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Zur Jahreswende Das alte Jahr geht zu End«; ein neues Jahr will be ginnen. Dem besinnlichen MensÄM sind die letzten Stunden dieser 365 mal 24 Stunden, die nun ins Meer der Ewigkeit versinken, Gelegenheit zur stillen Rückschau. Der Inhalt von zwölf Monaten zieht noch einmal an uns vorüber, von zwölf Monaten, die nach unserem Wunsch voll Arbeit waren, voll Sorge, voll Leid, aber manchmal auch voll Freude und Glück. Jetzt liegt das alles hinter uns. Die Rechnung ist ausgeglichen, wie schauen auf Soll und Haben und wir sind froh, daß die Zeit vergessen hilft, daß manches nun in der Rückschau anders aussieht, als im zeitlichen Augenblick. Manches ist anders gekommen, als wir gehofft haben, manches besser, als wir fürchten mußten, manches nicht so, wie es unser Wunsch war. Aber siehe an, wir haben es noch einmal geschafft im alten Jahr; wir haben Hindernisse genommen, in kühnem Schwung, wenn der Schwung in uns war; wir sind auch drum herum gegangen oder drun ter durch, wenn es anders sich nicht machen ließ; aber nehmt alles nur in allem, wir sind auf der anderen Seite. Gewiß, wir haben Wolle lassen müssen, aber die Wolle wächst nach. Und, wir wollen ihn in dem neuen Jahr aufs neue auf nehmen, den alten Kampf und, schöpfen wir die Kraft aus den vergangenen Kämpfen, wir werden ihn auch im neuen Jahr durchfechten. Lassen wir das alte Jahr sterben. Be grüßen wir das neue Jahr! Wir missen, es tritt nicht leicht und unbeschwert über die Schwelle der Ewigkeit. Auch ihm wird mancherlei aufgeladen sein an Lasten, die wir müssen tragen helfen. Aber es kommt und es soll uns bereit finden. Wir wollen nicht abseits stehen, wir werden anpacken. Wir werden schaffen, wir können es, das wissen wir; und wir werden uns den Raum und den Platz für die Arbeit er zwingen. Wir sind mit dem alten Jahr fertig geworden und das neue soll uns nicht schwach finden. Wir marschieren hinein in 1935 mit der Gewißheit: Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag! -s. Zum neuen 3M Von Eduard Mörike. Wie heimlicherweise ein Enyelein leise mit rosigen Füßen di« Erde betritt, so nahte der Morgen. Jauchzt ihm. ihr Frommen, ein heilig Willkommen, ein heilig Willkommen! Herz, jauchz« du mit! In Ihm sei's begonnen» de: Monde und Sonnen an blauen Gezeiten des Himmels bewegt. ' Du Vater, du rat«, lenke du und wende! Herr, dir in die Hände sei Anfang und Ende, sei alles gelegt! MM RMHr! Lin Kapitel Kulturgeschichte vom Zutrinken. Wenn in der Nacht vom 31. Dezember zum 1. Januar die Glocken klingen und das neue Jahr anzeigen, dann neh- imen wir die Gläser in die Hand und stoßen damit an und wünschen uns gegenseitig mit dem Zuruf „Prosit Neujahr", daß es uns in dem neuen Jahr wohl ergehen möge. Wir stoßen auch sonst bei gegebener Gelegenheit mit den Glä- zsern an und wünschen uns gegenseitig Gutes und trinken Darauf, aber Anstößen und Zuruf und Trinken haben in der Nacht des Jahreswechsels etwas von ihrer ganz ur sprünglichen Bedeutung behalten, der Bedeutung des Kult- Vorganges, der feierlichen Zeremonie, aus der heraus Zuruf und Zutrlnken gekommen sind. Die Sitt«, des Nächsten Wohl zu trinken, Ist uralt und in irgendeiner Form bei fast allen Völkern und überall auf der Erde anzutreffen. Ueberall ist die Zeremonie feierlich und bei Naturvölkern auch heute noch eine Kulthandlung, während sie — leider — bei den Völkern mit fortgeschritte ner Zivilisation wie io vieles andere alte Kult- und Kul turgut veräußerlicht ist und oft kaum mehr als eine inhalt los«. gewohnheitsmäßige Teste. > Von den Griechen wissen wir aus Homer und anderen Schriftstellern, daß die Sitte des Zutrinkens bei feierlichem Mahl, aber auch bei anderen Gelegenheiten, beim Willkomm «in«s Gastes oder beim Abschied von Freunden, ein wohl- geregeltes Zeremoniell war, bei dem auch die Götter ange rufen wurden. Aehnlich war es bei den Römern, bei denen «s noch «ine Rangordnung, nach der man sich zutrank, gab. Von den Kelten und Germanen erzählen uns die römischen und griechischen Schriftsteller, daß sie sich beim Mahle und bei festlichen Gelegenheiten mit grüßenden Worten zutran ken und es galt als ein Schimpf, einem Mann« den Zu trunk zu verweigern oder ihn abzulehnen. Daß die Koten sich gegenseitig mit dem Ruf Heil zutranken, wissen wir aus einem römischen Epigramm, das im lateinischen Text die entsprechenden gotischen Worte enthält und im übrigen sehr bissig und boshaft diese Sitte glossiert. Karl der Große hat leinen Kriegern, solange sie unter Waffen standen, das ge genseitige Zutrinken verboten, da es dabei häufig zu Strei tigkeiten kam Dem gotischen Trinkspruch ähnlich ist der angelsächsische Trinkspruch,der „waß Hail" lautete und nach dem jetzt noch die englische Weihnachtsbowl« wassel-bowl genannt wird. Nach der alten englischen Sitte, daß der jenige. der ein« Gesundheit ausbrachte, eine geröstete Brot- jchnitt«, auf englisch toast, in den gefüllten Becher warf wird heute noch, auch außerhalb Englands, ein Trinkspruch Toast genannt. Ursprünglich war es so. daß der Becher, mit dem eine Gesundheit getrunken wurde, die Reihe um machte und jeder Gast aus dem einen Becher trank. Diese Sitte hat sich in dem konservativen England für feierliche und.offizielle Gelegenheiten bis heut« erhalten, wir finden sie auch noch im deutschen Sludementum und bei Zünsten und Bruder schaften Im allgemeinen aber wurde die Sitte des ..Becher- kreilens" ersetzt durch die Sitte des Anstoßens Die Sitte das Glas, mit dem man eine Gesundheit ausgebracht hat. zu zerschlagen, beruht daraus daß niemand mehr nachher das zu so feierlichem Tun benutzte Trinkgefäß benützen, es sozusagen entweihen sollte. Wie sehr ursprünglich das Gesundheit-Trinken eine Kulthandlung, eine religiöse Zeremonie war (und diese Kulthandlung ist in einer anderen Form, von der in diesem Zusammenhang nicht weiter gesprochen werden kann, ja auch in den christlichen Kultus übergegangen), ergibt sich daraus, daß das Zutrinken vor allem in den nordisch-ger manischen Ländern sich hat eine christliche Umformung ge fallen lassen müssen. Es ist dies der Gebrauch, zum Gedächt nis der Heiligen zu trinken, so wie man früher in der heid nischen Zeit zum Gedächtnis der Götter getrunken hatte. Es ist dies das sogenannte Minnetrinken. Dieses Minnetrinken zu Ehren Gottes und der Heiligen muß sehr überhandge nommen haben, denn die Kirche wandte schon im frühen Mittelalter ihre ganze Autorität an, um es zu unterdrücken. Das gesäMh sicherlich nicht, nur weil sie darin die Umwand lung eines heidnischen Gebrauches sah, sondern vor allen Dingen, weil di« Gelegenheit, Heiligenminn« auszubringen, bei der großen Zahl der Heiligen zu häufig vorkam und di« Trinker vor lauter Trinkfreudigkeit nicht mehr richtig nüch tern wurden. Aber mindestens die Nam«n, wenn auch viel leicht nicht mehr der alte Brauch der Gertrauden- und St. Johannesminne, haben sich bis in unsere Tag« erhalten. j Aus den mancherlei Formeln des Zutrinkens ist nun das herkömmlich« und etwas gedankenlose Prosit geworden, oder abgekürzt Prost. Wie viele von denen, die beim Zu trunk dieses Wort gebrauchen, wissen eigentlich, woher es stammt, und was es bedeutet? Es stammt aus dem Latei nischen und ist der Konjunktiv eines Zeitwortes prodesse, was so viel heißt wie förderlich sein, nützlich sein. Von den ge lehrten Humanisten des Mittelalters haben es di« Studen ten übernommen und dann ist es allgemein geworden. Die ses Prosit wörtlich übersetzt, daß es Dir nützlich sei, ist seiner Bedeutung nach also nichts anderes, als unser gutes deut sches wohl bekomms und es wäre ganz gut, wenn der deutsche Ausdruck den sinnlos geworden«« lateinischen Ausdruck wie der ersetzen könnte. Freilich, es wird schwer sein, denn wir! sind nun einmal daran gewöhnt, am Silvesterabend, wenn die Mitternachtsstunde begonnen hat, das neue Jahr zu be grüßen mit Prosit Neujahr. ReujM an der Saar Von Georg Beßler. Wenn zur mitternächt'gen Stunde Froh die Neujahrsglocken läuten, Wißt ihr auch, ihr deutschen Brüder, Was die Klänge uns bedeuten? Es erwacht das Jahr der Freiheit, Lange Knechtschaft wird begraben. Die in Not, doch auch in Treue Duldend wir getragen haben. Und nun zählen wir die Tage Und die Stunden, die uns trennen. Um für alle Ewigkeiten Uns zu Deutschland zu bekenne,». Leuchtend füllen die Pokale Unsrer Berge goldne Weine, Bruder, reichet euch die Hände Vcn der Saar bis zu dem Rhein«. Heute fallen schon die Grenzen, Die die Willkür uns gezogen. Auf der Liebe güldnen Pfeilern Spannt die Treue ihre Bogen. Also spricht des Saarlands Sehnen Zu euch in der Jahreswende: Treu um Treue sei die Antwort, helft, daß all« Knechtschaft ende! Amerragt und unerschrocken Gedanken zum neuen Jahr 1935. Wieder stehen wir an der Schwell« der Zeil zwischen dem alten und neuen Jahr. Noch einmal blicken und den ken wir zurück. Wie steht ss um uns? Wieviel Unruhe und Unfriede!,, Haß und Hetze quälten auch im vergangenen Jahr diese Erde und ihr« Kinder! Wie oft ging auch un ser Weg durch „soviel Angst und Plagen, durch Zittern und durch Zagen . . ." Lag vielleicht auch über des einen Weg freundlicher Schimmer des Glücks und des Erfolges strahlender Glanz, so weiß der andere nur von mühevollem Suchen und Schreiten durch Dunkel und Dämmer der Sor gen, durch wache Nächte voll Kummer und Weh. Und füg ten sich hier Hände zusammen zum Lebensbund, so riß der Tod dort um so unerbittlicher auseinander, was eines Men schenherzens ganzes Glück, eines Lebens einzige Hoffnung war . . . „und was dies Jahr umschlossen, was Gott der Herr nur weiß, di« Tränen, die geflossen, die Wunden bren nend heiß" . . . „Lasset euch in keinem Weg erschrecken , . .", so sagt ein Gottesmann, der große Völkerapostel, der selbst manchen schweren Weg gehen mußte. Unverzagt und unerschrocken, das soll auch unsere Parole sein im neuen Jahr, die wir als Christen für unser Volk ausgeben. Je dunkler der Hintergrund, desto Heller möge dies zuversicht liche Wort darauf leuchten. Nichts, aber auch gar nichts von den finsteren Möglichkeiten des neuen Jahres soll uns schrecken dürfen, denn nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes. Das ist das offene Geheimnis des neuen Jahres für Christenmenschen, darum sie andre wohl benei den mögen, vor dem alle Schatten und Schrecken weichen, weil sie für das ganze Jahr vorauswissen, was ihnen wider fahren wird: nichts als Gottes Wille! Wohl gehen auch sie dahin durch unfaßliche Rätsel, aber ein Auge steht offen über allen Rätseln, dringt in ihr« geheimst«» Tiefen, wohl wandeln auch sie machtlos durch die Geschehnisse eines Jah res, vorbei an Schlüm>en und Abgründen, aber da ist eine Hand, die sie hält, und nichts kann sie aus dieser Hand reißen. Aus aller Not und Sorge, Bedrängnis und Trüb- al dürfen sie sich dahin flüchten. Gewiß, diese Vaterhand chont sie nicht, wo es sich um ihr Bestes, ihrer Seele Wer ren und Wachsen handelt, es bleibt ihnen nichts erspart vom Ernst und Schrecken des Lebens, aber es geht zum guten Ende. Darum unverzagt und unerschrocken, „lastet! euch in keinem Weg erschrecken". Mit diesem Wort vom „Vater" hat einst in einer Welt voller Schrecken das neue Leben begonnen, nach dem wir alle unsere Jahre zählen. So wollen wir auch dies neue Jahr damit getrost begin nen, durchwandern, beenden. Wir wollen uns durch nichts erschrecken lassen, sondern dem vertrauen, bei dem auch tau send Jahre nur sind wie das Jahr, das gestern vergangen ist. Alles Fragen und Rätselraten hilft doch nichts, besser ist das Vertrauen und die Sehnsucht „nach dem Unnenn baren, wohl taufend Meilen hinter dem Morgenrot", der uns aber doch so nahe sein will, wie ein Vater seinen Kin dern. und dem wir getrost alles ans Herz legen dürfen. Lie Entstehung des Kalenders Wenn das neue Jahr seinen Lauf beginnt, hält auch ein bewährter unentbehrlicher Berater im neuen Gewände in den Haushaltungen seinen stillen Einzug: der Kalender. Die Bescheidenheit, mit der der treue Geselle seinen Platz auf oder über dem Schreibtisch, an der Wand oder an sonst einer nicht allzu verborgenen Stelle einnimmt, läßt nichts davon merken, wie viel Zeit, Mühe, Arbeit, wieviel Strei tigkeiten, Umwandlungen und Aenderungen es brauchte, bis der stumme Hausgenosse in seiner heutigen Form bei uns unangefochten seine schweigsame und doch so nützliche Tä tigkeit ausüben konnte. Der Kalender enthält die Jahreseinteilung. Früher beobachtete man zur Jahressinteilung entweder den Um lauf des Mondes um die Erde oder auch den Ablauf der Jahreszeiten. Der älteste römische Kalender rechnete das Jahr wahrscheinlich mit zehn ungleichen Monaten. Erst König Numa führte das Mondjahr mit zwölf gleichen Mo naten ein. das im wesentlichen die jetzt üblichen Monats namen enthielt. Die Dezemvirn (Decemoiri, „zehn Män ner", bei den Römern ein zu einem bestimmten Zweck er nannter Ausschuß) führten dann im Jahre 153 v. Ehr. den 1. Januar als Tag ein, an dem der Antritt der Konsuln stattzufinden hatte. Pa die Umlaufzeit des Mondes, zwölfmal genommen, weniger als ein Jahr ausmacht, war die Einschaltung von Tagen nötig, um im Jahre stets die regelmäßige Wieder kehr der Jahreszeiten zu erhalten, also eine Verschiebung zu vermeiden. Dies war zunächst Aufgabe der Priester. Erst Julius Cäsar legt« der Berechnung des Jahres den Umlauf der Erde um die Sonne zugrunde oder, wie man damals sagte, das Sonnenjahr. Es wurde in 365 Tagen eingeteilt und alle vier Jahre wurde ein Schalttag eing«- fügt. Der julianische Kalender blieb in Kraft bis 1582, wo Papst Gregor als wichtigste Aenderung bestimmte, daß in dem letzten Jahre eines Jahrhunderts keine Schaltung statt- sinden düvf«, es sei denn, daß sich die Zahl der dann ver flossenen Jahrhunderte durch vier teilen lasse, was im Jahre 2000 der Fall sein wird. An und für sich war der Kalender ein Verzeichnis der allgemeinen Kirchenkekte und Gedächtnistage der Heiligen.