ausnehmen, vielleicht sogar Anstoß erregen. Wollen wir daher diesmal die Zuhörer selber die Nüsse aufknacken lassen, die der Schalk ihnen verabreicht. Zur Erleichterung des Verständnisses dürfte es genügen, die beiden Eulenspiegelthemen mitzuteilen, die das Ganze in den verschiedenen Verkleidungen und Stimmungen wie Situationen durchziehen bis zur Kata strophe, wo Till aufgeknüpft wird, nachdem das Urteil über ihn gesprochen wurde. Im übrigen: lassen wir die lustigen Kölner erraten, was ihnen ein Schelm für musikalischen Schabernack angetan hat . . .“ Strauss erzählt die Volkslegende im leichtesten Tonfall, sprühend von Geist und Ausgelassenheit, nicht abgeneigt, auch einen richtiggehenden Gassenhauer zu pfeifen vom voll besetzten Orchester. „Eine hochentwickelte Kunst des klanglichen Apercus, eine glitzcrnd- wendige Kleinmalcrei, ein Fangballspiel mit den Motiven, ein Lachen und Huschen der Instru mente, ein sicheres Gefühl für Drastik und Anmut . . . die sonst kaum verwendete D-Klarinctte scheint zu lachen und zu kichern, die Hörner überschlagen sich förmlich, die Trompeten winseln kläglich, und in der Unterstimme des Kontrafagotts lugt Tills große Zehe hervor . . . Eulenspiegel hüpft mit seinen beiden kecken Hauptmotiven herein: das erste im Horn schalkhaft-tiefsinnig, das zweite, das eigentlich charakteristische Eulcnspiegelmotiv mit frecher Schelmengebärdc in