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Die 1. Sinfonie ist ein Jugendwerk, 1883 mit den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ begonnen, 1891 uraufgeführt. Die Einschmelzung liedhafter Elemente in den sinfo nischen Ablauf ist Mahler in seiner ersten Sinfonie noch nicht restlos geglückt, dennoch birgt dieses Werk so viele Schönheiten, daß es houto zu den meistaufge- führten Sinfonien Mahlers zählt. Der erste Satz wird langsam eingeleitet. Eine österreichische Landschaft scheint sich vor uns auszubreiten, weich und verträumt. Der Kuckuck ruft, der fahrende Geselle singt „Ging heut’morgen auf das Fold“. Bilder worden aneinandergeroiht (sehr gemächlich!), die gelöste Heiterkeit erfüllt auch den Hörer. Ein Scherzo als zweiter Satz: Ein oberösterreichischer Ländler! Man hat Mahler oft „Banalität im Melodischen“ vorgeworfen, — nur ein überintellektuellor, hoffnungslos „erwachse ner“ Mensch konnte das liedhaft Echte der Mahlerschon Empfindung so mißver stehen ! Seltsam hintergründig in seiner düstoren Parodie beginnt der Trauermarsch des dritten Satzes, unterbrochen durch die (Mahlersche) Weise vom „Lindenbaum“, — Jean Paul in Moll, Spitzweg mit Kafkaschen Vorahnungen! Von sinfonischem Atem durchdrungen schließt Mahler seine „Erste“ mit einem stürmisch bewegten Finale. „Ich hofie“, schrieb der Komponist an einen deutschen Musikwissenschaft ler, „daß Sie den zarten Gebilden von Künstlerhand nicht als Botaniker, sondern als Poet näherkommon werden!“ Hören wir auch Mahlers „Erste“ als poetisch empfindende Menschen, dann werden wir die kindhafte Naivität der Musik beglückt verstehen! Arnold Schönberg schrieb sein Stroichsoxtett „Verklärte Nacht“ im Jahre 1899. Es war wohl kein Zufall, daß rund 20 Jahre später eine.Fassung für Streichorchester entstand, denn tatsächlich erinnert uns das Sextett an ein kammermusikalisch zu sammengedrängtes Orchester. Die Uraufführung der Kammermusikfassung fand 1903 im Wiener Tonkünstlerverein statt. Das verstärkte Rose-Quartett erntete wenig Beifall: Die Hörer lehnten Schönberg ab, er wurde als „kompositorisch nicht salonfähig“ abgestempelt, und dabei blieb es. Wie urteilen wir heute darüber ? Weit entfernt von ein e r Schockwirkung sehen wir durch den Abstand der Zeit den Wog der Entwicklung, den Schönberg durchlief, den er durchlaufen mußte! Darüber hinaus erlaubt uns der Abstand der Zeit ein ob jektiveres, gerechteres Urteil als vor 60 Jahren. Angeregt wurde Schönberg zu seinem „Sextett“ durch Verse Richard Dehmels, die er in der Dichtung „Zwei Menschen“ fand, einem Roman, der sich aus Romanzen zusammonsetzte. Mann und Frau schreiten durch die Nacht. Natur und menschliche Zwiesprache durchdringen einander. Es geht um eine „Zweisamkeit von höchster erotischer Dichte.“ Sehnsucht nach Mutterglück ließ die Frau zur Ehebrecherin werden. Der Mann verzoiht, er segnet die Frau und segnet das Kind, das „beiden“ gehören wird. Dunkel der Nacht und Zwist der Menschen werden verklärt, Spannungen lösen sich, — „zwei Menschen gehen durch die hoho, helle Nacht!“