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Beilage zur „Weißeritz-Zeitung" Sonnabend, am 25. August 1934 100. Jahrgang Nr. 198 Die Sindenburgschlacht von Tannenberg Vran-fackeln im Otten! 17 000 Gutshöfe und Gehöfte loderten in Feuersgluten, Dörfer flammten auf, das Städtchen Gerdauen verwandelt« in eine rußgeschwärzte Trümmerstätte, in Aschwangen «md Santoppen wurden 60 Dörfler füseliert, weil sie Kir chenglocken läuteten, geradeso wie jeder Radfahrer von den Landstraßen abgeknallt wurde, wenn er über 20 Jahre alt zu sein schien. Mit Mord und Plünderung hausten die Kosaken unter der Bevölkerung, verschleppten über 10 006 Zivilpersonen aller Altersgrade nach Rußland, nachdem sie vorher über 1600 friedliche Einwohner ermordet hatten und etwa 500 verwundet liegenließen.. Wer bei diesen Trans porten erschöpft unter den Nagaikahieben zusammenbrach wurde mitleidlos von Kosakenlanzen durchbohrt. Alle För ster und Forstgehilfen wurden an die Wand gestellt. Runt 800 000 Ostpreußen flohen Hals über Kops von Haus uni: Hof und erreichten als Bettler die Weichsel, denn hmici thnen setzten die Russen auf alle Kornspeicher. Stallung::, und Wohnhäuser den roten Hahn. Wer nicht fliehen konnte, wurde mitverbrannt! Der Einbruch -er Dampfwalze Weit nach Rußland oorspringerid. geht Ostpreußen ohm Naturgrenzen in die russische Landschaft über. Die politisch« Grenze ist bloß ein aus der Karte gezogener Strich. E- kann oben von Osten angepackl und unten von Süden hei abgeschnürt werden. Lediglich die masurische Seenkette bil det eine natürliche Mauer und spaltet die asiatischen Horden in'zwei Angrisfsarmeen. Oben wälzt sich die Njemen-Armec des Generals Rennenkamps nach Westen auf Königsberg vorwärts, während im Süden unten die Narew-Armee des Generals Samsonow in Richtung Allenstein hereinbricht. Diese Armeen einzeln zu zerschlagen, ehe sie sich westlich der masurischen Seenplatte vereinen und die deutschen Trup pen „in die Ostsee werfen", ist die Aufgabe, die Gras Schlieffen der 8. deutschen Armee hinterließ. Diese Aufgabe zu erfüllen, mißlang jedoch deren Chef. Zwar telegraphiert Moltke: ,„ . . nur keine Defensive, sondern Offensive, Of fensive!", zwar schlug sich die 8, Armee glänzend bei Stal- lupönen und Gumbinnen, aber dennoch glaubte General von Prittwitz, Ostpreußen räumen und auf die Weichsellinie zu rückgehen zu müssen, weil er sich mit leinen än Korps dem Zangengriff fünffacher Uebermacht von zehn russischen Korps und deren neun Kavallerie-Divisionen nicht gewachsen fühlte! Im Rückzug xab Prittwitz fast kampflos deutsches Land der asiatischen Willkür preis und ließ nichts zurück als die kleine Festung Lötzen, deren Gouverneur Oberst Busse dem bald erscheinenden russischen Parlamentär das stolze Wort zu- warf: „Nur die Trümmer gelangen in russische Handl" Moltkes einzige KriegStat In diesem Augenblick greift Moltke, der General ohnc Entschfüsfe, zielbewußt aus der Menschenmasse des deutschen Heeres zwei Männer heraus und setzt deren Energie an die Stelle der planlosen Ratlosigkeit im Osten. Ludendorff, der sich kurz vorher beim Handstreich auf Lüttich so aus gezeichnet hatte, wird im Automobil von Namur nach Koblenz geholt und hört dort die ehrenvollen Worte: „Sic können mit Ihrer Energie noch das Schlimmste abwenden!" „Bin bereit!" beantwortet zur gleichen Zeit Hinden burg die telegraphische Anfrage und steht im Morgengrauen des 23. August am Bahnsteig von Hannover. Der Sonder- zug mit seinem Generalstabschef läuft ein, hält für einig« Minuten und entführt die beiden Männer der Tat in den aufsteigenden Tag hinein, nach Osten, der Sonne entgegen und zu einem Kriegsschauplatz, auf welchem der Karren gründlich verfahren zu sein scheint. Arischer Wm- Schon per Telegraph waren die ersten Befehle voraus geeilt, hatten den Rückmarsch abgestoppt und die Truppen dem Feinde wieder zugedreht. Jetzt folgen an Ort und Stelle di« näheren Weisungen. Am 23. August abends stehen die deutschen Truppen ungefähr entlang der Bahnlinie Thorn- Insterburg diagonal durch Ostpreußen. Am Nordflügel das 1. Reseroekorps Below und das 17. Armeekorps Mackensen gegen die fünf Korps und die fünf Kavallerie-Divisionen der Rennenko 'pf-Armee: am Südflügel der 350 Kilometer lan- gen Kampflinie das 20. Armeekorps Scholtz sowie die Divi- sion Unger gegen die fünf Korps und vier Kavallerie- Divisionen der Samsonow-Armee. Dazwischen auf weiter Flur die 3. Reseroeüioision Morgen und etliche Landwehr und Landsturmformationen. Das Ist alles! Das 1 Armee korps Francois rollt zur Zeit vom Nordflügel über Königs- berg—Marienburg in den Raum des Südflügels um Deutsch- Eylau, wo es frühestens in zwei Tagen die Tete auswag- aonieren wird. Die einzige Kavalleriedivision der deutschen 8. Armee jedoch war bei Gumbinnen hinter di« russischen Linien geritten uyd ist seither spurlos verschwunden! Dagegen ballt sich bei Insterburg die Heermasse der Ren- nenkampf-Armee, während die Samsonow-Armee vom Sü- den her in Ostpreußen einbricht und dadurch zum alles be drohenden Gefahrenmoment wird Sie zuerst zu vernichten, ist das Gebot der Stunde, unmittelbar darauf über Ren- nentampf herzufallen, die zwingende Folge. Gedeih und Verderb hängen in diesen Tagen einzig von den Marschleistungen der deutschen Truppen ab und da von, ob Rennenkamps marschiert! Marschiert er, so gerät di« deutsche 8. Armee zwischen zwei Mühlstein«! Luden dorff meint, daß Rennenkamps nicht marschieren wird. Hin- denbvrg teilt diese Ansicht. Blitzartig den Vorteil daraus zu ziehen, ist eben das Genie des Feldherrn. Die Befehle werden erteilt, und der Schicksalswürfel rollt! Mes auf etue Katte gefetzt Unmittelbar darauf krachen das 20. deutsche und das tS. russisch« Korps aufeinander. Zwei Tage lang tobt der Kampf- Mit seltener Wut richtet der Russe seine Stöße, immer wieder auf ein und dieselbe Flügeldioision und holt Kch dennoch bet Frankenau, Lahna und Orlau nur blutige Wpfe. In diesem Auftakt der gewaltigen Schlacht erobert das Uorcksche ISg«r-Bataillon di« Fahne des Regiments viebitsch, auf deren Schaft vor 100 Jahren die Generale Yorck und Diebitsch den Vertrag von Tauroggen bekräftigt satten! Das 20. Korps steht wie ein Fels im Meer«. Es kämpft bereits aeg endrei russische Korps, von denen jedes um ein Drittel starker ist als es selbst. Es kann und darf sich aber jetzt nicht in der Vereinzelung ichlagen lassen und weicht mit dem linken Flügel auf Mühlen aus als dieser vom 13. russischen Korps umgangen wird Die Division Morgen eilt aus AUenstcin herbei. Am Südslügel aber . werfen die Eilenbahnzüge die ersten Bataillone des Korps Francois in das Gefecht. Indessen wirken sich die Befehle aus: Mackensen und Below haben von Rennenkampf abgedreht und stoßen zum Brennpunkt herunter. Sie können frühestens in zwei Ta gen hier 'ein. Werden sie zurecht kommen, um die ver zweifelt ringende Division aus der Umklammerung des rus sischen 13. Korps zu löien? In ihrem Wege befindet sich noch das nordwärts durchgegangcne 6. russische Korps und muß erst aus dem Feld« geichlagen werden! Und in diesem Augenblick, als alle Truppen Ostpreußens bei glühender Hochlommerhitze. fast ohne Verpflegung auf vielerlei Marschwegen zersplittert und uneinfangbar erst in Gewaltmärschen unterwegs zum gemeinsamen Schlagen sind, als der Erfolg einzig von der Untätigkeit der Rennenkampf- Armee abhängt, kommt wie aus heiterem Himmel als Blitz schlag die Meldung: Rennenkampf marschiert! Die Aunksprüche -es 2Z. Auvust Trotzdem entscheidet eiskaltes Führerdenkcn für den un- beirrlen Fortgang der Aktion! Um der Entscheidung näher zu sein, wechselt Hindenburg leinen Standort. Auf der Fahrt zum Gefechtsstand des 1. Korps wird beinahe ein Rittmeister überfahren, der dem rasenden Auto in den Weg springt. Er überreicht einen ausgefangenen Funkspruch Nen nenkampfs: Rennenkamps marschiert, aber nicht in die Schlacht sondern — nach Königsberg! Ueberflüssig zu sagen, mit welcher Erleichterung der Stab diese Nachricht aufnimmt. Bei General von Fran cois angelangt, empfängt Hindenburg einen zweiten aufge fangenen Funkspruch. Diesmal von der Narew-Armee: Samsonow fühlt sich als Sieger, glaubt das 20 Korps ge schlagen und setzt mit kurzen Tageszielen leinen Nordmarsch fort! Damit ist das Schicksal dieser Narew-Armee besiegelt. Am Abend des 25. August geht das Gesetz des Handelns endgültig in die deutsch« Hand über! Der erste Vtttz Am nächsten Morgen brüllen die Kanonen vom äußer ten Südflügel, die 5. Landwehrbrigade und das 1. Korps rrösfnen die Angriffsschlacht. Zu Mittag donnert der Schlachtenlärm bereits an der Kittstelle zum nördlich davon lnschließenden 20 Korps und setzt sich nachmittags Über di«! rasch eingeschobene Division Ung«r zur Division Morgen fori.! dis endlich die ganze Front ein einziges Toben ist und ins unzählige Einzelhandlungen des deutschen Sturmangriffs zerfällt. Die russischen 1., 15. und 23. Koros lernen an die»! >em Tage kennen, was deutscher Siegeswill« heißt. Bei sin» !ender Nacht ist der Südftügel um 15 Kilometer siegreich -orgerückt. Sonnenbrand, Wassermangel und erbitterte Nah- ämpfe stellen unerhörte Ansprüche an di« deutschen Trup- len. Dabei schlägt sich der Russe hervorragend und muß iberall erst mit dem blanken Bajonett aus seinen Stellun- ,en geworfen werden. Sein« Verlust« sind überaus blutig. Rücksichtslos um das eigen« Ergehen, stürmt d«r deutsche Infanterist. „Unsere Kerls sind kaum zu halten", meldet ein Regi- nentsadjutant. „nehmen sich nicht die Zeit zum Hinlegen «ach dem Sprung und feuern stehendI" Es geht vorwärts! Bloß bei Mühlen, am deutschen liordflügel, dauert der russische Druck an. die Angriffe wer- >en aber von der Division Unger glatt abgeschmiert. Noch ist nichts entschieden, solange nicht Usdau genom» men ist. Am Morgen des 27. August verlegt Hindenburg feinen Gefechtsstand zum 1. Korps. 7 Kilometer hinter die Schwarmlinie, mit dem Ausblick auf Usdau. Nachmittags ist dieser Ort genommen und das russische 1. Korps vom Schlachtfeld abgedrängt. „Das ist der Sieg!" lagt Ludendorfs zufrieden. Ueber- all dringt der deutsche Angriff durch, nirgends gelingt der russische. Das 20. Korps ringt erbittert um jeden Fußbreit Boden. Es hat noch immer die Hauptmaste des Gegners, das 15. und 23. Korps, gegen sich. Die nordwärts anschlie ßenden gemischten Verbände wehren sich siegreich gegen di« Ueberflügelung durch das 13. Korps, aber am Vortage wurde das allein nördlich Ortelsburg vorstoßende 6. russische Korps beiderseits des Großen Bössauer Sees von den anmarschie renden Korps Mackensen und Below erfaßt und aus dem Schlachtfeld geworfen. Jetzt geht es dem 13. russischen Korps an den Kragen. Es entschlüpft mit Mühe einer lokalen Ein kreisung und gerät im Weichen in das große Kesseltreiben. Lannenbery Am Morgen des 28. August nimmt Hindenburg seinen Gefechtsstand beim 20. Korps. Der Ort heißt Frögenau, und ein rasch zum Feldherrnhügel geschaffter Tisch für di« Karten wird heute noch mit Stolz in einer benachbarten Meierei gezeigt: Das hartgeprüfte 20. Korps schlägt sich an diesem Tage mit nahezu drei russischen Korps, greift dies« Uebermacht freudig an — und siegt! Um 4 Uhr nachmittags ist das russische 15. Korps geschla- gen. Um 5.30 Uhr diktiert Ludendorff seinen Offizieren den Verfolgungsbefehl: „Schreiben Sie, mein« Herren: „Frö genau. den 28. August . . Da legt Oberstleutnant Hoffmann, der spätere General von Brest-Litowsk, die Hand an den Helm: „Darf ich eine Aenderung Vorschlägen! Statt Fröyenau den Namen d«s dort drüben liegenden Tannenberg emzusetzen. Es ist wo» sicher, daß die Schlacht nach diesem entscheidenden Befehl genannt werden wird —" Ludendorff blickt zu dem etwa 1000 Schritt« entfernten Gedenkstein hin, der an die Vernichtung der Deutschen. Or- Aufmarsch- und -ampfgelöabe von Tannenberg