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Urdskerrecotsrcdutr: küok lürme.Verlsg, Halle (8aalo) 171 Nachdruck verboten. „Es braucht sich ja nicht gerade um Weihnachtsgeheim nisse zu handeln. Man kann auch sonst Geheimnisse vor einander haben..." Sie brach ab, vollendete erst nach längerer Pause: „Ich meine Geheimnisse beim Einkauf." Irma Hoff nickte: „Na jal Jedenfalls ist's nett, daß wir uns hier ge troffen haben, doppelt nett, weil ich Fräulein Wolfram auf diese Weise noch einmal vor ihrer Abreise gesehen habe. Ich schwärme so sehr für die Romane ihres Vaters." Regina Graven war zumute, als befände sie sich in schwankendem Kahn auf wildbewegtem Wasser, und die Wogen schlügen von allen Seiten in den Kahn, so daß sie fürchten mußte, schon im nächsten Augenblick in die Tiefe gerissen zu werden. Sie saß ganz starr da, fühlte ihre Glieder wie schwere Holzteile und sann verzweifelt nach, was sie jetzt tun sollte. Aufspringen und fortlaufen? Aber sie brachte es vor Erregung wohl kaum fertig, aufzustehen. Ein so bedrückendes Schweigen entstand, daß es auch bei der nichtsahnenden vergnügten Irma Hoff zu dämmern anfing: Irgend etwas stimmte zwischen den drei Men schen hier am Tisch nicht. Deshalb wollte Doralies Wol fram auch wahrscheinlich abreisen, anstatt einmal das Fest in Berlin zu verleben. Natürlich! Da hatte sie ja eine Dummheit begangen, daß sie die beiden herangewinkt hatte: Frau von Stübnitz und Doktor Konstantin, den man oft mit ihr zusammen sah und den man deshalb scherzhaft ihren Sohn nannte. Irma Hoff liebte schnelle Entschlüsse. Sie wandte sich an Frau von Stübnitz: „Ich habe vorhin unsere Bestellung gleich bezahlt, also bin ich frei und kann mich verabschieden. Ich bitte um Entschuldigung; aber mir fällt eben eine Verabredung ein, und so muß ich leider sofort aufbrechen." Drei Händedrücke — weg war sie. Regina Graven war es, als verlöre sie jetzt den letzten Halt, als zöge es sie jetzt in die Tiefe, und die wilden Wasser strudelten über sie dahin. Sie saß mit fest zusammengepreßten Lippen da und mit gesenktem Blick, murmelte: „Ich möchte auch gern gehen und danke Ihnen beiden für Ihre Rücksicht in Gegenwart Fräulein Hoffs." Ihre Lider hoben sich langsam, begegneten einem eis kalten Blick Frau Eddas, einem forschend nachdenklichen Peter Konstantins. § Sie stand mit einem Ruck auf, sagte ganz leise: „Verzeihen Sie mir!" k Edda von Stübnitz erwiderte in befehlendem Ton: „Bleiben Sie noch ein wenig! Ich möchte Ihnen noch etwas sagen." Mechanisch fiel Regina wieder auf ihren Platz zurück, aber ihr Blick glitt vorbei an den Gesichtern der beiden. Zum Glück stand ihr Tisch etwas abseits, und die nächsten Tische waren unbesetzt. Peter Konstantin bat: ' „Verehrte gnädige Frau! Wollen wir nicht lieber gehen? Sie wollten doch noch vieles einkaufen!" Regina blickte ihn dankbar an. Er bemühte sich, ihr aus der peinlichen Situation zu helfen. Oh, wie warm ihm ihr Herz dafür entgegenschlug! - Aber Frau Edda von Stübnitz wehrte ab. „Nein, bester Doktor! So mir nichts dir nichts soll mir die falsche Doralies Wolfram nicht davonkommen." Ihre Augen glitzerten vor Empörung. „Mein Früulein! Ich weiß zwar Ihren Namen nicht, und es liegt mir auch gar nichts daran, ihn zu erfahren, aber ich möchte Sie darauf aufmerksam machen: Ich werde Sie vom erstbesten Schupo verhaften lasten, wenn ich Sie noch einmal, so wie heute, dabei ertappe, daß Sie weiter unter falscher Flagge segeln. Fräulein Hoff sah in Ihnen noch Doralies Wolfram. Sie wußte noch nicht über Sie Bescheid. Aber Sie hesatzen kein Recht, sich mit der hochachtbaren jungen Dame an einen Tisch zu setzen. Sie sind ein;..." Regina GravenS Gesicht hatte sich mit lichter Röte überzogen. „Ich gebe Ihnen in allem recht, gnüdige Frau, auch wenn Sie das häßliche Wort Betrügerin, das Ihnen Wohl auf der Zunge schwebt, nicht aussprechen l" fiel sie der Netteren ins Wort. „Was Sie mir jetzt noch weiter sagen könnten, daS habe ich mir selbst schon längst gesagt. Ich möchte mich auch nicht reinwaschen von Schuld. Ich be ging eine große Torheit, vielleicht eine unverzeihliche Tor- -eit, aber keine Gemeinheit. Ich sprang für meine Freun din Doralies Wolfram in die Bresche, weil sie sonst um das Wiedersehen Mit dem Manne gekommen wäre, den sie Uebt. Heute, daS Zusammentreffen mit Fräulein Hoff, !Nnn mir so unerwartet — ich benahm mich deshalb un geschickt, Seien Sie unbesorgt: AehnlicheS wird sich nicht mehr wiederholen. Nochmals: Verzeihen Sie mir, gnädige Frau!" Ein beinah flehender Blick streifte Peter Konstantin, MS erhoffe sie, er würde ein freundliches Wort ein- Whiebe« zwischen ihre Bitte um Vergebung und zwischen «is spöttisch kalte Lächeln der Frau von Stübnitz. Er ater machte nur eine unbebaaltche Schulterbewe- aung, dachte nicht daran, es mit der Frau des berühmten Verteidigers zu verderben, so sehr die Gegenwart der jungen falschen Doralies Wolfram auch auf ihn wirkte. Sie gefiel ihm sehr, und wenn sie Doralies Wolfram gewesen, hätte er ihr das vielleicht auch bald gesagt, aber unter den so veränderten Umständen brachte er den Mut nicht auf, sich vertrauend und schützend vor sie hinzustellen. Schon war Regina Graven wieder aufgestanden, und da niemand Einspruch erhob, ging sie, mit einem letzten traurigen Blick die beiden am Tisch streifend. Eine Minute lang herrschte Schweigen zwischen den beiden Zurückgebliebenen. Dann meinte Edda von Stüb nitz ärgerlich: „Eigentlich hat sie mich sitzen lassen, als ob ich die Be trügerin wäre! Das ist doch geradezu empörend! Wir haben noch nichts bestellt, deshalb kommen Sie. Ich fühle mich gar nicht wohl hier und möchte nach Hause. Das Zu sammentreffen hat mich aufgeregt." Sie schob sich so eilig durch die Tischreihen, daß Peter Konstantin Mühe hatte, ihr zu folgen. Regina Graven aber ging ziellos durch das Gedränge in den Verkaufsräumen, ging im Kreise herum, fand sich mehrmals auf derselben Stelle wieder. Sie hatte ihre Ge danken nicht beisammen. Ihr klang es noch immer in den Ohren: Ich möchte Sie darauf aufmersam machen: ich werde Sie vom erstbesten Schupo verhaften lasten, wenn ich Sie noch einmal, so wie heute, dabei ertappe, daß Sie weiter unter falscher Flagge segeln...! Wie demütigend war der Augenblick gewesen, als Frau von Stübnitz das zu ihr gesagt. Und Peter Konstantin hatte dabeigesessen. Ihr Herz schlug heftig. Sie spürte das starke rhyth mische Pochen ganz oben im Halse. Endlich befand sie sich auf der Straße, lief vorwärts, ohne zu überlegen, wohin. Einmal blieb sie an einem Schaufenster stehen. Ihr war schwindlig vor Aufregung, da klang eine Stimme neben ihr: „Ist Ihnen nicht wohl, Fräulein Graven? Darf ich Ihnen irgendwie behilflich sein?" Sie blickte verstört zur Sette und sah Peter Konstantin neben sich. Sie besann sich. Nein, nein, es war ja Doktor Meerhold, der sie mitleidig ansah. Sie kannte ihn jetzt genügend, um ihn nicht mehr mit dem anderen zu ver wechseln. Er kam ja fast täglich zu Landgerichtsdirektor Doktor Freese, und sie hatte schon viele Seiten nach seinem Diktat geschrieben. Sie versuchte zu lächeln. „Ich komme von dort", sie machte eine bezeichnende Be wegung mit dem Kopfe nach Richtung des Warenhauses, „aber es waren so schrecklich viele Menschen dort, und es war sehr heiß. Da ist mir ein bißchen schwindlig ge worden." Holm Meerhold sah sie an. Wie war das schöne, geradlinige Gesicht so blaß! Regina Graven tat ihm leid. Er hatte sie gern, weil sie eine so überaus geschickte Hilfs kraft war bei der gemeinsamen Arbeit mit Jobst Freese. Weil sie eine wirkliche Mitarbeiterin war, die keine un nützen Fragen stellte, die ganz selbstverständlich wagte, einen etwas komplizierten Satz in klares, verständliches Deutsch zu übertragen, weil, wenn sie ein Wort einwarf, das Wort auch HaNd und Fuß hatte. Er sagte freundlich: „Darf ich Sie nach Hause bringen, Fräulein Graven? Aber ich glaube, es ist besser» wir suchen uns ein'stilles Eckchen, und Sie erholen sich dort erst ein bißchen. Ganz nahe von hier kenne ich so eins, da können Sie ein wenig ausruhen." Sie nickte nur. Ihr war alles recht. Sie koünte jetzt nicht mehr sprechen. Ihr war sterbenselend zumute. Die abscheuliche Drohung, die ihr Frau von Stübnitz so eiskalt entgegengeworfen, schmerzte noch immer über stark. Sie hatte das entsetzliche Gefühl: jeder Mensch müsse ihr die Schande vom Gesicht ablesen, die Schande der Worte, die sie hätte hinnehmen müssen in Gegenwart Peter Konstantins. Ihr Kopf war wirr, und ihr schien, als be wege sich der Boden unter ihren Füßen. Doktor Meerhold fragte nichts mehr und machte auch keinen Versuch, sie zu unterhalten. Er schritt neben ihr her und führte sie in eine nahe kleine Weinstube. Niemand befand sich hier zu so früher Nachmittagsstunde. Doktor Meerhold machte eine Bestellung, und bald standen ein paat pikant belegte Brötchen und ein Glas Portwein vor Regina. Sie nippte von dem Wein. Er schmeckte ihr und schien ihr neue Kraft zu geben. Holm Meerhold riet: „Trinken Sie das Glas aus, danach wird Ihnen sicher Wohler." Sie folgte seinem Rat, und wirklich — ihr wurde Wohler. Ganz sonderbar leicht wurde ihr. Ihre Wangen färbten sich mit sanfter Röte, und ihre Augen singen an zu glänzen. Sie nahm das Hütchen ab, und Doktör Meerhold schien eS^ als sähe er erst jetzt so richtig, wie wunderschön die rotblonde junge Sekretärin des alten Landgerichts- direktors war. Der Wein war schwer, aber Regina fühlte Mfich leichter und Wohler danach. Appetit machte sich be- r merkbar. Sie griff nach einem Kaviarschnittchen. Auch Doktor Meerhold trank Und bestellte noch einmal! 7 Wein. ' Gütiger Himmel! War das eine Feierstunde flir thni! - Er erinnerte sich keiner, die der heutigen ähnelte. So ein Mädel, so ein wunderschönes rotblondes Mädel hatte noch, nie neben ihm gesessen. Immerzu hätte er Regina Graven! anschauen mögen. Mädchen waren ihm schon genug in den Weg gelaufen. Für alle Haarfarben hatte er sich schon begeistert in seinHi! Frei- und Bummelstunden, immer war es ein lustige-! Kennenlernen und ein leichtes Abschiednehmen' gewesen. Sein Herz war noch ganz frei und unbeschwert, aber jetzt,! mit einem Male, empfand er ein seltsames Frohgesühl — es^lich ungefähr dem, das ihn als Halberwachsener an einem Christabend erfüllt, als er etwas ganz Besonderes geschenkt erhalten, etwas, auf das er gar nicht zu hoffen gewagt. Aber nein, so war das augenblickliche Empfinde»! von ihm nicht. Viel größer war es, viel schöner. Er hob sein Glas. „Bitte, trinken Sie auch noch ein Schlückchen." Sie wehrte ab: „Ein Glas ist für mich genug!" Gr lachte: „Sie werden ja nicht gleich beschwipst davon. Tun Sie! mir doch Bescheid. Wollen auf meine gemeinsame Weiter-, arbett mit Herrn Landgerichtsdirektor Freese irinken und auf Ihre Mitarbeit und auf das nahe Weihnachtsfest."- Regina Graven nippte. Nein, mehr durfte sie nicht trinken, sie war keinen Wein gewöhnt. Doktor Meerhold lächelte: „Sie hätten eigentlich Juristin werden müssen! Herr Doktor Freese meint das auch. Ihnen sitzt das Rechtsgefühl in den Fingerspitzen, auch ohne daß Sie sich den Kopf mit Paragraphen voll gestopft haben." „Rechtsgefühl in den Fingerspitzen!" Fast mechanisch wiederholte sie es, und dann schüttelte sie heftig den Kopf. Der schwere Wein gewann erst jetzt richtig Macht über sie. Das Erinnern an die abscheuliche Drohung der Frau, die sie ein paar Wochen lang „Tante Edda" genannt, wurde wieder wach, wurde zur Qual. Sie sah ihren Begleiter an, und ihr schien die Aehn- lichkett mit dem anderen mit einem Male grausam stark. So stark, daß es nicht zu ertragen war. Sie wollte aufstehen. Doktor Meerhold legte ihr die Hand auf den Arm. „Allein lasse ich Sie nicht fort, wir fahren zusammen." Sie sank auf den Stuhl zurück, zog die Brauen zu sammen. „Es ist aber besser, ich gehe allein. Denn so sehr ich Sie enttäuschen muß — das mit meinem Rechtsgefühl stimmt nicht." Ihre Erregung, ihre Angst von vorhin waren plötzlich wieder da, und in ihren Ohren klang es nach: Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, ich werde Sie vom erst, besten Schupo verhaften lassen, wenn ich Sie noch einmal, so Wie Heutes dabei ertappe, daß Sie'wetter unter falscher Flagge seMn! Der Teufel mußte sein Spiel mit ihr treiben, oder war es der Wein, der sie zwang, die Worte zu Doktor Meer- hold zu sagen? Wenn auch mit unterdrückter Stimme, so doch klar und deutlich. Doktor Meerhold erwiderte ihren Blick völlig ver ständnislos. Was meinte denn Regina Graven eigentlich? Der Satz, den sie so betont gesprochen, hatte doch gar keinen Sinn. ' Er zuckte lächelnd die Achseln. »Ich segle bestimmt nicht unter falscher Flagge, Fräulein Graven. Was meinen Sie mit den Worten? Wollen Sie sich nicht, bitte, etwa« deutlicher ausdrücken?" Reginas Augen waren von feuchtem Schimmer über zogen. „Ach du lieber Himmel, Sie haben mich völlig miß verstanden. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß daS mit meinem Rechtsgefühl nicht stimmt. Das von eben, von dem Schupo und dem Segeln unter falscher Flagge, daS hat mgn zu mir gesagt." Sie preßte durch die Lippen hervor: „Das habe ich mir sagen lassen müssen! Also, mit meinem Rechtsgefühl ist es nicht so wett her. Eine Schwindlerin bin ich, habe mich unter falschem Namen in ein fremdes Haus eingeschmuggelt, und es ist ganz in der Ordnung, wenn man mir vorwirst, ich hätte danach kein Recht mehr, mich mit einer hochachtbaren jungen Dame an einen Tisch zu setzen." Doktor Meerhold legte impulsiv seine Hand auf die ihre, die ihm nahe war. „Liebes Fräulein Graven, Sie reden irr. Ich bin iw Sorge um Sie, der Wein ist doch wohl zu schwer. Kommen Sie, ich geleite Sie heim, denn Sie sind unfähig, daS zn tun, dessen Sie sich anklagen. Wenn Sie eine Schwind» lerin sind, bin ich ejn Hochstapler!" Sein GlMbe an sie tat ihr gut, war wie ein ^r« frischender Luftzug in der heißen Beklemmung von Scham,; in die sie Frau von Stübnitz gejagt. Sie sah ihn dankbar an und sagte leise: „Der Her»! Landgerichtsdirektor weiß die Wahrheit, nun sollen Ä« die Wahrheit auch wissen." - ' ' Er ließ seine Hand wie beruhigend auf der ihren, und Regina erzählte ihm alles. Erzählte ihm, warum sie getan, was Frau von Stäbnttz, die doch so lieb und gut zu ihr gewesen, nicht verstand oder verstehen wollte. Ganz still hörte Holm Meerhold zu, bis sie geendet,! sagte dann halblaut: „Ein ganz verrücktes Stückchen ha« das Mädel da in Mooshausen in Szene gesetzt, und e- gehörte allerhand Mut von Ihnen dazu, in dem Stückchen! mttzuspielen. Aber Frau von Stübnitz hätte den Streich mit Humor parieren sollen statt mit Verachtung und Strenge." Er lächelte: „Arme Regina Grapen, Ihre Hilfs bereitschaft für die übermütige Freundin ist Ihnen seh« schlecht bekommend Er sah sie beruhigend an. tFortlebuna kolat.1