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18. Der alte Herr hotte ein Buch hervor, das in feinstes Saffianleder gebunden war. „Das Tagebuch einer kranken, schönen, hysterischen Frau!" Der alte Detektiv sagte es ruhig, sachlich. Der Prozeß bekam eine vollkommen andere Wendung Schon allein der Satz: „Er muß ja kommen, wenn er zu einer Kranken ge rufen wird. Und er wird kommen, denn er ist von einem eisernen Pflichtgefühl. Das Pulver habe ich mir besorgt Es hat viel Geld gekostet. Aber der Blick des erfahrenen Arztes läßt sich nicht täuschen. Ich will nicht sterben. Das Lebcn ist wundervoll. Aber doch nur mit ihm zusammen Nur mit ihm will ich leben — oder es soll eben das ver haßte Dunkel kommen. Ich will eine kleine Komödik spielen. Bielleicht wird er mich doch lieben, wenn er sieht, daß ich um ihn sterben will. Er liebt Maria doch nicht. Wie könnte er denn das! Sie, die unbedeutende Frau, der alles das fehlt, was Professor Stahl an einer ge liebten Frau sehen will. Es geht um alles. Morgen geht es um alles. Vielleicht schreibe ich morgen wieder weite, — vielleicht bin ich glücklich... Oder — kommt er nicht? > Dann — soll es aus sein. Ich kann es nicht mehr er tragen." i Das Tagebuch wurde der Beweis, daß Professor Stahl ' die Wahrheit gesprochen. Dina von Alten hatte Selbst mordgedanken gehegt. Nun hatte man Professor Stahl zu glauben, was er von jenem Abend behauptete. Und — man glaubte es ihm auch. Er wurde voll- - ständig freigcsprochen. > Dennoch! § Er hatte sich mit Dina von Alten getroffen. Er, der verheiratete Mann. Sie war bei ihm in der i Wohnung gewesen. Diese Tatsache blieb, selbst wenn man ihm glaubte, daß er an jenem verhängnisvollen Abend völlig ahnungslos eine Kranke besuchen wollte. Man bedauerte Maria. Vielleicht gab cs aber auch Menschen, die ihr ihr Leid gönnten. Sie selbst wartete daheim auf ihren Mann. Kein Vorwurf aus ihrem Munde sollte ihn treffen. Dina war tot! Und — sie er kannte diese ganz große Tragödie. Diese zwei Menschen hatten sich geliebt. Hans Joachim war aus Dinas Leben gegangen, mochte er auch gelitten haben. Aber Dina hatte. als sie ihn wicdersah, ihrer Leidenschaft für ihn keine Zügel angelegt. Sie hatte ihn wiederhaben wollen. Um jeden Preis. Sie hatte ihn mit ihrer Liebe verfolgt. Hatte ihn in schwerste Kämpfe zwischen Leidenschaft und Ge wissen gestürzt. Das Leben war grausam. Maria liebte ihren Mann so sehr, daß sie jetzt nichts mehr fragte, was zwischen Dina und ihm später noch ge wesen war. Dina war tot! Sie sollte in Frieden schlafen, und auf ihrem Grabe mußte die Blume der Verzeihung blühen. Maria saß im Arbeitszimmer ihres Mannes und wartete auf seine Heimkehr. Und dabei dachte sie an die Weigerung ihres Gatten, sie während der Untersuchungs haft zu sprechen. Es hatte ihr sehr weh getan, aber gleicb- wohl glaubte sie, ihn zu verstehen. Und nun würde er ja kommen. Sie wollte ihn bitten, ihr keine Erklärung zu geben, denn sie glaubte ihm jedes Wort. Stunde um Stunde verging. Hans Joachim aber kam nicht. Längst saß Maria nicht mehr, sondern sic wanderte ruhelos umher. Endlich, als sie dieses Warten nicht mehr s aushielt, rief sie Erik Molström an. Molström meldete sich sofort. „Gnädige Frau, Hans Joachim ist hier bei mir. Vittc, fragen Sie jetzt nicht. Ich bin selbst noch ganz außer Fassung über das, was er mir offenbarte. Ich gebe Ihnen morgen weitere Nachricht. Auf Wiedersehen, gnädige ' Frau." Maria stand da — begriff nicht. Hans Joachim kam nicht heim? Weshalb nicht? Was hatte sie ihm getan? Was — war denn nur? Maria schlief nicht in dieser Nacht. Und immer wieder war sie nahe daran, Erik Molström aufzusuchcn, durch ihn zu Hans Joachim zu gelangen. Doch dann hielt sie ihr Frauenstolz zurück. Wenn er i nicht zu ihr kam, so konnte sic es nicht ändern. Und — dann war er durch Dinas Tod eben doch mehr erschüttert, als er zeigen mochte. Und Maria wußte auf einmal so genau, als hätte es ! ihr jemand gesagt, daß ihr Glück zu Ende sei. Niemals i kam es wieder zu ihr. Und Dina triumphierte noch im ! Tode über sie. Der alte Karl blickte sie immer wieder fragend an, und an seinen rotumränderten Augen sah sie, daß er heimlich ; weinte. Aber sie konnte ihm keine Antwort geben auf seine stumme Frage. j Die Blumen in den Zimmern, die in Vasen und ; Schalen standen, und die den endlich wieder heimkehren- i den Hausherrn grüßen sollten, die hingen matt und well - die Köpfe. Marias umflorter Blick ruhte still auf ihnen. > Am anderen Tage gegen Mittag kam Henrik Molström. j Er sah sehr ernst aus und wär bereits im Reiseanzug. Er sagte, daß in zwei Stunden sein Zug gehe. Er trete eine neue Reise an, und Professor Stahl würde ihn be gleiten. Maria saß ihm gegenüber. Jetzt erhob sie sich. „Ich bin Frau Professor Stahl. Möchten Sie mir nichl sagen, was diese ganze traurige Komödie soll?" Hoheitsvoll sah Marias süßes, reines Gesicht aus, und ihre großen Augen waren leidvoll und stolz auf den Freund geheftet. Der wurde irre. An sich selbst, an dieser Frau und an dem Freunde. Auch er erhob sich. „Frau Maria, kennen Sie ei .1. ttcustcn Bonelli?" Marias Gesicht wurde sagte sie stolz: -Ja!" „Dann — habe ich nichts weiter hinzuzufügen!" sagte Erik Molström; seine sonst Weiche Stimme klang hart und streng. Maria sagte kein Wort mehr. Sie stand mit gesenktem Kopfe da, wußte noch immer nicht, was das alles zu be deuten hatte. In ihr stolzes Schweigen hinein sagte Mol ström: „Bitte, räumen Sie hier das Haus, Frau Maria! Hans Joachim kehrt nicht mehr hierher zurück. Das Bank haus Bleichröder wird Ihnen monatlich die Summe überweisen, die Ihnen als Rente zusteht, solange Sie Professor Stahls Frau sind." „Ich verzichte auf diese Rente, Henrik Molström. Ich nehme keinen Pfennig." „Gut so! Ich werde es Hans Joachim überbringen. Und nun leben Sic Wohl, Frau Maria!" „Leben Sie Wohl, Erik Molström!" Erik Molström sah immerfort nur dieses seltsame, verächtliche Lächeln, das nicht zu Marias Schuld passen wollte. Und diese Schuld war doch so einwandfrei fest gestellt. Dina hatte Hans Joachim Briefe übergeben, aus denen hervorging, daß Maria jahrelang in einem vertraulichen Verhältnis zu Bruno Bonelli, dem berühmten Artisten, gestanden hatte. Als der Zirkus Netzlar in der Stadt gastierte, hatte sie ihn wiederholt in seiner Wohnung aus gesucht. Es waren Briefe darunter, die den hiesigen Poststempel trugen, und in denen immer von dem gestrigen Besuch die Rede war. Auch davon, daß cs Maria doch lieber noch nicht wagen sollte, mit dem Vater zu sprechen. Diese Briefe datierten vor Marias Verlobung und Ehe. Aber es waren noch Briefe da, die Maria nach Mailand, Paris, London, nach Brüssel gerichtet hatte, und die während ihrer Ehe geschrieben waren.