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Urlivbvrrocbtssctiutr: kunk llürmv-VorlLZ, tioilv (LaLlo) Sj Nachdruck verboten. Das lag ganz und gar nicht in den Wünschen Frau Sibylles, und als ihr Grovenstahl den Antrag machte, seine Gattin zu werden, willigte sie gern ein. Gerda Degener, ihre Tochter aus erster Ehe, die gleichen Alters mit Klaus war, weilte seit ihrer zweiten Verheiratung in einem Pensionat. Nun war auch Grovenstahl ge storben — schneller als sie dachte. Aber die Permögens verhältnisse, in denen er sie zurücklieb, mochten wohl günstiger sein, nnd das versöhnte sie einigermaßen. Sie hielt es für das beste, die Fabrik zu verkaufen. Klaus würde ja sowieso seine musikalischen Studien fortsetzen — und Fritz, der Aeltcste? Auch er sollte sein Studium vollenden und dann sein Leben nach seinem Geschmack cin- richtcn. Für ihn konnte Frau Sibylle nichts empfinden. Mit Klaus und Susanna haue sie schon wegen des Verkaufs der Fabrik gesprochen. Die beiden waren auch dafür. Blieb nur noch Fritz, und bei diesem Gedanken wurde ihr bange. Aber sie hoffte, daß ibr Gaue ihr testa mentarisch so viel Recht geben würde, um im Notfall auch ohne dessen Einverständnis handeln zu können. Nunmehr sollte Gerda zur bevorstehenden Beerdigung ihres Stiefvaters eintrcffcn, und Frau Sibvllc wollte sie avholen. Auch Maria Grovenstahl kam, um von ihrem Bruder Abschied zu nehmen. Sie war zwölf Fahre älter als der Verstorbene und unverheiratet geblieben. Als Fritz sie einmal gefragt haue, warum sic nicht geheiratet hätte, war ihm die Antwort geworden: „Ich war nie ein schönes Mädchen gewesen, aber einen Bräutigam hatte ich auch. Da kamen schwere Zeiten im Werk. Ich stellte meinem Valn, deinem Großvater, mein mütterliches Erbteil zur Verfügung. Als ich dies meinem Verlobten miuciltc, erschien ich ihm wohl minder be gehrenswert, und ich blieb allein. Es war nicht schade. Das Werk aber Hai mein Opfer gelohnt und mir die Treue aehallcn bis zum heutigen Tage." Von der Zeit an hatte Fritz die stille Frau noch höher geachtet. Feyt stand sie vor ihm. linier der altmodischen Haube sah das schneeweiße Haar hervor; die Lippen fest zu- sammcngeprcßl, musterte sic ihn mit scharscm Blick. Fritz sand, daß sie dieselben grauen Augen haue wie er. „Du bist ein echter Grovenstahl, Friedrich!" sprach sie da. „lind nun führe mich zum Vater." Wieder preßten sich ihre Lippen aufeinander, als wären es schon zu viel der Worte gewesen. Am Sarge stand sie aufrecht uns still, bis sie sich um- wandte und Fritz sowie den wachehaltendcn Arbeitern gcbon „Laßt mich allein!" Dau» kniete sie nieder und verrichtete ihr Gebet. Ehe sie ging, iral sic noch einmal zu vcm toten Bruder und sagte leise: „Nun wird es sich zeigen, Friedrich, ob vu ein echter Grovenstahl warst. Ich habe daran gezweifelt, als du vor einem Fahre..." Sie ' nterbrach sich und strich dem Toten mit einer unbeholfenen Bewegung über die Stirn. .Schlafe wohl, Bruder!" Dann ging sie hinaus. Als sie Fritz die Hand zum Abschied reichte, sagte sie: „Wir sehen uns morgen am Grabe — und nachher." Fritz haue sich vorgcnommen, so lange der Vaicr noch nicht in der Erde ruhte, die Fabrik nicht zu betreten. Eines teils waren es Pictätsgründe, andcrntcils wollte er erst die Tcstamentseröffnung abwartcn, um zu scheu, welche Rechte ihm der Pater über das Werk einrüumcn würde. Trotzdem mußte er am Nachmittag hinaus, da seine An wesenheit dringend notwendig wurde. Aber ocs Vaters ! Zimmer betrat er nicht. Es war spät, als er wieder in der Villa eintras. Doch fanv er die Familie noch am Abcndtisch versammelt. Gerda Degener war angckommen. Da Fritz Grovenstahl an der Hochzeit des Vaters nicht tcilgenommen, und Gerda nur dieses eine Mal im Hause Grovenstahls geweilt hatte, kannten sic einander gar nicht. Ein wenig befangen, reichte Gerda nach der Vorstellung Fritz die Hand, und dieser mußte sich gestehen, daß er sich dieses Mädchen anders vorgeslellt hatte. Gerda Degener war klein, hatte braunes Haar und braune Augen, was beides zu dem lieben, stillen Gesicht paßte. Das schönste aber waren ihre seinen, schmalen Hände, und als Fritz sie in seiner großen Rechten hielt, dachte er, es müsse gut sein, sich von diesen Händen strei cheln zu lassen. Trotzdem war er kühl und schweigsam. Als dann Frau Sibylle nach der Mahlzeit alle Anwesenden aus ihr Zimmer bat, entschuldigte er sich mit Arbeit. Oben auf seinem Zimmer überdachte er noch einmal die Lage. Das Werk mußte gehalten werden — auf jeden Fall! Doch wie? Das wußte er selbst noch nicht. Vielleicht war es möglich, eine zweite Hypothek aufzunchmen, um die erste zu tilgen. Eines aber stand fest: die bisherige Lebensführung der Familie mußte aufgegeben werden. Darin mutzte eine Aenderung vorgenommen werden, und -war eine gründliche. Wenn die Villa verkauft wurde, war sicher eine hohe Summe aus ihr zu lösen. Freilich würde sich die Stiefmutter dagegen wehren, das mutzte Fritz. LLer fchließlich mutzte auch si--etnseben. daß sie ohne die Fabrik nicht leben konnte. Sic mutzte von der Notwendig keit der Erhaltung der Fabrik überzeugt werde». Sein Auge glitt über das vollbesetzte Bücherregal. Da mit war es auch aus. Sein Studium mußte er aufgeben, denn die Fabrik würde seine ganze Kraft gebrauchen. Würde er sie überhaupt leiten können? War er nicht noch zu jung? — Einmal eilten seine Gedanken zu Mary Regen- Hardt, und da zogen sich seine Mundwinkel nach innen. Obwohl er cs sich nie eingestanden, hatte er doch sein ganzes junges Herz an sie verloren. Das war nun auch vorbei, und es war gut so. Sicher hätte sic nie zu ihm gepaßt. Auch an Gerda dachte er und schalt sich einen Toren, daß er sich vorhin durch ihr Aeußercs hatte beeinflussen lassen. Auch sie Würde nichts weiter tun als den anderen helfen, ihm das Leben schwer zu machen. Längst hatte Fritz empfunden, wie sehr ihm in den letzten Jahren seine Geschwister entfremdet waren. Sic standen völlig auf der Seite der Stiefmutter... Die Arbeiter hatten den Sarg ihres toten Herrn von dem Wagen an die Familiengruft getragen. Unüberseh bar war die Menge, die folgte. Es schien, als ob der Tote auf Erden nur Freunde gchalu hätte, und alle gäben ihm nun das letzte Geleit. Da standen alle seine Arbeiter, rauhe Gesellen mit unter, die still vor sich hinsahen und verlegen die Mützen in den Händen drehten. Aber auch die Großen von Wirt schaft und Finanz waren da. Fragte sich nur, wer ihm ein besseres Andenken bewahren würde. Von der Stadt her läuteten die Glocken, und in der nahen Fabrik heulten di» Sirenen. Sie grüßten ihren Herrn zum letzten Male. Ter Geistliche sprach gute, das Andenken des Toten ehrende Worte. Dann sank der Sarg hinab. Fritz sah ihm mit starren Augen nach. Er fühlte sich plötzlich verlassen — so grenzenlos allein. Als er sich einmal umwandte, sah er in der Nähe Lisa Roschwitz neben ihren Bruder stehen. Sic nickte ihm tröstend zu, und es schien, als ob ihm leichter wäre. Dann wurde die Gruft geschlossen, und viele, viele Kränze häuften sich zu einem Hügel darüber. Noch einen Blick warf Maria Grovenstahl darauf, dann legte sie ihre Hand auf den Arm des Neffen und ließ sich zum Wagen führen. Die anderen waren schon vorausgegangen. „Ich glaube, es werden schwere Tage kommen, Fried lich. Aber vergiß nie, daß du ein Grovenstahl bist." Aritz nickte wortlos. Als Susanna in den Wagen ihrer Stiefmutter stieg, schritten gerade Lisa und Kurt Noschwitz vorüber. Beide grüßten, und Susanna fühlte, wie ihr unter dem Blick des Doktors die Nöte ins Gesicht stieg. Kurt Noschwitz be merkte es auch, und er fand, daß Susanna in diesem Augenblick noch reizender aussah als sonst. Seine Augen hielten den davonrollendcn Wagen fest, bis er in den Mcn- schcnmassen untertauchte. Als die Geschwister am Abend bei Tisch saßen, meinte Lisa zu Kurt: „ES war ein schwerer Schlag für deinen Freund." „Ihm wird die Arbeit über das Schwere hinwcg- helfcn!" war des Bruders Antwort. Lisa sann eine Weile nach. „Glaubst du, daß von Arbeit allein ein Mensch glücklich werden kann?" „Menschen von der Art Fritz Grovenstahls bestimmt." „Du könntest es nicht?" fragte die Schwester scherzend. „Hör mal! Kannst du Gedanken lesen? Fch habe näm lich eben erwogen, wie sich eine kleine Frau neben mir ausnehmcn würde." „Tann werden wir beide uns also trennen müssen, Bruder?" „Schwcstcrlcin, sei so gut und red nicht so dumm daher. Die ich meine, ist ja noch ein halbes Kind. Ueber- haupl, ich weiß ja vorerst nur, daß sie mir gefällt. Und jetzt sprechen wir nicht mehr davon, und du schenk mir bitte noch einmal Tee ein." Lisa erfüllte lächelnd das Gewünschte. Draußen aber jagte der Aprilsturm schwere Negen- und Schneeschauer vor sich her, und auf dem frischen Grabe des Friedhofes starben die Vorfrühlingsblumen. Drittes Kapitel. Eine Woche nach dem Tode Friedrich Grovenstahls fand die Testamentseröffnung statt. Im großen Fämilicn- zimmer hatten sich Frau Sibylle, Fritz, Klaus und Susanna Grovenstahl vcrsammclt, um die letzten Ver fügungen des- Toten zu hören. Aus den Gesichtern der vier Personen lag die Er wartung. Hauptsächlich Klaus- konnte eine gewisse Ner vosität schlecht verbergen. Wiederholt schaute er nach der Uhr hin. Endlich meldete der Diener den Notar, Justizrat Werner. Nach kurzer Begrüßung nahm dieser an dem für ihn bestimmten Tische Platz. Aus seiner Aktentasche griff er ein Schreiben, dann ging sein Blick noch einmal über die Anwesenden. Er nickte und begann. „Im Auftrage des verstorbenen Fabrikbesitzers Fried rich Grovenstahl eröffne ich das Testament." Bei Nennung des Namens ihres Vaters verlor Susanna die Faskunn und weinte leise nor kick, bin. So sah sie nicht, daß der Notar das verschlossene Testaments herunrreichte, um das unverletzte Siegel prüfen zu lassen.' Erst sein kurzes „Bitte!" brachte sie zur Besinnung, und' sie nickte flüchtig. Es war still in dem Raum, so still, daß das Aus schneiden des Umschlages ein laut hörbares Geräusch ver ursachte. Der Notar erhob sich und las: „Gott der Allmächtige ist mein Zeuge in der Ewig keit, sowie Notar Doktor Werner und Ingenieur Weib- linger meine weltlichen, daß ich vollkommen klaren Geistes diesen meinen letzten Willen eigenhändig niederschrieb. Nach der mit Notar Doktor Werner getroffenen mündlichen Vereinbarung findet die Eröffnung meines Testamentes eine Woche nach meinem Tode statt. Hiermit bestimme ich meinen ältesten Sohn, Fried rich Karl Grovenstahl, zum Oberhaupt der Familie. Als solches erbt er die Maschinenfabrik .Friedrich Grovenstahl' mit sämtlichen dazu gehörenden Baulich keiten, sowie die Villa und alles lebende nnd tote Inventar. Meine jüngeren Kinder Klaus nnd Susanna sind mit je 250 000 Mark an der Fabrik beteiligt. Meine Ehefrau Sibylle Charlotte ist ebenfalls mit 250 000 Mark an der Fabrik beteiligt. Meine Kinder Klaus und Susanna dürfen frühe stens am Lage ihrer Mündigkeit, also an dem Tage, an dem sie ihr 21. Lebensjahr vollenden, in den Genuß ihres Erbes treten. Meiner Ehefrau steht es frei, das Geld in der Fabrik zu belassen oder es nach ihrem Gutdünken zu ver wenden. Würde jedoch durch eine etwaige Auszahlung eines oder mehrerer Erbteile, ganz gleich, ob an meine jüngeren Kinder Klaus oder Susanna, ober an meine Ehefrau, der Betrieb der Fabrik gefährdet werden, so steht meinen, Sohne Friedrich Karl, als Oberhaupt der Familie und eigentlichem Besitzer, das unwiderrufliche Recht zu, die Auszahlung zu verweigern. Hingegen haben die anderen Erben das Recht, am fünften Jahrestage meines Todes Vie Auszahlung von mindestens der Hälfte ihres Erbes zu fordern, während vie andere Hälfte ihres ErbeS spätestens an meinem zehnten Jahrestage des Todes ausgezahlt werden muß, falls es dieselben nicht vorziehcn sollten, ihren Anteil auch weiterhin im Geschäftsbetriebe der Fabrik zu be lassen. Die letztgenannten Erben sind mit ihrem Erbteil bis zur vollständigen Auszahlung desselben an Gewinn und Verlust ver Fabrik beteiligt. Folgen noch Unterschriften und Beglaubigungen." Erst ein Räuspern vcs Notars unterbrach vaS tiefe Schweigen. Er erhob sich und beglückwünschte vie Erben. Fritz dankte ihm im Namen aller für seine Mühe, und ver Notar verabschiedete sich. Minuten war cs unter den Zurückgebliebenen noch still, bis Fritz fragte: „Ich hoffe, es hat niemand etwas an Vein Testament Vcs Vaters auszusetzen?" Alle verneinten. Susanna unv Klaus sah man die Gleichgültigkeit an, mit ver sie Vas eben Gehörte auf nahmen. Nur Frau Sibylle konnte ihren Acrgcr schlecht verhehlen. Sie hatte mehr erwartet, voch mar auch sie zufrieden. Nur vaß Fritz, ver älteste Sohn, diesen Sieg über sie errungen hatte, saß wie ein Stachel in ihr. Fritz, ver im Zimmer umhergcgangen war, trat heran unv blieb vor seinen Geschwistern unv Frau Sibulle stehen. „Mein Vater Hal mich zum Oberhaupt ver Familie bestimmt. Ich bin jung, unv vaher bitte ich euch, mir zu helfen — auch vich, Mama!" sagte er versöhnend Er wollte es ihnen ja leichl machen. Klaus und Susanna reichten denn auch dem Bruder die Hanv. Nur Frau Sibnlle bemerkte trotzig: „Ich habe nicht gedacht, vaß vu Viesen Mummenschanz aufnehmen würvest. Ich meine, ich habe keinen Wächter notwendig." Fritz Grovenstahls hohe Stirn rötete sich, und fest sah er seiner Stiefmutter ins Gesicht, die unter diesem Blick die Augen senkte. „Mit sein letzteren hast du recht, und ich denke nicht varan, dich in seinen persönlichen Entschlüssen zu be einträchtigen. Nur in Angelegenheiten. Vie vie gesamte Familie betreffen, werde ich meinen Willen geltend machen. Das sage ich hiermit ein für allemal. Da ich erst über unsere augenblickliche Geschäftslage einiges zu sagen habe, bitte ich euch in einer halben Stunde auf mein Arbeitszimmer." Kali unv schneidend hatte seine Stimme geklungen. Die Geschwister sahen ihm bevrückt nach. So hatten sie ihren Bruver noch nie sprechen hören. Frau Sibylle war erblaßt. Sie fühlte sich in ihrem Stolz getroffen, und doch war es nur ihr Egoismus, der sich aufbäumte, dagegen sträubte, die Herrschaft, die sie bisher in diesen Räumen geführt hatte, an ihren kaum erwachsenen Stiefsohn abzutreten. Sie fühlte sich von Fritz geschlagen. Aber ihre Eitelkeit reizte zum Wider- spruch. Ihre Stimme vibrierte, als sie sich an Klaus und Susanna wandte: , „Tas lasse ich mir nicht bieten! Nein — ich nicht! Er^ soll seinen Familienrat abhaltcn, mit wem er mag. Ich gohe nicht hin. Von ihm lasse ich mir keine Vorschriften j machen I" „Aber Mama!" begütigte Klaus. „Fritz hat es gewiß j nicht so gemeint, wie du es auffaßt." „Nein, Klaus. Mama Hai recht, Fritz hat nicht schön j gesprochen", begehrte Susanna auf. Klaus zuckte die Schultern. „Mag sein, aber ich bitte § dich, nicht zn vergessen, daß wir vorläufig von Fritz ab« bänaia sind." c^orttetcuna kolot.1 ,