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Z ü R EINF Ü HRU N G Heinrich Kaminski (1886-—194.6)' wird oft als (iotiker angesprochen. Seine Art des Komponicrens fördert dazu heraus, dieses Urteil zu fällen. Die stärksten Impulse seines Schaffens fließen aus seiner religiösen Weltanschauung . — der protestantische Choral und der Melodiezug der Gregorianik drücken seiner Musik ihren Stempel auf. Kaminski hatte darüber hinaus einen Hang zur Mystik, der ihn zu einem Einzelgänger machte. Sein Schaffen ist stark archaisierend, das heißt, daß er Formen und For mein solcher alter Musik aufgriff, die ebenfalls religiös fundiert ist. Es ist deshalb nicht verwunder lich, wenn Kaminski sich so sehr in die Barock musik einlebt, daß man wohl einzig bei ihm von einem wirklichen Neubarock sprechen kann. Das Concerto grosso für Doppelorchester vom Jahre 1922 nimmt solche Gepllogenheiten barocken Musizierens auf. Das Konzertieren ist im Grunde immer polyphon, es stellt eine vom Symphonischen verschiedene Art, des Musizierens dar. Kanonische Führungen, Imitationen, fugierte Stellen, Kontra punktik sind Hauptmerkmale dieser Musik, Der 3. Satz ist eine großangelegte Fuge, die allerdings mehr das bizarr-verschnörkelte Wesen des Barock, als sein Kraftgefühl zum Ausdruck bringt. Mit einem Doppelorchester zu musizieren ergibt viele Möglichkeiten barocker Wirkungen: hart neben einander gestelltes Laut und Leise in Form des Echos, die Streicher hier gestrichen, da gezupft, die Bläser und Streicher in dem einen Orchester mit, im anderen ohne Dämpfer, so daß schon daraus eine Fülle von Klangmöglichkeiten resultiert. Kaminski beginnt sein Werk mit einem gewaltigen Kanon: das 2. Orchester spielt einen Takt später die Musik des 1. Orchesters nach — und Kaminskis polyphone Kunst ist durch das gesamte Werk hindurch zu ver folgen und zu bewundern. Die drei Sätze gehen ohne Pause ineinander über, sie stellen den Versuch dar, in unserer Zeit die musikalische Dombaukunst wieder lebendig werden zu lassen. Nun ist Kaminski aber zu gleicher Zeit ein so romantisch-empfind samer Mensch, was sich in seinem Hang zu immer währenden Temposchwankungen ausdrückt. Dieses fast unmerkliche Verlangsamen und dann wieder lirregtwerden seiner Musik kündet eigentlich von einer modernen Nervosität. Und dieser Zwiespalt macht den persönlichen Reiz von Kaminskis Musik aus: hier die Monumentalität, da die nervöse Zer faserung. An der VIII. Symphonie arbeitete Bruckner von 1884—1887, dann unterzog er sie einer gründlichen Überarbeitung, die wiederum mehrere Jahre dauerte, so daß man sagen kann, daß er von 1884 bis 3890 über dem Werke saß und grübelte. Bruckner war ein zutiefst religiöser Mensch von einer fast naiven Gläubigkeit und Frömmigkeit, als Mensch unbeholfen und weltfremd. Er lebte in einer Welt für sich, in einer Welt der träumerischen Inbrunst, der Hingabe an die Jenseitigkeit, in einer gigantischen Welt der Phantasie. Es ist unmöglich, die Fülle seiner inneren Gesichte, den Reichtum seines Gcslalturigswillens, den Über fluß an Einfällen, die gerade seine vorletzte Sym phonie auszeichnen, auch nur einigermaßen in Worten anzudeuten. Bruckner erschreckt, beinahe durch die Gewalt seiner Visionen. Im 1. Satz sind cs nicht nur die drei Themen, sondern ein Übermaß von wichtigen musikalischen Nebengedanken, die auf den Hörer einstürmen, ihn verwirren und zum er staunten Schweigen zwingen — daneben eine Steile von außergewöhnlicher Größe, die das 1. Thema mit der Vergrößerung des zweiten kontrapunktisch ver knüpft, die zur Ehrfurcht anleitet. Demgegenüber die urgesunde, kernige Musik des Scherzos mit seinen 6 wichtigen Motiven, denen im Trio andere 6 Motive entgegenstehen. Bruckner nannte diesen Satz den ,,deutschen Michel“. Vom Adagio sagt man. daß es zu den tiefsten und größten Offenbarungen der symphonischen Musik überhaupt gehöre. Es baut sich aus einergroßaligelcgtenThemenaufstellung (Exposition), zwei riesenhaften Variationen und einem Schluß (einer Coda) auf. Neben den scharf profilierten Themen viele Nebengedanken von fast gleicher Wichtigkeit! Bruckner verströmt sich in Melodien: Und dann reckt er sich zur übermensch lichen Größe seines Finale auf. Drei Themen'kennt wiederum dieser Satz — aber nicht genug damit: am Schluß des Werkes nimmt er die Hauptthemen aller 4 Sätze und vereinigt sie in einer ungeheuerlichen Apotheose zu einem riesenhaften Schlußstein. Man steht erschüttert vor diesen Zeugnissen einer außer gewöhnlichen geistigen Kraft, die Bruckner in diesem Werke offenbart — eine Geistigkeit, die sich in seiner großen kombinatorischen Veranlagung äußert, solche gegensätzlichen Gedanken zusammen zuzwingen und zusaminenzuschweißen. Das etwa 80 Minuten dauernde Werk wird in der Urfassung gespielt, die das ursprüngliche Notenbild wiederherstellt und somit auch den von Bruckner gewollten Klang, der die Menschen durch seine Majestät und Gewalt in seinen Bann schlägt. Johannes Paul Thilman Vorankündigung: 1. Mozart-Abend Sonnabend, den 21. Oktober 1950. 2. Philharmonisches Konzert Sonntag, den 29. Oktober 1950. Dirigent: Professor Bongarlz