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Großmutters Nähkörbchen. Großmütterchen,'wie lange ist es her, Daß ich, mein Kindcrherz von Stolz ganz schwer, Zuletzt dein Nahkörbchen hab' aufgeräumt? — So lang fast, als dein lieber Mund schon schweigt Die Trauerweide auf dein Grab sich neigt, Und Immergrün in breitem Kranz es säumt. Und ist mir doch, als ob's erst gestern war, c Da du mir leise übers wirre Haar Mit deiner gütevollen Hand geglitten, Wenn du, das alte Körbchen neben dir, An deine Seite mich gewinkt und mir Vom Antlitz lasest all mein stummes Bitten: Wer hatte nur die Farben all' erdacht? Von Rollen, Röllchen strahlten sie voll Pracht, An Döckchen, Strängchen, wollgeflochtnen Zöpfchen, Ein Nadelbüchschen gab's, Großmutters Stolz, Das roch ganz furchtbar fein nach Sandelholz, Ein Beutelchen war da mit goldnen Knöpfchen. Und eine Schere gab es auch von Gold, Ein Zentimetermab, halb anfgerollt, Und Fingerhüte, farbenbunte Kreiden, Auf samtnen Kiss'chen Nadeln ohne Zahl, Sie stachen in die Finger manches Mal, Und deshalb mochte ich sie nicht gern leiden. Ein Stückchen Wachs, an dem ich mal geleckt, Betrog mich, weil's nach Honig nicht geschmeckt, Darüber trösteten mich seine Spitzen Und schöne Quasten, bunte Kordeln vieler Art, Bänder von Samt nnd Seide, weich und zart, Und wirklich silberne nnd goldne Litzen. Gern hätt' beim Körbchen Stunden ich gesäumt, Doch einmal war es gründlich ausgeräumt, Großmütterchen sah staunend daraus nieder Nnd sprach: „Das hast du aber fein gemacht, Daß du'S so könntest, hätt' ich nie gedacht, Ich kenn mein Nahkörbchen fa kaum mehr wieder!"